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Kühlschrank zu verschenken

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13.03.2003
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Kühlschrank zu verschenken

Natürlich war er schon alt, dreißig Jahre und mehr hatte er auf dem Kühlgitter. Aber er kühlte alles, was man in ihn hineinstopfte: Bier sogut wie Salate, Braten und anderes.
Er war nur noch Bedarfskühlschrank, stand im Keller und wurde benutzt, wenn vor und nach Feiern erhöhter Kühlraumbedarf bestand.
„Schlimm sieht er aus!“, befand meine Frau und begab sich, nicht zu Diskussionen darüber bereit, ob das wirklich erforderlich sei, zum Elektrogeschäft, um einen neuen Zweitkühlschrank zu kaufen. Ich sollte derweil den alten, leicht angerosteten Bosch zur Mülle bringen.
„Warum denn wegwerfen? Er funktioniert doch noch! Es gibt bestimmt junge Leute, die wenig Geld haben und einen Kühlschrank brauchen, sei er noch so alt. Oder Spätaussiedler, Asylbewerber. Arme Menschen eben. Wir können ihn doch in die Zeitung setzen: Zu verschenken!“
„Mach was du willst!“, sagte sie und entschwand.
Genau das tat ich: ich rief bei unserer Lokalzeitung an und bot den Kühlschrank als „alt, aber funktionstüchtig“ zum Verschenken an.

Am folgendem Samstag, dem Tag, als unser Altbosch in der Zeitung angeboten wurde, klingelte es um 5:30 Uhr an der Haustür. Es war der Zeitungsmann, ein leicht gehbehinderter Frührentner.
„Ham Se den Kühlschrank noch?“, fragte er mich grußlos, als ich ihm in Pyjamahose die Tür öffnete.
Woher er denn wüsste, dass ich es sei, der den Kühlschrank...
„Meine Schwesta is bei de Anzeigenannahme. Die sacht imma, wenn was Brauchbares umsonst is.“
Das erklärte alles. Ich führte ihn in die Abstellkammer, schaltete das Licht an und wenige Sekunden später wieder aus.
„Zu alt! Der frisst zuvill Strom“, winkte der Zeitungslieferant nach einem kurzen Blick auf den Bosch ab und begab sich wieder auf den Arbeitsweg.
„Wegen deiner Menschenliebe kann ich nicht mal am Wochenende ausschlafen!“, murmelte meine Frau, als ich ins Bett zurückkehrte.

Wenig später hörte ich das Telefon klingeln.
Zum Glück war ich noch nicht wieder eingeschlafen.
„Guten Tag, hier spricht Frau Heidorn!“, meldete sich freundlich eine etwas zittrige, offensichtlich zu einer älteren Frau gehörenden Stimme, „Sie verschenken doch einen Kühlschrank?“
Nachdem ich dieses bejaht hatte, erklärte sie, keinen Kühlschrank zu brauchen, sie hätte einen und der wäre sehr gut. „Aber haben Sie vielleicht auch einen Farbfernseher zu verschenken?“, fragte sie, und als ich dies verneinte, weiter: „Oder einen Video? Den hab ich noch nicht!“
Leider hätte ich auch keinen Videorecorder übrig, entgegnete ich ein wenig barsch.
„Darum müssen Sie doch nicht gleich böse werden, junger Mann! Man wird doch mal fragen dürfen!“
Natürlich dürfe man fragen, erwiderte ich, „aber nicht am Samstagmorgen um viertel vor sechs!“

Nicht, dass ich Angst vor weiteren Anfeindungen meiner Frau hatte: aber ich beschloss, wo ich schon mal munter war, nicht ins Bett zurückzukehren und den langen Tag zu nutzen, um endlich ein paar Sachen zu erledigen, die schon lange auf Erledigung warteten. Mir fiel auf Anhieb nichts ein, was das hätte sein können, aber ich war sicher, wenn ich nur ein wenig suchen und überlegen würde, fände sich schon etwas: Carpe diem!

