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Johnny
"Hallo Ronny!"
"Anna! Wie geht es dir?"
"Gut so weit. Ich ruf noch mal wegen der Bluetooth-Kopfhörer an, die du mir empfohlen hattest."
"Warte mal kurz."
Ronny stellte seine Einkäufe auf dem Küchentisch ab und hob dann sein Handy wieder ans Ohr.
"So, jetzt. Was ist mit den Kopfhörern, sind sie nicht gut?", fragte Ronny besorgt.
"Ja, doch, der Klang ist super. Und jetzt im Winter wärmen sie sogar die Ohren, bin echt froh, dass du mich überzeugt hast, nicht so kleine zu nehmen", freute sich Anna. "Es ist nur so", fuhr sie fort, "dass die automatische Verbindung mit dem Handy nicht klappt, ich muss im Handy immer erst nach Bluetooth-Geräten in der Nähe suchen und die Kopfhörer auswählen."
"Das ist natürlich blöd, vielleicht -"
"Aber darum geht es mir gerade gar nicht", unterbrach Anna ihn. "In der Liste der Bluetooth-Geräte in der Nähe erscheinen nicht nur meine Kopfhörer, sondern dort steht auch oft ein Eintrag, der einfach nur 'Johnny' heißt. Gehört das auch dazu?", fragte sie.
"Ne, ganz sicher nicht. Das muss ein anderes Gerät in der Nähe sein. Wo warst du denn, wenn 'Johnny' in der Liste aufgetaucht ist?"
Anna überlegte kurz.
"Also jetzt, wo du es sagst: morgens ist das nicht. Nur abends, wenn ich von der Arbeit komme. Im Zug lese ich, da höre ich keine Musik, aber wenn ich an meinem Bahnhof angekommen bin und aussteige, verbinde ich die Kopfhörer, damit ich für den Fußweg nach Hause Musik habe. Und dann ist auch 'Johnny' in der Liste."
"Na dann ist der Fall doch klar. Da steigt immer jemand mit dir aus, der sein Handy 'Johnny' genannt hat. Und der ist dann auch zu Fuß unterwegs."
"An dem gottverlassenen Ort hier steigt fast nie jemand mit mir aus. Ich sehe auch jetzt niemanden."
"Moment, bist du jetzt gerade auf dem Weg nach Hause?", fragte Ronny überrascht.
"Klar, so wie immer um die Zeit, die halbe Strecke habe ich schon hinter mir."
"Also schon über 10 Minuten vom Bahnhof entfernt? Dann schau doch noch mal nach, jetzt ist das Gerät bestimmt weg!", schlug er vor.
"Gute Idee, Sekunde."
"Und? Ist es noch da?"
"Hm, das ist seltsam. Meine Kopfhörer sind nun aus, aber 'Johnny' ist immer noch in der Liste. Was soll das?", fragte Anna verwundert.
"Siehst du immer noch niemanden?"
"Nein, habe mich grad noch mal um meine eigene Achse gedreht, hier ist niemand. Die Straße ist so tot wie immer, nur parkende Autos und ich. Wie weit reicht denn so eine Bluetooth-Verbindung?", wollte Anna wissen.
"Eigentlich nicht so weit, im Freien können es vielleicht mal 50 Meter sein", schätzte Ronny.
"Du kennst doch meine Straße", entgegnete Anna, "hier sind rechts und links nur Einfamilienhäuser. Die Straße entlang kann ich definitiv mehr als 50 Meter weit sehen, auch wenn es ein bisschen schneit."
"Was ist hinter den Häusern?", wollte Ronny wissen.
"Gärten", antwortete sie, "jedes der Häuser hier hat ein Grundstück mit Garten."
"Und dahinter?", hakte Ronny nach.
"Acker. Aber die Gärten hier sind groß, da reichen 50 Meter nicht. Der Besitzer des Geräts müsste schon von Garten zu Garten laufen und über Zäune springen", antwortete Anna sarkastisch.
"Würden die Hausbewohner ihn dann nicht bemerken?"
"Wir haben Minusgrade, es ist dunkel und schneit. Was interessiert die ihr Garten?", fragte Anna entnervt.
"Also könnte man jemanden, der durch die Gärten schleicht, gar nicht sehen. Vor allem nicht du von der beleuchteten Straße aus?"
