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Jonas und Ben
Jonas und Ben
Der Spielplatz wurde von der juniwarmen Nachmittagssonne beschienen.
Jonas saß auf einer Bank und wartete auf seinen Freund Ben.
Die große Platane, die an der Rutsche am Rande der Wiese ihre Krone wie einen Dom ausbreitet, machte mit ihren Blättern ein Licht- und Schattenspiel auf Jonas nackten Knien.
Ben wohnt genau gegenüber vom Spielplatz und seine Mutter kann vom Küchenfenster auf das Klettergerüst und die große Rutsche sehen.
Jonas ist zwei Monate jünger als Ben, sie werden beide dieses Jahr noch sieben Jahre alt und sie gehen zusammen in die „Tigerentenklasse“ 1b.
Schon im Kindergarten waren sie unzertrennlich, so, als wären sie Zwillinge.
Um den ganzen Spielplatz wächst eine hohe Ligusterhecke, die von Herrn Krause geschnitten wird. Er verdient sich dadurch ein paar Euro dazu, denn er ist schon lange arbeitslos. Allerdings ist die Hecke am Rande der Sandkiste zu einem ziemlich wildem Gebüsch geworden und an manchen Stellen schon recht verholzt.
Ein kleiner, aber mit Autos befahrbarer Schotterweg führt hinter dem Buschwerk zum Altenheim „Oase“. Dieses liegt in einem parkähnlichen Gelände mit vielen Bänken zum Ausruhen.
Seit ein paar Wochen spielen die Jungs am liebsten Ritter. Das Altenheim ist die feindliche Burg und das Haus in dem Ben wohnt ist die eigene, in ihrer Phantasie mit Zinnen, Türmchen und Schießscharten versehene Festung.
Manchmal verstecken sich Ben und Jonas in der Hecke nahe am Sandkasten zum Überfall oder Beobachten bereit.
Ben sagt immer, seine Mutter mache sich Sorgen, wenn sie ihn nicht sehen kann. Die Sandkiste ist von ihrem Fenster nicht einsehbar. Aber Jonas meint dann, sie ist eben das Burgfräulein, was am Fenster steht und weit ins Land nach ihrem mutigen Ritter Ausschau hält.
Zur Zeit der alten Ritter war das so, das hat Jonas von seinem Vater gehört.
Jonas Eltern gehen beide arbeiten und er geht nach der Schule in den Hort, wo er mittags essen kann und gleich seine Hausaufgaben macht.
Als er heute nach Hause kam, hat er seine Schultasche in den Flur gestellt und sich schnell seine anderen Sachen angezogen, sich einen Apfel genommen und ist los. Dabei hat er den Schlüssel in seinem Zimmer
liegen lassen und die Wohnungstür zu geknallt.
Na ja, regnen wird es heute nicht und wenn doch, dann kann er mit zu Ben
gehen, bis seine Mutter kommt. Das macht er öfter und meistens klingelt sie erst bei Bens Eltern, wenn sie ihn auf dem Spielplatz nicht sieht.
Aber wo bleibt sein Freund?
Heute wollen sie doch ihr Versteck ausbauen und im Gebüsch ein Loch buddeln, in das sie ihre Schwerter und die selbst gebastelten Schilde aus dicker Pappe legen wollen.
Wahrscheinlich muss Ben nach dem Essen erst seiner Mutter helfen.
Seinen kleinen Hamster „Knirps“ versorgt er gern, aber abtrocknen und Müll herunter tragen, das nervt ihn ganz schön. Dann macht er Hausaufgaben, die seine Mutter kontrolliert, ehe er auf den Spielplatz darf. Jonas findet, dass er es da besser hat.
Seine Mutter oder der Vater sehen sich abends die Aufgaben an und reden mit ihm über den Tag. Das ist ab und zu ganz schön schwierig, die wollen immer so viel wissen. Aber es ist auch ganz gemütlich, wenn sie alle drei auf dem Sofa sitzen und kuscheln.
Bens Eltern sprechen abends nicht mit ihm über den Tag, es kommt auch vor, dass er alleine Abendbrot essen muss.
Er hat seinem Freund schon öfter erzählt, wie sich seine Eltern streiten.
Sie reden immer über das Geld und davon, dass sie sich keinen Urlaub und kein Auto leisten können. Bestimmt, weil seine Mutter wegen ihm nicht arbeiten geht, meint Ben und ist darüber ganz traurig. Wenn er doch nur genug in seinem Sparschwein hätte, dann könnte er den Eltern ein Auto kaufen, rot müsste es sein, „schumirot“.