Gerade stand ich unter der Dusche, um anschließend frisch gereinigt ans Tagnutzen zu gehen, als das Telefon wieder klingelte.
„Du biete kühle Srank an?“, fragte ein Mitbürger ausländischer Herkunft. „Wieviel koste?“, fragte er auf mein „Ja“ zu seiner ersten Frage. Wasser und Seifenschaum liefen an meinen nackten Beinen hinunter und sammelten sich zu kleinen Pfützen auf den Fußbodendielen. Der Kühlschrank koste nichts, sei umsonst, erklärte ich ihm.
Misstrauen:
„Wenn nix koste: is kaput?“
Ich war in meiner Ehre gekränkt.
„Ich werde doch keinen kaputten Kühlschrank anbieten!“, entsetzte ich mich. „Warum nich? Du dann spare Geld für Entsorgung. Wohl bald gehe kaput, deine seiße kühle Srank! Denken, du slau un verssenke alte Srott!“ beschimpfte er mich zunächst auf deutsch und anschließend in seiner mir nicht verständlichen Muttersprache.
Zum ersten Mal fragte ich mich ganz leise, ob ich nicht vielleicht doch besser auf meine Frau gehört hätte.

Ich schaltete das Telefon stumm um endlich ungestört meine Körperpflege beenden, mich ankleiden und frühstücken zu können.
Am von mir gedeckten Frühstückstisch, bei kräftig duftendem Kaffee und frischen Brötchen, die ich aus der Bäckerei geholt hatte, wurde meine Frau wieder freundlicher.
„Schon verschenkt, der Kühlschrank?“, wollte sie wissen.
„So gut wie!“, erklärte ich zuversichtlich und widmete mich der umfangreichen Samstagszeitung.

„Na endlich! Das wurde ja auch mal langsam Zeit! Meinen Sie, ich hab meine Zeit gestohlen? Meinen Sie, ich hab nix besserers zu tun, als im zwei-Minuten-Takt ihre blöde Telefonnummer zu wählen, bis Sie sich endlich mal dazu bequemen, Ihren Allerwertesten ans Telefon zu tragen?“
Ein mir unbekannter Mensch begehrte meinen gratis abzugebenden Gebrauchtbosch, folgerte ich aus diesen Worten.
„Wo issen das?“, fragte er nach kurzem Luftholen.
Ich nannte ihm meinen Wohnort und Straße.
„Da? Am Arsch der Welt? Bescheuert? Konntste das nicht mit in die Anzeige reinschreiben? Ich mach doch keine Weltreise wegen einem alten Kühlschrank! Und dafür verplempere ich Zeit und Telefongebühren!“, brüllte er mich an. Und legte auf.

Ich suchte die Telefonnummer der nahegelegenen Müllannahmestelle heraus, rief an und erkundigte mich nach den Öffnungszeiten. Es blieben mir noch gut drei Stunden Zeit.
Sollte der nächste Anrufer nicht sofort, ohne Fragen und Hintergedanken bereit sein, sich den Kühlschrank abzuholen, würde ich ihn, den Kühlschrank, der fachgerechten Entsorgung zuführen. Heute noch, schwor ich mir.

Wenige Minuten später klingelte das Telefon erneut.
„Ja, guten Tag! Schröder hier. Erwin Schröder. Sie verschenken einen Kühlschrank?“
„Das steht doch so in der Zeitung, oder?“
„Jaja, aber es könnte ja sein, dass schon jemand vor mir...“
„Wollen Sie den Bosch haben oder nicht?“
„Ja - natürlich möchte ich ihn haben!“
Na also. Endlich ein Mensch, dem ich eine Freude bereiten konnte.
„Wann würde es Ihnen denn passen?“, fragte der nette Mann.
„Von mir aus: sofort!“, antwortete ich begeistert.
„Gut! Ich wohne in der Ribyckistraße Nummer 7. Das Haus können Sie nicht verfehlen, direkt an der Hofeinfahrt steht eine...“
„Mo—ment!“, entfuhr es mir, „meinen Sie etwa, ich kutschiere den Kühlschrank quer durch die Stadt und trage Ihnen das Gerät dann vielleicht noch in den Keller?“
„Oh, das ist sehr nett von Ihnen! Ich hätte nicht gewagt, danach zu fragen, aber meine Bandscheiben...“
„Wie hätten Sie den Kühlschrank denn gerne gefüllt? Mit Knochenschinken, geräucherter Putenbrust und Lachsfilet? Oder sind Sie Vegetarier? Dann würde ich einige erlesene Käsesorten kaufen!“
„Aber warum werden Sie denn so böse, ich hab doch nur...“
Ich legte auf, bat meine Frau, mir beim Einladen des Kühlschrankes ins Auto behilflich zu sein, so dass ich ihn sofort zur Müllannahmestelle bringen könne.
Was sie, triumphierend lächelnd, tat.

