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Käptn auf der Suche nach Leben
Käptn auf der Suche nach Leben
Käptn ist schon wieder auf Reisen, diesmal fliegt er, nur wegen des Bauchgefühls beim Start.
Er reist nicht gern, weil zu Hause ja alles in Ordnung ist, fühlt sich jedoch sozial dazu verpflichtet. Alle Gesprächspartner mögen es sehr, wenn man auf Reisen war. Die Reise an sich unterscheided sich von zu Hause insofern, dass sich die Optik, der Geruch und die Geräusche ändern.
Die Hühnchenstücke und den Saft genießt er sehr, obwohl er sich bei deren Anblick sehr geekelt hat, in einem Flugzeug schmeckt immer alles gut.
Am Kofferband stehen Männer mit Maschinenpistolen, alles ist sehr Hektisch, das Pflaster Draußen ist zu heiß, um darauf barfuß laufen zu können, die Menschen wirken unglücklich und verbraucht. Käptn fühlt sich nicht wohl, aber er ist weit weg von zu Hause. Um ihn herum riecht es zwar nicht gut aber zumindest unbekannt, völlig neue Nuancen erweitern seine Geruchsbibliothek, erste Erfolgserlebnisse.
Die Stadt ist sehr groß, aber selbst im größten Park, den Käptn finden kann, lassen sich keine Drogendealer finden, daher weiß er nicht, was er tun soll. Er beschließt, genau geradeaus zu laufen. Wie automatisch steht er plötzlich inmitten eines riesigen Gemüsemarktes und wird in ein Meer aus Menschen, Farben, Gerüchen, Geräuschen und Bewegungen geworfen, was sich aufregend aber beängstigend anfühlt, Käptn lässt es dennoch zu und versucht zu tauchen. Er bemerkt Kontaktsuche von allen Seiten, so viele Augen, so viele Gesten, welche nach seiner Aufmerksamkeit haschen. Käptn würde den Kontakt gerne erwiedern aber er müsste dazu den Tauchvorgang beenden, welchen ihm gerade zu viel Spaß macht, Freiraumsuche, auch wenn dieser noch so klein ist, wendig und präzise, wie in einem Computerspiel. Er bleibt an einer teilangegammelten Melone hängen, Game over. Unter dem Tisch durch, durch die Beine der Verkäuferin, die Zeltwand anheben, raus. Ein lautes AAAAh entfährt Käptn, der unbekannten Verkäuferin von innen ein lautes hOOO. Käptn steht regungslos da, schaut in den Himmel und bemerkt, dass sein Herz sehr schnell schlägt. Er hofft, dass es noch eine Weile bei diesem Tempo bleibt, schaut ruckartig wieder nach unten und sieht verschiedene Stände, welche scheinbar Antiquitäten verkaufen. Sehr spannend, weil Schatzsuche, obwohl sich niemals Schätze finden lassen. Manchmal ein Gegenstand, der sowohl ästhetisch als auch irgendwie brauchbar sein könnte, der wird dann gekauft, aber es wird davor verhandelt, ohne Gnade, verbaler Ringkampf, sehr gut. Der Kampf erzwingt Energie. Knurrend akzeptiert der haarlose Verkäufer den Preis für die Sonnenbrille mit Goldrand. Nachdem er sie aufgesetzt hat, fühlt sich Käptn viel stärker und mächtiger. Er spannt bei jedem Schritt in Richtung Straße seine Brustmuskeln an, was ihm ein mechanisches Robocop- Gefühl übermittelt. Als er die Menschen um sich herum durch die Brille verdeckt genau betrachtet, fällt ihm auf, dass er sich ihnen übergeordnet fühlt. Diesen Gedanken findet er widerlich und kauft sich eine Fanta in der Tankstelle. Beim bezahlen erinnert er sich an den See, welcher vom Flugzeug aus betrachtet aussah wie Brüste, muss kurz lachen und gibt Trinkgeld, was in Tankstellen zwar unüblich ist, hier