Kälter und dunkler
Hör auf zu schreien.
Es bringt nichts. Du bist so gut wie tot.
Es wird mir gefallen, dich sterben zu sehen und mich unsterblich machen.
Viel zu lange hast du mich betrogen, missbraucht und irregeführt. Geschlagen, bestohlen und hast mir alles genommen, während ich mein Leben lang versucht habe, dich zu lieben.
Aber heute ist Schluss!
Komm schluck! Heute ist Schluss!
Ich werde dich Schmerzen spüren lassen, die tausendfach jene übersteigen, die du uns allen zugefügt hast.
So ist’s gut, komm mit, bald ist es vorbei. Frag nicht nach der Dosis, es ist alles gut, es reicht für zwei. Setz dich ins Auto. Ich fahre. Du hörst zu.
Hör zu! Nicht dass du mich falsch verstehst. Es gibt Gründe. Es sind nicht nur Emotionen, nach denen ich handle. Du hast den Menschen um dich geschadet und mich dafür verantwortlich gemacht. Du hast unsere Familie verlassen. Weißt du wie sehr das schmerzt? Wenn man alles verliert, was einem je etwas bedeutet hat, zerreisst es die Seele eines Mannes und die beiden Hälften sind unfähig ohne einander zu existieren. Ich war schon zerrissen, ja. Aber dieser Tag hat mich entzweit.
Gott, ja, aber es bedeutet nichts, dass das Leben weitergeht! Eine andere Stadt, ein anderer Mann, ein anderer Vater. Nichts bedeutet das. Nichts und weniger, wenn einem die Polizei abführt, sobald man das Haus betritt, in dem seine eigene Familie wohnt. Dabei habe ich ihre Nähe gesucht. Meine Frau, meine Tochter. Ich hätte ihnen nie etwas getan. Der neue Mann? Wen interessiert der schon, aber wie könnte ich meiner großen Liebe je etwas tun?
Wärst du dabei gewesen, wäre alles anders ausgegangen. Du hattest mir gesagt, ich solle sie holen. Kinder wären das wichtigste, scheiß auf die Frau. Wenn ich es in der Nacht erledige, wird man es nicht merken. Jeder Mensch könne sich verstecken. Auch mit einem kleinen Kind. Selbst ich.
Wie dumm kann man sein?
Kapierst du gar nichts?? Wie dumm KANN MAN SEIN???
Gott bin ich froh nicht auf dich gehört zu haben und gerannt zu sein. Einfach weg. Weg. Weg, mit dir, deinem Geflüster und weg mit deinem Sein.
Endlich entzweit, ich brauchte dich nicht mehr. Ich brauche dich nicht mehr. Ich hasse dich!
Ja, ja, wir haben eine Vergangenheit, schon klar. Die Schule, die Mädchen, die Nächte. Aus Schule wurde der Job, aus Mädchen wurden Frauen. Ich hab dich machen lassen, all das war nicht mein Erfolg, klar. Du hast mich nach hinten gedrängt, hast dich in deinem Erfolg gebadet. Egal ob es mir schadet, oder mich verletzt oder mich krank macht. Oh, wie es mich krank gemacht hat! Schau her, wie krank ich bin. Schau her!
Und jetzt ist es mir egal.
Was? Alles. Alles ist mir egal.
Nichts hat mehr Bedeutung. Nichts von all dem, was du getan hast. Ja, du bist so gut. So gut wie tot. Haha!
Scheiße, was ist los? Ich klinge wie du…
Wo wir hinfahren magst du wissen? Das denk ich mir, du warst immer schon neugierig. Aber pass auf, ich sag es dir… oder warte, ich lasse dich raten… Pass auf:
Wo haben wir uns kennengelernt, hm?
Hahaha, du weißt es genau, was?
Genau. Dort fahren wir hin. Gott, du bist sooo schlau!
Hey, hey! Komm, wach auf!
Hey komm! Es ist nicht mehr weit.
Ich muss mich beeilen, nicht dass du mir hier am Weg alles abkürzt. Das wäre zu schade, oder? Keine Angst, ich beeile mich.
Ich bin…
Du bist!
Du bist scheiße. Weißt du? Scheiße!
Und so lächerlich. Mit deinen lächerlichen Kurzgeschichten…
Du… hättest es eh nie geschafft. Was soll das schon sein? Literatur? Raffinierte Pointen? Gesellschaftskritik? Scheißt drauf!
Hättest du wirklich gedacht du würdest mit diesem Scheiß jemals auch nur einen Cent verdienen? Ach, der Herr hat Freunde und Internet-Foren wo die Geschichten gut ankommen. Nicht schlecht.. Wow!
Alles Versager, nichtsbedeutendes Pack! Wieviele Verleger haben denn je gesagt, dass du gut wärst? Oder überhaupt was gesagt? Bei wievielen Wettbewerben hast du mitgemacht, wievielen Verlagen geschrieben? Wieviel Zeit am Computer verbracht, halb besoffen, weil du nüchtern keinen geraden Satz auf die Reihe kriegst? Spar dir die Mühe zu zählen. Es ist unzählbar viel vergeudete Lebenszeit.