„Das macht zwanzig Mark!“, erklärte der orangenfarbenbehoste Kleiderschrank, der den Bosch wie nichts vor die Brust klemmte und zu einigen anderen ausrangierten Kühlschränken trug.
„Sieht doch noch ganz gut aus, warum haben Sie ihn nicht in der Zeitung zum Verschenken angeboten? Sie hätten Geld gespart, und es gibt ‘ne Menge arme Leute, die...“

 

Hi Bobo,
wirklich eine sehr nette kleine Geschichte direkt aus dem Alltag. Sie unterhält durch, wenn auch erwartete, menschliche Reaktionen, die nachvollziehbar sind, wenn auch manchmal übertrieben. Niemand wird so früh vor der Tür stehen, auch wenn es umsonst ist, und wenn, wird er den Kühlschrank mitnehmen. Aber darum geht es nicht, die Geschichte bietet seichte Unterhaltung.
Eine Stelle ist mir aufgefallen:

Gerade stand ich unter der Dusche um anschließend frisch gereinigt ans Tagnutzen zu gehen, als das Telefon wieder klingelte.
Da fehlt ein Komma vor "um", was ich aber eigentlich sagen will: "Tagnutzen" klingt ziemlich gut, gefällt mir.

Wie gesagt, die Geschichte besticht durch ihre leichte, unaufdringliche Stimmung und unterhält sehr.
Gruß

 

Hallo Platonow,

"leichte Unterhaltung" sollte die Geschichte sein. "Seichte Unterhaltung" trifft mich hart.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Menschen sehr, sehr früh vor der Tür dessen stehen, der in der aktuellen Tagesszeitung etwa zu verschenken anbietet. Und auch meine "Frau Heidorn" habe ich erlebt. Dass ich hier und da etwas übertrieben habe: klar - Humor darf das.

Danke für den Hinweis aufs fehlende Komma, und fürs Lesen und Kommentieren sowieso.

Gruß
Bobo

 

hallo bobo,
habe soeben deine geschichte gelesen. im büro, so quasi als pausenlektüre. habe herrlich geschmundzelt dabei und mich amüsiert. was willst du mehr erwarten?
bin auf die nächste geschichte von dir gespannt!
gruß
ernst

 

Hallo Bobo,

mir geht es wie Ernst. Hat mir gut gefallen deine kleine Alltagsgeschichte! :thumbsup:

Humorig, weil sehr zeitnah aus dem Leben gegriffen, denn das, was du schilderst, sind genau die Probleme, die man als "Verschenker" hat.
Irgendwie ist Schenken manchmal eine größere Last als Wegwerfen und exakt das ist die Aussage des flüssig zu lesenden Textes.
Danke für die kleine Pause zwischendurch.

Lieben Gruß
lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Bobo

Nach deiner Geschichte bekomme ich ernste Zweifel an dem Sprichwort, dass Beschenkt werden schwerer als selber Schenken sei.
Hab mich auch sehr amüsiert, besonders die Dialoge haben mir gefallen. Keine Satire, eher ein Drama :)
Lieblingsstelle neben dem Schluss: "„Du biete kühle Srank an?“, fragte ein Mitbürger ausländischer Herkunft."

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hallo Bobo,
was passiert einem nicht alles, wenn man es gut mit seinen Mitmenschen meint.
Hab mich echt amüsiert beim Lesen Deiner kleinen Geschichte. Die Szene mit dem Ausländer - herrlich.
Obwohl der ja gar nicht so falsch mit seinem Gedanken lag. Am Schluss musste Dein Prot ja doch noch für die Entsorgung löhnen.
Auf jeden Fall hast Du einen kleinen Lichtblick in meinen tristen Büroalltag gabracht. :D

LG
Blanca

 

Hallo Bobo,

:D ! Habe herzlich gelacht! Und ich muß Dir recht geben: Bei einer Zu-verschenken-Anzeige können einem die Leute sehr früh wecken. Seeeeeeeeeeehr früh!!!! :baddevil:

Schön geschrieben und wirklich realitätsnah!

VG

Petra

 

Ernst Clemens,
lakita,
wolkenkind,
Blanca,
Petra,

habt dank für Euer Lesen und Eure aufmunternden Kommentare!

Gruß
Bobo

 

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