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Justus
Es war die Gier die ihn trieb.
Die Gier und die Sehnsucht nach dem schönen Leben, von dem sie immer alle geredet hatten. Ein Leben, welches ihm in der Familie, in die er hineingeboren war, immer verwehrt blieb. Ein Leben, das er durch seine miserablen schulischen Leistungen niemals hätte erreichen können. Justus war ein Scheidungskind. Seitdem der Vater die Familie verlassen hatte, fehlte es ihm sowohl an Geborgenheit als auch an Strenge.
Was Justus aber in allem Überfluss hatte, waren Freunde. Die falschen zwar, doch boten sie ihm mit ihrer Gesellschaft und den Ideen, die sie miteinander teilten eine Perspektive und das Gefühl von Zugehörigkeit. Was sie einte war der Wunsch nach dem schnellen Geld, ohne großen Aufwand.
So gründeten sie eines Tages einen Klub, dessen Geschäftsidee darin bestand in regelmäßigen Abständen Rauschgift aus dem Ausland zu beschaffen und die Ware an einen ausgesuchten Kundenkreis weiterzuverkaufen. Dieser Kundenkreis bestand weitestgehend aus alten Schulfreunden oder Nachbarsjungen, die die Connection weiterverrieten. Die Mundpropaganda funktionierte bestens, also vergrößerte sich der Kundenkreis stetig. Justus stach im Klub durch seine besondere Nervenstärke hervor und so fungierte er als der Fahrer, der ins niederländische Venlo fuhr, mehrere kiloschwere Pakete voller Rauschgift entgegennahm und diese dann über die Grenze zurück nach Deutschland brachte. Anschließend verkaufte er die begehrte Ware dann im Keller seines Wohnhauses. Gewagt zwar - wohnten doch seine Mutter und seine zwanzigjährige Schwester zwei Stockwerke über diesem Keller- doch da jeder mit sich selbst beschäftigt war, fielen seine dunklen Geschäfte nicht auf.
Ein Anruf genügte also und Justus schlenderte routiniert die knarzenden Holztreppen nach unten und traf seine Kunden im modrigen Gewölbe direkt neben den zig Pfandflaschen, die seine Mutter immer viel zu lange sammelte. Nicht selten kam es vor, dass man ihn übers Ohr hauen wollten. Manch einer konnte die Ware schlichtweg nicht bezahlen. So kam es auch zu Handgreiflichkeiten bei denen Justus verletzt wurde. Dann log er und tat die Schrammen in seinem Gesicht als Folgen seiner eigenen Tolpatschigkeit ab. Es funktionierte aber und so liefen die Geschäfte eine Zeit lang gut – Die Menschen haben ein zuverlässiges Bedürfnis aus ihrem elend tristen Alltag zu entfliehen und Justus hatte in seiner Truhe die dafür notwenigen Mittel parat.
Bis zu jenem Tag als die Sache aufflog und der mit Justus Verhaftung enden sollte. Sie hatten einen seiner Komplizen aus dem Klub festgenommen und es dauerte nicht lange bis dieser gestand. Es war alles so schnell gegangen: Die beiden uniformierten Polizeibeamten führten ihn aus seinem Kinderzimmer ab, wo er soeben noch vor dem Computer gesessen hatte. Vorbei an den vielen bunten Partyfotos seiner Schwester, die die Wände zierten und auf denen sie dem Betrachter mit fröhlichem Blick in die Kamera zuprostete. Vorbei an seiner Mutter, die gerade mit Lockenwicklern auf der Couch saß und einen frisch duftenden Kaffee genießen wollte. Entsetzt sprang sie auf. „Mein Junge! Was hast du getan?“ Es gab keine Zeit für Erklärungen und es war zu spät für die Fragen, die zu stellen Niemand gewagt hatte.
Im Gefängnis war Justus dann mutterseelenallein. Grau waren die rissigen Wände, grau der von unzähligen Insassen abgetretene Boden, grau die Häftlingsuniform, die er umgehend anlegen musste. So grau wie sein Leben für viele schier endlose Monate in Untersuchungshaft. Oder gar für immer?
Jeden Tag, den er in seiner Zelle abzusitzen hatte begleiteten ihn dieselben Fragen. Wäre seine Mutter für ihn da? Würde sie ihn noch ihren Sohn nennen? Und hatte sie, hilflos wie sie immer war, die lange Zeit seiner Abwesenheit ohne seine finanzielle Unterstützung überhaupt überstanden? Man konnte sein unlauteres Leben verdammen wie man wollte, aber auch seiner Familie half Justus mit seinem unrechtmäßigen Gewinn gelegentlich in schweren Zeiten aus. Wenn die Schwester mal knapp bei Kasse war zückte er ungefragt einen Hundert Euro Schein und sie konnte wieder ausgehen. Wenn der Kühlschrank der Mutter leer blieb, füllte er diesen auf. Auch das neue Oberteil zum Ausgehen hatte er ihr gerne geschenkt. Als Dank erhielt er Anerkennung und wurde scheinbar liebevoll zuhause verwöhnt. Wenn sie ihm sein Lieblingsgericht zubereitete oder sie beim Gesellschaftsspiel zusammen lachten – Das waren die Momente in denen sich Justus geborgen fühlte. Doch diese Momente blieben rar gesät. eine neue Bekanntschaft stand an und das Interesse seiner Mutter verlagerte sich wieder vom Spieleabend zur durchzechten Nacht in ihrer Lieblingsbar.
So neu war dieses Gefühl der Einsamkeit im Gefängnis also gar nicht für ihn.
Und doch waren sie seine Familie und er würde sie niemals im Stich lassen. Ob sie ihn nun erwarteten oder nicht, er würde nicht mit leeren Händen zurückkehren. Der Klub hatte jahrelang im Überfluss gelebt. Ohne seine Freunde hätte er niemals Silvester in Paris erlebt. Der Genuss von Austern und Champagner wäre ihm noch immer fremd genauso wie die Gesellschaft schöner Frauen. Umso spendabler er sich zeigte umso hübscher waren die Begleiterinnen beim ausgiebigen Abendessen mit seinen Freunden. Wer einmal in den Genuss eines gewissen Lebensstils gekommen ist, der gibt ihn nicht so gerne auf. Deshalb hatten seine Komplizen und er eine sichere Bank gefunden, um etwas für schlechte Zeiten beiseite zu schaffen. Und er wusste auch wo er danach zu suchen hatte. Oder bei wem.
Ohne Umwege machte er sich auf, seine Schwester zur Rede zu stellen. Sie war damals mit seinem besten Freund aus dem Klub zusammengekommen. Und da sie ein bodenständiges Leben führte und sich nichts zu Schulden kommen ließ, war sie die geeignete Person gewesen, die restlichen Grasbestände zu horten. Und das war nicht wenig. Ein letztes Mal, würde er einen Deal abwickeln. Ein letztes Mal würde Rauschgift ihm das Leben erleichtern. Doch dieses eine letzte Mal musste sein. Denn ohne das Geld würde sein neues Leben nicht beginnen können.
Als er das alte Kellerabteil betrat, das ihm mit seinem modrigen Geruch gleich wieder so vertraut war, warteten sie schon auf ihn. Sein bester Freund, der damals ausgesagt hatte. Und seine Schwester. Sie standen eng nebeneinander und hielten sich an der Hand. „Was du hier suchst, ist nicht mehr vorhanden.“ Ihr Blick war entschlossen. „Als ich euch damals bei der Polizei gemeldet habe, habe ich es aus Liebe getan. Niemand weiß, wohin euch diese Gier getrieben hätte.“
Justus verstand. Er war zu spät gekommen.