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Jenseits der Mauer

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31.10.2003
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Jenseits der Mauer

Ich weiß genau, dass du auf der anderen Seite hockst; weiß, worauf du wartest. Ich kenne dich.
Zwei Meter von meinen Schuhen entfernt hört die Mauer auf. Wahrscheinlich trennte sie früher die Fabrikhalle in zwei Teile.
Ich lege mein Ohr an den kalten Stein und höre das Rasseln deines Atems; höre das Blut deiner Opfer, das mit einem stetigen Plop aus deinem Maul auf den Steinboden tropft.
Ihre Leiber liegen überall in der Halle, durch deren blinde Scheiben jetzt das Mondlicht fällt. Blut glänzt im Mondlicht schwarz; oft habe ich es gehört oder irgendwo gelesen, jetzt kann ich es mit eigenen Augen sehen.
Der Polizist, der direkt vor meinen Füßen liegt, starrt mich an. Ich will diesem anklagenden Blick ausweichen. Aber ich traue mich noch nicht einmal, die Lider zu schließen. Du könntest es hören.
Seine Hände sind tief in seinem Bauch vergraben; zeugen von einem verzweifelten Versuch die herausquellenden Innereien an ihren angestammten Platz zu halten. Immer wieder hineingedrückt hat er sie, dabei beharrlich nur in meine Richtung gestarrt - blaue Augen hat der Typ -, und der Darm war zwischen seinen Fingern wieder herausgerutscht wie Fisch aus den Händen eines Anglers. Nicht einmal geschrien hat er dabei. Nicht einmal gezittert. Nur gestarrt. Wenn Augen sterben verlieren sie nichts von ihrer Intensität.

Wie viele von ihnen hatten die Halle gestürmt? Ich kann es nicht mehr sagen. Als du ihnen entgegen gingst - beinahe anmutig -, waren sie noch zuversichtlich. Schließlich waren sie bewaffnet.
Mit Sicherheit hast du sie angelächelt. Ich kenne dich; dein Lächeln.

Das linke Bein des Polizisten, der vor mir liegt, befindet sich auf deiner Seite der Mauer. Ich kann noch den Schaft des Stiefels sehen, und für einen Augenblick muss ich daran denken, wie er sie heute früh angezogen hat. Mit Sicherheit hat er geflucht, weil die Dinger so verdammt eng sind.
Der Körper des Mannes zuckt, was nichts an seinem toten Blick ändert. Warum starrt er mich unentwegt an? Ich spüre das Handy unter meinem Bein, mit dem ich sie gerufen habe. Notruf 110. Und er starrt mich an. Klagt mich an.
Für einen winzigen Moment sehe ich deine Klaue an seinem Bein. Haarige, lange Finger. Dann reißt du den gesamten Körper aus meinem Blickfeld, hinter die Mauer. Nur der obere Teil des Kopfes befindet sich noch auf meiner Seite. Nur der obere Teil. Nur diese Augen. Diese Augen, die immer gleich und vorwurfsvoll starren, während sich das Brechen seiner Knochen und dein Schmatzen vereinen und mir das letzte Bisschen Verstand rauben, das sich noch irgendwo weit hinten in meinem Schädel befindet.
Wenn du mit ihm fertig bist, wirst du herüberkommen. Ich weiß es. Ich kenne dich.

 
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In Anlehnung an die alten "Quickie-Stories" habe ich mir mal vorgenommen, etwas Kurzes unter 500 Wörter zu schreiben. Hat nicht ganz geklappt, sind ein paar mehr geworden ;)

 

Hallo, Salem

Kleines, feines Teil. Guter Gruselfaktor. Mehr ist nicht zu sagen.

Zwei Meter von meinen Schuhen entfernt, hört sie auf

518, wenn du das Komma entfernst. (Falls Satzzeichen miteinkalkuliert sind)

lg
lev

 

Hi Lev.

Kleines, feines Teil. Guter Gruselfaktor. Mehr ist nicht zu sagen.
Dann sag ich doch mal: Vielen Dank.
Bei solch kleinen Geschichten ist natürlich immer die Frage: Kann der Leser das nachvollziehen, was dem Autor vorschwebte? Beim Schreiben juckte es mich ständig in den Fingern, das Ganze auszuschmücken; aber wie gesagt, sollte ja ein kleines Experiment sein :)

Gruß! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Moikka Salem,

schlag mich, aber ich kann Dir versichern: das ginge wunderbar in 400 Wörtern. :D

Kein Scherz - am Anfang ist es mir tatsächlich einen Tick zu dräuend: die Atmosphäre ist schön (Fabrikhallen sind einfach immer toll), aber in Absatz 3 und 4 geht's nicht voran; weder mit Handlung, Entwicklung, noch mit Intensität.

