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Jaya

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31.08.2003
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Jaya

„ Sie ist früher bestimmt ein sehr hübsches Mädchen gewesen“, dachte Alex sich, als er das kleine zitternde Etwas auf dem kalten, feuchten Boden der Zelle liegen sah. Unweigerlich kam Mitleid in ihm auf, nachdem er sich neben sie gehockt hatte, um sie näher zu betrachten.

Die Tests hatten ihren noch jungen, zierlichen Körper vollkommen zugrunde gerichtet. Kalter Schweiß lag auf ihrem blassen Gesicht, aus den Winkeln ihrer geschlossenen Augen glaubte er, Tränen laufen zu sehen. Sie war schon so gut wie tot, nur noch Haut und Knochen. Ihre zitternden Lippen hatten eine tiefblaue Farbe angenommen und überall waren Spuren der Ratten zu sehen, die sich an ihrem Körper zu schaffen gemacht hatten. Trotzdem hob und senkte sich ihr Brustkorb in kurzen, schwachen Abständen.

Ihr Überlebenswille war ungebrochen, ihre starke Persönlichkeit erfüllte die kühle Luft in ihrer Zelle.

Vorsichtig deckte er ihren Körper mit seiner Jacke zu und öffnete eins ihrer Augen, um mit seiner Taschenlampe hineinleuchten zu können. Sie reagierte nicht auf das Licht, dafür sah er, dass ihr Auge blutunterlaufen und gereizt war.

Eine der Ratten, die sich in ihrer Zelle eingenistet hatten, kam aus ihrer dunklen Ecke und lief direkt auf das Mädchen zu. Ihr langer, dicker, pelziger, in Blut getränkter Schwanz hinterließ dabei eine dunkelrote Spur auf dem Boden der Zelle. Das Tier blieb vor dem hilflosen Körper des Mädchens stehen, sah zu Alex auf und fletschte seine kleinen, messerscharfen Zähne. Es wollte seinen Besitz verteidigen, sein Futter. Alex versetzte ihr angewidert einen gezielten, festen Schlag mit der Taschenlampe. Dann noch einen, bis er schließlich wie ein Wahnsinniger wieder und wieder zuschlug. Hohe, widerwärtige Schreie erfüllten die Zelle, während er die schwere Lampe auf den Kopf und Körper des Nagers sinken ließ, als wolle er ihm jeden einzelnen Biss zurückzahlen. Er verzog sein Gesicht voller Ekel, er hatte zwar mit dem Blut und den Schreien des Tieres gerechnet, nicht aber mit den Geräuschen, die die Knochen machten als sie brachen.

Alex holte tief Luft als er feststellte, dass die Ratte schon lange tot war und keinen Laut mehr von sich gab. Er hatte nichts weiter zurückgelassen, als eine blutige, breiige Masse. Noch angewiderte als vorher, stieß er die Reste des Tieres mit der Lampe zurück in ihre Ecke.

Neues Futter für die anderen Ratten.

Er bemerkte, dass von der Lampe in seiner Hand dickflüssige Bluttropfen auf den Boden fielen, genau neben seine neuen Schuhe. Italienische, das beste Leder, Schuhe, die noch echte Nähte hatten, nicht die Aufgesetzten, die sich sofort ablösten. Sie hatten ihn ein kleines Vermögen gekostet und er war sicher, dass sich die Investition irgendwann auszahlen würde, wenn sie erst einmal eingelaufen waren. Er warf die Lampe schnell von sich und wich ein Stück zurück, um nicht aus Versehen ins Blut zu treten und sich so seine neuen Schuhe zu ruinieren.

„Wie lange liegt sie schon so hier?“, wollte er von den Wärtern wissen, die immer noch an der Zellentür standen und offensichtlich erschrocken über die Wut und die Kraft waren, mit der er auf die Ratte eingeschlagen hatte.

„Ich weiß es nicht“, antwortete der Jüngere der beiden Männer schnell, nachdem er sich wieder etwas gefasst hatte.

„Bekommt sie etwas zu essen?“

„Nicht, seit ich hier arbeite“

„Warum?“

„Sie stirbt doch... es wäre Verschwendung“

„Verstehe“, er strich nachdenklich über sein Kinn und versuchte nicht auf die Schreie zu achten, die aus einer der benachbarten Zelle kamen. Wieder jemand, den die Haft und vor allem die Tests verrückt gemacht hatten. „Wie ist ihr Name?“

„Ich weiß es nicht“

„Wo ist ihre Akte?“

Der Junge reichte ihm schnell die Akte und verzog dabei das Gesicht zu einem nervösen Lächeln. Alex fiel auf, wie verängstigt der Junge wirkte, er betrachtete ihn kurz und nickte ihm ein kurzes Danke zu. Das blasse, jungenhafte Gesicht des Wärters entspannte sich, Alex glaubte, so etwas wie Erleichterung zu erkennen.

„Jaya“, las er leise. „Ihr Name ist Jaya“

Er überflog den Rest ihrer Daten und ihre Testergebnisse. Der letzte Eintrag lag schon Monate zurück.

Man hatte sie einfach zum Sterben in ihrer Zelle gelassen und „vergessen“.

„Sie wird mit mir kommen“, erklärte er ruhig und gab dem milchgesichtigem Wärter die Akte zurück. Er erntete einen überraschten Blick des Jungens.

