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Janice

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11.04.2011
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Janice

„Was spielst du da, Papa?“
„Nix.“
„Ooahr, darf ich das mal klicken?“
„Es heißt tippen, bei Handys.“
„Darf ich?“
„Jetzt nicht, Janice.“
„Ich kann das aber!“
„Finger weg.“

Ich habe ihnen gegenüber Platz genommen und den Notizblock aus der Tasche gezogen. Wollte an meiner Geschichte über eine Gruppe Russen weiterschreiben.
Aber die Kleine lenkt mich ab.

„Was spielst‘n du jetzt?“
„Mmh?“
„Was du spielst?!“
„Was für Erwachsene.“
„Ooahr, guck mal das Viech! Ist das ein Zom-Pi?“
„Mmh.“

Sie rutscht von seinem Schoß herunter. Dann rennt sie los, ihre Beine fliegen durch die Luft wie die Keulen eines Artisten. Einmal die zwanzig Meter Flur entlang bis zu seinem Ende. Sie schlägt mit der flachen Hand gegen ein Dienstzimmer und stößt sich kräftig ab für den Rückweg. Springt wie ein Fohlen über die herausstehenden Beine der Wartenden und schlägt wieder an, diesmal, aus vollem Lauf, gegen Papa.
„Wie Polt!“, kreischt sie - und er lässt vor Schreck das Smartphone fallen.
„Was? Wer ist Polt?“
„Der Renner, der Ol-ym-pi-a-ren-ner, der gelb-grüne!“
Mit einem „Scheiße!“ hebt er das Handy auf, dreht es verzagt in seiner Hand, sucht nach Schäden. Dann löst er die Tastensperre und spielt weiter.

„Welche Nummer?“, will sie wissen, als der hässliche Gong ertönt.
„Meine“, atmet er auf. „Du bleibst hier sitzen, Janice. Neben Mama, okay?“ Gegen einen unsichtbaren Widerstand setzt er sich in Bewegung, schlurft den Gang entlang und verschwindet hinter einer Tür. Sie sieht ihm mit aufgerissenen Augen hinterher. Dann setzt sie sich auf ihren Stuhl und baumelt mit den Beinen. Betrachtet die grau-orangefarbene Box, aus der Papa vor Zeiten einen Zettel gezogen hat, eine „Nummer“. Es war die drei-eins-eins und drei-eins-eins steht jetzt feuerwehrrot auf dem Dings an der Wand.

„Wo ist der Papa jetzt?“, fragt sie und schiebt sich eine blonde Strähne aus dem verschwitzten Gesicht.
„Drin.“
„Ja, aber was ist da drin?“
„Mmh? Janice, lass mich das jetzt mal bitte zu Ende machen.“

„Was ist drin?“
„Eine Frau.“
„Was für eine Frau?“
„Seine Sachbearbeiterin. Setz dich bitte auf deinen Stuhl, Janice. Oder meinetwegen auf Papas. Hampel nicht so rum, du raubst mir die Nerven.“
„Sach-be-rei-te-rin. Was spielst du, Mama?“
„Garnichts.“
„Doch.“
„Ich checke Mails.“
„Was ist Mehls?“
„Ich lese Briefe.“
„Von wem denn?“
„Mmh?“
„Von wem sind denn die Briefe?“
„Von niemand Besonderem.“
„Machst du mir mein Spiel an – das, das ich kann?“
„Nein.“
„Ooarh, bitte! Du weißt doch, welches ich meine! Das mit die Klötzchen, die immer schneller runterfallen. – Mama?“
„Mmh?“
„Hast du das Spiel auf deinem Handy oder ist es auf Papas?“
„Welches Spiel?“
„Das mit die Klötzchen.“
„Klötzchen?“
„Rote und blaue, ich kann sie mit dem einen Finger drehen und mit dem anderen kann ich …“
„Ach, Mensch!“ Janice-Mutter ist laut geworden, die Kleine fährt erschrocken zusammen. „Ich hab dir schon hundertmal gesagt, du sollst dich nicht so an mich ranschmieren. Du zerknautschst mein Top, guck mal, wie ich jetzt aussehe.“
„Du siehst hübsch aus, Mama.“
Die Kleine hebt ihren Finger und beginnt, die Form von Mamas Tattoo nachzuzeichnen.
„Hör auf! Jetzt renn meinetwegen noch mal über den Flur, Janice. Mach irgendetwas, aber lass mich in Frieden!“
Sie fetzt los, hin und wieder zurück.
„Immer noch Mehls tschekken?“, keucht sie atemlos.

„Warum muss der Papa zu der Frau?“
„Weil er arbeitslos ist.“
„Warum ist er ar-beiz-los?“
„Ooarh, Janice, du machst mich echt fickrig mit deinen Fragen!“
„Warum ist er es?“
„Was?“
„Ar-beiz-los.“
„Weil er nichts kann.“
„Das stimmt nicht!“, ruft sie entsetzt. Schnappt vor Erregung nach Luft, dann zieht sie die Stirn kraus, ordnet ihre Gedanken und erklärt: „Papa kann ganz viel! - Also: Schpagetti machen und Buchstabensuppe. Hämmern und Bohren. Er hat mir einen Stern-Himmel übers Bett gehängt! - Er holt mich freitags von der Oma ab, wenn du im Kaufland arbeitest. Und er hat den Fernseher anders eingestellt, so dass wir jetzt ganz viele Programme haben - nicht so wenige und blöde wie Kim-Cheyenne. Wie viele Programme haben wir, Mama?“
Triumphierend blickt sie in die Runde.