Dennoch insgesamt eine schöne Situation, fiese Beobachtungen, und selbstverständlich gern gelesen, vor allem wegen solcher knapper Sätze:

Aber ich traue mich noch nicht einmal, die Lider zu schließen. Du könntest es hören.
Das linke Bein des Polizisten, der vor mir liegt, befindet sich auf deiner Seite der Mauer.
Wenn du mit ihm fertig bist, wirst du herüberkommen.

Zwei Sachen hätte ich konkret zu kritteln:
* die ganzen dass im Einstieg, sicher Absicht, aber nicht schön.
* der Abschluß wäre sehr viel stärker, würdest Du den letzten Satz streichen. Er gibt zu sehr vor, was der Leser gefühlt aus dem vorletzten Satz mitnehmen sollte.

Aber wie heißt es: "Danke für den Moment", ein kleiner Happen Grusel zum Frühstück ist immer fein. :)

Herzlichst, moi moi,
Katla

 

Moin Katla.

Zwei Sachen hätte ich konkret zu kritteln:
* die ganzen dass im Einstieg, sicher Absicht, aber nicht schön.
* der Abschluß wäre sehr viel stärker, würdest Du den letzten Satz streichen. Er gibt zu sehr vor, was der Leser gefühlt aus dem vorletzten Satz mitnehmen sollte.
Zwei Sachen, die ich hierzu anmerken möchte:
1. du hast völlig recht
2. habs geändert :D
Den letzten Satz hatte ich tatsächlich nachträglich eingefügt, und ich denke, er war ein überflüssiges Geschwür.
Damit andere Leser wissen, worüber wir reden, hier der "Übeltäter": Solange werden meine zitternden Hände versuchen, die herausquellenden Därme in meinem Innern zu halten.

Vielen Dank für deinen Kommentar.

Gruß! Salem

 

Hi Salem,

also deine Story ist schön kurz, knackig und unheimlich blutig. Hat mich insgesamt gut unterhalten.

Seine Hände sind tief in seinem Bauch vergraben; zeugen von einem verzweifelten Versuch die herausquellenden Innereien an ihren angestammten Platz zu halten. Immer wieder hineingedrückt hat er sie, dabei beharrlich nur in meine Richtung gestarrt - blaue Augen hat der Typ -, und der Darm war zwischen seinen Fingern wieder herausgerutscht wie glibbriger Fisch aus den Händen eines tattrigen Anglers. Der schwarz glänzende Haufen zwischen seinen Beinen sieht aus wie frisch Erbrochenes.

Bei dieser Passage haben sich MEINE Eingeweide zusammengeschnürt. Ich konnte mir die Szene fast schon zu gut vorstellen. Fand ich super:D

Gruß

Pale Man

 

Ich konnte mir die Szene fast schon zu gut vorstellen
Du bist mir sympatisch :D

Hi Pale Man.
Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Freut mich, dass ich dich unterhalten konnte.

Gruß! Salem

 

Hallo Salem,

oft habe ich es gehört oder irgendwo gelesen, jetzt kann ich es bestätigen.
, jetzt habe ich es (mit eigenen Augen, liest man da mit) gesehen. (hören, lesen, sehen – das ist so aus einer Begriffswelt, sinnliche Wahrnehmung, während bestätigen etwas rationales hat).

wie glibbriger Fisch aus den Händen eines tattrigen Anglers.
Glibbrig und tattrig braucht es beides nicht.

Hm, mir ist es zu wenig. Weiß nicht, da kam für mich auch kein Grusel auf, das bisschen Gekröse … und die Szene, dass er heute noch den Kindern zugewunken hat, das fand ich schon arg berechnend und trashig. Bei so einer Geschichte ist es wie mit einem Witz. Entweder man gruselt sich und fühlt sich unbehaglich oder eben nicht (bei einem Witz lacht man, oder schmunzelt, oder eben nicht).
Ich dachte in der Auflösung wird klar, warum er das „Monster“ duzt. Und mit der Seite der Mauer, es liest sich ein bisschen wie ein Albtraum, bei dem man eine irrationale, starke Urangst hat, aber für mich kommt das nicht rüber. Die Geschichte erwischt mich nicht. Schade.

Gruß
Quinn

 

Hi Quinn.

, jetzt habe ich es (mit eigenen Augen, liest man da mit) gesehen. (hören, lesen, sehen – das ist so aus einer Begriffswelt, sinnliche Wahrnehmung, während bestätigen etwas rationales hat).
Ich habe lange drüber nachgedacht - immer wieder zog es mich dahin zu sagen: Das Rationale des Bestätigens resultiert doch aus der Wahrnehmung. Aber je länger ich drüber nachdachte, umso mehr muss ich zugeben, dass du recht hast. Ich werde auf der "Wahrnehmungsschiene" bleiben.

