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Joshuas Hütte

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12.04.2013
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Joshuas Hütte

Er lächelt niemals. Die Worte hallten in Elenas Ohr, als sie die Blockhütte betrat. Es war eiskalt in dem großen Raum, natürlich, es war lange niemand hier gewesen. Sie behielt den dicken Parka an und ging zum Kamin. Ein paar Holzscheite waren noch da, fein säuberlich an der Wand gestapelt. Elena machte Feuer, hielt ihre steifgefrorenen Finger über die wohlige Wärme der Flammen. Sie musste nachsehen, ob genug Holz im Schuppen war. Sonst müsste sie noch etwas schlagen, bevor es dunkel wurde, und das passierte schnell hier im Norden. Sie schloss die Augen und genoss die Hitze auf dem Gesicht. Joshua hätte sie schon längst wieder hochgescheucht. „Gemütlich machen kannst du's dir später.“ Als liefe sie ihm davon, die Arbeit. Die Arbeit vielleicht nicht, aber das Licht, sagte er. Er könne doch das Nachtsichtgerät benutzen, erwiderte Elena. Er sah sie nur an.
Elena schlug die Augen auf und schüttelte den Gedanken ab. Sie erhob sich. Der Holzboden strahlte eine Wärme aus, die nicht vorhanden war. Ihr Blick wanderte zur Hintertür, und beinahe glaubte sie, ihn hindurchtreten zu sehen, mit müden Augen und dieser strengen Falte auf der Stirn. Er hängte die Flinte an den Haken neben der Tür und zog die Handschuhe aus. Eiskristalle hingen in den Stoppeln auf seinen schmalen Wangen.
Sie blinzelte, und das Bild löste sich auf. Er lächelt niemals. Beinahe verschwörerisch hatte es geklungen, als Michael ihr diese Worte ins Ohr raunte. Sie hörte nur halb hin, ihre Aufmerksamkeit war auf den Mann gerichtet, der gerade den Raum betrat. Sie beobachtete ihn, wie er zur Anrichte ging und sich Kaffee einschenkte. Er sah niemanden an und sprach kein Wort, trotzdem bemerkte jeder seine Anwesenheit. Elena fand ihn ziemlich gutaussehend. Auch wenn er nicht lächelte.
Langsam legte sie den Parka ab und hängte ihn neben die Hintertür. Sie schlüpfte ins Freie und eilte die wenigen Schritte zum Schuppen hinüber. Die dichten Tannen schluckten das rasch abnehmende Licht, und sie musste die Laterne anzünden. Holz war reichlich aufgestapelt, aber die meisten Stücke zu groß zum Feuern. Elena sammelte ein paar Holzscheite vom Boden und warf sie in eine Kiste. Dann schleuderte sie einige größere Holzblöcke ins Freie und streifte die Arbeitshandschuhe über. Sie waren ihr viel zu groß, es brauchte eine Männerhand, um sie auszufüllen. Elena griff nach der Axt. Joshua hatte sich immer darüber amüsiert, dass sie unbedingt selbst Holz hacken wollte. „Das sind die Frauen von heute. Wollen alles alleine machen, und wenn sie dabei zusammenbrechen.“ Seine Augen lachten sie aus, als er das sagte.
Die Arbeit war anstrengend, aber wenigstens wurde ihr warm. Elena füllte die Kiste mit Holzscheiten und trug sie in die Hütte. Schnee knirschte unter ihren Füßen. Sie stellte die Kiste neben den Kamin und streifte die Handschuhe ab. Allmählich wurde es warm im Raum.
Die Einrichtung war schlicht. Die wenigen Möbel – ein Tisch, zwei Stühle, eine Kommode und ein kleines Regal – waren aus dem Holz gezimmert, das der Wald hergab. Ein Bett hatte Joshua nie gebaut, sie hatten auf einem Berg aus Fellen und Decken vor dem Kamin geschlafen. Aber die Bodendielen waren sauber abgezogen und weich unter ihren Füßen, die Wände aus Baumstämmen innen sorgfältig abgedichtet, so dass kein Wind durch die Ritzen drang. Elena verstand sofort, warum Joshua diesen Ort liebte. Es war die Einsamkeit, die Stille, der Verzicht auf jeden Komfort. Draußen rauh und unwirtlich, drinnen gemütlich und warm.
Sie griff sich ein paar Holzscheite und ging in den kleinen Nebenraum, der als Küche diente. Sie feuerte den alten Ofen an und sah die Vorräte durch, die auf einem grob gezimmerten Regal gestapelt waren. Die Konserven würden noch für ein paar Wochen reichen. Joshua hatte immer für ein volles Regal gesorgt. Aber meistens hatte er einen Elch geschossen oder einen Hirsch.
