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Jenseits des Jenseits

jbk

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17.06.2003
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Jenseits des Jenseits

Auf einer Art Wasserrutsche glitt Jon spiralförmig und mit zunehmender Geschwindigkeit immer weiter nach oben. Die Wasserrutsche schien aus einem gummiartigen Material zu bestehen, weshalb er sich auch keine Gedanken darum machte, mit dem Wasser nach oben transportiert zu werden. Gummi federt schließlich recht gut.
Oben angekommen, sprang er aus der Röhre und landete mit beiden Füßen auf einer Plattform, die zwischen Wolken zu schweben schien und nach kurzer Zeit aus dem Dunkeln heraus in ein helles, bläuliches Licht getaucht wurde.
„Werte Gäste, hier präsentieren ich ihnen: den Mann aus dem Jenseits!“ kündigte eine tiefe Stimme an, die, so erkannte Jon, zu einem kleinen Gnom gehörte, der lässig die Beine von einer Wolke baumeln ließ.
„Wo bin ich hier, und wer bist du?“ fragte Jon verdutzt.
Der Gnom sprang auf die Plattform und kam auf ihn zu. „Du bist im Diesseits, mein Freund. Das Jenseits unter den Wolken hast du verlassen, da du nicht mehr in einer Welt leben wolltest, in der Missverständnisse und menschliche Kälte an der Tagesordnung sind. Hier im Diesseits leben diejenigen, die immer schon gespürt haben, dass sie anders sind als andere. Um es auf den Punkt zu bringen: das Diesseits ist das Land der unbegrenzten Kreativität, hier sind keine Schranken der jenseitigen Welt vorhanden, hier siegt das Gefühl über die Logik und das Denken. Komm, ich werde dich herumführen.“ sagte der Gnom, der Jon auf einmal nicht mehr wie ein Gnom vorkam, sondern gewachsen schien an seinen Worten, also mehr ein kleiner Mensch nun war.
Auf die Frage, wie er denn heiße, gab der kleine Mensch „Wolke“ zur Antwort.
„Aber warum heißt du Wolke?“ wollte Jon wissen, während sie in einer Wolke eine Art Wendeltreppe empor stiegen.
„Mich nennen sie Wolke, weil ich wandelbar bin wie eine Wolke. Hast du nicht öfters nach oben zum Himmel geschaut, die Wolken betrachtet, wie sie ihre Form wechseln und in deiner Fantasie zu Tieren oder Raumschiffen oder Werkzeugen oder Pflanzen wurden?“
„Das tat ich in der Tat oft.“ erinnerte sich Jon.
„Und auch das ist ein Grund, warum du hier bist. Das Prinzip hast du also verstanden, oder?“
„Wolke… schon klar!“ lachte Jon, und die Beiden stiegen aus der Wolke hinaus. Sie befanden sich dann auf einer Art Wiese aus grünem Dunst, die gesäumt war von farbiger Luft in allen erdenklichen Formen. Hasen hoppelten flügelschlagend und quicklebendig umher, Einhörner galoppierten frei durch die Luft. Wundervolle Blumen sprossen aus dem Dunst, entwickelten sich zur Blüte, ließen ihre Blätter schweben. Wasser schien sich spielend im Raum auszubreiten, während es sein Aussehen ständig änderte. Dann und wann erfüllten schwebende Noten den Raum, Buchstaben wechselten ihre Plätze, Farben mischten sich. Ein solches Schauspiel zog Jon in den Bann, dass dieser nur staunend mit offenem Mund dastehen konnte.
