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Jenseits des Wassers
Jenseits des Wassers
Idalras´ Erlebnisse
Die Schlacht war fast zu Ende. Die Armee des Feindes war zusammengeschrumpft, der Rest der feigen Bande ergriff die Flucht, die meisten liefen jedoch direkt in die Abfangtruppe, die sie am Waldrand postiert hatten. Idalras hörte Waffen klirren und Pferde wiehern. Ein Bavee, fast so groß wie er, sprang ihn mit Todesverachtung an, als er sich von dessen gefallenen Kameraden abwandte. Im letzten Augenblick gelang es ihm, der schartigen Klinge auszuweichen, die auf seine Brust zielte. Er taumelte und riss gerade noch sein eigenes Schwert hoch, um den nächsten Schlag abzuwehren, der ihm den Kopf so sauber abgetrennt hätte wie den einer Butterblume. „Idalras!“, hörte er den Hauptmann brüllen, als er erfolglos versuchte, seinen kräftigen Gegner niederzuwerfen. Otamnan hatte sein Pferd wieder eingefangen und war aufgesessen. Er beendete die Verfolgungsjagd einiger Bavees, riss seine Fuchsstute herum. Er sah nur das Aufblitzen von Stahl, das mit schwarzem Blut verschmiert war. Der Bavee röchelte und kippte mit durchtrennter Kehle um wie ein gefällter Baum.
Er war der letzte Gegner gewesen. Die Armee des Dunklen Waldes war, für dieses Mal, zerschlagen. Idalras ließ sein Schwert sinken, sein Arm fühlte sich nach dem stundenlangen Kämpfen an wie mit Blei gefüllt, er brachte kaum noch die Kraft auf, seine Klinge festzuhalten. Er blickte sich um, sah auf die Leichen vieler seine Kameraden, all die großen Helden, die noch lebten waren nach dem Kampf kraftlos zusammen gesunken und hatten sich, vor Schmerz und Müdigkeit wimmernd, auf den Boden fallen lassen und eingerollt, wo sie gerade standen.
Das ist der Krieg!, dachte er müde. Keine Reiterheere, die sich mit Freudengebrüll den feindlichen Armeen stellen, keine Männer, die sich darauf freuen, ihre Familien zu verlassen – sie versuchen nur alles, um ihre Frauen und Kinder zu schützen, wenn sie sie nicht schon verloren haben. Andere sinnen auf Rache. Aber was hilft das? Der dunkle Herr hat unendlich viele Krieger zur Verfügung, und selbst der stärkste Mann geht zugrunde, wenn die Anzahl der schwächeren Gegner kein Ende nimmt.
Er riss sich zusammen und pfiff nach seinem Hengst. Im Verlauf des Kampfes war Idalras von seinem Rücken geschleudert worden und das Schlachtross war geradewegs durch die Reihen der Bavees gebrochen. An seiner Flanke, seinen Beinen und seiner Brust prangten frische, noch schwach blutende Schnitte, doch es schienen keine Sehnen verletzt worden zu sein, sonst wäre er schon längst zusammengebrochen. Schweiß lief über den Körper des Hengstes und Schaum flockte ihn vom Maul. Idalras legte seine Hand nur kurz auf Naroteds von Blut und Schweiß verklebten Hals und saß dann auf.
Er ritt durch die Reihen seiner erschöpften Krieger, saß ab, um Verletzten auf die Beine zu helfen und fing die Pferde der Gefallenen ein, damit die Verwundeten in die nächsten Städte und Dörfer reiten konnten.
Der Hauptmann Otamnan und dessen Stellvertreter, der große Krieger Falat, ritten auf den Königssohn zu, der einem seiner verwundeten Kameraden Wasser zu trinken gab und ihm auf eines der Pferde half. Hinter ihnen ritt eine Prozession des Jammers heran: schwer Verwundete auf ebenfalls übel zugerichteten Pferden. Die Bavees hatten oft versucht, die Tiere festzuhalten, um die Reiter aus den Sätteln zu reißen und die Pferde hatten aufgerissene Lefzen und wieherten sofort jämmerlich, wenn jemand nach den Zügeln griff. Sie reihten sich jedoch von selbst in die Gruppe ein, sodass es kaum nötig erschien, sie zu führen.
