Mitglied
- Beitritt
- 22.09.2008
- Beiträge
- 86
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Josef
Am 25ten stand ich auf mit einer bohrenden Unruhe.
Nachdem mir meine Mutter das an der Bettkante angenähte Leintuch, das dafür sorgte, dass meine Hände da blieben, wo sie hingehörten, aufgetrennt hatte, wurde mir meine außergewöhnliche Situation bewusst.
Ich wusste nun, was geil sein bedeutete. Denn ich war es gewesen, unglaublich geil, die halbe Nacht, unfähig mir Erleichterung zu verschaffen, ich hätte auch keine Ahnung gehabt, wie ich das hätte bewerkstelligen können.
Es begann mit einem unbestimmten Drang aus der Schwanzgegend und ich begriff nach einigem Nachdenken – ich war ja nicht dumm, ganz im Gegenteil.
Als studierter Mann von 35 Jahren weiss ich sehr wohl, dass es Unterschiede gab zwischen Mann und Frau, oh ja. Es hatte mich noch nicht betroffen, ich hatte mir das aber logisch zurechtgelegt.
Es gab die Frau der ich einen Wert 0 zuwies und den Mann mit dem Wert 1, warum liegt auf der Hand. Um eine Frau zu bekommen, musste man sie erobern, also besiegen.
Hatte man also eine Frau besiegt stieg ihr Wert über 0, also wäre es besser jede Frau zu unterwerfen, da damit ihr Wert über 0 stieg. Da wurde es nun kompliziert, ich musste also alle Frauen der Welt besiegen um ihren Wert zu steigern, also würde 0 idealer weise gegen unendlich steigen. Das alles ging mir an diesem Morgen durch den Kopf, es ergab aber keinen Sinn, es gab zu viele Faktoren, die ich nicht berücksichtigen konnte.
Aber als erfahrener Programmierer wusste ich, dass die Erwartungshaltung, die immer ungefähr 60 Prozent gegenüber einem Produkt betrug, selten mit der Usability übereinstimmte. Das war alles zu bedenken und machte alles noch viel komplizierter.
Befreit vom Lacken stand ich auf. Meine Mutter hielt mir eine Torte unter die Nase: „Alles Gute zum 35sten! Ausblasen!“
Eifrig blies ich die Torte aus und sah mich um nach meinem Geschenk.
„Du hast dein Playmobil Piratenschiff bekommen, keine Angst“, sagte sie verkniffen, vielleicht weil ich die Torte nicht genügend würdigte.
„Super!“
Ich stellte mir vor, wie ich die Takellage mit Bindfaden verbesserte, wie beim ersten Schiff, jetzt konnte ich tolle Seeschlachten machen!
Ich schnürte meine Laufschuhe für die täglichen 6 Kilometer, Freund und Feind die sie waren.
Später duschte ich meine hageren 1,90 und wurde mir ein weiteres Mal meines Dicken bewusst. Er war seit heute morgen durchgehend dick. Das machte mir Sorgen, vielleicht war ich doch krank.
Auf dem Weg zur Arbeit beobachtete mich mein Vater durch halbgeschlossenen Lider.
Ich tat so, als sähe er mich nicht, aber ich hatte einen Dicken, vielleicht bemerkte er das.
Kurz bevor wir die Firma erreichten, sagte er: „Josef, hast du unkeusche Gedanken?“
Ich sagte: „Na ja, ich habe seit heute Morgen dauernd einen Dicken, Papa.“
Er erstarrte.
„Was?“
„Ich habe halt einen Dicken“, antwortete ich wie ein Mann von Welt, kühl und selbstbewusst.
„Das ist nicht gut, Junge. Du willst doch nicht, dass ich dir deine Legoburg weg nehme? Oder das neue Playmobilschiff?“
Ohne mit der Wimper zu zucken, obwohl innerlich entsetzt, sagte ich: „Wenn es nicht gut ist, werde ich keinen Dicken mehr haben, Papa.“
„Gut Josef. Ein Dicker ist niemals gut. Warst du denn gestern ordentlich eingenäht in dein Laken?“
„Ich denke schon“, antwortete ich.
Das Laken war immer sehr straff gespannt über mir, ich konnte mich kaum bewegen, was mir ab und zu arge Kreuzschmerzen bescherte.
Ich konnte immer nur mit starr auf die hohe Decke gerichtetem Blick einschlafen. Doch das war auch ein Glück!
