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Jarek Girivenko
Der Himmel war tiefschwarz. Seit Tagen hatte es geregnet und es war auch jetzt kein Ende in Sicht. Das Wasser versank gluckernd in den Gullys und in den Lichtern vorüber fahrender Autos sah ich, wie der Regen lange Fäden zog.
In meinen Gedanken ging ich noch einmal durch, was ich zu tun hatte. Der Regen perlte von meinem schwarzen Stetson ab und glitt über meinen Trenchcoat.
Morgen um Zehn Uhr werden mich Rovellis Männer abholen und wir werden zu seinem Anwesen fahren. Die Übergabe findet dort statt.
Ich ging hinüber zum nächsten Münztelefon, um Grigorij anzurufen. Ich stellte meinen Koffer ab. Beunruhigt, schaute ich mich mehrmals um, bevor ich die Nummer aus meiner Tasche kramte. Die Schrift war etwas verblasst. Mit meinen nassen Fingern wurde es nur noch schlimmer. Ich konnte die Zahlen nicht mehr genau erkennen. Verdammt. Und so etwas passiert mir!
Als ich mich wieder umwandte, klingelte das Telefon. Verdutzt schaute ich in Richtung des Geräusches.
Es war nicht etwa Rovelli, wie ich zuerst vermutet hatte. Und selbst das hätte mich gewundert.
Nein, eine kratzige, mir unbekannte, weibliche Stimme war am anderen Ende der Leitung.
"Jarek Girivenko?", krächzte es aus dem Fernsprecher.
"Was wollen sie?", fragte ich.
"Nehmen sie sich vor ihnen in Acht."
"Vor wem?"
"Vor den Deutschen. Sie werden wissen, wen ich meine."
Aufgelegt.
Sie hatte mit einem leichten, französischen Akzent gesprochen. Genauer konnte ich die Stimme nicht einordnen.
Die Deutschen. Hier in Italien?
Verwirrt hängte ich den Hörer ein und trat einen Schritt zurück. Grigorij konnte ich jetzt ja doch nicht mehr erreichen. In ein paar Minuten fuhr der Zug nach Palermo. Ich beschleunigte meine Schritte und stapfte voran durch die Wasserpfützen auf dem Gehsteig.
Italien war für gewöhnlich eine heiße Gegend, in mehrerer Hinsicht. Der Regen kam wohl gerade Recht.
Auf dem großen Plasmaschirm in der Haupthalle liefen gerade die Nachrichten. Mexikanischer Drogenboss in Gewahrsam.
Ich durchquerte die Halle.
Rovelli sollte mich in Palermo vom Bahnhof abholen. Morgen um zehn Uhr. Noch genug Zeit. Das Ticket in der einen und den Koffer in der anderen Hand betrat ich den Zug und ging in mein Abteil. Ich sah auf die Uhr. 23:51. Abfahrt in Zehn Minuten.
Am nächsten Morgen.
Auf der Straße warteten Rovellis Männer beim Wagen. Paolo Ventresca und Luigi Cartiera. Zwei Leibwachen. Schlanke, kahlköpfige Männer mit wachen Augen, die mich unentwegt anstarrten.
Missmutig öffneten sie mir die Tür. Wir fuhren fünf Kilometer bis zu Rovellis Haus.
"Genau so hab ich mir das vorgestellt." Rovelli saß an einem kleinen Tisch außerhalb seines Anwesens. Er hatte seinen Kopf über den silbernen Koffer gebeugt. Über den Inhalt war er sichtlich erfreut. Klappte ihn jedoch sofort wieder zu, als Emilia, seine Freundin herankam. Meine Waffe ruhte im Schulterhalfter, unter dem Jackett. Aber ich tat nichts.
Emilia Ragazzi hatte lange, dunkelblonde Haare und ein sehr hübsches Gesicht. Sie starrte mich aus ihren blauen Augen an. Sie war gerade aus dem Pool gestiegen und trug nur einen Bikini. Paolo reichte ihr einen Bademantel.
Ich musste mich zurückhalten nicht auch zu starren.
"Ausgezeichnete Arbeit, Signore …?", begann Rovelli.
"Keine Namen." Ich hatte mich immer daran gehalten. Und das sollte jetzt nicht anders sein.
"Luigi. Bring dem Mann sein Geld." Rovelli schnippte mit den Fingern und einer der beiden Männer ging ins Haus zurück. Ich mochte die Beiden nicht. Das heißt, Rovelli mochte ich ebenso wenig, doch vor ihm hatte ich Respekt.
