Mitglied
- Beitritt
- 20.07.2016
- Beiträge
- 6
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
Jpeg
Als Julian aus dem geöffneten Fenster blickte, sah er wie jeden Abend die flackernde Straßenlaterne, deren dumpfes Licht sich unter lautem Surren an den Wänden seines Schlafzimmers abbildete. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt und vermied es möglichst, in den warmen Sommernächten die Jalousien zu schließen. Während er auf dem Bett saß fiel ihm das erste Mal auf, wie schön der Kontrast war, den das Licht der Straße gemeinsam mit dem bläulichen Licht des digitalen Bildschirms bildete, der sich auf der Kommode in der Ecke seines Schlafzimmers befand und gerade eine Bilderreihe seines letzten Urlaubs in Nizza zeigte. Das Teil war ein Geschenk seiner Mutter gewesen, als er nach Monaten der vergeblichen Suche, endlich einen Job fand.
„Mama, es laufen einfach zu viele Psychologiestudenten herum. Das ist aussichtslos ....“, hatte er versucht ihr immer wieder zu erklären.
Umso überraschter war er, als er einen Anruf der Justizanstalt Josefstadt bekam, die ihm einen bezahlten Praktikumsplatz anbot. Damals war er außer sich und konnte nicht fassen, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, an dem er endlich ausziehen und auf eigenen Beinen stehen konnte.
Heute, drei Jahre später, war der ein fester Bestandteil des Psychologenteams der JVA und führte das Leben von dem er eigentlich immer geträumt hatte. Hätte er damals geahnt, wie sehr die Entscheidungen, die er tagtäglich treffen musste an ihm nagen würden, hätte er sich vermutlich anders entschieden. Er konnte sich an keinen Abend erinnern, an dem er nicht mindestens vier Biere gekippt hatte, um zumindest ein wenig Schlaf zu finden. Eine dieser Entscheidungen traf er am heutigen Vormittag. Ein von ihm verfasstes Gutachten, nahm einem Familienvater die Möglichkeit, aus der Haft entlassen zu werden. Er wusste nicht mehr genau wie der Mann hieß, doch an die Gesichter der Familie konnte er sich sehr gut erinnern. Die graublauen Augen seiner Frau strahlten nichts als Hass aus. Den gleichen Hass, den ihm schon so viele Augen entgegenbrachten und der ihn nicht losließ.
Ein lautes Wummern riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah aus dem Fenster und erkannte das blinkende Licht eines Helikopters am schwarzen Nachthimmel. Wie jeden Abend ging er zum Fressnapf seines Katers und befüllte ihn mit Trockenfutter. Er wartete darauf, dass Moustache ohne Eile um die Ecke stolziert kam, so wie er es von ihm kannte. Doch er wartete vergebens. Julian ging durch die Zimmer und rief nach ihm, aber der rote Kater mit dem weißen Fleck im Gesicht, der an einen Schnauzer erinnerte, schien wie vom Erdboden verschluckt. Er kehrte ins Schlafzimmer zurück, um in den Kästen nachzusehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er ihn versehentlich eingeschlossen hätte.
Als er den Raum betrat, sah er zuerst warum sein Kater nicht aufzufinden war. Er hatte vergessen das Fenster zu schließen und das angrenzende Vordach glich einer Einladung in die Freiheit. Plötzlich beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Irgendetwas war anders als noch ein paar Minuten zuvor. Er sah sich um, nahm auf den ersten Blick jedoch keine Veränderung wahr. Erst als er in die Ecke sah, merkte er, was ihn irritierte. Das Bild seines Digitalen Bilderrahmens hatte sich verändert. Er zeigte keine Urlaubsbilder mehr, sondern Moustache. In drei schnellen Schritten stand er an der Kommode und sah sich die Bilder genau an. Es bestand kein Zweifel, es handelte sich um seinen Kater. Doch wo befand er sich?
Scheiße, was ist hier los?! Julian konnte seinen Herzschlag im gesamten Körper spüren.
Der Raum in dem Moustache auf dem Foto saß, sah aus wie sein Kellerabteil. Er erinnerte sich daran, dass seine Mutter ihm bei der Überreichung des Geschenks stolz mitteilte, dass das Gerät über WLAN verfüge und er sich damals fragte, ob seiner Mutter bewusst war, was WLAN überhaupt sei. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen und blickte aufgelöst den Raum, unsicher nach was er eigentlich suchte. Was sollte er tun? Was passierte hier gerade? Entgegen jeglicher Vernunft rannte er die zwei Stockwerke hinunter, um zu seinem Kellerabteil zu gelangen. Seine Hände zitterten heftig sodass er Mühe hatte die Tür zu öffnen, doch schon als die Tür nur einen kleinen Spalt offen war, kam Moustache kläglich maunzend herausgeeilt. Julian nahm ihn auf den Arm und versuchte ihn, wie auch sich selbst, zu beruhigen. Der Kater schien ok zu sein. Er versuchte seine Gedanken zu sammeln und zu verstehen, was zur Hölle hier vor sich ging. Jemand hatte Moustache eingefangen, hier und in dem Keller eingesperrt haben. Man musste wohl über keine großartigen Hackerkenntnisse verfügen, um ein Smartphone mit dem digitalen Bilderrahmen verbinden zu können. Doch welches kranke Hirn kam auf so eine Idee? Er fasste den Entschluss die Polizei zu informieren und ging, merklich langsamer als zuvor, wieder zurück.
Bei seiner Wohnung angekommen merkte er, dass er wohl die Wohnungstür offen gelassen hatte. Sein Gefühl sagte ihm er solle auf keinen Fall hineingehen, doch nach kurzem Zögern rang er sich durch. Er setzte leise einen Schritt vor den anderen. Der Boden knarrte unter seinen Füßen. Noch nie war ihm das so sehr aufgefallen wie in diesem Moment. Durch die Schlafzimmertür fiel sein erster Blick auf den Bilderrahmen, der an derselben Stelle wie zuvor stand und jetzt wieder ihn selbst und drei seiner Freunde, am Strand mit einer Wassermelone in der Hand zeigte. Davor auf dem Bett lag das Telefon. Er hätte es nicht gesehen, hätte nicht die kleine LED Leuchte geblinkt, die einen schwachen Akku signalisierte. Vier Schritte später hatte er das Telefon in der Hand und wollte so schnell wie möglich die Wohnung verlassen, als er im Augenwinkel bemerkte, dass das Bild am digitalen Bilderrahmen erneut wechselte. Das mulmige Gefühl in seiner Magengegend breitete sich wie ein Lauffeuer am ganzen Körper aus. Das Foto war keines, das er geschossen hatte. So viel erkannte er. Um was es sich handelte konnte Julian, jedoch nicht erkennen. Das Bild war mit einer Infrarotkamera geschossen worden. Er trat ganz nah an den Bilderrahmen heran. Das Bild zeigte dieses Zimmer. Eine Person stand am Bett und hielt etwas in der Hand. Es war er selbst. Es war er selbst vor wenigen Sekunden! Doch was war der dunkle Fleck hinter ihm? Als Julian erkannte was, oder besser wer hinter ihm stand, durchfuhr ihm die Angst und das Adrenalin wie ein elektrischer Schlag. Als er sich auf der Stelle umdrehte, fiel ihm der Name des Mannes ein, zu dem die Frau gehörte, deren hellblauen, hasserfüllten Augen sich in dem Messer in ihrer Hand spiegelten.