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Jascha
Sie zerrte verzweifelt an ihren Fesseln,
„Es kann nur einen Captain geben und du bist nur ein Mädchen.“
Sein Fußtritt riss ihr die Beine weg und sie schlug mit dem Gesicht auf den staubigen Boden. Sie lag da. Überall Blut.
„Mama!“
Diese Augen dunkel und starr.
„Hör auf zu flennen, du Gör!“
„Renn, Jascha!“
„Schlag fester!“
„Wer schwach ist, stirbt wie deine Mutter!“
Das Papier auf dem Tisch.
Überall Blut. Die toten Augen.
„Nein!“
Jascha schreckte hoch. Ihr Herz raste. Sie schnappte nach Luft, gierig, verzweifelt und mit jedem Atemzug schien der fensterlose Raum, in dem die Waffenliga sie eingesperrt hatte, kleiner und kleiner zu werden. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und krallte die Fingernägel in ihre Oberarme. Der Schmerz half ihr, sich zu konzentrieren. Diese verdammte Hitze! Wenn Tuk-Van sie holen ließ, musste sie hellwach sein, bereit jede Möglichkeit zur Flucht zu nutzen.
Jascha hatte gedacht, nichts könne schlimmer sein als Babkas Tod, doch sie hatte sich geirrt. Die Männer hatten sie einfach vor Tuk-Vans Außenposten abgeworfen und sie hatte es nicht verhindern können. Sie krallte die Nägel noch fester in ihre Arme. Wehr dich! Wer aufgibt, ist tot. Aber sie war nicht tot. Noch nicht. Sie würde das hier überstehen und sie würde sich rächen.
Dieser Gedanke gab Jascha neue Energie und als sich die Tür öffnete und ein kräftiger, kahlköpfiger Tuk in den Raum rollte, federte sie vom Bett hoch und duckte sich an dem schneemannförmigen Wesen vorbei. Aber ein zweiter Tuk blockierte die Tür mit seinem Kugelbauch, packte ihren Zopf und schleifte sie in den Gang. Jascha versuchte verzweifelt, auf die Beine zu kommen, aber der Tuk war zu schnell und ihr blieb nichts als sich so gut es ging, schützend zusammen zu rollen.
Halb ohnmächtig wurde Jascha vor Tuk-Vans Stuhl auf die Knie gezwungen. Sie spürte den Schmerz abebben und ihre Augen suchten Halt an dem harmlosen Äußeren ihres Gegenübers, auch wenn sie nur zu gut wusste, dass der Chef der Waffenliga kein Spielzeug-Schneemann war, der mit schwarzer Weste und Hut Revolverheld spielte.
„Hey Van, hast du Sehnsucht nach deinem besten Kurier?“, polterte sie los, während sie fieberhaft nach einem Ausweg suchte, nach einer glaubhaften Lüge, nach einem guten Deal.
„Wo ist mein Geld, Elankowa?“ Tuk-Van taxierte Jascha mit seinen schmalen Augen. „Wie man hört, treibt sich die Rote Oktober im Kiruna-Sektor herum und es sieht nicht so aus, als ob sie Kurs auf Tuk nimmt.“
„Ach Van, du weißt doch, wie das ist. Für einen guten Deal macht man schon mal einen Umweg. Sobald meine Mannschaft da ist, bekommst du dein Geld und einen fetten Bonus für´s Warten.“
„Quatsch nicht! Denkst du, es hat sich noch nicht herum gesprochen, dass die kleine Jascha verarscht wurde, kaum dass ihr alter Babka ins Gras gebissen hat.“ Ein böses, rollendes Lachen schüttelte Tuk-Vans Leib und Jascha fühlte sich wie eine Puppe in der Faust eines wütenden Kindes, das kurz davor war, ihr einen Arm auszureißen und sie dann auf dem Boden zu zertrümmern.
Es hatte sich also herumgesprochen.
„Das ist nur ´ne kleine Streitigkeit unter Freunden. Das krieg ich wieder hin.“ Jascha versuchte zu lächeln, beugte sich vor und streichelte dem Chef der Waffenliga über die elegante Seidenweste. Doch Tuk-Vans Greifer legte sich wie ein Schraubstock um ihr schmales Handgelenk, als er ihre Hand von seinem Bauch wegzog.
