Jolina und Linus-Der rote Ritter
Früher, als es noch Ritter und Könige gab, lebte die kleine Königstochter Jolina. Sie war damals zehn Jahre alt. Jolina war nicht so, wie man sich eine Prinzessin vorstellt. Sie hatte rote, lockige Haare, die wild vom Kopf abstanden, und dunkelgrüne Augen. Jolina liebte die Natur und die Tiere, und meistens trieb sie sich im Wald herum. Die Prinzessin hasste Kleider und Röcke. Ihr Vater fand das gar nicht gut. Er wollte, dass Jolina sich anständig benahm und sich nicht dreckig machte. Also schlich Jolina heimlich in den Wald und trug nur Kleider, wenn ihr Vater in der Nähe war. Die Prinzessin hatte aber noch ein Geheimnis: Ihr bester Freund war Linus, ein Knappe. Der König hätte ihre Freundschaft nie geduldet, deswegen trafen sie sich heimlich.
Eines Tages, als die königliche Familie beim Essen war, verkündete der König:
„Jolina, du bist jetzt alt genug zu heiraten. Also werde ich ein Turnier veranstalten, wo alle Ritter des Landes um deine Hand kämpfen können. Der Überlebende heiratet dich dann.“
Entsetzt sprang Jolina auf. „Was? Ich soll heiraten? Einen steinalten Ritter? Nein, auf keinen Fall!“
„Jolina, keine Widerrede! Das Turnier wird stattfinden, und du wirst heiraten! Basta! Und setz dich jetzt sofort hin! „, rief der Vater aufgebracht.
„Nur über meine Leiche!“, schrie Jolina und rannte hinaus.
„Komm sofort zurück! Jolina! Ich warne dich...“, rief der König hinter ihr her.
Doch Jolina hörte es nicht mehr. Sie nahm ihre Tasche, in der Hose, Jacke, Stiefel und Schwert waren, und stürmte in den Pferdestall. Sie sprang auf ihr Pferd Cäsar und galoppierte in den Wald.Sie ritt immer weiter, bis sie zu einem großen Baum kam. In der Baumkrone war ein Baumhaus, das Linus und sie zusammen gebaut hatten. Jolina band Cäsar an den Baum und warf ihre hochhackigen Schuhe in die Tasche. Dann kletterte geschickt den Baum hinauf. Oben angekommen, setzte sie sich auf die Bank im Baumhaus und begann zu weinen. Plötzlich hörte sie ein Wiehern. Da kam auch schon Linus den Baum hochgeklettert und kam in das Baumhaus.
„He, was ist denn los?“, fragte er und setzte sich neben sie.
Jolina schluchzte. „Mein Vater veranstaltet ein Turnier für alle Ritter, und der Gewinner soll mich heiraten! Aber ich will nicht!“
„Komm, hör doch auf zu weinen, wir finden schon eine Lösung. Will dein Vater wirklich, dass du schon heiratest? Du bist doch noch viel zu jung!“, sagte Linus.
Jolina beruhigte sich wieder.
„Wir müssen das verhindern!“, sagte sie entschlossen.
Linus nickte.
„Aber zuerst solltest du dich umziehen.“, sagte er und lachte.
Jolina sah auf ihr Kleid und musste auch lachen. Sie kletterte flink den Baum hinunter und zog sich unten um. Das Kleid und die Krone stopfte sie in die Tasche. Dann kletterte sie wieder hoch.
„Ich bin wieder da!“, sagte sie und setzte sich auf die Bank.
Nun begannen die Freunde zu überlegen, bis ihnen die Köpfe rauchten. Dann hatte Linus eine tolle Idee. Er flüsterte sie Jolina ins Ohr und die nickte begeistert.
„Die werden sich wundern...“, murmelte sie.