Idalras klopfte mit den Fersen unnötig hart gegen die wunden Flanken seines Hengstes. Naroted wieherte wütend und machte einen ruckartigen Satz, trabte dann jedoch weiter, wenngleich sein Atem auch eher ein schmerzerfülltes Keuchen war.
„Bring die Toten und Verwundeten in die Stadt der Speere!“, wies Idalras den Hauptmann an. „Alle, die nur einige Stunden Schlaf brauchen, bleiben hier bei mir und helfen mir, möglichst viele Nachzügler zu erwischen.“
Otamnan und Falat neigten demütig das Haupt und führten den Trupp Richtung Nordwesten.
Idalras las in ihren Augen, dass sie es für besser hielten, wenn er in die Stadt mitkäme, aber er wollte bei seinen Kriegern bleiben. Jeder einzelne Mann war sein Freund und hatte sein Leben mehr als einmal für das seine riskiert – dasselbe galt auch für ihn. Er als Königssohn betrachtete es als seine Pflicht, möglichst viele Ehemänner, Väter, Söhne und Brüder seiner Untertanen heil nach Hause zu bringen. Wurde er verwundet oder getötet, dann war es sein Schicksal. Er würde es hinnehmen. Nicht, dass er sein Leben nicht lieben würde. Wenn man jahrelang kämpfte und seine Kameraden sterben sah, lernte man nichts mehr zu schätzen als das Leben. Aber er wusste auch, dass der Tod unausweichlich war, und lieber starb er auf dem Schlachtfeld mit dem Schwert in der Hand wie als alter Mann, der mehr grau als weise auf dem Thron saß und nur noch mit einer Sänfte durch die Stadt getragen wurde.
Aber er überlegte kurz. Es wäre sicher gut, noch einmal in die Stadt der Speere zu reiten, ehe er mit dem Heer Richtung Süden zog und im Tal Biatholons nach Verbündeten suchte. Außerdem musste er die Augen offen halten – er war sicher, dass sich die Legende bald erfüllen würde, die besagte, dass…
Wütend schüttelte er den Kopf, um den ebenso kindischen wie lächerlichen Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Er ärgerte sich über sich selbst. Vor fünfhundert Jahren hatte dieselbe Legende ebenfalls existiert und sich nicht erfüllt. Was nützte Hoffnung, wenn viele Krieger starben, nur weil sich eine Prophezeiung nicht erfüllte?
Er trieb Naroted noch einmal an Falats Seite. Der Rappe des Offiziers warf erregt den Kopf, als der braune Hengst das Gebiss bleckte, aber die Krieger zwangen die Köpfe der Pferde auseinander. „Ich mache mich in fünf Tagen auf den Weg! Richtet meinem Vater aus, dass ich in acht Tagen da sein werde!“
In dem Moment richtete er jedoch keinen Befehl an seine Untergebenen, sondern eine Bitte an seine besten Freunde.
Sie nickten und er wendete sein Pferd, um zurückzureiten. In den fünf Tagen würden die schlimmsten Wunden verheilen und er konnte sich ausruhen. Es war ein anstrengender Dreitagesritt nach Nordwesten, zu seiner Heimat, und es konnte viel passieren. Die Länder des Lichts waren des Nachts voller Gefahren, und auch sein Pferd war erschöpft und würde ihn nicht so weit tragen können.
Idalras half den wenigen, die leicht oder gar nicht verwundet waren, das Lager aufzubauen, und meldete sich zur ersten Wache. Die erschöpften Krieger krochen mehr tot als lebendig in die Zelte und schliefen dort den Schlaf des Gerechten.
Idalras dagegen saß beim Lagerfeuer, zog eine rissige Decke eng um seine Schultern und versuchte, die Erinnerungen an die schreckliche Schlacht, die röchelnden Verzweiflungsschreie und das Blutvergießen, aus seinem Kopf zu vertreiben.
Es gelang ihm nicht.