Hier stellte ich mir alles vor, Landschaften von geometrischer Grazie, eckige Perfektion mit Tiefe und bevölkert von den Niederen, über denen ich thronte um zu herrschen wie ein gütiger König. Oder wie ein rachsüchtiger Despot, je nachdem.
Die Niederen, das waren vor allem meine Arbeitskollegen, sie waren primitiv, kommunikationsschwach, dumm, einfach eine Evolutionsstufe unter mir.
Sie aßen Fleisch in Massen. Sie tranken Alkohol und sie tranken täglich und nicht zu wenig, ihre Gesichter verwandelten sich dann in aufgeschwemmte Karikaturen. Es war erbärmlich. Ich zwang mich, sie so gut wie möglich zu ignorieren.
Mein Zimmergenosse war besonders unerträglich. Er hieß Stefan, Mario, Alexander, irgendwie, ich konnte mir seinen Namen nicht merken. Er war als gesamte Person zu unbedeutend, neben meinem strahlenden Licht wurde er unsichtbar.
An diesem Morgen, wie üblich zu spät und mit verschwollenem Gesicht, wankte er ins Büro mit einem Paket unterm Arm, das er umständlich auspackte.
Ich bemühte mich um Kommunikation mit diesen Amöben, ich muss ja den Tag mit ihnen verbringen, wie erniedrigend das auch sein mag.
„Was ist denn das?“, frage ich.
Er sieht mich stumpf an und sagt genervt: „Eine englische Flagge.“
„Wieso denn eine englische Flagge? Wir sind doch in Österreich.“
Er schnauft und hängt die Flagge auf, direkt in mein Gesicht.
„Wieso ist es denn nun eine britische Flagge?“, insistiere ich.
„Hat was mit Fußball zu tun“, kommt es zurück.
„Aha.“
„Ja.“
„Wo hast du die denn her?“, versuche ich das Gespräch am Laufen zu halten.
Er dreht sich um und meint ärgerlich: „Die hab ich vom Buckingham Palast gestohlen.“
Typisch diese Kriminellen.
„Du hättest sie auch billig hier kaufen können!“, erwidere ich.
Bei diesen Primaten war alles verloren.
Nun hing sie da diese Fahne, ärgerlich, ich musste den ganzen Tag hinstarren.
Ich trank meinen Bachblütentee aus und beschloss zu meditieren. Mein Atem wurde langsamer, meine Lider schlossen sich und dienten mir als – unzureichender – Ersatz für meine vertraute Zimmerdecke.
Weiten öffneten sich, doch die Reinheit meiner Genialität wurde störend überlagert von schmutzigen Gedanken.
Ich bekam sofort einen Dicken. Sie waren nun alle versammelt, da wo sich früher elegante Abstraktionen manifestierten, räkelten SIE sich nun, die dreckigen Verführerinnen.
Maria, die mit dem perversen Augenbrauenring, sie will es, von jedem. Es ist ganz deutlich. Ihre Haut ist hübsch braun, wie es üblich ist bei diesen Ausländern.
Stefanie, breit und wollüstig, sie kann nie genug bekommen, das weiß ich.
Die Krone ist Kornelia, klein und feingliedrig, von berückender Intelligenz, sie war die einzige, die mir auch nur annähernd würdig wäre.
Doch war sie nicht unterwürfig wie es ihr geziemte, sie war vielmehr schnippisch und wagte es sogar mich zurechtzuweisen, was ich natürlich mit einem herablassenden Lächeln quittiere.
Sie standen alle so weit unter mir, sie spürten es, so wie ich es wusste.
„Josef!“
Ich schreckte durch die Stimme meines Vaters aus meiner Meditation, schuldbewusst.
Meditation, aus der reine, elegante Gedanken entstanden, war in Ordnung, aber meine Gedanken waren unkeusch, ganz und gar.
Er holte mich an seinen Schreibtisch und warf mir mangelnde Konzentration vor. Kein Wunder bei dieser ständigen Unterforderung. Ich nickte abwesend und starrte dann den Rest des Tages auf meinen Bildschirm.
Es war Wochenende. Vater hatte mir versprochen, mir meine Legoburg wiederzugeben, wenn ich den Rasen mähte.
Ich dachte an Kornelia. Vielleicht würde sie mich in einem anderen Licht sehen, wenn ich männlicher wirken würde, vielleicht ein wenig rebellisch.
Vater kam und begutachtete den gemähten Rasen.