„Aber sie ist doch fast...“

„Tot?“

„Ja“

„Ich bin nicht blind“, sagte Alex kühl und warf dem Jungen einen genauso kühlen Blick zu, bevor er kurz die langen, dunklen Haare des Mädchens berührte. Sie brauchte dringend ein Bad.

„Als Sie sagten, Sie bräuchten einen Gefangenen, dachte ich...“

„Bereiten Sie sie vor“, unterbrach Alex ihn. „Ich werde das Finanzielle regeln!“

Er lächelte zufrieden in sich hinein und stand vom Boden auf. Es war ein gutes Geschäft, sie würde ihn nicht viel kosten. Man wartete doch nur darauf, diese „Leiche“ loszuwerden. Dabei brauchte sie nichts weiter als ein heißes Bad, vernünftiges Essen und etwas Ruhe. Er würde sie heilen und sie würde wieder aussehen wie früher. Wunderschön.

Endlich würde er nicht mehr alleine sein.

Er hatte den perfekten Menschen für sich gefunden. Seinen eigenen kleinen Menschen. Er war aufgeregt wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hatte.

Er wusste, dass es in der Welt der Menschen als unmoralisch galt, sich Sklaven zu kaufen. Man bezeichnete es als grausam, skrupellos und falsch, obwohl es durchaus noch an der Tagesordnung war. Jeder Mensch war käuflich, jeden Tag wechselten sie ihre Besitzer, so wie Jaya jetzt. Alex war sich sicher, dass gute neunzig Prozent der Insassen dieses Gefängnisses unschuldig waren. Jaya gehörte zu diesen neunzig Prozent. Sie waren Sklaven, dessen einziges Verbrechen es war, alleine auf der Welt zu sein. Niemand vermisste sie, niemand stellte peinliche Fragen, die die Tests bedrohen konnten. Ohne das Wissen der restlichen Bevölkerung wurden sie hier schlimmer gehalten als Tiere, in einem Gefängnis, von dem nur ein Kreis Ausgewählter wusste. Man testete an ihnen die Auswirkungen und Effektivität neuer Kriegswaffen. Biologischer Kriegswaffen. Diejenigen die nach außen hin am vehementesten für die Menschenrechte kämpften, waren gleichzeitig die, die hinter diesem Sklavenhandel standen.

Die Menschen waren ja solche Heuchler.

Aber das interessierte Alex nicht, er war ja kein Mensch.

 

Hallo,
erstmal danke für die ausführliche Kritik, in manchen Punkten werde ich aber "widersprechen" müßen.

Die Beschreibung des Mädchens, Jaya, war und ist für mich wichtig, weil Jaya wichtig ist. Es geht mehr um den Kauf selber, als um irgendetwas anderes. Mir persönlich ist ihre Beschreibung wichtig.

Kann schon sein, dass die Ratten normalerweise auf einen hilflosen Menschen losgehen würden, eher auf Abfall. Sie geben Jaya aber nicht den Rest, weil, wie weiter oben im Text, ihr Überlebenswille ungebrochen ist. Sie haben ja auch nicht große Löcher in sie reingefressen, nur ein Wenig "angeknabbert" (so blöd es auch klingt).
Ähm, die Lampe geht doch gar nicht kaputt... steht jedenfalls nirgendwo und war auch nicht so geplant.
Cricket, ja, gefiel mir selber nicht so sehr, lag wohl daran, dass ich mir gerade wieder diverse Spiele ansehen musste und es noch in meinem Kopf herumschwirrte. Ich werd's sowieso rausnehmen.

Der Protagonist ist, oder soll, tasächlich ein Außerirdischer sein, der aber auf der Erde lebt. Er fällt nicht auf, weil er genauso aussieht wie ein Mensch. Ich wollte es eigentlich nicht großartig umschreiben, aber vielleicht wäre es doch nötig.

Macht mich allerdings nachdenklich, dass die Passagen, die mir wichtig waren und deswegen auch hervorgehoben sind, für dich als Leser vollkommen irrelevant waren.
Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn ich umdenke, mich auf die vernachlässigten Passagen konzentriere und den Text noch einmal bearbeite.

 

Hallo gori,

deine Geschichte habe ich anfangs mit großem Interesse gelesen. Sie ist gut geschrieben und ich wollte wissen, wie es mit Jayas bemitleidenswerten Schicksal weitergeht.
Der Schluss gefiel mir dann aber nicht sonderlich. Er kam zwar überraschend – den Charakter von Alex habe ich dabei, was wohl deine Absatz war, vollkommen falsch eingeschätzt –, trotzdem hätte ich mir ein schöneres Ende für das arme Mädchen gewünscht. Das Ende ist zwar nicht schlecht, aber auch nicht sonderlich originell und es gibt viele Storys mit einem derartigen Ausgang.

Eine Sache noch: Wenn es sich bei Alex um einen Außerirdischen handelt, wieso hat er dann einen menschlichen Namen?

Viele Grüße,

Michael :)

 

Eine Sache noch: Wenn es sich bei Alex um einen Außerirdischen handelt, wieso hat er dann einen menschlichen Namen?

Na, als Tarnung natürlich:)

Auch dir danke fürs Lesen und die Kritik, ich denke, ich werde mal sehen, was man sonst noch aus dem Ende machen kann!

 

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