Was ist neu

Jonas

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08.09.2016
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Jonas

"Mami?"
Helen zuckte zusammen und ließ beinahe den Teller ins Spülbecken fallen. Sie hatte sich dermaßen in der Monotonie des Abwaschens verloren, dass sie Jonas Schritte gar nicht hörte.
Sein Gesicht kam ihr fremd vor. Einen solchen Blick hatte sie noch nie bei ihm gesehen. Er hatte wie so oft vergessen, seine Stiefel auszuziehen und brachte den halben Garten mit ins Haus. Wassertropfen glänzten auf der etwas zu großen Jacke. Der Regen hatte schon vor ein paar Stunden aufgehört. Er musste mal wieder auf allen Vieren durch das hohe Gras gerobbt sein, das Ralf schon vor drei Tagen mähen wollte. Mit einem Ausdruck von Schuld und Verlegenheit starrte er auf einen Punkt im Nichts und fummelte nervös mit den Fingern herum.
Zuerst dachte Helen, er hätte irgendetwas ausgefressen oder kaputtgemacht. Etwas, von dem er mit seinen sechs Jahren wusste, dass er es nicht unter den Teppich kehren konnte. Doch da war noch etwas anderes in seinem Blick. Es war die Angst vor Konsequenzen. Aber Helen sah sofort, dass er nicht vor IHR Angst hatte, oder vor dem, was SIE sagen könnte. Das, wovor er sich fürchtete, schien weit entfernt und doch bedrohlich nah.
"Was ist denn los, Schatz?"
Sie legte den Teller beiseite und trocknete die Hände am Geschirrtuch ab. Gerade wollte sie einen strengen Gesichtsausdruck wegen der frischen Schlammspur auf dem Fußboden aufsetzen.
"Da ist jemand im Garten." druckste er, ohne den Blick aus dem Nichts zu ziehen.
Schlagartig hämmerte Helens Herz bis an die Mandeln.
Sie sprang hinüber zur Fensterseite der Küche, von wo aus sie fast den ganzen Garten überblicken konnte. Ihre Augen jagten von einer Ecke zur anderen, aber alles, was sie sah, war zu langes, feuchtes Gras.
"Jonas, da draußen ist keiner. Komm her und sieh's dir an."
Seit knapp zwei Stunden war er im Garten zugange, hatte imaginäre Piratenhorden in die Flucht geschlagen und ging zwischen Gemüsebeet und Plastikstühlen auf Großwildjagd. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Phantasie mit ihm durchging. Verloren stand er in der Küchentür und wagte es nicht, ans Fenster zu treten, als wäre der Fußboden mit Bärenfallen übersäht.
Helen war irritiert. So hatte sie ihren Sohn noch nie gesehen. Sie ging auf ihn zu und kniete sich auf Augenhöhe zu ihm hinunter.
"Da ist wirklich keiner."
Seine Augen wichen ihrem Blick aus und zuckten kaum sichtbar hin und her. Da war mehr als nur Angst ... Da war ... Traurigkeit. Und die Gewissheit, dass etwas seinen Gang genommen hatte, das nicht mehr aufzuhalten war.
"Hey, was ist denn los mit dir?"
Besorgt legte sie ihre Hand auf seine zerbrechliche Schulter.
"Da ist jemand im Garten ..." wiederholte er fast flüsternd.
Sein Blick huschte zum Fenster und sofort wieder auf den Küchenboden zurück. Als sähe er dort drüben etwas, das er nicht sehen wollte. Für einen Sekundenbruchteil zweifelte Helen, ob ihr etwas entgangen war. Aber so groß war ihr Garten nun auch wieder nicht, dass sich jemand darin verstecken konnte.
"Pass auf." sagte sie. "Wir gehen jetzt gemeinsam raus, und dann zeige ich dir, dass du dir das nur eingebildet hast."
Jonas Finger tanzten schneller. Endlich blickte er ihr in die Augen. Aber sein ganzes Gesicht schien bloß stumm "Bitte nicht!" zu rufen. Sie sah die Furcht und die Verzweiflung über das Unvermögen, ihr zu sagen, was wirklich los war.
"Ich will nicht rausgehen." flüsterte er, als hätte er Angst, jemanden aufzuwecken.
"Jonas..." beschwichtigte Helen ihn mit ernster Stimme.
"Mami, ich möchte nicht." Seine Augen begannen zu glänzen. Er presste die Lippen aufeinander, um sich die Tränen zu verbeißen.
"Jetzt hör mal ... Das ist nur in deiner Phantasie passiert. Ich verspreche dir, wenn wir uns jetzt im Garten umsehen, wirst du sehen, dass da gar nichts ist. Aber wenn du drinnen bleibst, wirst du immer Angst vor dem Garten haben. Das möchtest du doch nicht, oder? Kein Rumtoben mehr? Keine Geburtstagsfeiern? Keine Ostereier suchen? Das wäre doch wirklich schade."
Sein Gesicht blieb versteinert. Was auch immer er geglaubt hatte, gesehen zu haben - es schien schlimm genug, um für den Rest seines Lebens auf Ostereier zu verzichten. Aber es gab nichts, was er ihrer Logik entgegensetzen konnte. Sie würde darauf bestehen und nicht eher locker lassen, bis er sich vom Gegenteil überzeugt hatte.
"Also komm. Wir gehen jetzt gemeinsam raus, und dann mache ich dir einen großen Kakao."
Jonas ließ den Kopf sinken.
Sie deutete das als stummes Einverständnis. Helen schlüpfte in ein Paar Gummistiefel, nahm seine Hand und ging gemeinsam mit ihm über die Terrasse die kleine Steintreppe hinab und hinter das Haus, wo sich der Garten anschloss.