„Das hast du gut gemacht Josef. Wenn du willst, kannst du heute bis 21.30 aufbleiben und den Hauptabendfilm mit uns ansehen“, sagte er.
Den Hauptabendfilm!
„Natürlich nur, wenn er nicht allzu brutal ist“, schwächte e ab, aber sein Lächeln war gutmütig.
„Danke Papa!“
Der Hauptabendfilm veränderte mein Leben.
Es war eine Serie, sie hieß: „Die Faust Gottes.“ Ein Mönch, der mit seinen Kampfkünsten das Böse bekämpfte.
Ich stellte mir danach, eingenäht unter meine Decke, vor, wie ich meine Arbeitskollegen elegant und kraftvoll verprügelte.
Am nächsten Morgen beim Frühstück, wo ich Müsli und Früchte zu mir nahm, begehrte ich auf und forderte, das Karatetraining besuchen zu dürfen, das im Nachbarort zweiwöchentlich von einem pensionierten Volksschullehrer abgehalten wurde.
Vater starrte mich sekundenlang an, dann ein Seitenblick zu Mutter, die in ihrem geblümten Hauskleid auf ihren trockenen Toast starrte.
„Du gehst doch schon jeden Tag laufen, mein Sohn“, begann er.
Ich war Gottes schlauer Streiter.
„Aber ich glaube, ich sollte meine Koordination verbessern!“
Mutter regte sich.
„Er will doch nur schwitzende Männerkörper sehen! Und dann diese Sachen unter der Dusche!“, rief sie.
„Ich könnte doch unter der Dusche eine Badehose anziehen!“, wende ich ein, doch Papa war nicht überzeugt.
„Auf keinen Fall! Laufen muss genügen, lauf länger, wenn du immer noch unkeusche Gedanken hast. Jetzt komm, ab zur Arbeit, warum hab ich dir dein Mathematikstudium bezahlt?“
Ich füge mich, aber der Kampfmönch geht mir nicht aus dem Sinn. Ich war Gottes mächtige Faust.
Der Tag verlief wie immer. Es gab zwei Toiletten im Büro. Wenn ich nur Wasser lassen musste, ging ich zum nächst gelegenen Klo, wenn ich aber gacken musste, stieg ich einen Stock höher, um die anderen nicht zu belästigen.
Ich war Gottes weißer Ritter.
Stefan, Mario, Alexander schien zur Abwechslung nüchtern und berichtete von seinem Schießtraining. Er schwärmte von den verschiedenen Waffen, von der Durchschlagskraft einer Desert Eagle, der unkomplizierten Wartung einer Glock, der verheerenden Wirkung einer Pumpgun.
„Wo bekommt man denn so eine Waffe her?“, frage ich.
Ärgerlich sieht er mich an.
„Normalerweise bekommt man sie auf dem Schwarzmarkt von einem Türken oder Russen“, sagt er.
„Aha.“
„Ja.“
„Was kostet denn so eine Waffe?“, frage ich.
„39,90 im Sonderangebot.“
„Na, das geht ja noch.“
Der Tag verlief ruhig, ich meditierte viel.
Abends, eingenäht in meine Decke, träumte ich vom Waffengebrauch. Ich war Gottes gekrümmter Zeigefinger.
Beim Frühstück fragte ich, während ich mein trockenes Müsli esse:
„Papa, wie ist das denn mit Waffen? Sind die nicht verboten bei uns?“
Er schrak auf, Mutter ließ den Löffel in ihre Kleie fallen.
„So, das reicht. Heute Abend bleibt das Playmobilschiff und die Legoburg im Schrank. Das hast du dir selbst zuzuschreiben!“, sagte er böse.
Ich war verletzt und verwundert, auf dem Weg zur Arbeit projizierte ich Kornelia auf meine geschlossenen Augenlider und nein, es waren keine keuschen Bilder.
Heute haben sie mich fotografiert während ich meditierte und schickten die Fotos durch die ganze Firma. Sie haben geglaubt ich schlafe, diese Maden, aber ich habe alles mitgekriegt.
Sie tuschelten über mich, wenn ich weg sah. Sie hielten mich für dumm.
Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb eine Liste, Stefan, Mario, Alexander, oder wie auch immer er hieß, stand ganz oben. Er war der Rädelsführer, davon war ich überzeugt.
Ich war Gottes fürchterliche Rache.
Nach der Arbeit versetzte ich meinen Papa und ging in einen verrufenen Bezirk, von dem ich gehört hatte, dass dort viele Türken sind. Ich plante den Kauf einer Waffe.