Jonnies lezte Reise
Johnnies letzte Reise
Das betagte Küstenmotorschiff mit dem Namen „Erna – F“ fuhr lag ruhig in der See. Mit nordöstlichem Kurs steuerte es die äußerste nordwestliche Ecke von Schottland an. Noch bot die schottische Insel Lewis Schutz vor der hohen Dünung des Nordatlantiks. Der Kapitän kam auf die Brücke und grinste den Steuermann an.
„Na – kannst dich immer noch nicht satt sehen?“
„Nee, nicht wirklich. Diese Küste fasziniert mich immer wieder.“
„Na, dann genieß man die Ruhe vor dem Sturm. Es wird mit dieser Ladung wohl etwas ungemütlich werden, wenn wir von der Insel frei sind.“
„Das ist mir klar. Hoffentlich bleibt da unten im Laderaum alles liegen.“
Beruhigend meinte der Alte: „Ihr habt doch gut nachgelascht. Und wenn wir erst mal den Pentland Firth passiert haben, wird es ruhiger.“
Aus Erfahrung wussten beide, wovon sie redeten. Stahlplatten konnten in hohem Seegang schnell verrutschen, wenn sie beim Laden nicht sachgerecht gestaut und gesichert wurden.
Der Alte rauchte noch eine Zigarette und schaute kurz auf den Radar - Bildschirm, um dann mit den Worten „gute Wache“ die Brücke zu verlassen. Eine Stunde später fing das Schiff an zu rollen. Landratten sagten auch schaukeln dazu. Die heftiger werdenden Bewegungen beunruhigten aber niemanden an Bord. Man kannte dieses Seegebiet und wusste, dass dort meistens schlechtes Wetter zu erwarteten war. Aufmerksam beobachtete der Steuermann die vorbeiziehenden Wolken, las Kompass, Thermometer und Barometer ab, um die Werte ins Logbuch einzutragen.
Es begann zu dämmern; die Wache des Steuermanns war fast vorüber. Nachdem die letzten Routineaufgaben erledigt waren, machte er noch aus alter Angewohnheit einen letzten Rundum - Blick mit dem Fernglas. Und stutzte.
„Verdammt noch mal! Was treiben die sich mit ihrer Nussschale um diese Jahreszeit hier herum?!“
Er ändere den Kurs und fuhr etwas dichter an das kleine Wasserfahrzeug heran, das offenbar hilflos in der groben See trieb.
Schnell hatte er verstanden, was dort los war. Der Mast war gebrochen; das Segeltuch hing nutzlos im Wasser und spannte am Heck.
„Na toll! Total manövrierunfähig! Segel in der Schraube.“
Als er eine winkende Gestalt an Deck der kleinen Yacht sah, die sich krampfhaft an der Reeling festhielt und versuchte zu winken, löste er den Generalalarm aus. Binnen weniger Sekunden war der Kapitän auf der Brücke, erfasste mit einem Blick die Situation und gab Kommandos:
„Steuermann, ruf die Küstenwache an. Maschine halbe voraus. Rudergänger und zwei Ausguck auf die Brücke. Rettungsboot klarmachen zum aussetzten.“
Beide wussten zwar, dass das Rettungsboot bei diesem Seegang nicht viel nützte, aber es war seemännische Pflicht, alle Mittel zur Rettung des Schiffbrüchigen einzusetzen.
Vorsichtig manövrierte der Kapitän sein Schiff näher an das kleine Boot heran. Hier war Mensch und Maschine gefordert, denn er musste oft die Maschine stoppen und wieder starten. Zum Starten brauchte der Motor Pressluft, die nicht unbegrenzt zur Verfügung stand. Ohne Pause liefen die Kompressoren, um den Schiffsmotor mit der nötigen Anlasspressluft zu versorgen. Es war sehr viel Augenmaß und Erfahrung nötig, um einerseits dicht an die Yacht heranzukommen, aber andererseits nicht mit ihr zu kollidieren.
Der Steuermann unterstützte den Alten und gab laufend die Abstände an.
„Zwanzig Meter, gleichbleibend… Zehn Meter, kommen langsam dichter… Fünf Meter… gleichbleibend.“
„Netzbrook Steuerbord auswerfen!“ brüllte der Alte nun. Schnappte sich das Megaphon und rief den havarierten an:
„Spring! Wir ziehen dich mit dem Netz an Bord!“
Eisern klammerte sich die Gestalt an der Reeling fest. Ganz schwach war eine Frauenstimme zu hören:
„Kann nicht schwimmen… Bein gebrochen.“
Ohne zu überlegen und jede Vorschrift missachtend stürmte der Steuermann an Deck. Gab dem Alten Handzeichen, um noch dichter an das Boot heranzufahren. Als der Alte „Keine Maschine mehr!“ schrie, sprang der Steuermann ins kalte Wasser. Mit kräftigen Zügen hatte er bald die Yacht erreicht. Erst jetzt sprang die Frau ins Wasser und versuchte erfolglos, ihrem Retter entgegen zu schwimmen. Der griff beherzt zu und schwamm mit ihr zurück zum Schiff, das mittlerweile von dem Boot weggetrieben war. Mit letzter Kraft erreichte er es und steckte ihre Arme und Beine durch die Maschen des herunterhängenden Netzes, welches die Matrosen mittlerweile ausgebracht hatten.
„Hiev up!“, wies der Steuermann nun seine Leute an. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, die Frau an Deck zu zerren.
Ohnmächtig musste der Kapitän zusehen, wie sein Steuermann achteraus trieb. Gebannt schaute er auf das Manometer, das langsam… viel zu langsam steigenden Druck anzeigte. Nach quälend langer Zeit konnte er den Schiffdiesel wieder starten. Und nur noch einen toten Steuermann bergen.
„Good bye Johnnie – gute Reise ins Jenseits!“