Es war nichts besonderes. Eine Grünfläche, auf der man provisorisch Fußball spielen konnte. Ein Weg aus Baumarkt-Steinplatten, die nach ein paar Schritten zu einer respektablen Fläche wurden, auf der sich einige Gartenmöbel aus Plastik tummelten. Grill und Sonnenschirm holten sie nur hervor, wenn das Wetter mitspielte. Inzwischen war es Oktober, und die Freilicht-Saison konnte man für dieses Jahr als beendet erklären. Dahinter erstreckte sich das Gemüsebeet. Ringsherum war der Garten mit einem breiten Streifen Erde abgegrenzt, auf dem Helen ihrer Liebe für Blumen und Zierpflanzen freien Lauf ließ. Dahinter eine Wand aus hohen, dichten Büschen, um den Maschendrahtzaun zu kaschieren, der ihr Grundstück von den anderen trennte. Nach Westen grenzte der deutlich größere Garten eines Mehr-Parteien-Hauses an. Zur Ost- und Südseite gab es nichts als endlos scheinendes, verwildertes Bauland, das noch keinen Abnehmer gefunden hatte.
Helen zögerte und ließ noch einmal ihren Blick über die ganze Kulisse huschen, bevor sie Jonas an die Hand nahm und sie sich in Richtung Gemüsebeet in Bewegung setzten. Das nasse Gras gab bei jedem Schritt glucksende Laute von sich.
Je weiter sie sich vom Haus entfernten, desto fester wurde sein Griff. Schweigend nahm er hin, wie sie in jeden Winkel spähte und demonstrativ in die dunklen Büsche spähte.
"Siehst du? Keiner da. Das hast du dir wirklich nur ausgedacht, Schatz."
Jonas schob verstohlen seinen Kopf in Richtung Grundstücksgrenze. Zur Süd-Ost-Ecke, wo frisch gepflanzte Rosen von den Schatten tropfender Büsche verschluckt wurden. Langsam hob er seinen kleinen Arm und deutete hinüber.
"Da hinten ... In der Ecke ... da ist jemand."
Helen folgte seinem knubbeligen, ausgestreckten Zeigefinger. Dort war nichts. Nichts, als feuchte Erde, auf der ihre Rosen besser gediehen, als gehofft. Die fast drei Meter hohen Sträucher stahlen ihnen zwar ziemlich viel Licht, aber aus irgendeinem Grund sprossen die Rosen wie Pilze auf einem Komposthaufen.
Sie trat an den Erdstreifen heran und suchte nach etwas, das ihren Sohn so sehr in Aufregung versetzt hatte.
"Also wirklich ..." ächzte sie nun etwas entnervt und zog mahnend die Augenbraunen hoch.
"Ich sage dir doch, hier ist n..."
"Unter den Rosen", unterbrach sie Jonas.
"In der Erde unter den Rosen ist jemand."
Reflexartig wich Helen einen Schritt zurück. Der aufgeweichte Boden war vom Regen fast schwarz gefärbt. Ein paar Würmer ringelten sich zwischen Erdklumpen hindurch, und der schwere Herbstduft von schimmelnden Blättern stieg ihr in die Nase.
Ihr war klar, dass Jonas Unsinn redete. Sie merkte immer sofort, wenn er sie anschwindelte oder ihr einen Bären aufbinden wollte. Aber sie sah ihm an, dass die Angst vor dem, was er unter ihren geliebten Rosen glaubte, real war.
"Können wir jetzt wieder reingehen?"
Seine Stimme überschlug sich und klang fast flehend. Noch bevor sie antworten konnte, drehte er sich auf den Gummistiefel-Absätzen um, ging mit zügigen Schritten die Treppe hinauf und verschwand aus ihrem Blickfeld. Verwirrt sah Helen ihm nach. Dann beugte sie sich zu den zwei, drei Quadratmetern Erdboden hinunter, die ihn so in Aufregung versetzt hatten. Bestimmt hatte er nur irgendetwas entdeckt, das aus einem bestimmten Winkel, wie ein Mensch aussah. Das Beet hatte nichts außergewöhnliches an sich. Aber wenn man sechs Jahre alt war, kam einem der Garten vermutlich wie ein riesiger Dschungel vor, wo hinter jeder Ecke Raubtiere, Menschenfresser und andere Ungeheuer lauerten.
Helen betrachtete die prallen Rosenblüten, die sich unter dem Gewicht des Regens, das sich in ihnen gesammelt hatte, leicht nach unten bogen. Sehr gut möglich, dass sie vor seinen Augen zu einem weiß-roten Meer verschmolzen, in dem ein menschenähnliches Trugbild umherschwamm.

Sie ging zurück ins Haus und folgte ihm zu seinem Zimmer. Die Tür war geschlossen. Das machte er selten.
Helen klopfte.
"Jonas?"
Keine Antwort.
"Jonas, darf ich reinkommen?"
Wieder nichts.
Sie öffnete.
Er saß so regungslos und zusammengekauert auf seinem Bett, dass sie ihn beim ersten Blick durch das Zimmer gar nicht bemerkte. Wie Waldo auf dem Wimmelbild, den man auch beim dritten Versuch einfach nicht sah, obwohl man ihn direkt vor Augen hatte. Vor ihm auf der Matratze lag ein aufgeschlagenes Spiderman-Comicheft (Batman war ihm immer noch zu unheimlich), aber er schien es gar nicht zu beachten. Mit ausdrucksloser Mine starrte er durch die bunten Bilder einfach hindurch.
Helen war ratlos. Seine Aufregung war echt. Oder aber, er hatte für seine sechs Jahre ein beachtliches schauspielerisches Talent entwickelt, um dem Aufwischen seiner Schlammspur zu entgehen.
Wahrscheinlich musste er sich einfach nur etwas beruhigen. Bis zum Abendbrot würde er das, was er beim Rosenbeet gesehen hatte, wieder vergessen haben.
Jonas war kein ängstliches Kind, das nur bei Licht einschlafen konnte oder sich vor Schatten unter seinem Bett fürchtete. Üblicherweise überwog bei ihm die Neugier.

Helen ließ die Tür zu seinem Zimmer offen stehen und ging zurück in die Küche, um ihm den versprochenen Kakao zu machen. Und einen Doppelkeks sollte er auch bekommen. Sie stellte den dampfenden Becher und die kleine Untertassen mit dem Keks auf seinem Nachttisch ab.
"Warte noch ein bisschen. Er ist ziemlich heiß." sagte sie ruhig.
Jonas reagierte nicht. Helen beobachtete ihn mit einem aufkeimenden Anflug von Sorge. Er starrte weiterhin auf das Comicheft, aber seine Augen bewegten sich nicht.
Wo auch immer er gerade war - Helen konnte ihn nicht erreichen. Sie versuchte es mit einer Portion pädagogischer Realität.
"Aber wenn du ihn ausgetrunken hast, machst du den Matsch wieder weg, den du mit ins Haus geschleppt hast, okay?"
Ihr war klar, dass sie wieder gründlich nachwischen würde. Aber auch ein sechsjähriger musste schließlich lernen, Verantwortung zu übernehmen und seinen eigenen Dreck wegzumachen.
"Okay", flüsterte er so leise, dass sie nicht sicher war, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Aber sie ließ es gut sein. Sie, machte die Tür hinter sich zu und ging zurück in die Küche, um den leidigen Abwasch zu Ende zu bringen.