„Du stinkst, Elankowa. Bringt sie weg! Sie soll sich waschen und etwas Hübsches anziehen, dann kommt sie ins Schaufenster!“
Jaschas Augen weiteten sich. „Das, das meinst du nicht ernst“, stammelte sie, „Meine Talente liegen ganz wo anders. Ey, ich brauche nur ein Schiff“, schrie sie, doch Tuk-Van richtete seine Aufmerksamkeit jetzt auf die Schale mit süßduftenden Tuk-Melen, die ein Diener neben ihn auf den Tisch gestellt hatte.
Als Jascha erkannte, dass Reden zwecklos war, konzentrierte sie sich darauf, ihre Umgebung zu scannen, wie ihr Großvater es von klein auf mit ihr trainiert hatte. Immer und immer wieder. Im Rücken: Körperwärme. Einer der Tuk stand dicht hinter ihr. Vor sich: Tuk-Van, die linke Westentasche ausgebeult von einem Mikrophaser klein aber effektiv. Rechts: der verschwundene Diener, ein wehender Vorhang, ein runder Tablett-Tisch auf Drachenfüßen, eine Obstschale, ein Schälmesser. Jascha spürte, wie sich der Zug auf ihre Haarwurzeln wieder verstärkte. 300 Haare pro Quadratzentimeter. Eine stabile Fessel. Sie gab dem Zug nach und ließ sich nach hinten fallen. 1,76 Meter plus zehn Zentimeter, wenn sie den Fuß streckte. Sie kickte das Tablett mit der Obstschale in die Luft, fing das Messer und durchschnitt mit einer schnellen Bewegung ihren dicken blonden Zopf. Das fehlende Gegengewicht ließ den Tuk hinter ihr taumeln. Jascha sprang auf. Aus den Augenwinkeln sah sie Tuk-Van nach seinem Phaser greifen.
Jascha hechtete durch den Vorhang und deckte ihren Kopf mit den Armen, als der Phaser die Wand hinter ihr wegsprengte. Der Gedanke, dass Van ihren Körper wie ein Stück Fleisch verkaufen wollte, trieb Jascha durch die Flure und schärfte ihre Sinne: Rollgeräusche in ihrem Rücken. Die Tuk hatten also die Verfolgung aufgenommen und dann ein schwacher Geruch von gebratenem Fisch. Küche: Müll, Liefereingang, Messer. Küche war gut. Sie schlug eine Rechtskurve und folgte den Duftmolekülen, bis ihr die Hitze der Garküche entgegenschlug. Durch den Dampf, der den großen Pfannen entströmte, erkannte sie eine offene Tür, die in einen Hof hinausführte. Noch während Jaschas Augen den dicken Holzbalken registrierten, der das Hoftor verriegelte, machten sich ihre Beine bereit zum Sprung. Ihr linker Fuß landete auf dem Balken, drückte sich ab und gab Jascha genug Auftrieb, um die Mauerkrone zu erwischen und sich auf der anderen Seite hinuntergleiten zu lassen.
Das Adrenalin in ihrem Blut ließ Jaschas Sinne nun bis zur Grenze des Erträglichen arbeiten und während sie hörte wie Tuk-Vans Männer das Tor entriegelten, explodierte eine Welle aus Formen, Farben und Gerüchen in ihrem Kopf. Jascha musste kurz die Hände an ihre Schläfen pressen, um sich zu fokussieren. Rechts: eine kleine Gasse, aus der keiner heraus kam. Schlechtes Zeichen. Wahrscheinlich eine Sackgasse. Sie schlängelte sich weiter durch die enge Straße und schubste zwei Tuk-Frauen aus dem Weg, die an einem Marktstand mit einem Händler feilschten. Der süßliche Schweißgeruch der beiden Fremden klebte an Jascha wie heißer Tuk-Melen-Honig und sie hatte Mühe ihn abzuschütteln und sich wieder auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Links: breitere Straße, weniger schäbig, mehr Grün. Auf keinen Fall! Zu wenig los, zu viel Platz. Jascha tauchte in die dichter werdende Menge. Unter die Tuk- Händler mischten sich jetzt andere Spezies: verschleierte Karan Beduinen, vielarmige Tektarianer und langmähnige Wus. Das grelle Sonnengelb der Beduinengewänder prallte auf das Azurblau der Wu-Haare und Jascha musste immer häufiger mit den Augen zwinkern, um die Flut der Farben, zumindest temporär, aus ihrem Sinnesspeicher zu löschen. Der Strom der Leiber spülte sie geradewegs in den Raumhafen von Tuk. Jascha atmete auf, als das Gedränge nachließ und sich das Veilchenparfüm der Wus nicht mehr dick und schwer über den süßen Geruch des Obstes legte und mit der Schärfe der Tuk-Zwiebeln vermengte.