Elena nahm einen Topf vom Haken und ging noch einmal ins Freie. Sie füllte frischen Schnee hinein und stellte den Topf auf den Ofen. Die Sonne ging unter, und das Licht war schon fast zwischen den Bäumen verschwunden. Elena zündete eine Petroleumlampe an und stellte sie auf den Tisch. Sie wartete, bis das Wasser kochte, und brühte etwas von dem Kaffee auf, den sie mitgebracht hatte. Heiß und verführerisch stieg ihr der Duft in die Nase. Sie goß die dampfende schwarze Flüssigkeit in einen Becher, trug ihn zum Tisch und setzte sich in den schummrigen Schein der Lampe. Wie anders als diese grellen Neonröhren, die gleißende Helligkeit des künstlichen Lichts. Es bereite ihm Kopfschmerzen, sagte Joshua. Der trübe Feuerschein war ihm lieber. Elena dagegen schätzte die Technik, schon als Kind hatte sie alles auseinandergeschraubt und wieder zusammengesetzt, was sie in die Finger bekam. Je größer die Maschinen waren, desto mehr Faszination übten sie auf Elena aus. Ein Leben wie dieses, fernab von der Zivilisation, hatte sie sich nur schwer vorstellen können. Aber Joshua vertraute lieber auf das, was er mit seinen eigenen Händen erschaffen konnte. Schon bald entdeckte sie diesen Glanz in seinen Augen, wenn er von den Wäldern im Norden sprach. Sie nannte es sein Lächeln. Nur die wenigsten konnten es sehen. Michael gehörte sicher nicht dazu.
Elena blinzelte in die Dunkelheit hinaus. Joshua war oft hier gewesen, eigentlich hatte er hier gelebt. Dass er sie mit herbrachte, war ein Privileg. Sie erinnerte sich an jenen klaren kalten Morgen. Die Sonne brach sich gleißend im Schnee, ihr Atem kondensierte zu einer weißen Wolke. Joshua öffnete die Tür, und sie trat hinein in den großen hellen Raum, sah sich staunend um. „Wie findest du's?“ fragte er.
„Es ist...“ Sie fuhr mit der Hand über die glatte Tischplatte, suchte nach Worten. „...einfach.“
Er lachte. „Das soll es auch. - Gefällt's dir?“
„Ja.“ Sie sah ihn an und lächelte. „Ja, es gefällt mir.“
Sie war ein wenig verblüfft, als sie das feststellte. Die Stille gefiel ihr. Und es gefiel ihr, wie seine Züge sich entspannten. Auch wenn die Falte auf der Stirn nicht mehr ganz verschwand, im Feuerschein wich die Härte aus seinem Gesicht.
Der Kaffee war stark geworden, Elena holte die Blechbüchse mit dem Zucker aus der Küche. Vorsichtig schraubte sie die Büchse auf und schüttelte den Behälter ein wenig. Der Zucker war trocken geblieben. Sie gab etwas in den Kaffee und rührte langsam um. Einmal hatte sie Joshua gefragt, warum er zurückkehrte in das, was man Zivilisation nannte. Alles, was er brauchte, gab es in dieser Hütte und in den Wäldern, die sie umgab. Warum blieb er nicht hier, an dem einzigen Ort, wo er glücklich war?
Er dachte lange darüber nach. Schließlich sagte er: „Ich erwarte es von mir, nehme ich an.“
Sie sah zu ihm hinauf. Das Feuer ließ Schatten über sein Gesicht tanzen. „Was erwartest du von dir? Dass du dich aufgibst – wofür?“
„Ich weiß es nicht. Etwas von mir ist unruhig. Etwas von mir ist auf der Suche, ich weiß nicht, wonach.“ Er sah sie an, und das Lächeln trat in seine Augen. „Wenn vielleicht auch sonst für nichts, dann zumindest für dich.“
Elena sah zur Tür und zeichnete in Gedanken seine Umrisse in den Rahmen. Groß und schmal. Lange Beine, kräftige Arme. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er ging auf leisen Sohlen, lautlos, sie konnte ihn sehen, er beugte sich zum Feuer hinunter. Plötzlich wirkte der Raum eng und stickig, und sie sprang auf und riss die Tür auf, ließ die eisige Luft hereinströmen und zerstörte seine unsichtbare Silhouette. „Warum bist du nicht hier? WARUM BIST DU NICHT HIER?“
Ihre Rufe verhallten in der kalten Einsamkeit. Sie zitterte und schlug die Tür wieder zu, kämpfte mit den Tränen. Er lächelt niemals. Er stand an der Anrichte und drehte sich um, als er ihren Blick im Rücken spürte. Sein Gesicht, so kalt und verschlossen. Herausgefunden, was ihn zum Lächeln brachte, hatte sie bis heute nicht.
Sie drehte sich in den Raum, sah ihn in jedem Schatten, den das Feuer über die Wände tanzen ließ. Die Falte auf seiner Stirn, die dunklen Brauen. Darunter loderten die Augen smaragdgrün, immer wachsam. Die blassen Sommersprossen auf dem Jochbogen bemerkte man erst auf den zweiten oder dritten Blick. Sie schluchzte auf und schlug die Hände vors Gesicht. Wärst du nur hier geblieben. Hier, wo du hingehörst. Warum bist du fortgegangen. Hast du wirklich geglaubt, du müsstest kämpfen? Wofür? Um deinen Frieden zu finden? Du hattest ihn doch schon gefunden.
Langsam ging sie zum Kamin. Sie setzte sich auf die Felle, schlang die Arme um die Knie und wartete, bis die Wärme die Tränen auf ihrem Gesicht trocknete. Dann zog sie den Pullover aus, griff unter ihr Hemd und zog die Erkennungsmarke hervor. Vorsichtig nahm sie die Kette ab und hielt die silberne Plakette in den Feuerschein.
„Es tut mir leid, Joshua“, flüsterte sie. „Mehr konnte ich nicht nach Hause bringen.“