Keine fünf Minuten später schlurfte Jonas hinter ihrem Rücken vorbei zum Küchenschrank. So leise, dass sie ihn erst hörte, als er zwischen den Putzmitteln herumhantierte und einen Eimer mit Putzlappen hervorzog.
Wortlos und ohne sie anzusehen füllte er den Eimer und machte sich daran, die angetrockneten Schlammspuren wegzuwischen.
Er gab sein bestes.
Helen biss sich auf die Lippen. Vielleicht war es wirklich das beste, ihn erst einmal völlig in Ruhe zu lassen. Als er "fertig" war, leerte er den Eimer aus und marschierte wie eine mechanische Aufzieh-Puppe zurück in sein Zimmer.
Helen hörte, wie seine Tür zufiel.
Sie überlegte kurz, ob es wirklich gut war, ihn so ganz alleine mit der Angst in seinem Zimmer zurück zu lassen.
Nein, das war es nicht.
Sie klopfte an und öffnete dann langsam einen Spalt breit.
Jonas hatte sich wieder hinter dem Spiderman-Comic zusammengekauert. Die Zimmerecke im Rücken, so dass ihm nichts entgehen konnte. Die Tasse mit dem dampfenden Kakao stand unberührt neben ihm. Auch den Keks hatte er nicht angerührt.
Gerade als Helen ihn zum zweiten Mal aus seiner lauernden Position reißen wollte, hörte sie, wie jemand den Haustürschlüssel im Schloss versenkte.
Ralf hatte Feierabend.

Sie schloss Jonas Zimmertür so geräuschlos sie konnte und begrüßte Ralf, der sichtlich erfreut über das frühe Heimkommen strahlte.
"Hallo, Schatz. Wie war euer Tag? Gehen dem Kurzen die Ferien schon auf den Zeiger?" scherzte er.
"Hallo. Ganz gut."
Helen atmete scharf durch die Zähne ein und stemmte die Hände in die Hüften, um zu signalisieren, dass sie gleich zu einem umfangreichen Bericht ausholen würde.
"Jonas hat sich heute beim Spielen im Garten irgendetwas eingebildet und sitzt jetzt etwas verstört in seinem Zimmer. So ängstlich habe ich ihn ehrlich gesagt noch nie gesehen."
Ralf kniff verdutzt die Augen zu, während er seine Jacke an die Garderobe hängte und die verdreckten Schuhe auszog.
"Was hat er sich denn eingebildet?" fragte er mehr neugierig als besorgt.
"Ich schätze, er hat etwas in den Rosen gesehen, das ihm wie ein Mensch erschienen ist. Er meinte, es wäre dort jemand in der Erde begraben."
"Soll ich mal mit ihm reden?" schlug Ralf nach einer kleinen Denkpause vor.
"Ich glaube, mit reden kommen wir hier nicht mehr wirklich weiter." seufzte Helen.
"Würdest du mir vielleicht einen großen Gefallen tun? Also eigentlich ihm?"
Ihrem Dackelblick konnte Ralf nichts entgegensetzen.
"Es ist ja noch relativ früh und hell. Würdest du vielleicht das Beet unter den Rosen etwas umgraben? Am besten mit einem schönen tiefen Loch, damit er sehen kann, dass da gar nichts ist. Die Rosen kann ich neu pflanzen."
Ralf schnaubte wehleidig.
"Och Helen ... Muss das wirklich jetzt sein? Ich bin gerade erst von der Arbeit gekommen ..."
Damit hatte er auch schon sein Pulver verschossen.
Sie trat einen Schritt näher auf ihn zu.
"Schau mal ... Er ist wirklich aufgebracht. Wenn wir die Sache nicht klären, bevor er ins Bett geht, wird er mit Sicherheit Alpträume haben. Er wäre bestimmt total froh, wenn du das für ihn machen würdest."
"Also gut." seufzte Ralf und rollte übertrieben die Augen, um die Ironie seines Gejammers zu unterstreichen.
"Danke dir."
Helen drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

Eine knappe halbe Stunde später schaute sie aus dem Küchenfenster. Die Sonne hatte ihren Abstieg Richtung Horizont begonnen und den Nachmittag in diffuses Gold getaucht. Ralf stocherte mit seinem Spaten zwischen den kuppelförmigen Sträuchern herum. Genau dort, wo Jonas ihr die Stelle markiert hatte.
Die Rosen lagen an grüne Plastikstöcker gebunden kreuz und quer auf dem Rasen verteilt.
Helen klopfte gegen sie Fensterscheibe. Ralf drehte sich um und signalisierte, dass sie Jonas Bescheid geben könne.
Sie hob den Daumen, zog sich Gummistiefel an und pochte gegen seine Zimmertür.
"Jonas? Kommst du mal bitte? Papa ist da und möchte dir gerne etwas zeigen."
Eine Reihe von gedämpften Geräuschen drang aus dem Inneren. Dann waren kleine Schritte zu hören, die sich der Tür näherten.
Jonas öffnete. Seine großen, grünen Augen blickten Helen fragend an.
"Zieh dir mal deine Schuhe an. Papa ist im Garten. Keine Angst. Wir sind ja bei dir und passen ganz doll auf dich auf."
Schweigend blieb Jonas auf der Türschwelle stehen und sah zögerlich zur Terrassentür hinüber. In seinem Kopf arbeitete es.
"Und du kommst auch mit?" fragte er.
"Na klar." lächelte Helen zurück und hielt ihm ihre Hand hin.
Er nahm sie und folgte ihr in den Garten.
Ralf stand breit grinsend und triumphierend am Rosenbeet, als hätte er gerade den Nobelpreis gewonnen. Einen Fuß lässig auf den Spaten gestützt.
Wild winkend rief er: "Da ist ja mein Großer!"
Schüchtern winkte Jonas zurück. Wieder schlossen sich seine kleinen Finger immer fester um Helens Hand, während sie auf das Beet zugingen. Als er sah, dass die Rosen wie erschossene Gefangene auf dem Gras herumlagen, wurde sein Gesicht leichenblass. Blankes Entsetzen fraß sich durch sein Gesicht.
Ralf bemerkte es sofort.
"Keine Angst, Spider-Boy." Er beugte sich zu ihm hinab. "Mami hat mir erzählt, was heute beim Spielen passiert ist. Siehst du - Da ist gar nichts unter der Erde. Nur Steine und ein paar Würmer."
Stolz präsentierte er sein frisch ausgehobenes Grab. Jonas starrte mit weit aufgerissenen Augen in die dunkle Leere, die sich vor ihm auftat. Einige Sekunden lang stand er wie versteinert über dem schlammigen Loch.
Dann sprang er kreischend zurück und krallte sich wie eine panische Katze in Helens Beine. Tränen schossen aus seinen hervorgequollenen Augen.
"NEIN!!!" schrie er immer wieder. "IHR HABT IHN RAUSGELASSEN!!!"
Vollkommen verblüfft und erschrocken sahen sich Ralf und Helen an. Jonas riss so stark an ihren Beinen, dass er sie fast aus dem Gleichgewicht gebracht hätte. Er warf sich brüllen auf den Rasen und schlug wild um sich. An den Fenstern des Nachbargebäudes tauchten die ersten neugierigen Gesichter auf.
"Jonas!" rief Helen immer wieder und versuchte ihren Sohn auf die Füße zu heben. Aber er wurde immer hysterischer.
"MACHT ES ZU!!! MACHT ES ZU!!!"
Dann riss er sich los und stürzte winselnd und ächzend zurück ins Haus.
Fassungslos blickten ihm seine Eltern nach. Ralf fand als erstes die Stimme wieder.
"Was um alles in der Welt war DAS denn?"
Helen schüttelte apathisch den Kopf.
"Ich habe keine Ahnung. Ich gehe und rede mit ihm."
"Okay. Ich schütte hier noch kurz alles wieder zu und komme dann nach."

