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Kühlschrankmaden
„IHR Kühlschrank ist verdreckt! Ich kann es Ihnen förmlich ansehen!
Es gibt nur EINE Möglichkeit, sich vor weiterer Kontamination zu schützen!
Was sie jetzt brauchen, sind KÜHLSCHRANKMADEN!!!“
Donald Heuck zuckte zurück, als der krampfhaft grinsende Vertreter ihm ein Glas vor die Nase hielt. Darin ringelten sich hunderte, schleimige kleine Wesen. Sie leuchteten grün. Widerlich. Obwohl Donald ganz offensichtlich angeekelt war, redete der Vertreter, jetzt erst richtig in Fahrt gekommen, einfach weiter.
„Die Methode ist 100% biologisch. Die Maden zersetzten selbst mikrofeine Abfälle. 100 Stück nur 99,99 $. Zahlbar in zwölf Monatsraten zu je 9,99$! Garantiert klimaneutral. Retten Sie die Vitamine in…“
Donald knallte die Tür zu.
Vertreter versuchten einem heutzutage echt den letzten Dreck anzudrehen.
Früher hatten sie einem wenigstens halbwegs nützliche Dinge, wie Waschmittel oder Seife zu verkaufen versucht. Aber heute…
Schon wenn er den Fernseher anmachte, musste er die kläglichen Versuche irgendwelcher unterbezahlter Idioten über sich ergehen lassen, ihm automatische Hemdenbügler, Modeschmuck, Toilettenpapier, sparsamere Autos, verchromte Stereoanlagen, sprachgesteuerte Computer oder sonstigen wert- und nutzlosen Dreck anzudrehen. Aber diese ekelhaften Maden waren doch wirklich der Gipfel der Nutzlosigkeit!
Wer hatte es denn nötig, widerliche, sich windende Insekten in seinen Kühlschrank zu lassen um „mikrofeine Abfälle“ zu vernichten?!
Donald schüttelte angeekelt den Kopf.
Dann ging er zu seinem Kühlschrank und nahm die Milch heraus.
Als er genau in den Schrank sah, fiel ihm eine feine Staubschicht auf, die den Boden der Kammer bedeckte…
Werner Strunk hörte die Türklingel erst beim vierten Mal. Er hatte gerade in seinem abgenutzten Lieblingssessel vor sich hin gedöst.
Das machte neuerdings er am liebsten.
Vor ein paar Wochen hatte er versucht, die digitale Uhr seines Videorecorders umzustellen. Stundenlang hatte er die Anleitung hin und her gedreht, verzweifelt seine Brille gesucht, sie dann auf seiner Nase gefunden und feststellen müssen, dass die Anleitung auf Japanisch geschrieben war.
Dieser neumodische Kram war die reinste Hölle. Seine Enkel, die hatten Spaß an so was und hätte den Recorder sicher in weniger als 20 Sekunden wieder in Ordnung gebracht. Aber sie kamen auch nur noch vorbei, um Lob und vor allem Geld für ihre Zeugnisse oder die Kommunion einzusacken oder einfach zu schnorren.
Deshalb, hatte Werner die Reparatur selbst in Angriff genommen.
Und jetzt war der Fernseher total kaputt. Aber so ungemein schlimm fand Werner das auch nicht. Diese ganzen neuen Sendungen waren sowieso nichts für ihn. Informationen über Weltpolitik oder dergleichen holte er sich aus der Tageszeitung, die er jeden Samstag kaufte. Eigentlich informeirte er sich nur, um überhaupt irgendetwas zu tun.
Denn andere Leute, wie zum Beispiel seine Nachbar anzusprechen, traute er sich auch nicht mehr, seitdem diese ihn gefragt hatten, wann er sich denn entschließen würde, endlich ins Altersheim zu ziehen… heutzutage waren alle so mürrisch.
Nachdem er seine geschwollenen Waden massiert hatte und die Durchblutung seiner Beine nach einigen Minuten wieder einsetzte, erhob sich Werner und wackelte mit den Worten „Jaja, ich bin schon fast da…“, den Flur hinauf.
