Jobsuche 2098
Der ältere Mann kniff beim Lesen der Unterlagen die Augen so stark zusammen, dass zwischen ihnen eine tiefe Falte entstand. Das verlieh dem sonst so perfekten Gesicht einen Anschein von Individualität. Gelegentlich strich er sich mit den Fingern über die Augenbrauen um sie zu glätten. Unordentliche Augenbrauen würden die Symmetrie seines Gesichtes negativ beeinflussen.
Adam Quintus Ditectum war sich seiner wichtigen Aufgabe in der Firma äußerst bewußt. Er bestimmte, wer mitmischen durfte, wer die Welt von morgen in die gewünschten Bahnen lenkte. Für ihn war es damals kein großes Problem gewesen hier eine Anstellung zu finden. Der damalige Verantwortliche für die Neueinstellungen war, nach nur einem kurzen Überfliegen seines Lebenslaufes, sofort bereit Adam einzustellen. Das Studium, das er nach nur zwei Semestern mit Auszeichnung hinter sich gebracht hatte, spielte dabei nicht einmal die wichtigste Rolle. Sicherlich es war eine beachtliche Leistung, denn selbst in den Zentren der For-schung gab es nur wenige die so gut gelungen waren wie Adam.
Aber die größte Rolle bei seiner Einstellung hatte seine Abstammung gespielt. Und diese ließ sich bereits an seinem Namen deutlich erkennen. Adam bedeutete er war ein Prototyp. Designed von einer Spezialeinheit der Firma Tectum, im zweiten Haus aufgezogen, was auf seine hohe mentale Qualität schließen ließ. Im ersten Haus wurde nur alle zehn Jahre ein Mensch gezogen, der alle erdenklichen Fähigkeiten in sich vereinigte und einzig die Aufgabe hatte über die Welt zu herrschen. Jeweils für zehn Jahre. Jeder sah gleich aus, damit die Menschen sich nicht dauernd umgewöhnen mussten. Der Firma war ein bisher unauffindbarer Fehler bei der Planung des Models unterlaufen, was es nur insgesamt dreißig Jahre funktionsfähig machte. Danach wurde jeder aufgrund des stark überlasteten Gehirns geistig verwirrt und mußte aus dem Verkehr gezogen werden. Adam persönlich hoffte, dass an diesen Fehler schnellstmöglich beseitigen könnte. Die zwanzigjährige Erziehung und Ausbildung des Prin-ceps, die offizielle Bezeichnung für den Präsidenten, war zu kostspielig, dass sie sich für nur zehn Jahr Amtszeit rentieren würde.
Sein Zweitname Quintus wies lediglich darauf hin, dass er der fünfte Versuch der Adamsserie war. Er war gut gelungen, dennoch gab es nach ihm noch einen, nach dessen Ebenbild schließlich die ganze Serie endlich in Fertigung gehen konnte. Er konnte als perfekt bezeich-net werden, hatte alles, was zum Erfolg nötig war. Deshalb war er nun auch in dieser gehobe-nen Stellung bei der Firma, mittlerweile in seinem vierzigsten Dienstjahr als Partner der Ge-schäftsleitung.
Und nun kam dieser junge Mann mit den unregelmäßigen Gesichtszügen, der zwar sein Studium ebenfalls mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, aber erst nach sechs Semestern! Jemand der so lange eine Universität besuchen mußte um das Diplom zu bekommen war äu-ßerst ungewöhnlich. Und dann dieser seltsame Name! Stefan Jakobus Müller. Adam konnte damit überhaupt nichts anfangen, wusste nicht, wo er einzuordnen war. Vielleicht eine ausländische Firma. Im Lebenslauf stand, er wäre in einer kleinen Siedlung irgendwo auf dem Land geboren worden. Adam hatte noch nie von einer Firma gehört, die abseits der Zentren produzierte.
Stefans Lebenslauf erstreckte sich über drei eng beschriebene Seiten und war gefüllt mit Auszeichnungen, die er seit seiner Kindheit erhalten hatte. Schien ein ganz schlaues Köpf-chen zu sein, nur woher das wohl kam, da er offensichtlich keiner renommierten Produktionsstätte entstammte.