Noch benommen und mit einem unbehaglichen Klingeln in den Ohren trat Helen durch die Terrassentür und hielt vor Jonas Zimmer.
Wieder klopfte sie, trat aber, ohne auf Antwort zu warten, sofort ein. Er hatte sich so weit in die Zimmerecke auf seinem Bett verkrochen, dass man glauben konnte, sein Körper würde aus der Wand herauswachsen. Er stierte mit bebenden Lippen und tränenüberströmtem Gesicht ins Nichts. Helen näherte sich vorsichtig und setzte sich zu ihm.
"Schatz ..." begann sie und wusste nicht, wie sie weitermachen sollte. Er reagierte nicht auf sie. Nicht auf ihre Worte, nicht auf ihre Hände, nicht auf ihre Umarmung. Ralf erschien in der Tür.
"Hey, Großer. Du kannst mir glauben. Da war niemand. Ich habe die ganze Zeit gebuddelt und nur Dreck und Erde gefunden. Ich habe das Loch gerade wieder zugeschüttet."
"Zu spät ..." antwortete Jonas mit erschreckend ausdrucksloser Stimme. "Jetzt ist es zu spät."
Sie versuchten noch eine geschlagene halbe Stunde lang ihn zu überzeugen, dass es keine begrabenen Menschen in ihrem Garten gab. Schließlich einigten sie sich, dass sie nachher Abendbrot essen und morgen etwas tolles unternehmen würden. Während des Essens sprach Jonas kein Wort. Er kaute auf den beiden Salamibroten herum und trank seine Milch. Dann ging er ohne Widerstand ins Bett. Helen setzte sich zu ihm aufs Bett als er in seinem Spiderman-Schlafanzug unter der Decke lag und geistesabwesend vor sich hin starrte. Sie strich ihm durch die blonden Haare.
"Wenn du heute Nacht schlecht träumst, kannst du zu uns kommen, okay? Dann legen wir deine Matratze zu uns ins Schlafzimmer."
"Ich werde nicht schlecht träumen." antwortete er, ohne sie anzusehen.
Helen seufzte ratlos und küsste seine Stirn. Dann stand sie auf und verließ das Zimmer. Gerade, als sie die Tür anlehnen wollte, sagte Jonas:
"Mami? Du weißt doch, dass ich dich und Papa lieb habe, oder?"
"Natürlich wissen wir das, Schatz. Und wir haben dich auch ganz doll lieb." Es fiel ihr schwer, eine Träne zu unterdrücken. Sie schaltete das Licht im Flur aus und setzte sich mit Ralf noch ein wenig vor den Fernseher.

Mitten in der Nacht wachte Ralf von irgendetwas auf. Draußen ging ein markerschütternder Dauerregen nieder, der das benachbarte Baugelände in eine Moorlandschaft verwandelte. Schlaftrunken rappelte er sich im Bett zurecht und rieb sich ein paar verkrustete Krümel aus den Augen. Helen schlief weiter und schnorchelte auf ihre fast niedliche Art etwas.
Ralf verspürte Durst. Er sah auf die Uhr - 01:44. So lautlos wie möglich stieg er aus dem Bett und schlurfte hinüber zur Schlafzimmertür. Als er sie hinter sich geschlossen hatte, fühlte er, wie ein feuchter, kalter Wind seinen Rücken emporkroch. Das Prasseln des Regens klang, als würde jemand Eiswürfel auf einem Wellblechdach auskippen.
Irgendetwas stimmte nicht.
Ralf spürte, wie sein Adrenalinspiegel mit jeder Sekunde weiter ansteig. Plötzlich war er hellwach. Auf Zehenspitzen schlich er durch den in Schatten getauchten Flur. Noch bevor er das Wohnzimmer betrat, war ihm klar, dass die Terrassentür offen stehen musste.
Und so war es auch.
Durch den breiten Spalt wehte der Wind dicke Regentropfen auf den Fußboden. Die Gardinen blähten sich auf, wie viel zu dünne Segel an einem Schiff und fielen wieder in sich zusammen. Das Wohnzimmer war in kaltes, dunkelblaues Licht getaucht, das sich wie ein Ölfilm über Möbel und Wände legte.
Entnervt schaltete er das Licht ein und ging auf die Terrassentür zu. Nach dem dritten Schritt jagte ein namenloses Grauen durch sein Gehirn. Ralfs Herz setzte einen Schlag aus und donnerte dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Ein dicker Klumpen Teig schien in seiner Kehle aufzuquellen.
Eine Spur aus schlammigen Fußabdrücken zog sich von der Terrassentür quer durch das ganze Wohnzimmer und verschwand in der Dunkelheit des Flures.
Mit hämmerndem Puls trat Ralf näher. Die Abdrücke waren riesig. Mindestens vier Nummern größer als seine eigenen. Einzelne Zehen waren in dem breiigen Matsch aus schwarzer Erde zu erkennen. Ralf sah, wie die Abdrücke in der Finsternis des Flures versanken und folgte ihnen zögernd. Direkt vor Jonas Tür endeten sie.
Er schmeckte Metall auf der Zunge. Seine Finger zitterten, als er nach der Klinke griff. Schnaufend schnitt sich sein Atem durch das ferne Trommeln der Regentropfen. Langsam öffnete er die Tür und fingerte blind nach dem Lichtschalter. Die Lampe ertrank den Raum in grellem Licht, und Ralfs Augen zuckten schmerzhaft zusammen. Nichts als tanzende lila Flecke ...
Das Fauchen der Farben löste sich auf. Konturen erschienen und schoben sich zu Jonas Zimmer zusammen.
Sein Bett war leer. Nirgendwo eine Spur von ihm.
Entsetzt sah Ralf, dass sich die Fußabdrücke bis zum Bett fortpflanzten.
Die ganze Nacht hindurch stellten er und Helen mit Hilfe der Polizei und Nachbarschaft die gesamte Umgebung auf den Kopf.
Jonas war verschwunden.
Und blieb es.

