Joshuas Hütte
Er lächelt niemals. Die Worte hallten in Elenas Ohr, als sie die Blockhütte betrat. Es war eiskalt in dem großen Raum, natürlich, es war lange niemand hier gewesen. Sie behielt den dicken Parka an und ging zum Kamin. Ein paar Holzscheite waren noch da, fein säuberlich an der Wand gestapelt. Elena machte Feuer, hielt ihre steifgefrorenen Finger über die wohlige Wärme der Flammen. Sie musste nachsehen, ob genug Holz im Schuppen war. Sonst müsste sie noch etwas schlagen, bevor es dunkel wurde, und das passierte schnell hier im Norden. Sie schloss die Augen und genoss die Hitze auf dem Gesicht. Joshua hätte sie schon längst wieder hochgescheucht. „Gemütlich machen kannst du's dir später.“ Als liefe sie ihm davon, die Arbeit. Die Arbeit vielleicht nicht, aber das Licht, sagte er. Er könne doch das Nachtsichtgerät benutzen, erwiderte Elena. Er sah sie nur an.
Elena schlug die Augen auf und schüttelte den Gedanken ab. Sie erhob sich. Der Holzboden strahlte eine Wärme aus, die nicht vorhanden war. Ihr Blick wanderte zur Hintertür, und beinahe glaubte sie, ihn hindurchtreten zu sehen, mit müden Augen und dieser strengen Falte auf der Stirn. Er hängte die Flinte an den Haken neben der Tür und zog die Handschuhe aus. Eiskristalle hingen in den Stoppeln auf seinen schmalen Wangen.
Sie blinzelte, und das Bild löste sich auf. Er lächelt niemals. Beinahe verschwörerisch hatte es geklungen, als Michael ihr diese Worte ins Ohr raunte. Sie hörte nur halb hin, ihre Aufmerksamkeit war auf den Mann gerichtet, der gerade den Raum betrat. Sie beobachtete ihn, wie er zur Anrichte ging und sich Kaffee einschenkte. Er sah niemanden an und sprach kein Wort, trotzdem bemerkte jeder seine Anwesenheit. Elena fand ihn ziemlich gutaussehend. Auch wenn er nicht lächelte.
Langsam legte sie den Parka ab und hängte ihn neben die Hintertür. Sie schlüpfte ins Freie und eilte die wenigen Schritte zum Schuppen hinüber. Die dichten Tannen schluckten das rasch abnehmende Licht, und sie musste die Laterne anzünden. Holz war reichlich aufgestapelt, aber die meisten Stücke zu groß zum Feuern. Elena sammelte ein paar Holzscheite vom Boden und warf sie in eine Kiste. Dann schleuderte sie einige größere Holzblöcke ins Freie und streifte die Arbeitshandschuhe über. Sie waren ihr viel zu groß, es brauchte eine Männerhand, um sie auszufüllen. Elena griff nach der Axt. Joshua hatte sich immer darüber amüsiert, dass sie unbedingt selbst Holz hacken wollte. „Das sind die Frauen von heute. Wollen alles alleine machen, und wenn sie dabei zusammenbrechen.“ Seine Augen lachten sie aus, als er das sagte.
Die Arbeit war anstrengend, aber wenigstens wurde ihr warm. Elena füllte die Kiste mit Holzscheiten und trug sie in die Hütte. Schnee knirschte unter ihren Füßen. Sie stellte die Kiste neben den Kamin und streifte die Handschuhe ab. Allmählich wurde es warm im Raum.
Die Einrichtung war schlicht. Die wenigen Möbel – ein Tisch, zwei Stühle, eine Kommode und ein kleines Regal – waren aus dem Holz gezimmert, das der Wald hergab. Ein Bett hatte Joshua nie gebaut, sie hatten auf einem Berg aus Fellen und Decken vor dem Kamin geschlafen. Aber die Bodendielen waren sauber abgezogen und weich unter ihren Füßen, die Wände aus Baumstämmen innen sorgfältig abgedichtet, so dass kein Wind durch die Ritzen drang. Elena verstand sofort, warum Joshua diesen Ort liebte. Es war die Einsamkeit, die Stille, der Verzicht auf jeden Komfort. Draußen rauh und unwirtlich, drinnen gemütlich und warm.
Sie griff sich ein paar Holzscheite und ging in den kleinen Nebenraum, der als Küche diente. Sie feuerte den alten Ofen an und sah die Vorräte durch, die auf einem grob gezimmerten Regal gestapelt waren. Die Konserven würden noch für ein paar Wochen reichen. Joshua hatte immer für ein volles Regal gesorgt. Aber meistens hatte er einen Elch geschossen oder einen Hirsch.