„Dies hier ist die Wiese des Seins. Alles, was du aus dem Jenseits kennst, ist hier in seiner ursprünglichen Weise. Hier ist der Ursprung allen Seins und alles, was du hier erblickst, hörst, spürst, riechst und schmeckst ist das pure Leben. Hier sind die Dinge gespeichert, die im Jenseits als Kopie erscheinen. Jede Form ist hier vollkommen, rein und echt. Und nur hier, denn dort unten würde diese Schönheit des Seins nicht überleben. Viele Menschen sind nicht bereit dazu, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Und sie sind nicht in der Lage, mit dem Herzen zu sehen und dem Auge zu fühlen. Daran würde all die Schönheit zugrunde gehen.“ weihte der wieder etwas gewachsene Wolke Jon in das Geheimnis dieses Ortes ein.
„Es ist alles so wunderschön, so vollkommen wie es ein Traum nicht sein könnte.“ sprach Jon. „Würden die Menschen nur wissen, dass alles, was sie erleben, die Umwelt und sich selbst, einen Ursprung hat- um wie viel harmonischer würden sie zusammen leben, um wie viel lebendiger würde die Welt werden? Warum dürfen sie nicht von diesem Ort erfahren, Wolke?“
„Es ist nicht so, dass es die Menschen nicht wüssten. Tief in ihnen spüren manche, dass all das Leben einen Ursprung hat, dass alles zusammengehört, ineinander verwoben ist wie ein riesiges Puzzle. Wenn die Menschen noch klein sind, Babys und Kinder und ihre Umwelt beginnen zu entdecken, spielerisch und unbeschwert, ohne Hintergedanken, ohne zweckgebunden zu denken, dann sind sie dem Diesseits nah. Doch werden sie älter, wie man sagt, erwachsen, dann entfernen sie sich aus der diesseitigen Welt und suchen einen Platz im Jenseits. Dann streben sie nach gesellschaftlicher Anerkennung, wollen sich beweisen im Job, wollen sesshaft werden und alles unter Kontrolle haben. Sie glauben dann nicht mehr an das Fantastische, glauben vielmehr, zu wissen, was das Leben bedeutet, nämlich im Jenseits zu leben. Nur wenige behalten sich ihre eigene Identität, bleiben sie selbst, hören auf sich und auf das, was in ihrem Inneren geschieht. Sie bleiben offen gegenüber der Welt, der unsagbaren Vielfalt des Lebens, auch, wenn die Gesetze des Jenseits das genaue Gegenteil verlangen. Regeln und Konvention sind die Mittel, das Individuum in der Gesellschaft seinen Zweck zuzuführen. Nur wenige, wie gesagt, lassen sich nicht kollektivieren. Sie sind es, die die Tür zum Diesseits finden und Einblick in die wahre Welt erhalten.“
Jon hatte aufmerksam zugehört. Dann fragte er: „Aber wenn die Menschen nicht mehr in sich fühlen, dann werden sie niemals von der wahren Welt erfahren, sie werden niemals hier leben können, oder?“
Wolke wandelte sich und sprach: „Einst lebten alle Menschen im Diesseits. Sie waren glücklich und zufrieden, genügten sich selbst und halfen anderen, wo sie nur konnten. Alle lebten harmonisch miteinander, der Mensch war Teil der ewigen Natur und die Natur brachte ewig den Menschen auf die Welt. Doch als der Mensch begann, sich einen Vorteil gegenüber anderen zu verschaffen, weil er besessen darauf war, Macht zu haben, geriet alles aus dem Gleichgewicht. Dann gab es nicht mehr den Menschen an sich, sondern solche, die über anderen standen und Befehle erteilten. Sie versuchten, sich die Natur Untertan zu machen, indem sie sie ausbeuteten. Das war der Anfang des Endes ihres Lebens im Diesseits. Du musst wissen, Jon, hier befindet sich alles in einem sensiblen Gleichgewicht, und nur in diesem Gleichgewicht kann das Diesseits existieren. Geräte es aus diesem Gleichgewicht, würde es sich ins Jenseits wandeln. Und genauso wie du weißt, dass Licht nicht ohne Schatten, weiß nicht ohne schwarz, das Gute nicht ohne das Böse existieren kann, genauso sage ich dir jetzt, dass das Jenseits nicht ohne das Diesseits und andersherum existieren kann.“