 

Moin.
Kurze Anmerkung: Ich habe die Geschichten "Marlon" und "Jonas" quasi parallel geschrieben.
Manchmal drängt einen eine Story dazu, sie fertigzuschreiben.
Dass ich jetzt "Jonas" veröffentliche, bevor ich die Kritik an "Marlon" umgesetzt habe, ist wirklich nicht respektlos gemeint.
Ich bin für die sehr guten Tipps und Anregungen zu "Marlon" dankbar und werde sie jetzt - da ich nun den Kopf frei habe - mit Freude umsetzen.

 

Hallo Filbert,

Willkommen hier.

Ich möchte dir einen kurzen Eindruck geben:

Einen solchen Blick hatte sie noch nie bei ihm gesehen.

So hatte sie ihren Sohn noch nie gesehen
Das wiederholt sich.

Aber Helen sah sofort, dass er nicht vor IHR Angst hatte, oder vor dem, was SIE sagen könnte.
Anstatt Großbuchstaben würde ich das kursiv schreiben.

"MACHT ES ZU!!! MACHT ES ZU!!!"
Comic-Schreibweise hat in literarischen Texten m.E. nichts zu suchen.
Ein Ausrufezeichen reicht. Kleine Buchstaben genügen.

"Da ist jemand im Garten ..." (KOMMA) wiederholte er fast flüsternd.
Kommt öfter vor.

Sein Blick huschte zum Fenster und sofort wieder auf den Küchenboden zurück. Als sähe er dort drüben etwas, das er nicht sehen wollte. Für einen Sekundenbruchteil zweifelte Helen, ob ihr etwas entgangen war. Aber so groß war ihr Garten nun auch wieder nicht, dass sich jemand darin verstecken konnte.
Da wird mir zu oft wiederholt. Das raubt die Spannung. Die Blicke, das Fenster, die Zweifel …
Besser wäre, hier zu kürzen.

"Jonas (LEERZEICHEN)..."(KOMMA) beschwichtigte Helen ihn mit ernster Stimme.
Hast du öfter.

Aber es gab nichts, was er ihrer Logik entgegensetzen konnte. Sie würde darauf bestehen und nicht eher locker lassen, bis er sich vom Gegenteil überzeugt hatte.
Auch hier wieder: Viel zu viel Text.

Eine Grünfläche, auf der man provisorisch Fußball spielen konnte.
Wie spielt man denn provisorisch Fußball? :)

Zur Ost- und Südseite
Zur Süd-Ost-Ecke
Weiß nicht, aber ich habe hier die Orientierung verloren. Warum nicht einfacher? Z.B. „die Seite zum Weg“, „die Grenze zu den Garagen o.ä.“
Generell ist mir persönlich die Beschreibung des Gartens viel zu ausführlich.
Steigert nicht gerade die Spannung. :sleep:

"Unter den Rosen", unterbrach sie Jonas.
"In der Erde unter den Rosen ist jemand."
Durch den Zeilenwechsel scheint es, als spräche Helen.

Aber sie sah ihm an, dass die Angst vor dem, was er unter ihren geliebten Rosen glaubte, real war.
Hier wieder die „Angst“. So langsam habe ich begriffen, dass Jonas Angst hat. :Pfeif:

Helen betrachtete die prallen Rosenblüten, die sich unter dem Gewicht des Regens, das sich in ihnen gesammelt hatte, leicht nach unten bogen
Mir kommt es vor, als hörte ich das mit dem Gewicht des Regens oder dem nach unten biegen zum wiederholten Male.

Ich höre hier erst mal auf und schaue vielleicht später wieder rein.
Gefällt mir bis dahin. :thumbsup:
Nur, dass man m.E. bestimmt ein Viertel kürzen könnte.

Dass ich jetzt "Jonas" veröffentliche, bevor ich die Kritik an "Marlon" umgesetzt habe, ist wirklich nicht respektlos gemeint.
Okay. Aber warum hast du die erste Story denn nicht überarbeitet?

Hoffe, du kannst mit meinem ersten Eindruck was anfangen.
Wünsche dir noch viel Spaß hier.

Beste Grüße,
GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Okay, dann mach ich mich mal an die neue Geschichte unseres vielversprechenden Horrortalents. :)

"Mami?"
Helen zuckte zusammen und ließ beinahe den Teller ins Spülbecken fallen. Sie hatte sich dermaßen in der Monotonie des Abwaschens verloren, dass sie Jonas Schritte gar nicht hörte.
Dein Anfang gefällt mir, obwohl ich es mit wörtlicher Rede zu Beginn nicht so habe. Ich mag es lieber, wenn der Leser ein bisschen Zeit bekommt, sich einzufinden in Ort und Zeit. Hier geht das aber sehr gut, weil nach der eindeutigen Anrede auch gleich eine häusliche Szenerie kommt. Das passt.
Nur mit den Zeiten hast du es wohl nicht so. :D Es müsste "gehört hatte" heißen.


Sein Gesicht kam ihr fremd vor. Einen solchen Blick hatte sie noch nie bei ihm gesehen.
Das sind zwei Sätze, die absolut dasselbe aussagen. Ich würd den ersten stehen lassen, denn später "blickts" in deinem Text noch öfters.