Doch jetzt, wo das Gelände offener wurde, konnten die rollenden Tuk-Verfolger ihre Geschwindigkeit ausspielen. Sie waren Jascha dicht auf den Fersen. In ihrem rechten Augenwinkel nahm sie einen Schatten wahr, ein Gepäckgleiter. Jascha sprang. Ihre rechte Hand griff ins Leere. Ihr Körper machte sich bereit für den Aufprall, als sie sich mit letzter Verzweiflung streckte und mit der linken Hand die Kufe des Gleiters erwischte. Sie griff zu, zog die Beine an und trat mit voller Wucht in das siegessicher grinsende Gesicht ihres Verfolgers, der nach ihren Beinen schnappte.
Der Gleiter flog nun in bedenklicher Schräglage die Docks entlang. Jascha schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein und aus. Ihre Arme fingen an zu verkrampfen.
Hektisch blickte sie sich um. Der Anblick der Frachtschiffe an den Docks gab ihr einen Stich, der noch stärker schmerzte als der Krampf in ihren Armen. Noch vor einer Woche war sie, den Rucksack voll kostbarer Beute, die Laderampe der Roten Oktober hochgesprintet, Gregori hatte die Maschinen gestartet und sie waren ihren Verfolgern mit einem Schnellstart entkommen. Babka hatte die Wodkaflasche unter dem Bett hervorgeholt und einen mit ihr gekippt. Jascha war stolz gewesen. Aber Babkas Tod hatte alles geändert und Gregori war jetzt ihr Feind.
Jascha schaute zurück. Ihre Verfolger hatten inzwischen ebenfalls ein Gefährt gekapert und holten auf. Verzweifelt suchte Jascha nach einem Ausweg, doch ihre verkrampften Muskeln streikten. Sie konnte die Kufen des Gleiters nicht länger halten. Instinktiv rollte sie sich ab. Trotzdem nahm ihr der Aufprall für einen Moment die Luft.
„Hör auf zu flennen, du Gör. Wehr dich! Wer aufgibt, ist tot“, peitschten die Worte ihres Großvaters sie hoch. Und dann sah sie es. Ein großes Schiff am Dock direkt vor ihr, das dabei war, die Laderampe zu schließen. Jascha rappelte sich hoch und sprintete los. Sie erreichte die Heckklappe und schwang ihre Beine mit letzter Kraft über die Metallplatte. Dann ließ sie los. Verzweifelt probierte sie ihre Rutschfahrt mit den Füßen zu steuern, aber die Rampe stand jetzt fast senkrecht. Mit einem letzten Versuch ihren Sturz zu beeinflussen, stieß sich Jascha ab und steuerte einen Haufen mit prall gefüllten Säcken an, die etwas weicher aussahen als die Kisten daneben.
2
Mühsam stemmte sich Jascha aus den Säcken hoch und tastete sich einen Weg durch die gestapelten Kisten zum Ausgang des Laderaumes. Das Display neben der Tür war per Fingerprint gesichert und verweigerte ihr den Zugriff auf den Schiffsplan. Jascha schlug fluchend auf den Bildschirm. Ein Schiffsmotor war kein Problem für sie, aber so ein blöder Minicomputer blockte sie aus. Blieb also nur die altmodische Art: Jascha betätigte den manuellen Nothebel und warf einen schnellen, aufmerksamen Blick in beide Richtungen. Der Flur war leer, aber sie hörte Stimmen. Zwei Stimmen. Noch sehr leise. Schnell zog Jascha den Kopf zurück.
„Ich hasse dieses belanglose „Bla Bla“, sagte eine Frau.
„Die Chefin kommt erst morgen früh. Also mussten wir diesen Abend charmant überbrücken. Du hättest ja nicht mitkommen müssen.“
„Du glaubst doch nicht, dass ich dich zu so was allein hingehen lasse.“ Die Stimmen kamen näher.