„Ich verstehe.“ gab Jon als Antwort.
„Komm!“ lächelte Wolke seinen Freund an. „Lass uns weitergehen.“
Sie gingen über einige Wolkenfelder wie als gingen sie über eine luftige Brücke.
„All diese Brücken halten das Diesseits zusammen, Jon. Es kann nur in seiner Ganzheit existieren. Die typische Kategorisierung des Jenseits darf hier keinen Bestand haben, denn wenn alles Eins ist, dann kann das Eine sich nicht vom anderen separieren. Verstehst du?“
„Ja, ich verstehe. Alles hier ist ein pars pro toto, ein Teil des Ganzen und kein Ganzes als Teil!“
„Du beginnst, zu verstehen.“ sagte Wolke.
Sie kamen an einen Ort, der Jon an einen See erinnerte, denn die Oberfläche wogte sanft im Wind und auf den Wellen spiegelten sich tausende kleine Lichter wie Sterne am Himmel.
„Was du hier siehst, wird das Wasser der Zeit genannt. In ihm ist das Gedächtnis des Seins gespeichert. Alles, was jemals existierte, ist hier. Wenn du willst, kannst du einen Schluck probieren und es selbst erleben.“
Jon formte aus seinen Händen eine Schale und tauchte sie in das Wasser. Er spürte eine wohlige Kühle, die angenehm die Haut berührte wie eine Brise im Sommer. Als er trank, entstand ein Strom der Bilder vor seinen Augen, ohne dass er diese hätte schließen müssen.
„Dein mentales Selbst kannst du im Diesseits offen betrachten, denn deine Vorstellung wurde zu einem Teil dieser Welt, wie du schon festgestellt hast. Alles ist Eins.“ klärte Wolke auf.
Jon sah, wie das Sein aus dem Nichts entstand. Wie auch eine Gitarrensaite nachschwingt, wenn sie gezupft wurde, so breitete sich das Sein aus, als es aus dem Nichts entstand.
„Das Nichts ist eigentlich ein Prozess, kein Zustand.“ sagte Wolke. „Verabschiede dich von der Vorstellung, dass im Nichts nichts existiere. Es ist wie eine Periode des Schlafens dieser Welt, und sie erwacht aus dem Nichts wie eine Blume im Frühling, nachdem sie Winterschlaf gehalten hat.“
Jon blickte wieder in den Strom. Das Universum wurde geformt von einer Energie, die Sterne und Planeten, Systeme und Galaxien wie mit der Hand eines Modellbauers an ihre Plätze setzte.
„Diese Energie ist das eigentliche Leben, doch sie ist zu unvorstellbar für die Menschen im Jenseits, von denen wenige ja nur das Diesseits verstehen können. Alles, was im Diesseits lebt, wurde von ihr zum Leben erweckt.“
Als nächstes schaute Jon zu, wie der Planet Erde entstand. Aus dem Wasser heraus entwickelte sich die Natur. Eine trockene Fläche erhob sich aus den Wellen, und wenig später wurden Gebirge aufgefaltet, Wälder gepflanzt und Tiere geformt, alles unter einem Licht, das die Reinheit des Weiß in sich trug.
„Hier siehst du nun, wie die Menschen zusammen mit der Natur lebten. Doch ihr Glück währte ja nicht lange, das haben wir ja bereits besprochen.“
Die Menschen begannen, sich gegenseitig zu bekriegen, um Land und Nahrung, um Macht und Anerkennung zu kämpfen. Blutige Schlachten wurden geschlagen, der Tod nahm Einzug in die Welt des Lebens.