Klar tut es dir leid. Mir auch. Mir tut es auch leid, weil es war die Zeit, in der du etwas richtiges hättest machen können. Etwas für deine Familie, etwas für mich. Aber heute ist Schluss!.
Kannst du dich an den letzten Satz erinnern, den du je geschrieben hast?
Nein?
Weißt du was? Niemand kann das.
Gleich sind wir da.
Gott, ich werde sie vermissen.
Meine Tochter. Meine Frau. Wie konntest du mir das nur antun? Wie KONNTEST DU NUR?
Ich dachte wirklich ich hätte eine Zukunft. Eine anständige Zukunft.
Ich kann mich noch so gut an letzten Mai erinnern, als du eine Zeit lang weg warst. Ich dachte, ich hätte wieder alles auf die Reihe bekommen. Meine Frau und meine Tochter schliefen friedlich im Zimmer nebenan. Ich konnte die beiden beinahe atment hören, als ich auf der Terasse stand und in die Welt sah. Es war eine warme Nacht und die Luft roch frisch und neu und versprach einen wunderschönen neuen Tag. Der Streit, das Heulen, die Gewalt… alles lag hinter mir. Alles war wieder gut. Nach allem was war, schliefen die beiden wieder praktisch in meinen Armen. In diesem Moment dachte ich mir: Das werde ich schaffen.
Dann hast du mir auf die Schulter geklopft und gesagt, ja, das werden wir.
Warum hast du mich nicht in Ruhe gelassen? Warum musste das sein?
Der Tag darauf war nicht wunderschön und neu. Er war alt und kalt und es regnete so heftig, als wolle die Welt unsere Existenz von der Erde waschen.
Wir sind da.
Ich werde der Welt das heute Nacht abnehmen.
Und jetzt steig aus.
Komm schon, steig aus. Hast du nicht gehört? Steig aus! Ich…
Ah…
Hör auf zu kotzen. Hör auf! Gott, bist du erbärmlich. Schau dich lieber um? Weißt du wo wir sind? Ja, hier am Fluss, wo wir uns das erste Mal getroffen haben. Ich war mit Freunden hier in der Nacht. Wir haben angestoßen auf irgendwas oder auch nicht. Wenn man jung ist, braucht man keine Ausreden, um zu trinken. Gott was für ein Abend. Damals schienst du so hell. Du hast mich beschützt. Mich gerettet. Mir dir war alles leichter. Plötzlich war ich jemand…
Und jetzt, zwanzig Jahre später, schau wo wir gelandet sind.
Wieder hier. Wieder mit einer Überdosis.
Aber diesmal ist es ernst. Dein Licht ist erloschen. Wir werden beide untergehen.
Gott, ich werde nie dein Gesicht vergessen, als du mich heute gesehen hast. Das hast du nicht erwartet, oder?
Ich hab mich ganz leise angeschlichen. Ganz leise habe ich dich schon seit Wochen verfolgt. Du dachtest wohl, du hättest mich endgültig zurückgedrängt. Ich hätte mich willenlos verkrochen, was? Aber ich war die ganze Zeit hier. Ich war auf der Lauer. Auf der Jagt. Und dann.. ich muss lächeln, wenn ich daran denke, siehst du?... dann hab ich mich gezeigt, als du dachtest, du wärst allein.
Du hättest dein Gesicht im Spiegel sehen sollen, was war… Dein Gesicht im Spiegel sehen? Das hast du doch irgendwie, oder? Es hat halt verdammt nach mir ausgesehen.
Nein, hör auf zu winseln. Ich will mein Leben nicht zurück. Ich will nicht dass du gehst oder dich zurückhältst. Ich will das du stirbst. Heute ist die Nacht. Die letzte Nacht.
Und jetzt ist es so weit, der berühmte Niemand verabschhiedet sich von der Bühne! Geh langsam ins Wasser, komm. Wehr dich nicht. Los! Was? Steht dir das Wasser bis zum Halse? Ein Brüller, was? Könntest du geschrieben haben.
Ich geh mit dir, und passe auf und halte dir die Hand. Widerstand ist zwecklos, in ein paar Minuten werden die Tabletten ihre Arbeit verrichtet haben. Aber ich will das du untergehst. Haha! Du gehst an dir selbst unter. Welch Ironie!
Ein Schritt. Komm jetzt!
Hör auf zu zögern und komm jetzt! Ich will dass du erstickst im Wasser.
Ja. Du sollst ersticken, wie ich an dir ein Leben lang erstickt bin.
Das Wasser ist kalt, ja. Noch ein Schritt. Noch einer. Es ist kalt. Ja. Geh einen Schritt. Geh unter!
Geh unter.
Geh unter…
Geh….
Das Wasser ist kalt und dunkel und groß und überall und ich bin ganz alleine. Es wird kälter und dunkler und ich beginne zu begreifen. Kälter und dunkler und was habe ich getan? Kälter und dunkler und ich frage mich, hätte ich lieber versuchen sollen, alles wieder gut zu machen? Kälter und dunkler und vielleicht gar nicht gut, vielleicht hätte gut genug ja schon gereicht? Kälter und dunkler und keiner weiß, wohin im Leben. Kälter und dunkler. Kälter und dunkler.