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Jetzt ist ja alles gut
Jetzt ist ja alles gut
Ihre zitternde, vom Schweiß feuchte, Hand umgriff den grünen Hörer. Die Muschel ans Ohr gedrückt, die Lippen das Plastik leicht berührend, hauchte sie: "Hallo."
Ihre Knie begannen zu zucken, sie musste sich setzen, wenn sie nicht fallen wollte. Nun kroch die Besorgtheit, die Unentschlossenheit in den Bauch, mit dem Daumen drückte sie an dieser Schmerzstelle eine Kuhle in ihren grauen, verfransten Pullover.
"Es tut mir leid.wirklich.glaub es mir." Sie suchte Worte, erklärende Worte, offenkundige Sätze, um sich von ihrer Angst freisprechen zu können. Freisprechen, sprechen bis sie frei wäre, das wollte sie.
"Nun.ich weiß es nicht." Genau das war es, was man so an ihr verabscheute, ihre Unentschlossenheit, ihr ständiges Befragen anderer nach simplen Dingen, die keines Gespräches bedurften, so hauchte sie weiter, den Hörer fest an ihre Ohrmuschel gepresst: "Wieso hast du das gemacht? Wieso? Wieso? Wieso machst du so was mit mir? Du wirst es nie sein lassen, wieso? Oh wieso denn?" Eine Träne tropfte auf ihren Daumen, der den Schmerz zu lindern versuchte, und floss in die Kuhle.
Ihre Beine wippten ständig auf und ab in einer hohen Frequenz, die jeden anderen rasend hätte lassen werden. Das konnte sie nie sein lassen, sie war immer nervös und wenn man sie darauf ansprach, dachte sie noch lange darüber nach. Manchmal lag sie noch Tage später abends im Bett und überlegte sich, wie sie sich das ständige Auf und Ab ihrer Beine verkneifen könnte.
"Einmal, bitte nur einmal. Wieso nicht einmal? Oder wieso machst du es nicht einmal nicht, wieso?" Ihr grün blau geschlagenes Kinn sank auf ihre Knie, die ein wenig durch die alte, verschlissene Jeans guckten.
Der Telefonhörer war warm geworden, vielmehr hielt der Telefonhörer sie schon, als sie ihn. Er stützte sie geradezu und sie hing sich an ihm fest, an ihm auf.
"Au, verdammter, konntest du das nicht man sein lassen?", sie griff mit ihrem Daumen aus der Kuhle heraus an ihren Hals, an dem eine Schnittwunde sich bemerkbar machte.
Ihr Bauch schmerzte.
Ihr Hals pulsierte.
Mit einer Hand hielt sie den Hörer, hielt sich an ihm fest, mit der anderen probierte sie das Pulsieren ihres Halses zu verhindern - - - ohne Erfolg.
"Ja, gut. Ich weiß, dass du es kannst, ich weiß, dass du es jetzt sein lässt. Ich muss dich doch bestimmt nicht noch einmal anrufen, oder ? Nein, nein, nein, wieso sollte ich auch? Du lässt es ja jetzt sein. Na gut, dann haben wir das ja jetzt geklärt, jetzt ist ja alles gut, wieso auch nicht?" In jenem Moment, kurz bevor sie sich verabschieden wollte, ging die Tür des Zimmers auf: "Was machst du da? Zum Teufel, das Telefon ist seit drei Monaten kaputt, bist du nicht bei Sinnen?"
"Tschüß, mach's gut!", weinte sie dem roten, tutenden Hörer zu, "Tschüß, ich weiß, dass jetzt alles geklärt ist."
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