Wassertropfen glänzten auf der etwas zu großen Jacke. Der Regen hatte schon vor ein paar Stunden aufgehört.
Beim Schreiben verwendet man oft die Aneinanderreihung von Hauptsätzen. Trotzdem nicht die wunderbaren Satzgefüge (Hauptsatz-Nebensatz) vergessen, oft stellen die genau den logischen Zusammenhang her, den man aus den Satzreihen schwerer erschließt. Hier würd ich schreiben:
Wassertropfen glänzten auf der Jacke, obwohl der Regen schon vor ein paar Stunden aufgehört hatte.
Ich persönlich finde einen Stil am schönsten, der es schafft, Satzaufbau, Satzanfänge und Satzlängen zu variieren.

"etwas zu großen" habe ich gestrichen, weil du mit diesem Bild gar nichts mehr anfängst. Wozu ist das dann wichtig, dass die Jacke zu groß ist? Wenn Beschreibungen, dann, um den Menschen damit zu charakterisieren, dann aber auch einprägsame Details verwenden oder aus dem Bild der zu großen Jacke mehr machen, zum Beispiel es benutzen, um Jonas Verlorenheit auszudrücken, dann würde ich meinen inneren Kamerablick aber auch genauer und länger auf Jonas richten.


Er musste mal wieder auf allen Vieren durch das hohe Gras gerobbt sein, das Ralf schon vor drei Tagen mähen wollte.
hatte mähen wollen


Mit einem Ausdruck von Schuld und Verlegenheit starrte er auf einen Punkt im Nichts und fummelte nervös mit den Fingern herum.
Setz "Jonas" ein, sonst bezieht es sich auf Ralf.


Zuerst dachte Helen, er hätte irgendetwas ausgefressen oder kaputtgemacht. Etwas, von dem er mit seinen sechs Jahren wusste, dass er es nicht unter den Teppich kehren konnte. Doch da war noch etwas anderes in seinem Blick. Es war die Angst vor Konsequenzen.
nicht unter den Teppich kehren konnte, find ich als Bild für das, was Kinder tun, wenn sie zum Beispiel schwindeln, nicht so passend. Klingt mir zu erwachsen und es unterscheidet sich auch nicht von "Angst vor den Konsequenzen". Das müsste man genauer fassen.


Aber Helen sah sofort, dass er nicht vor IHR Angst hatte, oder vor dem, was SIE sagen könnte. Das, wovor er sich fürchtete, schien weit entfernt und doch bedrohlich nah.
Das Markierte könnt man streichen.


Sie legte den Teller beiseite und trocknete die Hände am Geschirrtuch ab. Gerade wollte sie einen strengen Gesichtsausdruck wegen der frischen Schlammspur auf dem Fußboden aufsetzen.
Wenn du einen Satz mit gerade beginnst, verlangt er nach einer Fortsetzung, die zeitliche Entsprechung fehlt bei dir aber noch. Gerade wollte sie .... da passierte ....
Oder du formulierst um.


Schlagartig hämmerte Helens Herz bis an die Mandeln.
Nee, das klingt unfreiwillig komisch, das geht ja gar nicht.


Seit knapp zwei Stunden war er im Garten zugange, hatte imaginäre Piratenhorden in die Flucht geschlagen und ging zwischen Gemüsebeet und Plastikstühlen auf Großwildjagd. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Phantasie mit ihm durchging.
Zeitfehler, du bringst den Leser ins Schleudern, weil er nicht gleich merkt, dass du Helen auf das früher gelegene Spiel des Jungen "blicken" lässt.
Schreib also war er zugange gewesen (oder kürz es hier überhaupt etwas zusammen auf die schöne Idee mit seinen Spielen). Zum Beispiel so (ist natürlich immer nur als Vorschlag und als (hoffentlich) Veranschaulichung meines Hinweises gemeint): Seit Stunden hatte Jonas zwischen Gemüsebeet und Plastikstühlen Löwen gejagt und Piratenhorden in die Flucht geschlagen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Phantasie mit ihm durchging.


Verloren stand er in der Küchentür und wagte es nicht, ans Fenster zu treten, als wäre der Fußboden mit Bärenfallen übersäht.
übersät (es leitet sich von säen ab, also ohne h)
Ich weiß nicht, dieses Bild mit den Bärenfallen gefällt mir nicht. Eigentlich müsste da ein Bild folgen, das die kindliche Angst aufgreift und sind Bärenfallen ausgerechnet das, wovor ein Junge wie Jonas sich so sehr fürchtet? Kennt er die überhaupt? Da spricht nicht so sehr das Kind mit seiner Angst, sondern zu sehr der Autor, der sich um einen frischen Vergleich bemüht, der Vergleich soll aber auch passen.

Hier mach ich mal Schluss und steig erst wieder am Ende ein. Das klingt jetzt alles sehr kritisch, ich weiß, fast bei jedem Satz mecker ich rum, ist aber überhaupt nicht so gemeint, sondern das sind einfach Beispiele dafür, wie man einen Text noch weiter überarbeiten sollte und könnte. Irgendwo drin hast du auch (glaub) einen Perspektivfehler, weiß nicht, ob ich ihn wieder finde.
Ansonsten find ich deine Art zu schreiben schön, ich mag es auch sehr, wenn Leute mit Bildern spielen und sich um neue, ungewohnte Vergleiche bemühen.

Inhaltlich fand ich das übrigens spannend, auch wenn mir da so eine zweite Ebene wieder fehlt (aber ich weiß ja selbst, wie sauschwer das ist, da immer was zu finden) und trotzdem so, dass man das Potential für blutigsauberen Horror und Grusel sieht, sonst würd ich auch gar nicht erst aufkreuzen. Bin ein bisschen kommentarmüde bei Neuusern, aber du klingst so, als würde ein bisschen Energie sich lohnen und ich freu mich auf deinen nächsten Text.