„Durch dieses primitive Verhalten der Mensche löste sich das Jenseits vom Diesseits und jenes sank in den Staub der Erde, wohingegen dieses über den Wolken blieb.“
Jon betrachtete die Zeitspanne, die im Jenseits die Zeit der Aufklärung und des Sturm und Dranges genannt wurde. Hier stießen zwei Weltanschauungen aufeinander, die eine das moderne Denken verkörpernd, die andere die Gefühlswelt symbolisierend.
„Dies war eine entscheidende Zeit in der Existenz des Jenseits. Hier bestand die Möglichkeit, zu alten Lebensweisen zurückzukehren, hier näherten sich die zwei Welten einander an. Doch der Mensch hat über die Jahrhunderte gelernt, das Jenseits zu verändern und für seine Zwecke zu nutzen. Es entstand die Synthese aus beiden Epochen, die Klassik und im Zuge dessen die Ausweitung der Naturwissenschaften. Mit der Ergründung der Gesetzte, die die Natur zusammenhält, begann der Mensch, sich weiter zu entfernen vom Diesseits als alle anderen Menschen zuvor. Und es hält an, wie du siehst, Jon. Deine Zeit, am Anfang des 21. Jahrhunderts, ist zu vergleichen mit einem Scheideweg. Die Genforschung wächst aus den Kinderschuhen heraus, das menschliche Genom wurde entschlüsselt, die Forschung im Bereich der Erbgutforschung intensiviert. Das bedeutet, dass die Menschen im Jenseits auf der Spur der allumfassenden, schöpfenden Energie sind. Werden sie es eines Tages schaffen, Menschen zu kreieren, dann wird das Diesseits nicht mehr existieren, weil es überflüssig wird.“ Wolke veränderte seine Form und wurde zum Amboss, dann zum Hammer, dann wieder zu einer menschlichen Figur.
„Bist du das, was die Menschen Gott nennen?“ fragte Jon.
„Gott ist eine Metapher, mein Freund. Ihn bezeichnen die Menschen als Schöpfer der Welt. In der Tat gäbe es unzählige Götter, wenn ich Gott wäre. Sagen wir, ich bin die Vertretung der allmächtigen, formenden Energie und für den Planeten Erde eingeteilt. Ich stehe im ständigen Kontakt mit dem Diesseits, komplementär auch zum Jenseits und darüber hinaus zu all den anderen Existenzen, die in dem leben, was der Mensch Weltraum nennt. Alles hängt miteinander zusammen, Jon, und selbst du, der einer der besonderen unter den Menschen bist, hast noch nicht die Fähigkeit, all dies zu begreifen. Aber lass mir dir ein Beispiel geben: Wenn auf Erden ein Mensch mit offenen Augen und Herzen geht und er einen Schmetterling in den Lüften tanzen sieht und sich erfreuen kann an diesem Anblick, dann spricht das Diesseits für einen Augenblick durch die Natur zu ihm und er nimmt für einen Augenblick teil am großen Ganzen. – nun schau aber weiter.“
Der Strom der Zeit vor Jons Augen schlug nach der Erzählung von Wolke in mannigfache Richtung um und zeigte die unterschiedlichsten Verläufe auf, so dass Jon nicht fähig war, sich auf einen zu konzentrieren.
„Das ist die Variable der Zukunft, Jon. Die Zukunft setzt sich aus der Vergangenheit zusammen, die in der Gegenwart den Menschen bewusst ist. All die Erkenntnisse, die im Jenseits gemacht wurden, sind Mosaiksteine des Diesseits. Irgendwann wird sich der Kreis schließen und das Bild einen Sinn ergeben. Dann bricht eine neue Zeit an. Aber genug jetzt vom Wasser der Zeit. Lass uns weitergehen in die Höhlen der sinnlichen Wahrheit.“
Nebeneinander schwebten sie wie an Fallschirmen tief hinein in eine Welt in der Welt des Diesseits.