"Jetzt werd' nicht albern. Bestimmt gibt es dafür eine Erklärung. Wahrscheinlich überschätzt du deine Bluetooth-Kenntnisse und das Signal kommt von viel weiter her", entgegnete Anna.
"Ich bin mir da schon ziemlich sicher."
"Ach, was weiß ich denn? Hier schleicht jedenfalls keiner durch die Gärten und verfolgt mich, das ist doch Blödsinn!"
Ronny schwieg nachdenklich.
Einige Zeit später fuhr Anna fort: "Hey, es liegt doch Schnee!"
"Ja und?"
"Wenn da jemand unterwegs wäre, müssten ja Fußspuren im Schnee sein."
"Willst du da jetzt etwa hinlaufen und nachsehen?", fragte Ronny alarmiert.
"Klar, ich bin schon fast zu Hause und zumindest hier links beim Haus der Schneiders gibt es einen kleinen Trampelpfad außen am Haus vorbei, als Kind habe ich von da immer Äpfel von ihrem Apfelbaum geklaut", erinnerte sie sich.
"Lass den Scheiß und geh nach Hause!", warnte er sie. "Das kannst du auch morgen noch nachschauen, wenn es hell ist und du nicht alleine bist!"
"Es schneit bestimmt wieder die ganze Nacht durch. Bis morgen sind die Fußspuren weg."
"Ernsthaft, bitte lass es bleiben!", bat Ronny verzweifelt. Er lief nervös in der Wohnung auf und ab und überlegte, wie er sie davon abhalten konnte.
Kurz darauf fiel ihm auf, dass Anna nichts mehr sagte. Stattdessen konnte er durch das Handy das laute Knirschen von Schritten im Schnee hören.
"Anna? Hörst du mich noch?"
"Ja, verdammt!", kam es Im Flüsterton zurück. "Ich bin schon neben dem Haus, ich will nicht, dass mich die Nachbarn hören."
"Geh zurück!", flehte Ronny, doch sie antwortete nicht, er hörte nur weiter ihre Schritte im Schnee. Nach einiger Zeit hörten die Schritte auf.
"Scheiße! Ohgottohgottohgott!", entfuhr es Anna. Ronny hörte echte Panik in ihrer Stimme und fragte schnell: "Was ist? Was siehst du?"
"Fußspuren", sagte sie nur, vor Schreck unfähig, weitere Wörter hervorzubringen.
"Wo führen sie hin? Siehst du jemandem?", wollte Ronny wissen, jetzt bereit, jederzeit die 110 zu wählen.
"Parallel zur Straße. Sie enden am Gartenzaun, vermutlich ist da jemand drüber geklettert."
Ronny hörte ihren lauten Atem durch das Telefon und konnte ihre Angst förmlich spüren. Dann kam plötzlich ein halb unterdrückter Schrei aus seinem Hörer.
"Da hat sich was bewegt hinter dem Zaun!", sagte sie mit angstvoller Stimme. Das Flüstern war fast zu einem Quieken geworden. "Oh Gott, er klettert zurück! Er hat mich gesehen! Er kommt auf mich zu!"
Ihr Atmen ging jetzt stoßweise.
Ronny wurde es zu viel: "Es reicht, ich rufe jetzt sofort die Polizei!"
"Nein, bitte bleib dran!", flehte sie, "lass mich jetzt nicht alleine!"
Ronny wusste nicht, was er tun sollte. Die Polizei wäre vermutlich nicht mal rechtzeitig da.
Er hörte jetzt schnelle Schritte im Schnee und noch schnellere Atemgeräusche.
"Lauf nach Hause! So schnell du kannst!"
Doch schon nach kurzer Zeit endeten die Schritte mit einem Geräusch, das wie ein dumpfer Aufprall im Schnee klang.
"Anna? Alles in Ordnung? Du musst weiterlaufen!", schrie Ronny panisch in sein Handy. Doch nach einiger Zeit und weiteren dumpfen Schlaggeräuschen war es nicht Annas Stimme, die ihm antwortete.
"Hi, mein Name ist Johnny. Deine Freundin ist gerade damit beschäftigt, den Schnee rot zu färben, soll ich ihr was ausrichten?", fragte die Stimme vergnügt. Dann wurde die Verbindung unterbrochen.