vielleicht aber doch, Käptn weiß es nicht, doch für den Tankwart ist es kein Problem. Käptn liebt bezahlen, es ist gleichzeitig ein Gefühl von Macht und das relativierende Gefühl, etwas Gutes für andere zu tun. Er wird selbstbewusster, also spricht er auf dem Menschenfließenden Gehsteig eine langsame, alte Frau an, zum kulturellen Erfahrungsaustausch. Dies wohl zu hektisch, da sie ängstlich schaut und beginnt, zu wimmern und mit den Armen zu rudern. Sie trägt ein schönes, mit gelben Pelikanen besticktes Kopftuch, Käptn würde sie gerne darauf ansprechen, geht aber doch einfach weiter, sie würde ihn sowieso nicht verstehen. Blöde Idee. Er ist nicht mehr der, der er einmal war, denkt sich Käptn und versucht an der Bushaltestelle sitzend seine Fantadose zu öffnen. Dabei ist er erst dreiundzwanzig, viele fühlen sich in diesem Alter sehr lebendig, Käptn weiß nicht wie er sich fühlt. Er denkt darüber nach, wie wohl das Leben der langsamen alten Frau nach ihrer Begegnung weiter verläuft, es ist sicher voller Muster. Und da ist doch so eine aufwühlende Begegnung etwas Besonderes und könnte daher erfrischend wirken, wie sie das wohl empfindet? Im Blumengeschäft kauft er eine Sonnenblume, welche er genau in der Mitte eines Zebrastreifens einem kleinen Mädchen schenkt, welches der Sonnenblume sofort den Kopf abreißt und daraufhin kurz lächelt. Eine Frau, wahrscheinlich die Mutter des Mädchens packt es von hinten am Arm und zieht es weiter, ohne Käptn dabei anzuschauen. Auf dem Zebrastreifen kniend entdeckt er am anderen Ende der Straße eine große Grppe von Menschen mit vielen Regenschirmen. Da bemerkt er, dass er ganz nass ist und man seine Brustwarzen durch sein T-Shirt sehen kann. Er steht auf, rennt zur Menschengruppe und gesellt sich unter den Regenschirm eines hageren Mannes. Dieser trägt einen lächerlichen Schnauzbart und mustert Käptn nun sehr ernst, sagt aber nichts. Das kommt Käptn sehr gelegen, da er gerade lieber hören als reden möchte. Es spricht nämlich gerade eine Frau zu der Gruppe, welche eine zwar stark hochfrequente aber dennoch angenehme Stimme hat. Käptn versteht nicht, in welcher Sprache sie spricht, möglicherweise Französisch, ist ihm auch egal, er schließt die Augen und lauscht den Lauten dieser Frau. Er beginnt damit, die Klänge, welche ihm besonders gefallen, nachzusingen, und ein Lied daraus zu formen. Damit will er der Frau Interesse für Sie und ihre Sprache bekunden, doch sie hört nicht auf zu reden sondern erhöht ihre Lautstärke, um Käptn zu übertönen. Dieser nimmt die Herausforderung an und singt ebenfalls lauter, bis beide das Maximum aus ihrer Stimme herausholen. Als sich alle Gruppenmitglieder von der Frau abgewandt und ihm zugewandt haben, beendet Käptn sein Lied und bedankt sich mit einer Verbeugung. Da beginnt die Frau mit der hochfrequenten aber schönen Stimme, Käptn anzusprechen, ihr Kopf ist ganz rot und sie scheint erbost zu sein, doch er kann sie nicht verstehen. Er geht auf sie zu, sieht ihr fest in die Augen, zieht dabei seine alte Armbanduhr aus, lächelt und schenkt sie der Frau, was sie verstummen lässt. Als er weggeht, bemerkt er, dass sein Herz so schnell wie schon lange nicht pulsiert und dass es die Reine Freude durch seine Adern pumpt. Käptn beschließt, sich einen Schlafplatz zu suchen, genug Leben für heute.