„Wir sind angekommen.“ gab Wolke von sich. „Hier ist Verbindung der Welten des Diesseits und des Jenseits, eine Schwellenwelt sozusagen. Manche Menschen haben Zugang zu dieser Schwellenwelt, hier ist der Ort der Sinnlichkeit, der kreativen Energie. Hier laufen die Fäden der beiden Welten zusammen, hier treffen sich und leben die großen Geister der Welt.
Jon sah sich um und überblickte dabei ein ganzes System aus Höhlen, die durch Gänge miteinander verbunden waren.
„Sieh dich nur um!“ ermunterte Wolke seinen Freund.
In der ersten Höhle, die John betrat, sah er ein Kind an einem Klavier sitzen, aus dem Noten in die Luft stiegen und im Raum umherschwebten. Das Kind nahm sie in die Hand, spielte mit ihnen, setzte sie an unterschiedliche Stellen in der Höhle, hörte und spürte sich in die Musik hinein, erfreute sich an den Klängen und Melodien. Jon sah fasziniert zu, wie sich aus den einzelnen Noten Stücke formten, die einen solchen Wohlklang hatten, wie er es noch nie zuvor wahrgenommen hatte.
Wolke sagte:„Du siehst hier gerade die Entstehung von Musik, die die Welt niemals vergessen wird. Das Kind ist mit einem Genius begabt, wie ihn die Musikwelt noch nicht hervorgebracht hat. In seinem Geiste komponiert er Stücke einzigartiger Schönheit, sein Kopf ist sein Instrument, mit dem er spielt. Er spielt Musikstücke, weil er mit der Musik spielt. Verstehst du? Die Noten sind Klänge und die Klänge Teil seiner Gefühle. Seine Gefühle werden zu Stücken und die Stücke haben die Fähigkeit, in die Gefühle seiner Mitmenschen zu gelangen und dort ebenfalls kreative Energie entstehen zu lassen. Du beobachtest ihn gerade dabei, wie er Musik verbildlicht.“
Jon sah, wie sich die Klänge zu Bildern wandelten. Diese zeigten einen jungen Quell, der im Gebirge aus den Steinen hervortritt und in einen Bach übergeht. Das Plätschern des Wassers wiederum wandelte sich zu einer Vorstellung des Kindes und wurde zu Noten, mit denen es wiederum spielte.
„Hier wird wahrhaftig eine Melodie geboren.“ sprach Jon erstaunt.
„Ja, eine Melodie, die in die Herzen der Menschen fließen wird.“ lächelte Wolke und nahm die Form eines flatternden Bandes an. „Komm, schau dich weiter um.“
In der nächsten Höhle entdeckte Jon wieder ein Kind, das diesmal mit einem Pinsel in der Höhle von einer Seite zur anderen und umher ging, kurz die Höhlenwand berührte und Bilder von solcher Ausdruckskraft entstehen ließ, dass sie dem menschlichen Auge wie eine Offenbahrung erschienen wären. Die Landschaften, die er aus dem Pinsel fließen ließ, weckten die Urgefühle in Jon von Freiheit und Schönheit, und er betrachtete das Speil des Kindes mit offenem Herzen. Neben Landschaften schuf es auch Stillleben und Aktbilder, konkrete und abstrakte Werke, alle in nie gekannter Ausdruckskraft.
„Du siehst hier den kreativen Geist eines Malergenies. Wie er waren auch da Vinci, Rembrandt, Michelangelo, Cezanne, van Gogh und andere an diesem Ort und ließen sich vom Diesseits inspirieren. Sie alle schöpften aus der unerschöpflichen Quelle der Kreativität und ließen ihre Vorstellung in der Welt des Jenseits konkret werden. Sie sind der Mittler zwischen den Welten, die Künstler sind die Schwellengänger, die Schönheit und Anmut, Wahrheit und Dichtung, das Leben in die Welt bringen.“