 

Hallo Trip,

du schreibst hier die Geschichte eines Außenseiters, der in der Hütte im Wald seinen Frieden findet. Er schätzt die Einsamkeit, zieht sich aber nicht vollständig in sie zurück.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht für mich die Frage, warum er sich nicht vollständig in die Einsamkeit zurückzieht. Er selbst findet darauf keine Antwort.
Ich denke, dass viele Menschen sich davor scheuen, ihre Träume zu leben. Stattdessen tun sie, was sie glauben tun zu müssen. In Joshuas Fall ist das besonders bitter, weil er dann in einem Krieg (?) um´s Leben kommt.

Zu diesem Krieg muss ich gleich etwas sagen - ich fand, das kam ein bisschen zu plötzlich. Ich hätte es gut gefunden, wenn der Leser erfahren hätte, dass Joshua Soldat ist. Ich vermute, dass du dich dagegen entschieden hast, weil du auf den Effekt am Ende gesetzt hast (also die Überraschung des Lesers, dass er gestorben ist). Mir hätte es besser gefallen, wenn es mehr "Aufklärung", notfalls zulasten des "Effekts" gegeben hätte.
Die spannende Frage in dieser Geschichte war für mich, warum er sich für das Leben in der "Zivilisation" entscheidet. Das wäre für mich ein wirklich interessantes Thema gewesen, aber das wird leider nur angerissen.
Ich weiß, das wäre dann auch eine andere Geschichte gwesen, aber in der momentanen Form kann ich da nicht so wirklich viel für mich herausholen.

Alles in allem habe ich es schon gerne gelesen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass deine Geschichte schon sehr bald aus meinem Gedächtnis verschwunden sein wwird.

