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Julia

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04.08.2002
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Julia

Der Button steckte ihm mitten auf dem Latz seiner Hose. Ich fragte mich, wo er ihn wohl tragen würde, wenn er im Sommer baden ginge. Ich sehe da nur zwei Möglichkeiten: im Haar.
Allerdings wird er vielleicht gar nicht baden gehen, antwortete Julia, die meinen fein ausgedachten Spruch grob überging. Wer eine Latzhose trägt, tut das entweder zum Arbeiten, was auf unseren Buttonflyer kaum zutreffen wird, oder er tut es aus gesellschaftskritischen Beweggründen; das würde Badengehen nahezu verbieten. Sagte Julia.
Manchmal frage ich mich, weshalb Julia und ich überhaupt noch miteinander reden. Ich meine, wir verstehen uns glänzend, solange wir uns nicht, über was auch immer, unterhalten.
Solange Julia einfach dasteht und zuhört halte ich sie für einen intelligenten, allen Dingen aufgeschlossenen Gesprächspartner. Wenn sie aber ihre Meinung zu äußern ansetzt, meist mit leuchtenden Augen, weiß ich, daß man auch in seiner Regentonne lebend ein Schattendasein führen kann oder freundlicher formuliert, ich weiß, daß ich keine Ahnung habe.
Während Julia ihre Thesen zum gesellschaftskritischen Latzhosenträger an die Pforte meines verkümmerten Bewußtseins nagelte, begann ich, den tieferen Sinn der Buttenbotschaft zu ergründen. Das stellte mich und mein schmächtiges Bewußtsein auf keine härtere Probe, denn all zu tief lag dieser Sinn wohl nicht: "keine Macht den Buttons"
Albern? Ein Scherz?
„Ein schwarzes Weltenloch im endlosen Meer der semantischen Allogarithmen“ könnte Julia gesagt haben. “Der tief liegende Sinn der Bedeutung beweist sich selbst seine Nicht-Existenz und gerade darin findet er neuen Halt.“
Ich gebe zu, daß es mir Spaß macht, Julias Kommentare zu entwerfen. Allerdings gebe ich genauso zu, daß mir die Leichtigkeit ihrer Ernsthaftigkeit fehlt. Damit geraten meine julianischen Kommentare oft in diese Ausbruchsichere Ecke des abstrakten Intelektuismus, wie Julia zu formulieren wagte. Ihre eigenen Gedankenskizzen, deren Spuren zu folgen anfangs jedem Antisemant mühelos gelingt, verflüchtigen sich aber schon bald im tiefen Dickicht ihrer Wortgewalt, das sie allein, Elfen leicht schwebend, hinter sich zurück läßt.
Ich kämpfte den Gedanken tapfer nieder. Was würde passieren, wenn Julia jetzt aufstünde, zum Latzhosen-Typ ginge und ihm eine Diskussion über Sinn und Unsinn von plakativen Noncommercials aufzwängte. Aber im nächsten Moment stand sie tatsächlich auf. Julia schlenderte die zehn Schritte zum Button-Heini hinüber, wagte es, ihn, der längst gemerkt hatte, daß wir ihn seit einigen Minuten flüsternd taxierten, wie zufällig erst jetzt zu sehen und schon sprach sie ihn schmunzelnd, ich konnte ihr mütterliches Schmunzeln förmlich von hier hinten riechen, auf seinen Sticker, sie sagte wirklich Sticker, an.
Nach etwa einer halben Stunde wagte ich es, Julias Beweisführung gegen den verblüfften Gesellschaftszersetzenden, der >Intoleranz fast überführten Delinquenten zu unterbrechen. Ich bot ihm freimütig an, in die Selbsthilfegruppe der von Julia besprochenen Männer zu kommen. Wir treffen uns jeden Donnerstagabend und für den Moment hilft es, in der Gemeinschaft mit anderen Opfern schweigend sein Bier zu schlürfen.
Doch Jan begann zu lächeln. Von innen heraus begann er zu lächeln, er schaute Julia mit aller Freundlichkeit an. Das Schweigen, daß sich nach meinem flachen Scherz eingestellt hatte, unterbrach Jan, indem er sagte: ich bin Jan. Dann stand er auf, faßte Julia sanft bei den Schultern und als sie es sich verwirrt gefallen ließ, wandte er sich mir freundlich zu, sagte “Entschuldige“ und küßte Julia, voll Wonne möchte ich sagen, auf den Mund.

 

auch wenn oftmals nicht klar ist, wann wer was sagte, so gefällt mir dein Stil ausnehmend gut, so leicht, die Ironie und den Wortwitz suchend, sehr erfrischend.

oftmals versuche ich mich an einem ähnlichen stil, vielleicht sagt er mir deswegen so zu.

hat mir sehr gut gefallen! (pst! einige wenige tippfehler sind drin)

liebe grüße,
franzl

 

Der abstrakte (manchmal auch konkrete) Intellektualismus in der ausbruchsicheren Ecke kennt Algorithmus oder Logarithmus. Mit dem Allogarithmus befände sich Julia in der unsicheren Ecke eines kreativen Intellektualismus (da ist es auch lustig). Kein Wunder, dass die zwei Schnäuzelchen sich "glänzend verstehen, wenn sie sich nicht unterhalten". Nette Geschichte!
Grüße von Emma

 

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