In Mailand hatte er mir den Auftrag gegeben einen weiteren Koffer nach Frankfurt zu bringen. Dort traf ich auch wieder auf Roger Barell, meinen Kontaktmann. Von da aus ging es nach Paris und wieder nach Frankfurt.
Rovellis Drogenring zog sich durch ganz Europa. Er hatte Freunde. Und ebenso viele Feinde.
Luigi kam nicht wieder.
"Paolo. Sieh nach Luigi. Er trödelt wieder!", sagte Rovelli mit starkem Akzent. Langsam wurde ich unruhig.
Es dauerte keine Minute, bevor Paolo wieder zurückkehrte. Er nicht allein. Ich rührte mich noch immer nicht, auch als drei dunkelblaue BMWs vorfuhren. BMW. Ein deutsches Fabrikat. Emilia lächelte.
"Luigi hat es erwischt.", jammerte Paolo.
"Was soll das heißen, Luigi hat es- " Ragazzi dreht sich herum und blickte in den
Schalldämpfer einer Pistole. Der Mann war groß, schlank und muskulös gebaut. Er zielte Rovelli zwischen die Augen. Eine Hand hatte er Paolo um den Hals geschlungen.
Aus den BMWs stiegen zwei weitere Männer. Sie trugen dunkle Seidenanzüge, genauso wie ihr muskulöser Freund, und genau wie er waren sie mit Pistolen bewaffnet.
"Inspektor Jaroslaw Girivenko, nehme ich an.", sagte einer an mich gerichtet. Der andere verschwand im Haus.
"Inspektor?", röchelte Paolo.
"Inspektor ...", wiederholte Rovelli. " ... verdammt."
"Woher wissen sie das? Das ist mein Auftrag. Halten sie sich raus.", sagte ich langsam und deutlich. Ich zog meinen Colt aus dem Halfter und richtete ihn auf den Mann, der Rovelli in Schach hielt. Für einen Moment sagte niemand etwas. Dann platzte es aus Emilia heraus.
"Jarek, du Trottel", sagte Emilia keck. "Du warst die ganze Zeit, hinter dem Falschen her."
Die Schöne war auf einmal gar nicht mehr so schön. Sie lachte.
"Du dachtest allen Ernstes, Rovelli hier wäre der größte Drogenboss Europas? Er kann nicht mal bis drei zählen, ohne meine Hilfe."
Emilia hatte mir einen Schlag versetzt. Diesmal wartete keine Verstärkung, kein anderer FSB-Agent. Nur ich allein.
"Signora Ragazzi, ich bitte sie, sich zurückzuhalten.", sagte der Eine mit ernster Miene.
"Seien sie ruhig, Schmidt. Ich befehle hier.", erwiderte sie.
"Emilia!", keuchte Rovelli. "Du weißt nicht was du tust, du – "
Die Schüsse waren durch den Schalldämpfer kaum zu hören. Cartiera und Rovelli sanken tot
zusammen. Emilia Ragazzi verzog keine Miene und auch Schmidt blieb gelassen.
Etwas Blut war auf meinen Anzug gespritzt. Mein Auftrag scheint endgültig vorbei zu sein, dachte ich.
"Wer sind sie?", fragte ich, an Schmidt gewandt.
"Das braucht sie nicht zu interessieren."
Paolo war über Rovelli gebeugt und sein Kopf war wie im Schlaf auf sein Hemd gesunken. Ein großer Roter fleck zierte seine Brust.
"Was soll das heißen, verdammt noch mal!" Beinahe hätte ich geschrieen.
"Das soll heißen, dass für sie hier Endstation ist, Herr Girivenko.", sagte Schmidt hart.
"Ihr Geheimdienst hat versagt. SIE haben versagt."
"NEIN!", schrie ich, und richtete meine Waffe auf ihn.
Der Dritte kam wieder aus dem Gebäude. Er brachte eine schwarze Ledertasche und warf sie mir direkt vor die Füße.
Das Geld.
"Sie haben zwei Möglichkeiten.", sagte Schmidt kalt. "Nehmen sie die Tasche und fahren sie
zurück nach St. Petersburg."
"Was ist die zweite Möglichkeit?", fragte ich, beinahe belustigt, während mein Finger sich um den Abzug krümmte.