Mami? Du weißt doch, dass ich dich und Papa lieb habe, oder?"
Das fand ich toll. Hab hier eigentlich noch mehr erwartet, dass Jonas zum Beispiel irgendetwas Böses tun wird. Das hast du nicht so fortgesetzt, fands als Hinweis trotzdem gelungen. Hättest ruhig noch mehr auf eine Veränderung, die mit dem Kind vorgeht, bauen können.
Und auf jeden Fall hast du dir die Möglichkeit zu einer Fortsetzung eingebaut. :D

Hier noch was zum Ende:

Schnaufend schnitt sich sein Atem durch das ferne Trommeln der Regentropfen. Langsam öffnete er die Tür und fingerte blind nach dem Lichtschalter. Die Lampe ertrank den Raum in grellem Licht, und Ralfs Augen zuckten schmerzhaft zusammen. Nichts als tanzende lila Flecke ...
- Schnaufen und schneiden, das passt nicht so richtig zusammen. Vielleicht findest du für schnaufend was anderes, du kannst es aber vielleicht auch weglassen. Probier mal.
- die Lampe ertrank doch nicht, sondern sie ertränkte den Raum in grellem Licht. Find ich als Wort auch nicht so ganz gelungen, zumindest bin ich unsicher. Weil "ertränken" für mich Dunkelheit, Ende, Schwere verbunden ist, du willst aber doch eigentlich sagen, dass der ganze Raum jetzt von dem Licht geflutet, überströmt wird. Da würd ich einfach gucken, was andere dazu schreiben.
Die lila Flecke sind toll. Ebenso der nachfolgende Satz mit dem Fauchen der Farben. Das ist eine wirklich gut geschaffenen Atmosphäre.
Aber warum die drei Auslassungspunkte? Könntest du genausogut weglassen.

Das Fauchen der Farben löste sich auf. Konturen erschienen und schoben sich zu Jonas Zimmer zusammen.
Sein Bett war leer. Nirgendwo eine Spur von ihm.
Entsetzt sah Ralf, dass sich die Fußabdrücke bis zum Bett fortpflanzten.
Die ganze Nacht hindurch stellten er und Helen mit Hilfe der Polizei und Nachbarschaft die gesamte Umgebung auf den Kopf.
Jonas war verschwunden.
Und blieb es.
Was amS wegbleiben könnte, das habe ich unterstrichen. Ich würd besonders den letzten Satz wegdozen, ich finds viel stärker wenn du nach "Jonas war verschwunden" aufhörst.

Ich heiße dich nicht nur nachträglich willkommen, Filbert, sondern wünsch dir auch viel Spaß bei uns.
Viele Grüße von Novak

 

Moin GoMusic und Novak,

und besten Dank für eure umfangreiche Kritik.
GoMusic:
Guter Hinweis mit der "Comic-Schreibweise" und der Kommasetzung nach wörtlicher Rede. Da wäre ich so nicht drauf gekommen.
Viele deiner Beispiele beziehen sich auf zu ausführliche Beschreibung und Wiederholung. Deshalb fasse ich die mal sinngemäß zusammen. Die von dir aufgezählten Passagen werde ich entsprechend überarbeiten. Ein Viertel zu kürzen erscheint mir aus dem Bauch heraus etwas viel, aber mal sehen, wie viel an gekürztem Material zusammenkommt (Der Garten wird tatsächlich zu detailliert beschrieben).

"Provisorisch" Fußbalspielen ist tatsächlich etwas unglücklich formuliert. Ich wollte sagen, dass es nicht genug Platz gibt, um wirklich sinnvoll Fußball spielen zu können, unddass man sich lediglich den Ball hin und herkicken kann.

Die erste Story habe ich (noch) nicht überarbeitet, weil mir die ganze Zeit über "Jonas" im Kopf rumgespukt ist. Ich habe zwischenzeitlich versucht, "Marlon" zu korrigieren, aber es ging einfach nicht. Ich konnte mich schlichtweg nicht darauf konzentrieren.
Novak:
Danke für die Hinweise bezüglich Zeiten, Ausdruck und Satzbau. Ich werde den Text demnächst entsprechend überarbeiten und speziell die von dir angesprochenen Passagen abändern.

Ich muss zugeben, dass "Schlagartig hämmerte Helens Herz bis an die Mandeln." tatsächlich immer lächerlicher klingt, je öfter ich ihn lese - :D Fliegt also raus.

Das mit den Bärenfallen ist wohl eigener Erfahrung geschuldet. Ich selbst hatte als Kind immer ziemlich Bammel vor den Dingern, weil sie für mich wie verrostete Gebisse aussahen. Ich werde mir mal etwas generischeres überlegen.

Freut auf jeden Fall zu hören, dass dir die Geschichte inhaltlich gefallen hat. Ich fände eine zweite Ebene auch ziemlich spannend, aber da traue ich mich ehrlich gesagt noch nicht so ran. Würde lieber vorher noch etwas mehr Erfahrung sammeln und mich verbessern.

Dein Einwand, dass du von Jonas etwas Böses erwartet hast, hat mich ein bisschen irritiert. Ist klar geworden, dass die Schlammspuren nicht von Jonas stammen und nicht aus dem Bett ins Freie, sondern von draußen nach drinnen führen? Ich wollte Jonas eigentlich als Opfer darstellen und nicht als Besessenen.

Vielen Dank auf jeden Fall für eure wertvolles Feedback.

Ich hoffe, ich finde Anfang nächste Woche die Zeit, die ganzen Tipps und Hinweise für beide Geschichten umzusetzen.

Greetz...

 

Hallo Filbert,

auch mir gefällt der Anfang deiner Geschichte, auch wenn ich Novak verstehen kann, dass es nicht immer passend ist, eine Geschichte mit wörtlicher Rede anzufangen. Eine wörtl. Rede sollte meiner Meinung nach in einem engen Zusammenhang mit dem weiteren Verlauf der Geschichte stehen und das ist bei deiner ja der Fall - somit ein erster Pluspunkt :D

Sie legte den Teller beiseite und trocknete die Hände am Geschirrtuch ab. Gerade wollte sie einen strengen Gesichtsausdruck wegen der frischen Schlammspur auf dem Fußboden aufsetzen.
"Da ist jemand im Garten[.]"[Komma] druckste er, ohne den Blick aus dem Nichts zu ziehen.
Schlagartig hämmerte Helens Herz bis an die Mandeln.
Diesen Abschnitt finde ich etwas ungelenk geschrieben. Woran das liegt, überlege ich selber gerade noch ein bisschen. Beispielsweise empfinde ich die Angleichung der Sätze zueinander nicht so gut getroffen: "Sie legte den Teller beiseite und trocknete die Hände am Geschirrtuch ab" und dann: "Gerade wollte sie einen strengen Gesichtsausdruck wegen der frischen Schlammspur auf dem Fußboden aufsetzen." Vielleicht liegt es daran, dass du den ersten Satz nur auf eine Tätigkeit der Mutter beziehst und den zweiten auf ihre Gedanken. Ich würde vorschlagen, dass du den Satz z.B. so umänderst: "Sie legte den Teller beiseite und trocknete die Hände am Geschirrtuch ab. Sie wollte schon/gerade einen .... als....". Ist nur ein Beispiel und wirklich gut klingt der Satz nicht, das gebe ich zu, aber dir fällt sicher noch etwas ein.