Gefallen hat mir, dass die Stimmung gut rüberkommt. Beim Lesen hatte ich diese einsame Waldhütte in der Winterlandschaft sehr gut vor Augen, aber solltest dich hier noch stärker darum bemühen, eigene Formulierungen zu finden. Du flüchtest dich da oft auf sehr gängige Aussagen (weiter unter folgen Beispiele).

Die ganzen Erzählwechsel - Vergangenheit, Gegenwart, ihre Traumvorstellungen etc. - fand ich gelegentlich ein bisschen verwirrend. Du hast hier auch manchmal die Zeiten ein bisschen verhauen. Es wäre gut, wenn du dir das nochmal durchliest und in Ruhe überarbeitest.

Ein paar Textanmerkungen:

Er lächelt niemals.

Der Einstieg hat mich ein wenig irritiert.
Der erste Satz bezieht sich wohl auf etwas, das jemand über ihn gesagt hat. Um das besser erkennbar zu machen, würde ich es evtl. kursiv schreiben oder auch in Anführungszeichen.

„Gemütlich machen kannst du's dir später.“ Als liefe sie ihm davon, die Arbeit. Die Arbeit vielleicht nicht, aber das Licht, sagte er. Er könne doch das Nachtsichtgerät benutzen, erwiderte Elena.

Hier wechselst du zwischen direkter und indirekter Rede. Du solltest dich für eine Variante entscheiden.

Die Sonne brach sich gleißend im Schnee, ihr Atem kondensierte zu einer weißen Wolke.

Das ist ein Beispiel für einen Satz, den ich schon tausend Mal irgendwo anders gelesen habe. Du machst das leider öfters, wie z. B. mit dem Kaffee, der ihr "heiß und verführerisch" in die Nase steigt oder beim Schnee, "der unter ihren Füßen knirscht". Es wäre schön, wenn du für solche Szenen eigene Worte oder Beschreibungen finden könntest.

Die Falte auf seiner Stirn, die dunklen Brauen.

Das ist jetzt schon das dritte Mal, das du diese Falte erwähnst. Vielleicht kannst du ihn noch anders beschreiben?

Viele Grüße
Bella

 

Hej Trip,

abgesehen davon, dass ich die Figuren und ihre Beziehungen untereinander nur erahne, finde ich die Geschichte ganz gut. Ich hab von der Hütte ein Bild (ein bisschen Umgebung wär nicht schlecht, sind da Bäume in der Nähe, oder ein Wasser?) und ansatzweise auch von dem Leben, dass darin gelebt wurde.

Fragen, die offen bleiben:
Wer ist Michael? Ein Bruder, ein Freund?
Hat die Frau ein Verhältnis, eine Liebes- oder eher eine Art Lehrer-Schüler-Beziehung zu Joshua?
Ist der im Krieg gefallen oder bei einer militärischen Übung oder ganz anders? Wenn ja, was hatte das dann mit seiner Unruhe zu tun?

Warum blieb er nicht hier, an dem einzigen Ort, wo er glücklich war?
Das frag ich mich auch. Die Figur des Joshua gibt da für mich keine Antwort her. Sie wirkt an dem Punkt unentschlossen, weniger ruhelos, und das passt für mich nicht zu jemandem, der eine ganze Blockhütte in die Wildnis baut.

Langsam legte sie den Parka ab und hängte ihn neben die Hintertür.
Warum? Sie muss durch die Kälte zum Schuppen und kommt später in einen Raum, der noch nicht ganz warm ist, weil sie ihn eben erst heizt. Ich hab ja keine Ahnung, macht man das so, dass man zum Holzhacken die Jacke auszieht?
Mir fällt halt kein guter Grund ein.

Er lächelt niemals. Die Worte hallten in Elenas Ohr, als sie die Blockhütte betrat.
Wenn Du Er lächelt niemals. kursiv setzen würdest, wird vllt deutlicher, dass es sich um etwas handelt, was nur in Elenas Kopf vor sich geht.

Ich wünsch Dir noch viel Spaß hier,

LG
Ane

 

Hallo Bella,

vielen Dank für Deine Kritik. Ich tue mich etwas schwer mit Kurzgeschichten. Die Figur des Joshua etwas näher zu beleuchten ist ein Ansatz, der mir gefällt; die Geschichte wird dann anders, aber ich denke, sie gewinnt dadurch. Ich werde mich nochmal dransetzen. Danke auch für Deine sprachlichen Hinweise, am objektiven Blick für den eigenen Text muss ich noch arbeiten.
Der erste Satz sollte übrigens kursiv sein; ich habe nur noch nicht herausgefunden, wie das hier funktioniert.