Nach einigen Wochen war der Tag des Turniers gekommen. Alle Ritter des Landes waren gekommen, denn jeder wollte die hübsche Prinzessin heiraten. Jolina und der König saßen auf einer bunten Tribüne. Vor ihnen lag die Turnierbahn. Endlich ertönte eine Trompete und das Turnier begann. Die Ritter kämpften um ihr Leben.
Plötzlich war alles still. Ein Ritter in einer roten Rüstung kam angeritten.
„Ich bitte um Verzeihung, eure Majestät, dass ich mich verspätet habe. Ist es mir erlaubt am Turnier teilzunehmen?“, sagte der rote Ritter.
„Selbstverständlich“, antwortete der König verwirrt. „Lasst das Turnier fortfahren!“
Die Ritter kämpften weiter. Alle waren gut, doch der rote Ritter schlug sie alle. Er ritt unglaublich schnell mit deinem Pferd auf den Gegner zu und seine Lanze hatte eine solche Wucht, dass kein Ritter auf dem Pferd blieb. Es waren nur noch zwei Ritter übrig: der rote Ritter und Lord Blackstone, ein gemeiner und brutaler Ritter, der das ganze Turnier geschummelt hatte. Die Ritter preschten los. Der rote Ritter war wieder schneller, doch Lord Blackstone versuchte mal wieder zu schummeln. Er wollte den roten Ritter vom Pferd schubsen, doch der machte einen eleganten Bogen, sodass Lord Blackstone vom Pferd fiel und genau in einer Schlammpfütze landete. Das Publikum brüllte vor Lachen. Mit hochrotem Gesicht rappelte Lord Blackstone sich auf und ging drohend auf den roten Ritter zu.
„Du bist zwar gut auf dem Pferd, aber kannst du auch mit dem Schwert umgehen?“, fragte der Lord und zog sein Schwert. Das Publikum tuschelte aufgeregt.
Der rote Ritter zog sein Schwert. Die Klinge blitzte in der Sonne. Dann begann der Kampf. Lord Blackstone hatte nicht den Hauch einer Chance. Der rote Ritter wich gekonnt den Angriffen aus und traf gezielt. Er konnte unglaublich gut mit dem Schwert umgehen. Mit offenen Mündern starrten alle auf die beiden Ritter. Noch ein gezielter Stich und Lord Blackstone ging zu Boden. Die Menge jubelte. Der rote Ritter verbeugte sich und steckte sein Schwert zurück.
„Ihr habt das Turnier gewonnen, euch im Schwertkampf bewiesen und ihr reitet wie der Teufel. Zieht eure Rüstung aus und zeigt euch!“, rief der König.
Der rote Ritter ging in eine kleine Kammer und zog sich um. Er trat aus der Kammer und das Publikum schrie überrascht auf. Der rote Ritter war...
„Jolina! Was soll das?“, fragte der König.
„Ich werde es euch allen sagen: Ich will nicht heiraten! Ich bin zu jung dafür! Und wenn ich heirate, dann jemanden, den ich mir ausgesucht habe!“, sagte Jolina mit lauter Stimme. „Ich kann Ritter nicht ausstehen! Sie sind arrogant und eingebildet und alt, aber in Wirklichkeit können sie nichts! Ihr habt es ja gesehen: Ich habe jeden von ihnen besiegt! Ich könnte jeden Ritter aus dem ganzen Königreich besiegen! Ich, die kleine süße Prinzessin! Ich mache, was ich will, und nicht was man mir befielt!“
Hoch erhobenen Hauptes ging sie vom Platz. Die Menge war muchsmäuschenstill. Dann begannen sie zu lachen, und die Ritter schlichen mit roten Köpfen davon.
„Gegen ein kleines Mädchen verloren! Ich fass es nicht!“, murmelte Lord Blackstone.
Jolina und Linus saßen in ihrem Baumhaus und feierten ihren Erfolg. Von da an durften Jolina und Linus befreundet sein, und Jolina konnte machen was sie wollte.
Ein paar Jahre später heirateten Jolina und Linus, und alle waren zufrieden.