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"Jessica Livingston"
Jessica Livingston (2. Version)
Jessica Livingston, die Schriftstellerin, befand sich in der geschlossenen Psychiatrie. Um genau zu sein im trostlosen Raucherraum. Sie fühlte sich elend und verfluchte in Gedanken Dr. Freelight, der sie eingewiesen hatte. Sie vermisste ihre Labradorhündin Tiffany. Und natürlich ihr geräumiges Haus in Silent Village. In dieser psychiatrischen Einrichtung nämlich musste sie sich ihr Zimmer mit drei anderen Patienten teilen. Wegen ihres attraktiven Körperbaus, ihren vollen, sinnlichen Lippen, den smaragdgrünen Augen, ihrem langen, seidig glänzenden, schwarzen Haar, wurde sie schon von so manchem Mitpatienten umgarnt.
Sie verließ das Raucherzimmer und setzte sich im Gang auf einen Stuhl. Der penetrante Geruch von scharfem Putzmittel stieg ihr in die Nase. Sie schloss ihre Auge und träumte von SIlent Village. Ihrem schönen Anwesen, dem Garten und natürlich von ihrem Arbeitszimmer. Sie ließ ihr Leben Revue passieren. Sie dachte an das Jahr 2007, als sie noch bei ihren Eltern Margret und Harry Livingston wohnte. Ihr Vater hatte immer gewollt, dass sie auf dem College Betriebswirtschaftslehre studieren solle. Als sie dann erklärte, dass sie um jeden Preis Schriftstellerin werden wollte und nichts anderes, zogen dunkle Wolken über der Familie Livingston auf. Immer wieder hörte sie ihren Vater sagen: »Du wirst uns nicht ewig auf der Tasche liegen. Träume sind Schäume. Du wirst es nie schaffen, davon auch nur annähernd leben zu können. Ich unterstütze diese Hirngespinste nicht! Das ist mein letztes Wort!« An diesen Ausspruch ihres Vaters und an das zornrote Gesicht konnte sie sich nur allzu gut erinnern.
Ihre Mutter Margret gab ihrem Mann recht, ohne es auch nur einmal gewagt zu haben, einen Hauch von seiner Meinung abzuweichen. Schließlich hatte Harry Livingston selbst Betriebswirtschaftslehre studiert und eine hohe Stellung in einem mittelständischen Unternehmen erhalten.
Seit diesem Tag also lagen nicht nur dicke, schwarze Wolken über der Familie Livingston, nein ein regelrechter Sturm tobte. Es blitzte und donnerte und die Familie war gespalten. Seitdem hatte Jessica, keinerlei Kontakt mehr zu ihren Eltern. Sie zog aus und hielt sich zunächst mit Gelegenheitsjobs mehr schlecht als recht über Wasser. Irgendwann zog sie nach Silent Village, ein kleines Dorf mitten in den USA. Silent Village war nach und nach zum Geisterdorf geworden, denn immer mehr Leute hatten ihre Häuser verlassen. Die Menschen zog es in die Städte im Umkreis, die meisten wollten nach Queen Heaven, ein nettes Städtchen mit 50 000 Einwohnern. Doch Jessi fühlte sich wohl in Silent Village, nicht zuletzt deswegen, weil die Miete sehr preiswert war.