Er blickte von den Unterlagen auf seinem Schreibtisch auf und musterte den ihm gegenübersitzenden jungen Mann kritisch. Rein äußerlich konnte er ihn zu Nichts bisher Gesehenem zuordnen. Das Gesicht wies keine vollendete Symmetrie auf, die Haut war ein wenig narbig, die Nase eindeutig zu groß. Ob das wohl bei der ganzen Serie so war?
Langsam begann Stefan nervös zu werden. Es war ungewöhnlich das Jemand seinen Lebenslauf so lange studierte. Und nun dieses Gestarre. Er setzte sich auf dem Stuhl zurecht und versuchte möglichst unbefangen zu wirken. Das war gar nicht so einfach, denn er brauch-te diese Anstellung wirklich. Seit dem Studium hatte er keinen einzigen Job gehabt. Oft fragte er sich, warum er überhaupt diese Strapazen auf sich genommen hatte, nur um von den Firmen abgewiesen zu werden.
Er hasste diese verdrehte Welt mittlerweile. Niemanden schien es zu interessieren, dass er, der arme Junge aus der Provinz aus eigener Kraft sich all dieses Wissen angeeignet hatte, das den Stand manch eines Klons bei Weitem übertraf. Oft hatte er den Eindruck die Verant-wortlichen für die Einstellungen lasen nicht einmal, was er alles in seinem Leben schon er-reicht hatte. Allein sein Name zählte und der ließ sich nun mal nicht zuordnen. Was eine ganz einfache Erklärung hatte: er war ein auf natürliche Art und Weise entstandener Mensch. Einer der wenigen.
Daher wusste er nun nicht, ob er Adams langes Studieren der Unterlagen als positives oder negatives Zeichen werten sollte. Er musste sich wohl gedulden.
Adam hatte einmal ein Buch gelesen während seiner Ausbildung, das er vor den Lehrern ver-steckt hatte. Durch Zufall war es in seine Hände geraten, er konnte sich gar nicht mehr genau erinnern, woher er es eigentlich hatte. Aber es hatte ihm gefallen. Nur wusste er genau, wenn er es jemandem gezeigt hätte, wäre es sofort konfisziert worden. Der Inhalt hätte niemandem zugesagt. Es ging um einen jungen Mann, der es nur aufgrund seines Ehrgeizes von den ärmlichen Verhältnissen nach ganz oben geschafft hatte. Später war er Präsident eines ehemals sehr bedeutenden Staats geworden. Den Namen des Mannes hatte er vergessen. Der war allerdings auch unwichtig
Wenn er sich an dieses Buch zurückerinnerte packte ihn jedes Mal aufs Neue dieses nicht zuzuordnende Gefühl, das irgendwie aufregend war. Es hatte ihm gefallen und er hatte sich gewünscht dieser junge Mann zu sein, der es aus eigener Anstrengung geschafft hatte. Aber das konnte er nicht, denn er hatte sich nie anstrengen müssen. Alles war für ihn vorgezeichnet, der Weg zum Erfolg geebnet gewesen. Schließlich war er ein Ditectum, einer der Besten. Wenn er ehrlich war, langweilte ihn sein Leben. Doch wem sollte er sich anvertrauen?
Als er nun jedoch diesen jungen Mann unbekannter Abstammung vor sich sah, reizte es ihn zu sehen, wie seine in der Phantasie existierende Figur des Selfmademan zum Leben erwa-chen könnte. Mal sehen, wie weit der Kerl kommt.
Als Stefan wieder auf die Straße trat, war er immer noch ganz benommen. Er konnte es kaum glauben, dass er nun tatsächlich eine Stelle hatte!
„Aufgrund ihrer ausgezeichneten Referenzen sind sie sicherlich der Richtige für diese Aufgabe. Willkommen bei uns!“
Hatte er das nur geträumt? Wenn er das seinen Eltern erzählte! Sie würden wohl alle ihre Weltanschauung etwas verändern müssen. Er würde sie gleich anrufen. Er lief zu seinem Wa-gen, wobei er vor lauter Freude immer wieder in die Luft sprang.
Die perfekten Einheitsgesichter auf der Straße blickten verblüfft dem jungen Mann hinterher, den sie nicht so ganz zuordnen konnten.