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(K)eine Chance

Beitritt
01.05.2003
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(K)eine Chance

(K)eine Chance

Mit Tränen im Gesicht zog sie behutsam die Türe hinter sich zu. Der dumpfe Schlag durchzuckte ihren Körper. Ihre feuchte Hand verließ zögernd den Türgriff. Nun galt es einen kühlen Kopf zu bewahren, sich von den Gedanken an ihren Mann zu lösen und weiter zu gehen. Selbst wenn sie verdächtig wirkte, sie würde nicht anhalten. Im Flur war keine Menschenseele zu sehen und das war gut so. Sie stöhnte, leise aber bewusst, als ob sie den Druck in ihrem Körper schwinden lassen könnte.
Bei jedem Schritt raschelte die zusammengeknüllte Einkaufstasche, die sie unter ihrem Mantel verdeckt hielt. Niemand würde sie bemerken, dachte sie sich. Niemand. Das letzte Mal ging es gut. Warum nicht auch dieses Mal? Am Fahrstuhl angekommen, betrat sie den erdrückenden kleinen Raum und drückte die Erdgeschoss Taste. Die Fahrt schien unendlich lang zu dauern. Im dritten Stock betrat ein Ehepaar den Aufzug. Der Mann im dunklen Anzug nickte ihr zu und sie erwiderte den Gruß etwas zu schnell, beinahe militärisch, fast zu perfekt. Sie durfte sich keine Schnitzer erlauben. Als der Fahrstuhl aufging huschte sie, ohne das Ehepaar eines Blickes zu würdigen zum Ausgang – Richtung Freiheit. Nach einigen Minuten bog sie am Kiosk vis a vis rechts ab und zündete sich verkrampft und mit zittrigen Händen eine Zigarette an. Das war geschafft.

War das alles?, dachte sich der Mann in dem Zimmer. Soll das alles gewesen sein? Mein ganzes Leben? Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er wusste, dass er es genauso wenig hätte ändern können, wie er sich selbst würde retten können. Machtlos lag er in dem Bett. Aber sie konnten ihn nicht zwingen. Wenn er nicht wollte, dann würde es eben nicht gehen. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf die linke Seite und zog eine angebrochene Zigarettenschachtel unter der Matratze hervor. Das Bett quietschte, aber niemand würde außerhalb des Zimmers einen Verdacht hegen. Aus der Schachtel entnahm er eine Zigarette und zündete sie mit dem bereitliegenden Feuerzeug an. Jeder Zug tat gut. Es schwindelte ihn etwas und ein bisschen was ihm mulmig zu Mute, aber war nicht sein ganzes Leben ein Anflug des Rausches gewesen? Was ist schon ein Leben verglichen mit der Ewigkeit? Ein Atemzug?
Rauchschwaden hingen bereits an der Decke. Er sah auf die Kontrollanzeige an der Türe. Ein rotes Lämpchen blinkte. Wie harmlos. Aber so unschuldig wie es zu sein scheint, ist es nicht. Scheiß Ding!!! Es wird nicht mehr lange dauern bis sie die Türe erreichen und mir alles wegnehmen. Seit sie an ihm herumgeschnippelt hatten, ihn zum Krüppel degradierten, war ihm alles egal. Was hätten sie ihm noch nehmen können? Ein Mann ohne Beine war in seinen Augen ein Zwerg. Seine Füße waren tot und bevor er sich selbst richtete, würden sie es für ihn tun. Dabei ist er selbst ein Masochist. Das muss man sein. Wenn man ein Mal die Lust verspürt, kann man es nicht mehr lassen. Auch wenn sie ihn weiterhin zwingen würden und ihm drohten, damit er endlich aufhörte – er würde es durchziehen, bis er zusammenbräche.

In dem Moment knallte die Türe gegen die Wand und zwei Männer stürmten durch die Türe. Der Eine, ein Schwarzer mit krausigem Haar und einer Nase, die so platt war wie die eines Boxers, riss ihm die Zigarette aus der Hand und für einen Augenblick dachte er schon, er würde seine schwarzen Fäuste gegen ihn erheben und ihn ins Jenseits befördern. Aber dann hielt der Farbige inne und durchsuchte mit dem Zweiten, einem Weißhäutigen, dessen Vorfahren mit Sicherheit aus dem Norden stammte, das ganze Zimmer. Als sie nichts fanden, deckten sie seine amputierten Räucherbeine, die bis vor kurzem, wie abgebrannte Glimmstängel aussahen, zu.
Er wehrte sich nicht einmal, lächelte nur in sich hinein. Seine Gedanken waren bereits bei drei weiteren Zigarettenstangen, die seine Frau für ihn hineingeschmuggelt und überall in der Rehaklinik versteckt hatte.