Sie musste also nicht in einem winzigen Kellerloch wohnen. Nein, sie hatte ein schönes Haus inmitten des Dorfes. Sie konnte so laut Musik hören, wie sie wollte. Sie liebte es, ihre alten Beatlesschallplatten aufzulegen, hatte keine Nachbarn, die sich daran stören könnten, denn die meisten Häuser standen leer. Und so hatte sie neben ihrem Kellnerjob, der ihr ein vernünftiges Gehalt einbrachte, noch genügend Zeit und Geld für ihr Autorenfernstudium. Sie bekam immer ein überdurchschnittliches Trinkgeld, lebte aber trotz ihres attraktiven Äußeren allein mit ihrer geliebten Labradorhündin Tiffany. Denn, wie sie oft zu sagen pflegte, war sie bereits mit der Literatur verheiratet. Zwar hatte sie bis 2010 noch kaum Erfolge mit ihrer Schreibkunst erzielt, doch allmählich entwickelte sie sich vom blutigen Anfänger in Richtung Profi. Sie kam im Jahr auf 5 bis 10 Lesungen in Cafés oder Bars, wo der ein oder andere Gönner mehr als das Fünffache des vorgeschlagenen Preises für ein Exemplar ihres ersten Kurzgeschichtenbandes zu zahlen bereit war. Sie ließ zunächst 50 Exemplare auf eigene Kosten bei einer Onlinedruckerei drucken. Sie hatte in das knapp 200 Seiten enthaltende Buch genau 80 Dollar insgesamt investiert. Es war eine riesige Freude für sie, als sie alle Exemplare mit einem Gewinn von ziemlich genau 170 Dollar nach zwei Monaten verkauft hatte.
Sie verbuchte das als Erfolg und war gespannt darauf, was das Schriftstellerleben ihr in Zukunft noch zu bieten habe. Und tatsächlich, am 3. Juli 2010 hatte sie ihren ersten Autorenvertrag für einen 300 Seiten umfassenden Kurzgeschichten-Band bei einem mittelgroßen Verlag in der Tasche. Bereits kurz vor Weihnachten 2011 hatte sie tausende von Büchern verkauft. Somit konnte sie das Anwesen, in dem sie zur Miete wohnte, nach Absprache mit dem Vermieter Mr. Gilbert und der Aufnahme eines Kredites, ihr eigen nennen.Ein paar Tage später fuhr sie zu ihrer Mutter Margret. Der Anlass war der Tod ihres Vaters Harry Livingston.Ihre Mutter hatte sie gebeten, nach Hunting Village zu fahren, um wenigstens an der Beerdigung teilzunehmen.
»Hi Jessi. Da kommt ja die so erfolgreiche Schreibkünstlerin. Soll ich jetzt vor dir auf die Knie fallen?«
Jessi antwortete: »Lass mich besser in Ruhe, sonst ist der Teufel los. Aber wenn du meinst, auch noch Öl ins Feuer gießen zu müssen, von mir aus. Dann ist es eben so, nur zu, mach mich ruhig weiter kaputt! Du hast ja nie an mich geglaubt. Aber dann werde auch damit fertig, dass ich sage: Mom, ich hasse dich!«
»Aber Jessi, wir haben uns jetzt acht Jahre nicht mehr gesehen, aber du bist noch genauso arrogant wie damals, als du das Haus verlassen hast. Ich weiß zwar nicht, wie du dich finanziell über Wasser gehalten hast, aber mit deiner bescheuerten Schreiberei hast du bestimmt nichts verdient. Oder baust du dir noch immer Luftschlösser? Diese Hirngespinste sind schuld daran, dass ich keine Tochter mehr habe.«
»Moment mal. Erstens habe ich mich finanziell zunächst mit einem Kellnerjob über Wasser gehalten und dann ein Autorenstudium gemacht. Ich weiß, ihr habt beide nie an meine schriftstellerische Arbeit geglaubt, aber seit ein paar Jahre kann ich gut davon leben. Du solltest dich sehen, wie armselig du bist. Das hättest du nicht gedacht, oder?«
»Was ich denke, kann dir, Fräulein, egal sein. Fakt ist, dass du, als du uns damals verlassen hast, für uns gestorben bist. Ich habe dich nur kontaktiert, weil ich es musste. Und ich bin jetzt schon froh, wenn du dieses Haus nach Harrys Beerdigung wieder verlässt, Fräulein. Fragst ja nicht einmal, wie es mir geht, seit Harry tot ist!«
Jessica hielt kurz inne und sagte dann: »Ach, Margret! Denkst du, mich lässt der Tod von Harry kalt? Da irrst du dich, und zwar gewaltig! Ich bin zwar im Unfrieden, mit ihm auseinandergegangen, und das finde ich sehr traurig, aber ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Aber ich weiß, warum du mir geschrieben hast, dass ich kommen soll. Ich soll hier mit dir auf heile Familie machen und brav mit dir zur Beerdigung gehen. Aber da liegst du falsch! Ich dachte schon, dass du dich bei mir ehrlich entschuldigen wolltest. Aber da habe ich mich wohl getäuscht. Wie konnte ich nur so dumm sein. Weißt du was? Du kannst mich mal. Ich werde jetzt wieder nach Hause fahren.« Mit diesen Worten verließ Jessica Livingston mit zornrotem Kopf das Haus ihrer entsetzten Mutter.