„Wie fürsorglich. Nimmst du noch einen Drink mit mir?“
Jascha schob die Tür zu. Sie hörte jetzt nichts mehr, aber sie hätte 100 Galaxy gewettet, dass die Einladung angenommen wurde und dass es nicht bei dem Drink blieb. Ein Wodka, dann noch einer, zwei eisblaue Augen, die keinen Zweifel daran ließen, was sie wollten und das warme Gefühl in ihrem Bauch begehrt zu werden, gewollt zu werden. Jascha musste sich fest auf die Unterlippe beißen, um nicht vor Wut zu schreien, als sie sich erinnerte, wie sie diesen Verräter Gregori in ihr Bett gelassen hatte. Es wurde Zeit, dass sie hier weg kam. Sie brauchte ein Shuttle, das sie hier raus brachte. Irgendwo hin, wo sie sich Waffen und Geld besorgen und neue Verbündete finden konnte. Und dann würde sie Gregori in die Luftschleuse der Roten Oktober werfen und ihn im All entsorgen wie das Stück Dreck, das er war.
Sie zählte langsam bis zehn und öffnete dann erneut die Tür. Die Stimmen waren verschwunden, der Gang leer, das Licht gedimmt, aber in der Luft lag noch ein schwacher Geruch nach Zitrone und Sandelholz, frisch und kühl, wie eine Dusche am Morgen. Die Sehnsucht nach einem Bad ließ Jascha ihren eigenen Gestank aus Schweiß und Angst noch stärker wahrnehmen. In ihrem Mund sammelte sich Galle. Den Kopf zwischen ihren Händen atmete sie tief ein und aus und wartete, bis die Übelkeit nachließ. Dann löste sie sich aus der schützenden Dunkelheit des Laderaumes und huschte in den Flur. Alle Sinne in Alarmbereitschaft schlich sie den Gang entlang und versuchte eine der Türen zu öffnen, die vom Flur abgingen, doch ihre Fingerabdrücke wurden vom System nicht akzeptiert. Auch bei der nächsten Tür hatte sie keinen Erfolg. Sie probierte es weiter, zunehmend angespannter und frustrierter. Irgendwo musste es Waffen geben und ein Shuttle. Die Türen folgten jetzt in kürzeren Abständen. Die Räume dahinter wurden also kleiner. Jascha hatte das ungute Gefühl, dass sie sich nun den Unterkünften der Crew näherte. Und die Gefahr von der Nachtschicht oder anderen Nachtschwärmern entdeckt zu werden, stieg mit jedem Schritt. Aber sie hatte keine Wahl. Verzweifelt presste Jascha ihre Hand an das nächste Display. Zu ihrer Überraschung öffnete sich die Tür mit einem leisen Klicken.
3
Als Jascha ins Wasser rannte, spritzte es wild auf und umspülte ihren nackten Körper. Sie stieß sich ab, tauchte unter und machte ein paar Schwimmbewegungen. Beim Auftauchen spülte das Wasser ihr ein paar Haare in die Augen und Jascha griff sich erschrocken an ihren Kopf. Statt des vertrauten, schweren Zopfs fühlte sie einzelne Haarsträhnen. Kein dichter, voller Vorhang, der sie umwogte und in dem sie sich verstecken konnte. Nur leichte Federn, die nach allen Seiten abstanden. Jascha fühlte noch einmal den Schnitt des Messers in ihrem Haar und in ihrem Herzen. Sie war nackt, ohne Halt, allein und es geschah ihr Recht.
Sie hatte gedacht, sie gehörte dazu. Sie hatte trainiert und gekämpft, sie war nicht so schwach wie ihre Mutter. Sie war besser als die meisten Männer und sie war Babkas Erbin. Aber kein Einziger hatte auf ihrer Seite gestanden. Als ihr Großvater das Fieber bekam, hatte Jascha an seinem Bett gesessen und die Männer hatten gestritten, statt zu trauern. Und als Jascha Babka die Augen zudrückte, waren sich alle einig gewesen: Lieber Gregori, als eine Frau. Sie hätte an Gregoris Seite bleiben können, aber nicht als der Captain. Doch es war ihr Schiff, ihr Erbe, ihre Rote Oktober. Sie hatte gekämpft und sie hatte verloren. Wütend schlug Jascha auf das Wasser und der Verlust brannte heiß in ihrem Bauch und schmerzte.