 

Hallo Herbert!
Zuerst dachte ich, die Frau hätte wen umgebracht, der Mann bedroht worden ist etc. Ich war völlig auf der falschen Fährte und das finde ich gut.
Du hast einen guten Schreibstil, der flüssig ist und mir gefällt.
Leider war ich dennoch vom Ende entäuscht-obwohl ich wußte das die Geschichte unter Gesellschaft steht. Ich hatte mir irgendwas anderes vorgestellt.
Ansonsten finde ich die Geschichte gelungen. Da kommt man schon ins grübeln wenn man raucht....(dabei habe ich mir gerade eine angesteckt)

LG Joker

 

Hallo Joker,
freut mich, dass ich Dich auf eine falsche Fährte locken konnte. Nun, ich wollte eindach, dass sich der Leser sicher fühlt ( im Gegensatz zu den Charakteren), dass er denkt, ja ja, ich weiß ja worum es geht und dann völlig perplex ist, wenn er den letzten Satz liest. Was der Leser letztendlich von der Geschichte denkt, nun ja, dass ist natürlich Ansichtssachte. Schade dass Du etwas enttäuscht bist. Andererseits wäre ich von mir selber enttäuscht gewesen, wenn du die Geschichte durchschaut hättest. Tja, vielleicht wäre die Geschichte auch nicht so doll, wenn ich Deine Erwartungen an den Schluß erfüllt hätte. Trotzdem, vielen Dank für Deinen Beitrag. Finde ich echt spitze, dass nach 1 Stunde bereits jemand antwortet.
In dem Sinne sage ich: Keep on smoking, nehme mir eine Zigarette aus der Schachtek und gehe jetzt eine Rauchen. :-)

Gruß Herbert

 

JO ich nochmal! Es war also Absicht! Dann ist Dir die Geschichte echt gelungen!

LG Joker

 

Hallo Herbert,

Deine Geschichte wechselt geschickt die Erzählebene, die Flucht (verstärkt durch die Möglichkeit einer Untat) führt nicht zur Rettung, sondern ist eine Flucht in die Verdrängung, aufgrund von Sucht. Dies halte ich auch für die eigentliche gesellschaftsbezogene Aussage, die Kritik am Verhalten der Raucher, oder am Rauchen ist eher eine medizinische oder alltägliche Aussage. Den Punkt `Verdrängungsmechanismen in der Gesellschaft´ solltest Du vielleicht noch hervorheben.

Ansonsten ist die Geschichte flüssig erzählt, richtig gegliedert und gerade das Verhalten der Frau nachvollziehbar (und gut doppeldeutig) dargestellt.

Noch einige Änderungsvorschläge:

„sich von den Gedanken ihres Mannes zu lösen“ - den Gedanken an ihren Mann
„dass war gut so“ - das
„EG“ - Erdgeschoß
„3.“ - dritten
„erwiderte etwas zu schnell“ - erwiderte den Gruß etwas...
„schlich sie“ - huschte sie (o.k., das ist jetzt spitzfindig: huschte ist auch leise, doch schneller, sie will doch schnell in die „Freiheit“)
„Selbst wenn sie ihn zwangen ... drohte ... „ - sollte da schon konjunktiv sein?
„er würde es durchziehen“ - was ? (Ist schon klar, doch besser, es zu erwähnen)
„in der ganzen Reha“ - überall in der Rehaklinik, klingt (zumindest für mich) sauberer, weniger umgangssprachlich.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochin,
schön wieder etwas von Dir zu hören und natürlich recht herzlichen Dank für Deinen Beitrag. Deine Vorschläge werde ich annehmen und wahrscheinlich werde ich schon morgen die Urfassung ändern müssen, damit mich mein Gewissen nicht plagt :-).
P.S.: Freut mich zu hören, dass Dir meine Geschichte gefällt.