Glibbrig und tattrig braucht es beides nicht.
Habe natürlich schon zig Adjektive gekillt, doch finde ich, dass dieser Satz ohne die beiden eher fad wirkt.

und die Szene, dass er heute noch den Kindern zugewunken hat, das fand ich schon arg berechnend und trashig
wobei sich das hier ja auf den Polizisten bezog.

Albtraum, bei dem man eine irrationale, starke Urangst hat
ist ja witzig, dass du das sagst; ist bei mir tatsächlich so :D

Hab mich auf jeden Fall über dein Kom gefreut, auch wenn dir die Geschichte nicht zugesagt hat (naja, ist ja auch wirklich arg kurz). Danke nochmal.

Gruß! Salem

 

Hallo Salem,

kleine Schreibübung, damit du nicht einrostest? ;)

Nu ja, das ist mir insgesamt auch zu dünne. Da schwingt zwar noch etwas mehr mit, aber das reicht für mich nicht. Etwas mehr dürfte es sein. Und damit meine ich nich Gedärm. Davon hast du genug drinnen - oder eben draußen :D
Würde sagen, investiere noch mal so viele Wörter, dann haben wir hier was Feines.

grüßlichst
weltenläufer

 

Und damit meine ich nich Gedärm
Mist, und davon hätt ich noch genug gehabt :D

Ne, is schon klar, weltenläufer. Vielleicht sollte ich noch bisschen mehr reinpacken. Wobei dann diese kleine, selbstgestellte Übung (max 500 Wörter) nicht mehr hinhaut. Okay, könnte das einfach auf 1000 hochsetzen; bin ja der Chef :)
Aber Ziel sollte es sein, in diesem kleinen Rahmen etwas zu packen, das den Leser zumindest ganz, ganz kurz packt.

Dank dir aber ganz doll fürs Lesen und Kommentieren (die Nächste wird länger ;))

Gruß! Salem

 

Hallo Salem,

insgesamt gruselt es mich weniger bei exzessiven Splatterszenen. Ich sehe zwei starke Bilder in der Geschichte, der entdärmte Polizist und seine blauen Augen (vor allem die), sowie der Protagonist an der Mauer. Selbst mit weniger Innereien sind es starke Bilder. Sehr gut. Glibbrig und tattrig finde ich ebenso zu viel, der Vergleich ist so schon sehr stark bildhaft.

Bei der Rückblende des Schuhanziehens hatte ich auch erst meine Zweifel, ob es nicht zu berechnend wirkt, aber beim zweiten Leben fand ich es gut, ´ne Nuance zu schmalzig vielleicht.

Hat Spaß gemacht.

Lieber Gruß,
Vincent

 

Hi Vincent.

und seine blauen Augen (vor allem die)
Danke, dass du das hervorhebst.

Glibbrig und tattrig finde ich ebenso zu viel
Ihr habt recht. Habs rausgeschmissen und es klingt wirklich besser. Danke nachträglich auch nochmal an Quinn.

Bei der Rückblende des Schuhanziehens hatte ich auch erst meine Zweifel
Auch hier gebe ich dir Recht bezüglich des Schmalzfaktors. Habs eliminiert.
Hat Spaß gemacht
Freut mich :)

Dank dir fürs Lesen und die Rückmeldung.

Gruß! Salem

 

Hi Salem,

ich mach mal nicht viele Worte, dass das bissl kurz ist, weißt du ja. ;)

Ansonsten aber durchaus gelungen, wirklich starke Bilder dabei.

Noch kurz ein paar sehr subjektive Eindrücke zu den Details:
1. Dass der letzte Satz so schnell rausflog, fand ich sehr gut. Der passte nicht. Auf jeden Fall gefiel er mir nicht.
2. Glibbrig konnte auch aus meiner Sicht raus, Fisch ist immer irgendwie glitschig. Ich würde aber dem Fisch nun noch ein "ein" voranstellen.
3. Tattrig fand ich gut. Nicht jeder Angler ist tattrig, wenn er einen Fisch vom Haken löst oder ihn in seinen Eimer werfen will. Das Tattrige, Zitternde zeigte sehr schön den Schock, unter dem der Poizist steht, sein Nicht-Wahrhaben-Wollen. Fand ich jedenfalls.

Ansonsten: Alles schon gesagt. Netter Happen. :)

Viele Grüße
Kerstin

 

Hi Kerstin.