Plötzlich wurde sie von einer kühleren Strömung erfasst. Jascha schauderte. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen und ihr Körper zitterte. Sie machte einen Schwimmzug und das Frösteln ließ nach. Das Wasser hatte jetzt genau die Temperatur zwischen warm und kalt, die erfrischte und belebte. Jascha spürte die Kraft ihrer Muskeln in Armen und Beinen, als sie das Wasser teilte und sich vorwärts stieß. Mit einer kindlichen Lebensfreude, die sie schon lange vergessen hatte, nahm sie ihre Bewegung und ihren nackter Körper im Wasser wahr. Sie ließ sich auf den Rücken gleiten. Das Wasser trug sie und murmelte in ihren Ohren. Eine kleine Welle schwappte über Jaschas Bauch und ließ ihre Brüste eintauchen, gab sie frei und umspülte sie erneut. Der Wechsel von Wasser und Luft ließ Jascha erschaudern und sie freute sich auf die nächste Berührung, wartete auf die nächste Welle. Sie sehnte sich danach, angefasst und gestreichelt zu werden. Nach einer Berührung, die zärtlich war, die spielte, die verführte, die wusste. Sie öffnete ihre Schenkel, um ihre Hand dazwischen zu schieben, als sie spürte, wie die Strömung des Wassers sich verstärkte, wie kleine, feste Wirbel sich zwischen ihren Beinen brachen und Lust durchströmte ihren Körper. Jascha schloss die Augen und öffnete sich dem Wasser, überließ sich der Strömung, dem Heranwogen und Abebben. Die Wellen setzten sich in ihrem Körper fort und ließen sie leise aufstöhnen, als sie plötzlich hinuntergezogen wurde, tief hinein in die goldene Flüssigkeit. Panisch schlug Jascha mit Armen und Beinen, wehrte sich gegen das Sinken, schnappte verzweifelt nach Luft. Das Wasser war jetzt überall. Schloss sie ein, strömte in ihren Mund, wogte um sie herum und zugleich in ihr. Und Jascha hörte auf zu strampeln und zu schlagen, ließ los, wurde eins mit dem Wasser, ließ es jeden Winkel ihres Körpers entdecken und entdeckte sich selbst. War Jascha, war das Wasser, liebte und wurde geliebt.
Dann wurden die Wasserwirbel ruhiger, sanfter, spülten Jascha an die Oberfläche und trugen sie an den Strand. Ihre Lungen füllten sich mit Luft und ein Gefühl unendlicher Einsamkeit, machte sich in ihr breit. Verzweifelt hielt sie die letzten goldenen Tropfen an ihren nackten Körper gepresst. Jascha zitterte und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als ob auch die letzte Flüssigkeit aus ihrem Körper entweichen wollte. Und dann weinte sie hemmungslos, all die Tränen, die sie nie geweint hatte. Und die Tränen tropften auf das dicke Papier mit Babkas altmodischer Schrift, das die Männer als Beweis vor ihr auf den Tisch gelegt hatten: „Macht mir keine Schande. Seid mutig und erbarmungslos.“ Jascha wollte nicht weiterlesen. Sie kniff die Augen zu, doch die ungelenke Altmännerschrift hatte sich in ihre Augäpfel gebrannt und sie konnte nicht verhindern, dass die Worte sich zusammenfügten: „Und findet einen Mann für Jascha.“ Schwarz auf weiß stand es auf dem Papier, doch dann tropfte eine Träne auf die Schrift, die Tinte fing an zu verwischen, die Buchstaben liefen ineinander, verschwammen und verschwanden. Jascha öffnete die Augen. Sie konnte jetzt weinen, so viel sie wollte. Sie war allein, aber sie war auch frei.
Als das Wasser erneut anfing, ihre Zehen zu umspielen, zog Jascha ihre Füße zurück und sprang auf. Schluss mit dem Baden! Sie zog ihre Anziehsachen über und schnürte ihre Schuhe. Es war Zeit, ein Shuttle zu kapern und hier zu verschwinden.