Als er die Tür öffente, sah er einen adrett gekleideten jungen Herren, dessen Haar vor Pomade glänzte. Er sagte irgendetwas, aber Werner vernahm nur ein fernes, viel zu tiefes Lallen, weil die Balance-Einstellung seines Hörgeräts irgendwie nicht mehr funktionierte. Als der Mann ihm ein Glas vor die Nase hielt, entzifferte Werner darauf in dicken grellen Buchstaben die Worte
„UMWELTFREUNDLICHE KÜHLSCHRANKMADEN; NUR 99,99$!!!!!!!
Selbst GEFÄHRLICHE MIKROFEINE Abfälle verschwinden inerhalb von SEKUNDEN!!!!!!"
Der junge Mann war also einer dieser reisenden Vertreter, die nützliche und hilfreiche Dinge verkauften um den Menschen das Leben zu erleichtern.
Nachdem Werner einige Minuten überlegt hatte kam er zu dem Schluss, dass sein Kühlschrank überaus verdreckt war.
Diese Maden würden das - der Aufschrift nach – blitzschnell ändern.
Lächelnd, aber unter angestrengtem Grummeln holte Werner seine Geldbörse hervor. Und drückte dem jungen Mann einen Geldschein in die Hand.
Er traute den Banken nicht. Die betrogen ihn eh nur. Deshalb bewahrte Werner seine gesamte Barschaft überall im Haus auf. So war es besser.
Während der Vertreter lächelnd und mit einem 500 Dollar Schein in der Hand, das nächste Haus ansteuerte schleppte sich Werner zu seinem Kühlschrank, in dem eine einzelne Banane einsam vor sich hin schimmelte.
Seine Lieblingsartikel wie Quark und Zwieback konnte Werner schon länger nicht mehr bekommen, denn sie wechselten im Supermarkt wöchentlich den Platz, und aus Angst vor Hausverbot traute sich Werner nicht, den Filialeiter anzusprechen.
Die teigigen Maden begannen sich windend im Kühlschrank auszubreiten und rückten der Banane mit ihren rotierenden Kauwerkzeugen sofort zu Leibe.
Innerhalb von Sekunden war sie zersetzt.
„Weiter so ihr Maden, diese Frucht war sicherlich mikrofein verdreckt“, dachte Werner, als er den Kühlschrank mit einem wohlwollenden Lächeln schloss.
Zur gleichen Zeit stieg der Vertreter, der das Ende der Siedlung, in welcher Donald Heuck und Werner Strunk wohnten, erreicht hatte, in einen dunklen Wagen, der neben ihm herangerollt gekommen war.
Er hatte alle 500 Gläser verkauft. An nur einem Nachmittag.
Wie leichtgläubig diese Menschen doch alle waren.
Der Vertreter lächelte seinem Kollegen zu, der hinter dem Steuer saß.
Dummerweise bemerkte niemand, wie der Wagen in ein Wurmloch tauchte, das plötzlich vor ihm aufgetaucht war.
Als Werner Strunk schon lange und nach dem Genuss einer ganzen Flache Baldriansafts sehr friedlich in seinem Bett lag, begann sich etwas zu regen.
In seinem Haus. Genauer gesagt in seinem Kühlschrank.
Der Schrank wackelte. Einmal. Zweimal. Immer heftiger.
Und dann, öffnete sich langsam die Tür. Heraus kroch, ein fast eineinhalb Meter lange KÜHLSCHRANKMADE.
Obwohl das Angebot in Werners Kühlschrank sehr viel kärglicher gewesen war, als sie erwartet hatte, hatte die Made genug Nährstoffe sammeln können, um all ihre Geschwister verputzen zu können. Und was jetzt kommen würde, wusste sie genau.
Als Donald Heuck sich wie jeden Morgen bückte um die Zeitung aufzuheben, bemerkte er eine Gestalt, die ihren Schatten auf ihn warf.
Ängstlich blickte er auf und hätte fast über seine eigene Angst gelacht, als er Werner Strunk vor sich stehen sah, den tattrigen Greis von nebenan.
„Guten Morgen, Nachbar“ sagte Donald fröhlich und wedelte mit der Zeitung.
„Guten Morgen, Herr Heuck.“ erwiderte Werner Strunk. Er lächelte.
Noch bevor sich Donald fragen konnte, warum dem Rentner beim Sprechen grüner Brei aus dem Mund lief, war eine Kühlschrankmade aus Werner Strunks Nase auf seine Stirn gehüpft und hatte sich in sein Hirn gefräst.
Werner lachte, als er zu seinem Apartment zurück watschelte.
Niemand entkam den Vertretern.