Elena nahm einen Topf vom Haken und ging noch einmal ins Freie. Sie füllte frischen Schnee hinein und stellte den Topf auf den Ofen. Die Sonne ging unter, und das Licht war schon fast zwischen den Bäumen verschwunden. Elena zündete eine Petroleumlampe an und stellte sie auf den Tisch. Sie wartete, bis das Wasser kochte, und brühte etwas von dem Kaffee auf, den sie mitgebracht hatte. Heiß und verführerisch stieg ihr der Duft in die Nase. Sie goß die dampfende schwarze Flüssigkeit in einen Becher, trug ihn zum Tisch und setzte sich in den schummrigen Schein der Lampe. Wie anders als diese grellen Neonröhren, die gleißende Helligkeit des künstlichen Lichts. Es bereite ihm Kopfschmerzen, sagte Joshua. Der trübe Feuerschein war ihm lieber. Elena dagegen schätzte die Technik, schon als Kind hatte sie alles auseinandergeschraubt und wieder zusammengesetzt, was sie in die Finger bekam. Je größer die Maschinen waren, desto mehr Faszination übten sie auf Elena aus. Ein Leben wie dieses, fernab von der Zivilisation, hatte sie sich nur schwer vorstellen können. Aber Joshua vertraute lieber auf das, was er mit seinen eigenen Händen erschaffen konnte. Schon bald entdeckte sie diesen Glanz in seinen Augen, wenn er von den Wäldern im Norden sprach. Sie nannte es sein Lächeln. Nur die wenigsten konnten es sehen. Michael gehörte sicher nicht dazu.
Elena blinzelte in die Dunkelheit hinaus. Joshua war oft hier gewesen, eigentlich hatte er hier gelebt. Dass er sie mit herbrachte, war ein Privileg. Sie erinnerte sich an jenen klaren kalten Morgen. Die Sonne brach sich gleißend im Schnee, ihr Atem kondensierte zu einer weißen Wolke. Joshua öffnete die Tür, und sie trat hinein in den großen hellen Raum, sah sich staunend um. „Wie findest du's?“ fragte er.
„Es ist...“ Sie fuhr mit der Hand über die glatte Tischplatte, suchte nach Worten. „...einfach.“
Er lachte. „Das soll es auch. - Gefällt's dir?“
„Ja.“ Sie sah ihn an und lächelte. „Ja, es gefällt mir.“
Sie war ein wenig verblüfft, als sie das feststellte. Die Stille gefiel ihr. Und es gefiel ihr, wie seine Züge sich entspannten. Auch wenn die Falte auf der Stirn nicht mehr ganz verschwand, im Feuerschein wich die Härte aus seinem Gesicht.
Der Kaffee war stark geworden, Elena holte die Blechbüchse mit dem Zucker aus der Küche. Vorsichtig schraubte sie die Büchse auf und schüttelte den Behälter ein wenig. Der Zucker war trocken geblieben. Sie gab etwas in den Kaffee und rührte langsam um. Einmal hatte sie Joshua gefragt, warum er zurückkehrte in das, was man Zivilisation nannte. Alles, was er brauchte, gab es in dieser Hütte und in den Wäldern, die sie umgab. Warum blieb er nicht hier, an dem einzigen Ort, wo er glücklich war?
Er dachte lange darüber nach. Schließlich sagte er: „Ich erwarte es von mir, nehme ich an.“
Sie sah zu ihm hinauf. Das Feuer ließ Schatten über sein Gesicht tanzen. „Was erwartest du von dir? Dass du dich aufgibst – wofür?“
„Ich weiß es nicht. Etwas von mir ist unruhig. Etwas von mir ist auf der Suche, ich weiß nicht, wonach.“ Er sah sie an, und das Lächeln trat in seine Augen. „Wenn vielleicht auch sonst für nichts, dann zumindest für dich.“
Elena sah zur Tür und zeichnete in Gedanken seine Umrisse in den Rahmen. Groß und schmal. Lange Beine, kräftige Arme. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er ging auf leisen Sohlen, lautlos, sie konnte ihn sehen, er beugte sich zum Feuer hinunter. Plötzlich wirkte der Raum eng und stickig, und sie sprang auf und riss die Tür auf, ließ die eisige Luft hereinströmen und zerstörte seine unsichtbare Silhouette. „Warum bist du nicht hier? WARUM BIST DU NICHT HIER?“
Ihre Rufe verhallten in der kalten Einsamkeit. Sie zitterte und schlug die Tür wieder zu, kämpfte mit den Tränen. Er lächelt niemals. Er stand an der Anrichte und drehte sich um, als er ihren Blick im Rücken spürte. Sein Gesicht, so kalt und verschlossen. Herausgefunden, was ihn zum Lächeln brachte, hatte sie bis heute nicht.
Sie drehte sich in den Raum, sah ihn in jedem Schatten, den das Feuer über die Wände tanzen ließ. Die Falte auf seiner Stirn, die dunklen Brauen. Darunter loderten die Augen smaragdgrün, immer wachsam. Die blassen Sommersprossen auf dem Jochbogen bemerkte man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Sie schluchzte auf und schlug die Hände vors Gesicht. Wärst du nur hier geblieben. Hier, wo du hingehörst. Warum bist du fortgegangen. Hast du wirklich geglaubt, du müsstest kämpfen? Wofür? Um deinen Frieden zu finden? Du hattest ihn doch schon gefunden.
Langsam ging sie zum Kamin. Sie setzte sich auf die Felle, schlang die Arme um die Knie und wartete, bis die Wärme die Tränen auf ihrem Gesicht trocknete. Dann zog sie den Pullover aus, griff unter ihr Hemd und zog die Erkennungsmarke hervor. Vorsichtig nahm sie die Kette ab und hielt die silberne Plakette in den Feuerschein.
„Es tut mir leid, Joshua“, flüsterte sie. „Mehr konnte ich nicht nach Hause bringen.“