Hallo Ane,

auch Dir vielen Dank für Deine Ausführungen. Ich setzte mich nochmal dran und versuche, mehr herauszuholen.
Was die Jacke betrifft - ich weiß nicht, ob jeder sie ausziehen würde, Elena tut es - weil sie weiß, dass ihr beim Holzhacken warm wird.
Wie ich Bella schon schrieb, sollte der Anfang eigentlich kursiv sein.

Lieben Gruß
Trip

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Trip –

herzlich willkommen hierorts mit Deinem Erstling!

So viel Anmerkung(en) zu einem so kleinen Text, magstu denken – ist aber alles halb so wild; hielt ichs für nicht erwähnenswert zu dieser kleinen Geschichte, ’s wäre kein Wort von mir darüber verloren worden.

Gleich nach der Lektüre fragte ich mich, ob Du “Walden. Or life in the Woods“ von Henry David Thoreau (1854) und / oder den Nachfolger “Walden two” (1948; deutsch ”Futurum two” (1970; von B. F. Skinner) kennen könntest. Hatte Thoreau noch durch ein naturnahes Leben zu sich selbst finden wollen (er baute sich eine Blockhütte in den Wäldern Massachusetts und entsagte dem American Way of Life) und den zivilen Ungehorsam gelehrt, so hatte Skinner – Psychologe und, nebenbei, der Erfinder des programmierten Unterrichts – die Gedanken des Älteren für Gemeinschaften von (formal) Gleichen weiterentwickelt.

Wie dem auch sei, Deine Geschichte ist buchstäblich ein Kammerspiel unter den klassischen Regeln der Einheit von Raum (die titelgebende Hütte) und Zeit (Feuermachen / [Wahn?-]Vorstellungen) der Elena. Wobei wir – trotz des Titels – die Protagonistin vor uns haben, die wohl frei, d. h. unabhängig und somit selbständig, kurz: emanzipiert sein will (s. o. meine Frage). Dabei fällt dreierlei auf. Erstens

Er lächelt niemals. Die Worte hallten in Elenas Ohr, …

Wer ist er – werden doch zwei Namen angeboten, die
zwotens hebräischen Ursprungs sind
Joshua hätte sie schon längst wieder hochgescheucht.
Und ein Michael, der ihr wohl
… ins Ohr raunte.
Der alttestamentarische Heerführer und Nachfolger des Mose, der nach der Legende die Stämme Israels ins gelobte Land führte, heißt Jos(h)ua und Michael heißt der Erzengel, der die himmlischen Heerscharen führt, also sehr mythische Namen, die noch dadurch verstärkt werden, dass Jos(h)ua als Sohn des Nun gilt – dem ägyptischen Gott des Urgewässers (von dem der Jordan, der von jedem einmal überschritten wird, eher ein bescheidenes Rinnsal ist).

Drittens ist die Prot die einzig reale Person (warum sollte Michael ihr sonst was flüstern, sprich: eingeben?) nicht mit einem Namen der hebräischen, sondern der griechischen Mythologie ausgestattet, eben dem Namen, der auf immer mit dem Krieg um Troia verknüpft sein wird. Da muss man zwangsläufig darauf kommen, dass einer, der eine Flinte an den Haken hängt, ein Krieger / Soldat sein müsse. Was aber falsch ist, selbst wenn eine Flinte ins Korn geworfen wird: Hubertusjünger tragen Flinten. Das Sprichwort entstand zu der Zeit, da das Feuersteinschloss die Lunte des Gewehres / der Muskete entbehrlich machte. Der Feuerstein heißt heute noch im engl. flint (aber auch im nl. und plattdeutschen lautet er gleich: vlint) und nur Hubertusjünger, keineswegs Krieger / Soldaten nennen ihre Büchse auch Flinte.