Da kommt Ben endlich angerannt und ruft schon nach Jonas. Sein Freund rennt über den Platz und seine blaue Kappe fliegt ihm dabei vom Kopf. Wie immer, denn Ben hat so viele dicke schwarze Wuschelhaare, da hält die Kappe einfach nicht.
Jonas hat auch seine Kappe auf, natürlich verkehrt herum, damit man das Logo sehen kann. Aus dem Loch, was sich zwischen Kappe und dem Band zum Verstellen der Größe bildet, gucken hellblonde Haare hervor. Sein Lieblings-T-Shirt ist rot und am Halsausschnitt rot-weiß gestreift.
Die Ärmel haben auch rot-weiße Streifen, aber der untere Teil ist nur rot.
Heute ist es heiß und die Sonne strahlt Jonas an. Da ist es gut, dass die Ärmel kurz und weit geschnitten sind.
Seinen Apfel hält er mit beiden Händen und will ihn jetzt schnell aufessen. Er schält immer zuerst mit den Zähnen die Schale ab, weil ihm das Fruchtfleisch dann besser schmeckt.
Meist bekleckert sich Jonas und deshalb hält er den Apfel etwas ab, damit das Bildchen auf seinem T-Shirt sauber bleibt.
Die beiden Ritter haben sich vorgenommen den Spielplatz vom
Gebüsch aus zu bewachen. Besonders die Sandkistenecke, wo meist die Mädchen spielen.
Seit drei Wochen ist nämlich Johanna verschwunden. Sie kannten Johanna aus dem Kindergarten und die Polizei hat gesagt, dass sie vom Spielen nicht nach Hause gekommen sei, vielleicht ist sie mit einem Fremden mitgegangen.
Jonas und Ben finden das ganz merkwürdig, denn die Erwachsenen, die sie hier immer sehen, kennen die beiden alle.
Ben erzählt seinem Freund, dass er sich bei seiner Mutter jede Stunde einmal melden soll. Auch die Eltern von Jonas haben mit ihm über das Verschwinden von Johanna gesprochen und dass er mit niemandem mitgehen darf.
Na ja, jetzt wollen sie aber endlich ihr Versteck ausbauen und gleich einmal das Bewachen üben, aber die Sandkiste ist noch leer.
Die Mädchen sind noch nicht da, auch die ganz Kleinen mit ihren Müttern nicht.
Was nun? Mal sehen, vielleicht sitzt Opa Max auf seiner Bank, drüben am Schotterweg?
Ja, da ist er.
Mit Opa Max unterhalten sich die Kinder immer gern, er weiß viele spannende Geschichten.
Nur wenn der Mann aus dem Altenheim kommt, der so viel mit ihnen schimpft, dann nehmen sie Reißaus. Das ist der Pfleger Helmut, sagt Opa Max und die Jungs lachen: „ Pfleger – Feger „ spotten sie.
Ben schwärmt für Autos, besonders für den roten Porsche, der oft hier steht. Er würde gern einmal mitfahren, aber er traut sich nicht zu fragen, denn das Auto gehört dem "Feger".
Vielleicht könnte Opa Max…?
Ach, den Wagen hat der Helmut doch gar nicht mehr. Er hat doch jetzt ein silbernes Audi-Cabriolet.
Den Porsche hat er an den Schwiegersohn von Opa Max verkauft. Das ist bestimmt schon vier Wochen her.
S c h w i e g e r s o h n – das Wort haben Ben und Jonas noch nie gehört.
Ob das so ähnlich ist wie Stiefmutter, die im Märchen immer böse zu den Kindern ist? Jetzt muss Opa Max lachen.
Drüben vom Spielplatz hört man Kinderstimmen und nun springen die beiden Jungs auf und lassen Opa Max allein auf seiner Bank zurück.
Mit ihren Schwertern und Pappschilden bewaffnet schleichen sie sich um den ganzen Spielplatz herum. Sie können nur auf den Händen und Knien durch das Ligusterholz kriechen. Aber das macht ihnen nichts aus, denn ein edler Ritter, der sein Land bewacht, hat es eben schwer.
Auf der Wiese an der Platane spielen die großen Jungs Fußball. Einer hat Jonas und Ben entdeckt und sie aus der Hecke gezogen. Sie erzählen den Großen, dass sie den Spielplatz bewachen wollen, weil doch Johanna verschwunden ist.