"Pass auf[. >Komma, wie oben auch.]" sagte sie.
"Hallo, Schatz. Wie war euer Tag? Gehen dem Kurzen die Ferien schon auf den Zeiger?"[Komma] scherzte er.

Gerade als Helen ihn zum zweiten Mal aus seiner lauernden Position reißen wollte, hörte sie, wie jemand den Haustürschlüssel im Schloss versenkte.
Diesen Satz finde ich stark. Ohne den darauffolgenden,
Ralf hatte Feierabend.
, hätte ich bei dem Tag 'Horror' mit etwas anderem gerechnet :thumbsup:

Jonas war verschwunden.
Und blieb es.
Das "und bieb es" fände ich entbehrlich. Oder du ersetzt den Punkt durch einen Gedankenstrich, obwohl ich den Satz ganz streichen würde.

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen, vor allem, weil mich der Schreibstil angesprochen hat. Ich stimme GoMusic zu, dass man sie an manchen Stellen noch weiter kürzen könnte, auch wenn ich das Gefühl habe, dass du daran bereits ein wenig gearbeitet hast. Um noch etwas Positives detaillierter zu erwähnen, hebe ich mal den Gesamtbogen der Geschichte heraus. Die Umsetzung einer spannungsgeladenen Atmosphäre ist ja nicht unbedingt einfach ;)!

liebe Grüße,
SCFuchs

 

Dein Einwand, dass du von Jonas etwas Böses erwartet hast, hat mich ein bisschen irritiert. Ist klar geworden, dass die Schlammspuren nicht von Jonas stammen und nicht aus dem Bett ins Freie, sondern von draußen nach drinnen führen? Ich wollte Jonas eigentlich als Opfer darstellen und nicht als Besessenen.
Na klar ist das klar geworden, dass Jonas der Verfolgte ist. Und zwar sowas von!!! Keine Sorge. Da hab ich mich wohl zu missverständlich ausgedrückt.
So als Horrorliebhaberin ist man sehr aufmerksam und empfänglich für mögliche Geschichtenkurven und sieht überall neue Verläufe. Und mit meiner kurz ins Hirn geflogenen Idee, die du dann ja gar nicht durchgeführt hast, wollte ich dir nur den Hinweis geben, dass du mit der Stelle, an der Jonas seinen Eltern sagt, dass er sie liebt, intern eine Möglichkeit eingebaut hast, der Handlung eine neue Wendung zu geben.
Bis die Tage und mach dir mal keinen Stress.
Novak

 

Dann bin ich beruhigt :D
Man ist ja sebst sein schlechtester Kritiker und merkt oft gar nicht, wenn man sich total unverständlich ausdrückt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Filbert

Von mir nur ein einzelner Hinweis:

Er saß so regungslos und zusammengekauert auf seinem Bett, dass sie ihn beim ersten Blick durch das Zimmer gar nicht bemerkte. Wie Waldo auf dem Wimmelbild, den man auch beim dritten Versuch einfach nicht sah, obwohl man ihn direkt vor Augen hatte. Vor ihm auf der Matratze lag ein aufgeschlagenes Spiderman-Comicheft (Batman war ihm immer noch zu unheimlich), aber er schien es gar nicht zu beachten. Mit ausdrucksloser Mine starrte er durch die bunten Bilder einfach hindurch.
Helen war ratlos. Seine Aufregung war echt. Oder aber, er hatte für seine sechs Jahre ein beachtliches schauspielerisches Talent entwickelt, um dem Aufwischen seiner Schlammspur zu entgehen.

Das erscheint mir etwas fraglich. Zuerst heisst es, er sei regungslos, d.h. nicht rege, und danach heisst es, er sei aufgeregt, d.h. doch rege. Was stimmt wirklich? – Tatsächlich trifft wohl eher ersteres zu. Er starrt auf die Bilder im Comicheft, ist also starr, d.h. nicht rege. Wenn da statt Aufregung Entsetzen zu lesen wäre, dann käme mir zumindest die Sache eindeutiger vor. Dass er seelisch wie ausser sich ist, dürfte der Grund seiner körperlichen Erstarrung sein.
Man muss freilich zugestehen, dass solche Seelenlagen schwierig zu beschreiben sind. Selbst diejenigen, die sich häufig mit ihnen beschäftigen, benutzen dafür Begriffe, die sich schnell verwirrend auswirken können (siehe Ambivalenz und Ambitendenz). Am ehesten lässt sich eine Verwirrung wohl damit vermeiden, dass man zeitliche und örtliche Bezüge möglichst klar macht. Wenn du örtlich zwischen seelischen (inneren) und körperlichen (äusseren) Vorgängen klar trennst und überdies auch noch klarstellst, dass er zeitlich zuerst vor lauter Angst erregt und später wiederum vor lauter Angst erstarrt war, dann wirkt es bestimmt weniger verwirrend.
Wie eingehend du hingegen sein Innenleben beschreiben darfst, weiss ich nicht, weil sonst womöglich die Geschichte weniger dunkel, weniger geheimnisvoll und weniger spannend würde.

Hoffentlich ist jetzt, was ich sagen wollte, klar und unzweideutig?

Gruss teoma

PS: Hoppla, da habe ich die Namen verwechselt. Jetzt steht der richtige Name oben.

 

Moin teoma,

kurz zur Richtigstellung: Jonas ist der Name der Geschichte ;)
Ja, du hast recht. Das passt nicht wirklich gut zusammen.
Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass statt "Aufregung" "Anspannung" noch am besten passt.

Greetz ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Filbert,

ich habe leider keine Zeit für einen ausführlichen Kommentar, wohl aber für eine kurze Rückmeldung:

Gefällt mir!
Besonders der erste Teil. Für meinen Geschmack hast du die Theorie "Alles nur kindliche Phantasie" etwas zu sehr in den Fokus gerückt. Natürlich glaubt die Mutter daran und es ist auch richtig, diese Option zu erwägen. Ich als Leser konnte diese Option aber quasi ausschließen. Somit hinkte mir die Story meinem gefühlten Wissensstand hinterher.

Als Jonas so hysterisch war, dass die den Toten befreit haben, ließ mein Interesse etwas nach. Spätestens ab diesem Moment war ja das Ende vorprogrammiert. Es gibt zu viele Geschichten, die in diese Richtung gehen, insbesondere musste ich an den Film "The Ring" denken. Besonders innovativ ist der Plot ja nicht, aber gut beschrieben.

Viele Grüße

Ephraim

 

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