Gruß Herbert

 

Du bist ja ein irre führender Irreführer!:D

Bleibt nach Woltochinon nur noch Eines anzumerken:

...überdeckten sie seine amputierten Räucherbeine, die bis vor kurzem wie abgebrannte Glimmstängel aussahen, zu.
Da ist was zuviel.

Löste sich applaudierend in blauen Dunst auf

 

Hallo Rumpelsstilzchen,
vielen Dank für Deine Anmerkung.

Gruß Herbert

P.S.: Was meinst du mit: Löste sich applaudierend in blauen Dunst auf?

 

@Ehener Adler:

Was meinst du mit: Löste sich applaudierend in blauen Dunst auf?

Ich fand, das klingt besser als:

Röchelte sich davon, nachdem er seine Komplimente ausgehustet hatte:D

 

Hallo Herbert,

he, bitte kein schlechtes Gewissen! Du motivierst den Kritiker...

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochin,
HA! Da habe ich ja grad noch mal Glück gehabt, dass ich Deine kritische Ader nicht geweckt habe oder hattest Du Deinen guten Tag? Vielleicht sollte ich aber auch wirklich mal aufhören mich dauernd zu genau unter die Lupe zu nehmen. Ich könnte jedes Mal, wenn ich mir meine Geschichten durchlese, wieder Sätze umstellen, streichen oder neue einfügen. Schwierig, schwierig, wenn man so selbstkritisch ist.

Gruß Herbert

P.S.: Konstruktive Kritik ist immer noch besser als selber in seinen Texten herumzustochern.

 

Hallo Herbert,

Du änderst, überarbeitest? He, solche Leute braucht das Kg.- Land, nein, was sage ich- das Kg. Universum!
Ich muß meine Text auch immer liegen lassen, sie nach Wochen noch einmal lesen, weil man ohne Abstand `betriebsblind´wird. Und trotzdem- ohne Hilfe von außen geht´s kaum.
Also- viel Erfolg!

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Herbert,
bin deinem unauffälligen Wink mal gefolgt.
Ja, hm, vielleicht schon zu stark auf einen Wendepunkt ausgerichtet. Ich hab nach 9 Monaten das Rauchen wieder angefangen und grad übelst Lungenschmacht, vielleicht bin ich deshalb deiner Geschichte gegenüber ein wenig zurückhaltender.
Deine Pointe war für mich keine Überraschung, irgendwie hab ich für so was ´nen Spürsinn und deshalb keine besondere Leidenschaft für derartig auf "Bätsch, anders als du erwartest!" zielende Geschichten.
Ganz ordentlich beschrieben, auf mein entzugsgequältes Hirn wirkten nur folgende Stellen verdächtig:

und drückte die EG Taste
Die, die die Iberier in den 80ern gedrückt haben? Die heißt jetzt EU- Taste.
Also, entweder du lässt es, setzt dann aber besser Bindestrich und Anführungszeichen, oder du schreibst "Taste ins Erdgeschoss" o.Ä.

einigen Minuten bog sie am Kiosk vis avis rechts ab
Ich mag diese Sprache nicht, aber heißt es nicht vis a vis oder so?

War das alles? Dachte sich der Mann in dem Zimmer. Soll das alles gewesen sein? Mein ganzes Leben? Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Ich würde die Gedanken in Anführungszeichen oder Kursiv setzen, ist übersichtlicher beim Lesen und genauso ästhetisch.
Besser beide Sätze anbinden:
"War das alles?", dachte...

Dein Schwarz-Weiß- Farbenspiel mit den beiden Pflegern am Schluss ist etwas unglücklich.

(...) Der Eine, ein Schwarzer mit krausigem Haar und einer Nase, die so platt war wie die eines Boxers, riss ihm die Zigarette aus der Hand und für einen Augenblick dachte er schon, er würde seine schwarzen Fäuste gegen ihn erheben und ihn ins Jenseits befördern. Aber dann hielt der Farbige inne und durchsuchte mit dem Zweiten, einem Weißhäutigen, dessen Vorfahren mit Sicherheit aus dem Norden stammte, das ganze Zimmer. (...)
Was soll dieses mE nach unnötige Beschreiben ethischer Gruppen, dieses Betonen der Hautfarbe bzw. der nordischen Herkunft?
Etwas überkandidelt.

 

Hallo Paranova,
vielen Dank für Deinen Beitrag. Werde Deine Vorschläge auch annehmen und in den nächsten Tagen umsetzen.

Gruß Herbert

 

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