Aber die Fußballhelden schütteln nur mit den Köpfen und tippen sich mit dem rechten Zeigefinger an die Stirn.
Es ist sowieso Zeit nach Hause zu gehen und so gehen Ben und Jonas zurück über den Spielplatz und dann jeder in seine Richtung.
Als Jonas zu Hause ankommt schmerzt sein rechtes Knie heftig. Es ist ganz rot und wird schon dick. Ein Rosendorn hat sich in die Haut gebohrt.
Gut, dass seine Mutter schon da ist und ihm gleich helfen kann.
Am nächsten Morgen ist das Knie ganz entzündet und er muss mit seiner Mutter zum Arzt. Jonas bekommt einen Verband und darf ein paar Tage nicht in die Schule.
Er ärgert sich ganz schrecklich, weil er doch nun nachmittags mit seinem Ritterfreund den Spielplatz nicht bewachen kann.
Nach der Schule kommt Ben vorbei und sie beraten, wie er ohne Jonas die heimatliche Festung, die feindliche Burg und auch noch den Spielplatz belauern kann. Nach langem hin und her und natürlich äußerst geheimnisvollem Flüstern in Jonas Zimmer haben die Jungs die Lösung gefunden.
Es ist ganz klar mit der Burg „Oase“ muss ein Friedensvertrag geschlossen werden. Dann kann Ritter Ben die Mädchen vom Gebüsch aus allein im Auge behalten.
In der Schule wurde nichts Neues von Johanna erzählt, ruft Ben seinem Freund noch zu, als er die Treppe hinunter springt. Oben hört man nur noch, wie die schwere alte Haustür laut ins Schloss fällt.
Die dunklen Locken von Ben wippen lustig auf und ab, weil er flink über den Platz läuft. Zuerst muss er zu Opa Max und den Friedensvertrag mit ihm schließen. Natürlich nur im Spiel, denn der freundliche alte Herr weiß gar nicht, dass die Jungs sein Altenheim zur feindlichen Burg erklärt haben.
Außerdem geht er gern zu Opa Max und erzählt sich etwas mit ihm, der hat auch oft eine kleine Leckerei in der Tasche.
Ben sieht, Opa Max hat Besuch. Sein Sch…, wie heißt der Sohn? Ach, dieses schwere Wort, jedenfalls steht das rote Auto gleich hinter der Hecke
auf dem Schotterweg.
Da wird sich sein alter Freund aber freuen, denn er hatte schon seit drei Wochen keinen Besuch mehr.
Der kleine Lockenkopf geht den Weg hinauf zum Altenheim, er will fragen, ob Opa Max seinen Besuch schon gesehen hat?
Als Ben nach ihm fragt, sagt die Schwester, dass er vor einer halben Stunde mit der Taxe zum Frisör gefahren ist.
So trottelt der Junge zurück zum Spielplatz, richtige Lust, sich alleine ins Gebüsch zu setzen und aufzupassen, hat er nicht.
Da sieht er das schumirote Auto noch stehen. Ob der Mann noch gar nicht weiß, dass er ganz umsonst gekommen ist?
Ben geht zum Auto.
Nach ein paar Tagen tut Jonas das Knie fast gar nicht mehr weh und er hat nur noch ein Pflaster auf der Wunde.
Morgen geht er wieder in die Schule und wird von Ben hören, was es Neues
bei der ritterlichen Belagerung gibt.
Doch als Jonas in den Klassenraum kommt, ist Bens Platz leer.
Die Lehrerin, Frau Blume, kommt herein und macht ein ernstes Gesicht.
Sie sagt, dass ein Mann von der Polizei in der Schule ist und allen Kindern
Fragen stellt.
Bestimmt geht es immer noch um Johanna, denkt Jonas.
Dann kommt der Polizist in die Klasse. Er ist ganz freundlich und fragt als erstes, wer denn der beste Freund von Ben ist.
Alle wissen, dass es Jonas ist und der meldet sich auch gleich.
Wann hat er denn den Ben das letzte Mal gesehen, will der Polizist wissen.
Jonas erzählt die Geschichte von seinem Knie und davon, was er mit Ben
besprochen hat.
Frau Blume sagt, Ben sei seit diesem Nachmittag verschwunden und man suche nach einem roten Auto.
Als Jonas nach der Schule nach Hause geht, ist der Spielplatz ganz leer und verlassen.
Ob das nur an dem strömenden Regen liegt, der seit heute Morgen fällt?