Als Jascha die Bewegung in ihrem Rücken spürte, war die Angreiferin schon dicht hinter ihr. Sie konnte den Schlag gerade noch abwehren. Mit einem wütenden Schrei stürzte sich Jascha auf die Fremde. Die war klein, drahtig und deutlich älter als Jascha, aber schon der erste Schlag zeichnete sie als geübte Kämpferin aus. Ihre Gegnerin wich aus und landete einen Schlag in Jaschas Seite. Sie atmete den Schmerz weg, täuschte einen Haken an und trat der Fremden mit einem langen Fußtritt in den Magen. Doch auch die Andere war hart im Nehmen. Sie wich nur einen Schritt zurück, um dann gleich wieder Anlauf zu nehmen und sich mit einem gesprungen Hammerschlag auf Jascha zu stürzen. Durch geschicktes Ausweichen konnte Jascha verhindern, dass der Schlag sie mit voller Wucht traf. Er streifte lediglich ihren Oberarm und gab ihr die Chance, in den Rücken ihrer Gegnerin zu gelangen, die durch die Wucht der eigenen Bewegung an ihr vorbei stolperte. Jascha fuhr den Ellenbogen aus und versuchte den Hinterkopf ihrer Widersacherin zu treffen, doch die Fremde duckte ihren roten Bob geschickt weg und traf Jascha mit einem Rückwärtstritt in die Seite. Jascha taumelte zurück. Sie war jetzt richtig wütend. Wütend auf sich selbst, dass sie den Raum nicht gecheckt hatte und wütend auf diesen Rotkopf, der ihr so kurz vor dem Ziel in die Quere kam. Sie rannte auf ihre Gegnerin zu, sprang ab, klammerte ihre Beine fest um die Hüften der Anderen und brachte die leichtere und kleinere Kämpferin mit einem gezielten Stoß ihres Oberkörpers zu Fall. Die Rote schnappte nach Luft, als Jascha mit ihrem vollen Gewicht auf ihr landete, doch sie hatte sich so unter Kontrolle, dass sie Jaschas Fauststoß zu ihrem Kopf auswich und Jaschas Hand knallte schmerzhaft auf den Boden. Die Gegnerin nutzte den kurzen Moment des Schocks, um sich unter Jaschas Körper hervor zu winden. Jascha warf sich nach vorne, um die Rote bei den Beinen zu packen, doch ein Tritt ließ sie ausweichen und zur Seite rollen. Das rote Biest war zäher, als sie dachte. Jascha rappelte sich hoch und fixierte ihre Angreiferin. Sie spannte die Muskeln, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie fingen an zu zittern und sackten dann weg. Erst im Fallen spürte Jascha das Kribbeln des Phasers, der sie in ihrem Rücken getroffen hatte. Während sie ungeschützt mit dem Kinn auf den Boden schlug, hörte sie die Frau zornig zischen: „Ey, was soll das? Der Spaß hat doch gerade erst angefangen.“
Ein blondgelockter Männerkopf beugte sich zu Jascha hinunter. „Ich fand, das ging jetzt lange genug.“
„Du weißt einen guten Kampf eben nicht zu schätzen, du Weichei.“
Ein intensiver Geruch von Zitrone und Sandelholz strömte in Jaschas Nasenhöhlen und verstopfte ihr Hirn.
Die Frau stieß Jascha in einen Gang. Sie waren jetzt in einem anderen Teil des Raumschiffes. Die Rote und der Blondschopf hatten den gemeinsamen Drink also mit einer Runde im Shuttle beendet. So kurz vor dem Ziel, so unaufmerksam zu sein, Jascha verfluchte ihre eigene Blödheit, aber was brachte das schon. Sie musste sich wieder auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Die Gänge: belebt. Spezies: Mensch, aber keine erkennbare Gruppierung. Weder russische Föderation, noch arabische Liga und auch keine Sterne von Amerika. Fluchtchancen: keine.
Die Rote öffnete jetzt eine Tür und bugsierte Jascha in einen Raum, in dem eine Besprechung abgehalten wurde. Drei Personen saßen um einen großzügigen, ovalen Tisch. Zwei Männer und eine Frau. Der Blondgelockte aus dem Hangar: Mitte 30, heute ohne Phaser, also ungefährlich. Der Andere: Ende 40, Körperhaltung und Aussehen eindeutig militärisch. Trotz seines Alters nicht zu unterschätzen. Die Frau: Anfang 40, gut gekleidet, unter der hochgeschlossenen Bluse, üppige Brüste, die nicht zu übersehen waren. Rolle: unklar.
„Jeanne, was gibt es denn? Wir haben uns gerade mit Botschafter Wave bekannt gemacht. Ist es dringend?“ Die Mischung aus Autorität und Kollegialität in der Stimme der Frau lieferte Jascha ebenso unklare Botschaften, wie ihr Aussehen.