In einer dritten Höhle fand sich Jon neben einem kleinen Mädchen wieder, das dasaß und nachdachte. Aus ihrem Kopf entsprangen Buchstaben, die sich zu Worten formten, Worte, die zusammen zu Sätzen wurden, Sätze, in denen Worte umgetauscht wurden und dadurch unterschiedlich klangen. Die Sätze waren gleichsam Bilder, die aus der Fantasie des Mädchens kamen.
„Sie ist, wie du sehen kannst, sehr an Literatur interessiert. Auch sie hat Kontakt zur diesseitigen Welt und sie liebt es, sich hier aufzuhalten, mehr noch als die beiden anderen Kinder zuvor.“ meinte Wolke.
Jon stellte fest, dass sie eigentlich eine Synthese aus den beiden vorherigen Kindern darstelle, denn sie erschuf sowohl wohlklingende Satzmelodien als auch malerische Bilder in ihren Sätzen.
„Das hast du gut erkannt, Jon. Sie schafft es wirklich, beides ineinander fließen zu lassen. Sie wiederum ist wie eine Schwelle für die beiden anderen Kinder, die sich beide von ihr inspirieren lassen, so wie sie sich von ihnen inspirieren lässt. Alles webt sich ineinander, hier siehst du, was ich damit meine.“
„Warum sehe ich denn nur Kinder hier, Wolke?“ fragte Jon seinen Wegbegleiter.
„Weil nur Kinder die Fähigkeit haben, dem Diesseits nahe zu sein. Es ist egal, ob sie noch Kinder sind oder sich im Erwachsenenalter die Kindlichkeit bewahrt haben. Am Anfang seines Lebens, sobald ein Kind im Bauch der Mutter heranwächst, hat es einen Platz in den Höhlen. Doch nur die, die Kind bleiben, behalten ihn. Alle anderen werden mehr und mehr zu Menschen des Jenseits, desto weniger sie sich vom Leben überraschen lassen. Komm nun, Jon, wir treten den letzten Teil deiner Reise an.“
Sie verließen die Höhlen und fanden sich kurz darauf vor einem Abgrund wieder, der gähnend in die schwarze Leere reichte.
„Hier stehst du nun, Jon, vor dem Abgrund, der den Tod bedeutet. Jeder, der erfahren hat, dass das Diesseits eine vollkommene Welt darstellt, wird den Tod als einen Teil des Lebens anerkennen. Du hast nie daran gezweifelt, dass es eine solche Welt wie diese gibt und hast dein Leben dem Leben im Diesseits verschrieben. Gehe nun einen Schritt weiter, Jon, einen Schritt in eine neue Existenz.“
„Aber ich werde sterben, Wolke. Warum?“
„Zweifle nicht, Jon. Du weißt doch mittlerweile, dass selbst das Nichts dir nichts anhaben kann.“
Jon schwieg, bevor er die Augen wieder öffnete und Wolke anschaute. „Du hast Recht, es soll so sein. Danke für alles.“
Wolke schaute ihn mit einem väterlichen Blick an. „Du wirst erfahren, was das Jenseits und das Diesseits miteinander verbindet. Auch ich habe diesen Schritt gemacht, und sieh, was aus mir geworden ist.“
Jon lächelte Wolke zu, dann sagte er: „Wir sehen uns wieder, alter Freund!“
„Worauf du dich verlassen kannst.“
Mit diesen Worten ging Jon den nächsten Schritt in ein neues Leben.

 

Schön JBK, dass auch Du scheinbar einer jener Menschen bist, die sich eine neue und vollkommenere Welt hinter der unseren versprechen und nicht glauben wollen, dass mit den physikalischen Grenzen unserer Welt unsere Vorstellung von Leben endet. Ich hoffe Dich nicht beleidigt oder angegriffen zu haben.
Die Story ist kreativ, der schreibstil ok. Insegsamt gut zu lesen.

Theoxy

 

Lieber die eigene "Antwort" nochmal nach Fehlern durchsuchen bevor man ihn abschickt ;-)

Theoxy

 

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