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Jeder ist ersetzbar
Sonntag dachte ich darüber nach. Ich dachte, dass es an der Zeit wäre einen Mann zu finden, der mir wirklich wichtig ist. Dass es sinnvoll wäre, zu lieben und wertzuschätzen und nicht Brofists mit mir selbst auszutauschen, sobald ich einen zur Türe bringe. Viele Male, die Türe schließend. Ein letzter Blick. Ein Kuss, der mir unangenehm ist. Oder nur eine Umarmung; das andere Zeichen. Die Variante, die immer etwas an meinem Selbstbewusstsein nagt, obwohl sie logisch betrachtet sehr viel besser ist, denn sie bedeutet, dass nicht noch ein weiterer glaubt, das Eis zwischen uns brechen zu müssen. Dass ein weiterer glaubt, es wäre nur Schüchternheit.
Oder wenn ich einen zur U-Bahn bringe. Wenn ich verstohlen auf mein Handy schaue und dann auf die Fahrplantafel, um zu prüfen, ob die Dates reibungslos ineinander übergehen. Meistens klappt es, und das macht mich fahrlässig. Einmal lief ich wortlos an Mann 2 vorbei, Hand in Hand mit Mann 1, der zur Bahn gebracht werden musste. Den Treffpunkt, der auf dem Weg lag, hatte ich selbst ausgesucht, um Zeit zu sparen. Mann 2 sprach es nicht an, als ich zu ihm zurück kehrte und fragte, wie sein Abend war. Keine Ahnung wieso.
Manchmal befürchte ich, dass meine Mitbewohner glauben könnten, ich wäre nymphoman. Dabei habe ich kein Problem anzuecken oder dieses Label aufgesetzt zu bekommen. Es ist nur so, dass ich gerne ganze Klischees erfülle. Ich mache das Bild gerne komplett. Mit Kostümen und Filmmusik und Vorankündigungsplakaten. Und die Nymphomanin trifft es nicht. Davon bin ich fast überzeugt.
Ja, es ist so, ich besitze Frühstücksmodule, Essen, das lange hält. Hotel-Packungen Nutella, Marmelade, Honig, veganer Aufstrich und Kondensmilch. Mymuesli Probepackungen und H-Milch in 0,5 Liter Tetras. Dosenwurst und Aufbackbrötchen - Körner, Lauge, Croissants. Für jeden etwas dabei und trotzdem effizient und billig.
Ja, es ist so. Wenn mich einer anfasst und auszieht, sage ich nicht nein. Nie. Wenn einer fragt, ob ich es auch will, sage ich "ja", aus purem Stumpfsinn. Ich müsste sonst recherchieren, was im Kino kommt und eigentlich ist es zu kalt, um nach draußen zu gehen, und seine Hände sind so warm. Und ich müsste einen Standpunkt haben, und ich müsste wissen, wen oder was ich denn wirklich mag, wenn nicht den, der hier zwischen meinen Beinen liegt, wen dann?
Neulich dachte ich also darüber nach. Ich überlegte, was ich mir wünsche - „Keine Ahnung, irgendwas zum Spielen“ - und was sich Männer von mir wünschen könnten - „Irgendwas mit Frau“ - und dann dachte ich, dass ich eventuell eine eingeschränkte Wahrnehmung haben könnte. Ich dachte dann ziemlich schnell an eine Krankheit, dass ich eventuell psychopathisch oder soziopathisch wäre. Dass es behandelbar wäre, metaphorisch gesagt, mit Salbe und Pflaster. Und irgendwann, wenn man es abzieht, ist heile, rosa Haut darunter. Auf jeden Fall musste ich das recherchieren. Ich benötigte eine Diagnose, um meine Selbstoptimierung starten zu können. Clean Eating hatte ja auch geklappt. Und dann bemühte ich Wikipedia. Der Anfang von Allem.
Wie immer passten 25% der Symptome (unter Anderem hatte ich schon Gonorrhoe, aber nur die Form, die Augen befällt). Genauer gesagt, passten gefühlte 25% der Symptome einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Jemand, der über das normale Maß damit beschäftigt ist anderen zu gefallen aber kein Einfühlungsvermögen besitzt. Jemand, der übermäßige Ansprüche an sich und die anderen stellt. Jemand, der andere verletzt, weil er nicht spürt, was er zumutet, sondern immer nur vor Zeichen von Zurückweisung davon läuft. Ich dachte ernsthaft darüber nach, wie viel „narzisstisch gestört“ in mir enthalten ist. Oder ob mich ein Psychologe wieder wegschicken würde mit dem Hinweis: "Sie sind gesund. Sie sind nur ein typisches Kind dieser Zeit". Eine wie die anderen.
Und irgendwie hatte ich wohl nicht genug Selbsthass an diesem Tag für mich übrig. Ich war eineinhalb Stunden laufen gewesen, hatte mich gesund ernährt, etliche Termine für die nächste Woche ausgemacht, die Waschmaschine lief und der Lichteinfall war gut oder es befand sich einfach nur keinen Staub auf meinen Regalen. Also gingen meine Gedanken dazu über andere verantwortlich zu machen bzw. das Problem gesellschaftlich zu sehen. Ich hatte genug Beweise, dass es nicht nur mir so ging. Jammernde Freunde und Vice-Reportagen.
Ich fragte mich, warum man Menschen scheinbar mehr und mehr als austauschbar wahrnimmt. Weil man mehr Menschen kennenlernt? Weil man sich zu wenig Zeit nimmt, zu häufig umzieht, Grundvertrauen verloren geht oder weil man egoistischer wird und nur die eigenen Bedürfnisse befriedigt. (Ja, ich dachte in "man-Sätzen) Oder werden alle ähnlicher?
Ich fragte Siri: "Was ist Ähnlichkeit?" Und landete wieder auf Wikipedia und im tiefsten Dschungel der Begriffs-Definitionen. Ein Artikel zum Thema "Identität" hielt mich fest. "Die Identität ununterscheidbarer Dinge": „Wenn zwei Dinge nicht identisch sind, müssen sie sich irgendwie unterscheiden“, stand darin, „und sei es nur durch ihre Lage im Raum“. Klon 1 steht links, Klon 2 steht rechts, macht zusammen zwei. Wir werden besonders, weil man uns an einem bestimmten Ort befindlich wahrnimmt. Also sollte man Raum und Zeit schätzen lernen, den Zauber des Zufalls?
Ich weiß nicht, ob ich repräsentativ bin, aber ich lernte nur wieder: Jeder ist ersetzbar., also nehme, was da ist.
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"Ähnlichkeit ist ein Phänomen in dem Vorgang der Unterscheidung, das nicht ohne Betrachtung des Betrachters vollständig erklärt werden kann."
Irgendwas mit Luhmann und so
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