Wie dem auch sei, Rätsel müsste eigentlich die Passage aufgeben, in der Elena Joshua vermeintlich eintreten sieht und dann Du statt des Konjunktivs den Indikativ wählt:

Ihr Blick wanderte zur Hintertür, und beinahe glaubte sie, ihn hindurchtreten zu sehen, mit müden Augen und dieser strengen Falte auf der Stirn. Er hängte die Flinte an den Haken neben der Tür und zog die Handschuhe aus. Eiskristalle hingen in den Stoppeln auf seinen schmalen Wangen.
Sie blinzelte, und das Bild löste sich auf. Er lächelt niemals. Beinahe verschwörerisch hatte es geklungen, als Michael ihr diese Worte ins Ohr raunte. Sie hörte nur halb hin, ihre Aufmerksamkeit war auf den Mann gerichtet, der gerade den Raum betrat.
Das Problem fängt mit dem „beinahe“ (nahe bei …, aber auch Synonym für fast) an. Glauben bedeutet gemeinhin „nicht wissen“, ver-muten. Elena weiß, dass sie’s nicht weiß, was ihr da durch welches Hintertürchen erscheint, ob real (Indikativ berechtigt) oder fiktiv. Halluzinationen? Traum? Es bleibt bei Mutmaßungen … Genau das macht dann die Geschichte interessant …

Hier müsstestu Korrekturen vornehmen:

Zweimal folgstu der alten Rechtschreibung (waserst recht nicht schlimm ist: Was vordem Rechtens war, wird nicht auf einen Schlag unrichtig):

Draußen rauh und unwirtlich, …
neu: rau, obwohl der Duden die alte Rechtschreibung (in der vorletzten Ausgabe) selbst noch aufführt.

Sie go[ss] die dampfende[,] schwarze Flüssigkeit in einen Becher, …
Womit wir bei der Zeichensetzung wären
„Wie findest du's?“[,] fragte er.
Auslassungspunkte
symbolisieren zweierlei: Direkt am vorhergehenden Wort, dass eben an diesem wenigestens ein Buchstabe ausgelassen wurde (was bei einem „ist“ schwerfällt) und alle andern Auslassungen werden durch eine Leerstelle zum vorhergehenden Wort symbolisiert. Besser also
„Es ist[…]...“

Hier nun noch zwo Vorschläge, die Du überdenken solltest:

…, hielt ihre steifgefrorenen Finger über die wohlige Wärme der Flammen.
Hier sind’s zB die Adjektive – wenns einen friert, dann ist die Wärme allemal „wohlig“, aber das eigentliche Problem sind die „steifgefrorenen Finger“. Bei Robert Walser fand ich im Gehülfen die steifgefrorene Wiese, sie ist – wenn schon nicht Eis – eisig und zer-brechlich, eben durch Frost. Dank Frostes, ob natürlich oder „technisch“ erzeugt, kann’s Tiefkühlkost geben, hartgefrorenes Fleisch. Fleisch wie Eis. Aber wären Elenas Finger tatsächlich „steifgefroren“ (Adjektiv „steif“ + „gefroren“, Partizip von „frieren“, das somit selbst schon den Charakter des Adjektivs annimmt), täuscht etwas vor, was nicht sein kann: Wären Elenas Finger vereist, sie brächen beim Versuch, Holzscheite fürs Feuer aufzulegen, abbrechen. Besser also anstelle des Synonyms fürs Vereiste, steife Finger wegen Frostes auseinander geschrieben (oder doch auseinandergeschrieben?).
Sie musste nachsehen, ob genug Holz im Schuppen war.
Sein (Hilfsverb) und sich befinden sind gerne Verben, wenn einem keine besseren einfallen. Es ist ja nicht falsch, dass „Holz im Schuppen war“, jedenfalls „war“ es da, wenn es da „lag“. Und wenn Elena gar noch zweifelte, ob ja oder nein, wäre sogar der Konjunktiv angesagt, etwa so
…, ob genug Holz im Schuppen [sei / besser: wäre / noch besser: läge].
Ähnlich hier mit „passieren“
…, und das passierte schnell hier im Norden.
Warum nicht einfach „geschehen“, „passer“ (frz.), von dem passieren abgeleitet ist, hat viel mehr Bedeutungen bis hin zum durchseihen, als man glauben mag.

Gern gelesen vom

Friedel

 

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