Schön, von dir zu hören. Und gefreut über deinen Kom hab ich mich natürlich auch.

wirklich starke Bilder dabei
Vielen Dank. Wobei ich feststelle, dass ich immer noch hier und da ein wenig rumfeile.
Zum Beispiel hat mich dein Hinweis mit dem tattrigen Angler dazu inspiriert, den Polizisten bei seiner Tätigkeit gar nicht zittern zu lassen. Finde, das wirkt irgendwie noch erschreckender. Zumindest für mich :)
Ich würde aber dem Fisch nun noch ein "ein" voranstellen.
Hatte ich zunächst auch gedacht, doch dann hätten wir einmal die Wortwiederholung, und zum anderen finde ich, dass durch Weglassen des Artikels die Masse der Innereien hervorgehoben wird. Vielleicht sehe ich das auch nur so :confused:

Netter Happen.
:lol:

LG! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, Salem!

Huch... schon vorbei!
Insgesamt hat mir das alles zwar schon gefallen, aber:

Dass man gar keine Hintergründe erfährt, also, mir nimmt das irgendwie etwas von der Geschichte. Wieso duzt der Protagonist das "Monster"? Was ist überhaupt dieses Monster, wenn es denn eines ist, und was will es in dieser Lagerhalle? Wieso ist der Prot. eigentlich auch da?

Und wieso, zur Hölle, duzt er das Vieh? Das hat mich am meisten beschäftigt. Er sagt ja immerhin auch, "Ich kenne dich". Tatsächlich? Woher? Hier wären ein paar Andeutungen mehr vielleicht zuträglich, auch die Länge (bzw. Kürze) darunter leidet.

Aber alles in allem, nette Fingerübung. :)

Grüße von Pat, dem ehemaligen Lestat! (wenn du mich denn noch kennst :) )

 

Hi iPat und herzlich willkommen zurück :D

Ich denke, das meiste habe ich dir per PM beantwortet (ist ja nicht viel :))

Aber alles in allem, nette Fingerübung.
Vielen Dank (obwohl, büschn was gedacht hat sich der olle Salem dabei schon was)

Dank dir fürs Lesen und Meinungabgeben.

Gruß! Salem

 

Lebt denn der alte Holzmichel noch?
:D

Hi Salem!

Du wolltest was unter 500 Wörter schreiben?

Siehst du, im Gegensatz zu der Masse hier, glaube ich, dass die Story (na ja) noch zu lang ist. Wenn du alles Unwesentliche rausschmeißt, alles, was stört, was Füllwörter, Füllsätze, überflüssige Informationen ist, wenn das alles weg ist, kommst du locker unter das Limit.

Als ich den Satz:

Ich sehe das Blut, das in Seen zwischen dampfenden Gedärm glänzt.

las, dachte ich: Er kanns nicht lassen!
Ich weiß nicht, diese ganze Metzelszene mit dem Polizisten macht mich überhaupt nicht an, vielleicht wäre es erschreckender gewesen, wenn du den Polizisten als Person eingebracht hättest, eventuell ein Hilfe heischender Blick von ihm, ein Flattern der Augenlider?

Der letzte Abschnitt dann, das war für mich die eigentliche Geschichte. Der Teil reißt viel raus, die Abschnitte davor kannst du mühelos erheblich kürzen.

Ich hätte mich darauf konzentriert, auf die Mauer, und das Vieh dahinter. Schön, dass du den Schleier nicht lüftest.

Wie gesagt, auf den Zielgeraden immer besser.

Meine Meinung.

Schöne Grüße von diesseits!

 
Zuletzt bearbeitet:

:D immer wenn ich deinen Namen hinter eine meiner Geschichten lese, dann denke ich mir vorher: Na ... was wird er sagen? Und insgeheim WUSSTE ich hier, dass du den Satz mit den Seen zwischen dem Gedärm zitieren wirst :D
Du merkst, ich kenne dich inzwischen schon recht gut.

So, erstmal ein freudiges Hallo, Hanniball!

eventuell ein Hilfe heischender Blick von ihm
da er ja bereits tot ist, habe ich versucht, genau diesen Blick hervorzuheben.

Der letzte Abschnitt dann, das war für mich die eigentliche Geschichte. Der Teil reißt viel raus, die Abschnitte davor kannst du mühelos erheblich kürzen.
Habe die Geschichte jetzt schon lange nicht mehr gelesen; werde aber mal gucken, ob ich noch was rausschmeißen kann.

Meine Meinung
die ich immer sehr zu schätzen weiß ...

Gruß! Salem

P.S. Bin ja positiv überrascht, welche Lektüre du dir gerade "antust" ... :D
Werde nach den insgesamt 5200 Seiten des Dunklen Turm auch mal reinlesen.

 

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