Margret Livingston eilte ihrer Tochter hinterher und schrie:
»Jessi, wenn du jetzt fährst, will ich dich nie wieder sehen. Hast du gehört? Und enterben werde ich dich auch! Bleib jetzt endlich stehen.«
Jessica Livingston blieb stehen, drehte sich um und sprach zu ihrer Mutter:
»Margret enterbe mich ruhig, ich komme schon klar. Aber ich werde wieder nach Hause fahren. Ich habe keine Nerven mehr für diese Schuldzuweisungen. Hast du gehört? Du gehst mir gehörig auf die Nerven. Ich werde definitiv nicht zur Beerdigung kommen, außer du gestehst dir jetzt endlich deine Fehler ein und entschuldigst dich bei mir. Und zwar sofort.«
Margret antwortete: »Ich mich entschuldigen, bei dir? Das hättest du wohl gerne. Und für was soll ich mich entschuldigen? Dafür, dass ich dir diese sinnlose Schreiberei ausreden wollte? Aber dass du dir die Frechheit erlaubst, nicht einmal zur Beerdigung deines eigenen Vaters zu gehen, das ist zu viel für mich. Was sollen denn die Leute denken?«
Jessica verlor nun komplett ihre Fassung und brüllte zurück: »Was die Leuten denken, ist mir scheiß egal! Und bevor ich hier gute Miene zum bösen Spiel mache, und den Leuten etwas vorgaukle bleibe ich der Beerdigung lieber fern. Mach doch was du willst. Es juckt mich nicht. Du bist mir total egal.« Mit diesen Worten verließ Jessica endgültig das Grundstück ihrer Mutter und fuhr in ihrem grünen Jeep nach Hause.
Außer diesem Zwischenfall lief alles nach Plan. Bis zu jenem klammen, nebligen Novemberabend im Jahr 2012. Es begannen seltsame Dinge zu geschehen, so, als wollte das Schicksal sagen, du darfst es nicht zu leicht im Leben haben. Es begann ein Unwetter über sie hereinzubrechen, dem sie schutzlos ausgesetzt war: Nacht für Nacht suchten sie schreckliche Alpträume heim. Sie wachte schweißgebadet auf und fühlte sich wie von einer übernatürlichen Kraft ausgesaugt, träumte sogar von Satan, der ihre Seele wollte. Er trat immer in der klassischen Gestalt auf: Mit Hörnern, Ziegenbeinen, langem Schwanz, muskulösem Oberkörper und roter Hautfarbe. Seltsamerweise kam es ihr so vor, dass sie auch nach dem Erwachen seinen Höllengestank in der Nase hatte.