„Pardon, Karen, nicht so wichtig. Ich dachte Sie wären noch allein. Ich hab´ hier einen Eindringling. Wahrscheinlich ein Spitzel, der unsere Ladung ausspionieren soll. Ich bringe sie wieder in die Zelle und sie können sich später mit ihr befassen.“
„Herr Botschafter, darf ich Ihnen Jeanne Morel vorstellen, unsere Sicherheitschefin. Manchmal ein wenig rau, aber sehr tüchtig. Sie sehen, wir sind eine bunte Truppe, flache Hierarchien, viel Individualität und ein verdammt gutes Team.“
Die großen blauen Augen der Frau strahlten vor Charme und Enthusiasmus, als sie sich wieder dem Tisch zu wandte und Jascha fiel es plötzlich, wie Schuppen von den Augen: eine Zivilistin an der Spitze, ein Militär ohne Uniform und eine Sicherheitschefin ohne Respekt. Sie musste auf der Ambassador sein. Dem neusten Klatsch der Galaxis zufolge, hatte nun auch die Kooperation der Demokratien der Erde ein erstes Raumschiff entsandt, um den anderen Spezies zu zeigen, dass die Erde nicht nur Piraten, Söldner und fanatische Gotteskämpfer hervorbrachte. Babka hatte sich schlapp gelacht, als er davon gehört hatte.
„Das klingt wundervoll, sehr sympathisch“ antwortete eine dunkle, volle Stimme, die die Worte leicht rollend aussprach. „Auf Aquaria entscheiden wir alles gemeinsam, ganz ohne Hierarchie. Nur mit der Individualität haben wir keine Erfahrung. Entschuldigen Sie, dass ich mich einmische, Frau Jeanne“, wandte sich die Stimme jetzt an die Sicherheitschefin, „Jascha spioniert nicht für Weltraumpiraten. Sie hat ihr Schiff verloren, ihren Großvater, sie ist ganz allein.“
Verdammt, was war das für ein Scheiß? Jascha hätte die Stimme gerne zum Schweigen gebracht und sie bedachte die beiden Männer mit einem bösen Blick.
„Und außerdem ist sie meine Frau.“
Die Augen der Anwesenden richteten sich jetzt überrascht und neugierig auf eine Welle goldener Flüssigkeit, die in rhythmischen Bewegungen am rechten Rand des Tisches hin und her wogte. Erst jetzt nahm Jascha die Welle und den Universalübersetzer auf dem Besprechungstisch wahr, der mit einem Frequenzerweiterer gekoppelt war. Konnte es sein, dass diese Welle, dass das goldene Wasser…. Jascha fühlte sich, als hätte ihr jemand in den Bauch getreten.
„Blödsinn“, hörte sie Morel in ihrem Rücken, die sie immer noch fest im Griff hielt. „Ich habe die hier im Shuttlehangar überrascht und sie hat mich angegriffen. Außerdem ist sie ja offensichtlich keine Aquarianerin. Eher russische Föderation würde ich tippen, mit den breiten Wangenknochen.“
„Ja, wunderschön, nicht wahr“, schwärmte Botschafter Wave.
Jascha wusste nicht, wo sie hingucken sollte.
„Jascha, man sagt doch „Frau“ zu einer Gefährtin, mit der man sich vereinigt hat, oder? Die Mönche haben zwar viel darüber gesprochen, aber vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden. Die Kommunikation ist nicht immer einfach für mich“, entschuldigte sich der Botschafter, während sich die Welle ausdehnte und zu Jaschas Arm hinüberschwappte.
Die Berührung des Wassers traf Jascha wie ein elektrischer Schlag. Erschrocken zuckte sie zusammen, doch dann spürte sie eine vertraute Wärme und ihr ganzer Körper bebte vor Erinnerung. Jascha sah sich nackt im Wasser, die Schenkel geöffnet. Sie schluckte.
„Oh! Entschuldige, ich bringe dich in Verlegenheit.“
Eine Welle, na und. Sie hatte schon jede Menge seltsamer Spezies kennen gelernt und zumindest hatte sie ihren Spaß gehabt. Aber die Frau einer Welle, für immer vereint auf einem Planeten aus Wasser?
„Unser Planet ist sehr schön, Jascha. Eine Ansammlung aus reiner Energie, Harmonie und Gemeinschaft.“
Doch diese Vorstellung beruhigte Jascha nicht im Geringsten. Es klang beängstigend und vor allem übelst langweilig.
„Das ist es auch. Manchmal“, schob der Aquarianer nach. „Ein Grund warum ich als Erster meines Volkes das Energiegitter verlassen habe, das unseren Planeten abschirmt und mich an das Schiff der Mönche von Murr geheftet habe.“
„Kann er Gedanken lesen?“ fragte Morel, der nicht mehr klar war, mit wem der Botschafter sprach.