Als sie dies Dr. Freelight erzählte, wurde sein Blick ernst und nachdenklich. Er hielt inne und fragte sie: »Miss Livingston, ich weiß, dass es ihr Leben ist und sie können ja machen, was sie wollen. Aber ich muss Sie dies jetzt fragen. Miss Livingston, haben Sie jemals in ihrem Leben Drogen genommen oder nehmen Sie aktuell Drogen zu sich?«
Jessica war geschockt. Sie antwortete: »Na ja, ich würde sagen, dass ich schon die eine oder andere Droge ausprobiert habe, aber ich nehme seit mindestens 3 Jahren keine mehr. Und Alkohol trinke ich auch nur gelegentlich. Sie wissen schon, an Sylvester und Geburtstagen und anderen besonderen Anlässen. Aber warum fragen Sie das, Dr. Freelight?«
Der Doktor fuhr mit seiner rechten Hand durch seinen langen grau-weißen Bart und antwortete:
»Na, ja. Ich will es kurz machen. Bei Ihnen deutet alles auf eine drogeninduzierte Psychose hin. Anders kann ich mir Ihre Symptome nicht erklären. Was waren das für Drogen, die Sie ausprobiert haben?«
Jessica fühlte sich elend und sprach: »Na,ja, ein paar Joints, ein paar Mal Speed, ein einziges Mal an Sylvester Kokain und drei, vier Mal Ecstasy. Das war´s. Aber ich kenne Leute, die haben schon viel mehr wie ich konsumiert und haben auch keine Psychose bzw. träumen von Satan.«
Mr. Freelight sprach: » Ja, Miss Livingston. Ich weiß aber nun mal, dass selbst bei einmaligem Konsumieren dieser Drogen schwerwiegende Psychosen auftreten können. Ich kann Ihnen nur raten, die Finger von diesen Substanzen zu lassen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Außerdem werde ich die Dosierung des Beruhigungsmittels verdoppeln müssen. Und wenn die Symptome nicht nachlassen, muss ich sie in die Psychiatrie einweisen.«
Jessica wurde kreidebleich und sagte: »Psychiatrie? Ich glaube nicht, dass das notwendig ist.«
Dr. Freelight sagte: »Leider ist die Zeit um. Kommen Sie in zwei Wochen noch einmal. Dann sehen wir weiter.«
Jessica suchte weitere Psychologen auf, doch die Alpträume blieben. Nach einem besonders schrecklichen Traum, in dem sie der Teufel am Hals würgte, wachte sie mit seltsamen blauen Flecken am Hals auf. Sie war nun nahe daran den Verstand zu verlieren. Sie versuchte sich zu beruhigen und fuhr in ihrem grünen Jeep nach Queen Heaven zum Einkaufen. Nicht, dass der Kühlschrank leer war, nein sie brauchte Ablenkung. Im Supermarkt traf sie auf den evangelischen Priester Hunter Jackson. Er sprach zu ihr: »Miss Livingston, Sie sehen aber blass aus und woher haben Sie diese seltsamen blauen Flecken an ihrem Hals?«
»Ja, ich weiß, aber können wir bitte, wo anders reden? »
»Kein Problem Miss Livingston. Hier um die Ecke ist ein kleines Café, in das ich gerne gehe. Machen Sie nur in Ruhe Ihre Einkäufe fertig. Ich warte draußen auf Sie.« Jessica war einverstanden.
Hunter Jackson vermutete, dass ein Dämon sie nachts mit Alpträumen quälte. Doch Jessica glaubte ihm nicht. Verärgert brach sie das Gespräch ab und fuhr nach Hause. Da die Alpträume jedoch nicht aufhörten, begann sie Whiskey zu trinken, um keine Angst mehr vor dem Zubettgehen zu haben. So geriet sie innerhalb eines Monates in eine Alkoholsucht und Tablettenabhängigkeit, die sie nun zusätzlich zu ihren Alpträumen quälte.
Eines Nachts quälte sie ein besonders schlimmer Alptraum und nach dem Aufwachen bekam sie kaum noch Luft. An der Halskehle hatte sie rote kleine Fingerabdrücke, wie von einer Kinderhand.Tiffany indes lag tot auf dem Boden. Da machten ihre Nerven nicht mehr mit. Sie suchte sofort Dr. Freelight auf, der Sie daraufhin in die Psychiatrie einwies.«