Der Blondgelockte versuchte ihr ein Zeichen zu geben: „Wir reden nicht in der dritten Person über Anwesende“, flüsterte er.
„Und wir reden nicht immer im Plural und sagen Anderen, wie sie sich verhalten sollen“ patzte die Sicherheitschefin zurück.
„Keine Sorge“, Waves dunkle Stimme klang amüsiert, „Ich kann nur dann die Gedanken und Gefühle einer Person spüren, wenn ich sie berühre. Also, so lange Sie mich nicht umarmen, Frau Jeanne…“
Jascha zog erschrocken ihren Arm aus der Flüssigkeit.
„Wir müssen aber noch nicht zurück nach Aquaria, Jascha. Ich habe noch so wenig von der Galaxie gesehen. Die Ambassador ist erst das zweite Schiff, das ich besuche und mit dir an meiner Seite wird das Reisen so viel einfacher, die Kommunikation leichter. Wir könnten ein eigenes Schiff haben. Du willst doch, Jascha? Oder?“
„Klar.“ Jascha räusperte sich, „Ein eigenes Schiff, klingt … prima“, stammelte sie und fühlte, wie sich die Neugier der Anderen wieder auf sie konzentrierte.
„Und willst du auch mit mir sein, Jascha?“
„Ich glaub´s nicht“, zischte Morel in Jaschas Ohr, „Eine Welle heiratet eine Weltraumpiratin. Ich weiß nicht, wen von euch beiden ich da mehr bedauern soll.“
Jascha ruckelte wütend an ihren Fesseln. „Ja, natürlich will ich“, sagte sie trotzig und laut.
„Jascha.“ Die Stimme des Aquarianas klang so verliebt und glücklich, dass sich die Chefin der Ambassador eine Träne aus ihren babyblauen Augen wischen musste.
„Dann fliegen Sie bitte zurück nach Tuk, verehrte Karen. Das hier wird doch reichen, um ein Schiff zu kaufen?“ Die Welle spülte einen kleinen Haufen Sand auf die Tischplatte.
Die Anwesenden starrten verwirrt auf die goldenen Krümel.
„Oder?“, frage Wave unsicher. „Die Mönche waren zumindest ganz begeistert, von den Resten meines Stoffwechsels.“
„Sir“, der militärische Berater fing sich als Erster, „Sie sollten das nicht so öffentlich zeigen. Das könnte Sie in Gefahr bringen.“
„Vor allem mit einer Weltraumpiratin an seiner Seite“, ergänzte Morel.
Jascha drehte sich um und lächelte zuckersüß: „Liebe Frau Jeanne, wären Sie wohl so gut, dem Wunsch des Botschafters zu entsprechen und mir endlich diese Scheiß-Fesseln abzunehmen?“
Mit einem frustrierten Blick auf ihre Chefin und mit sichtlichem Widerwillen löste die Sicherheitschefin Jaschas Handschellen, blieb aber dicht hinter ihr stehen.
„Vielleicht sollten wir unser Schiff nicht gerade auf Tuk kaufen, Wave.“ Jascha rieb sich die Handgelenke und trat etwas näher an den Aquarianer heran.
„Aber sollten wir nicht deine Schulden bei der Waffenliga…“
Jascha griff schnell in die Welle und versetzte Wave einen gedanklichen Tritt vor das Schienbein.
„Ist ja okay“, antwortete der Botschafter, „ich dachte ja nur...“
„Und ich habe jetzt Hunger“, schnitt ihm Jascha das Wort ab. „Könnten Sie uns einen hübschen, nicht zu kleinen Picknickkorb auf unser Quartier bringen, aber nicht so ein repliziertes Zeug“, wandte sie sich an Morel.
„Aber gerne doch. Und eine Wache stelle ich dir auch vor die Tür“, konterte die Rote und betätigte ihren Kommunikator.
„Und dann kannst du mich noch einmal ausführlich fluten“ fügte Jascha in Gedanken hinzu, während sie ihre Hand in der Welle spielen ließ.
Der Botschafter räusperte sich hörbar und Jascha hätte schwören können, dass die energiestrotzende Welle für einen kurzen Moment ihre Form verlor.
Jascha strahlte. Das Leben war schön.
Und es würde halten, so lange es eben hielt, dachte sie, nachdem sie ihre Hand von Wave gelöst hatte.