Ohne Erfolg, die Leute haben schlechte Laune. Außer der Mann gegenüber. Der, der sie die ganze Zeit anstarrt und mit dem Stift in ein Heft schreibt.
„Wieviel Programme?“
„Ich weiß es nicht, Janice. Was soll das jetzt schon wieder - lass meine Ohrringe in Frieden! Setz dich hin und halt still.“

„Mama?“
„Verdammt noch mal Janice! - Kannst du nicht ein einziges Mal am Tag den Mund halten? Blablabla, wie geht dieses, wie geht jenes? Ich bin müde und du nervst einfach!“

Ihre baumelnden Beine werden ihr langweilig. Sie springt vom Sitz herunter und auf den neben mir drauf.
„Bist du auch ar-beiz-los?“
Aus der Nähe betrachtet ist ein Kind ein Wunder. Augen, Nase und Mund fleißige Zwerge, die Haut frisches Obst.
„Ja“, antworte ich.
„Weil du nichts kannst?“
Darüber muss ich nachdenken. „Ja“, sage ich dann. „Wahrscheinlich liegt es daran.“
Begeistert checkt sie die Lage von ihrer neuen Position.
„Warum ist die Frau so dick?“, flüstert sie mir ins Ohr.
„Vielleicht“, flüstere ich zurück, „macht ihr Mann wunderbar große Schnitzel. Solche, die weit über den Tellerrand hinausragen.“
„Über den Tellerrand?“, kreischt Janice.
„Ja“, sage ich. „Sie sind viel größer als der Teller, sind neugierig und schauen über den Rand. Laufen los und …“ Ich mache eine tippelnde Bewegung mit meinem Finger.
„Und?“
„Und ab in deinen Mund!“

Sie lacht. Janice Mutter schaut hoch, ich lächle sie an. Sie reagiert, indem sie eine Schachtel Zigaretten hervorzieht, darauf deutet und, erstaunlich schnell, verschwindet.
„Bist du schon immer ar-beiz-los?“
„Aber nein. Früher war ich Hausmeister. In einem Kindergarten. Ich habe ein bisschen gezaubert für die Kinder, so nebenbei, weißt du.“
„Zaubern!“, quiekt sie. „Los, zaubern!“
„Na gut.“ Ich brauche einen Moment, habe alles vergessen. Ich verstecke meine Hände hinter dem Rücken, balle die Linke zu einer Faust und stecke den Daumen zwischen die Finger. Dann krümme ich den Zeigefinger meiner Rechten und halte ihn mit dem Daumen fest. Spreize die jeweils verbleibenden Finger der rechten und linken Hand ab und wende mich wieder dem Mädchen zu. Verdecke mit dem Zeigefinger der Linken den Spalt zwischen den Händen und bewege sie hin und her. Janice macht große Augen. Aus ihrer Position sieht es aus, als würde ich mir den rechten Zeigefinger wechselseitig amputieren und wieder zusammensetzen. Sie versucht, um den Abdeckfinger herumzusehen, kommt immer näher, krümmt sich, als hätte sie Bauchschmerzen. Ich schüttle meine Hände aus und lache.
„Du kannst ja doch was“, meint sie.
„Ich glaube, jeder Mensch kann etwas. Und irgendetwas davon besonders gut. Was ist es bei dir?“
„Klötzchenspiel!“, sagt sie ernst.

Die Mutter kommt zurück, setzt sich und stinkt nach Nikotin. Ich bin verlegen, weiß nicht, ob es ihr recht ist, dass ich mich mit ihrer Tochter abgebe. Die Kleine ist höchstens sechs und ich ein Wildfremder. Meine Sorge ist unbegründet, die Frau zieht ihr Telefon aus der Hose und streichelt geistesabwesend über das Display.
Schöne Hände hat sie - wenn mir auch diese aufgeklebten Nägel nicht gefallen. Dabei soll das ja so teuer sein. Ich überlege, wie oft und wie lange sie Janice wohl streicheln mag mit ihren schönen Händen. Gerate dabei auf Abwege, denke unsinniges Zeug, Dinge wie: wer denn mich zuletzt gestreichelt hat, und wie lange. Ich starre auf das Gesicht der Frau und dann auf ihre Brüste. Ein Piercing steckt in einer der Warzen.
In Natur habe ich so was noch nie gesehen.

„Fernsehen!“, reißt mich Janice aus meinen Gedanken. „Das kann ich gut. Ich kann jeden Tag fernsehen, so lang ich will.“
„Ja - aber so etwas meinte ich nicht. Denk mal nach, was kannst du noch, kleines Frollein?“
Sie kichert über das archaische Wort.
„Ich kann das ganze Programm auswendig. Also: Montags kommt „Spongebob“, danach „Katzekratz“. Dienstags die „Simpsons“, … mittwochs „Mitten im Leben“ und danach „Richter Holt“. Donnerstags die „Rasselbande“ und die „Gummibärchen“. Freitags kommt „X-Faktor“, da singe ich immer mit. Wenn ich mal groß bin, gehe ich auch dahin und singe vor, und tanze, und gewinne den Preis!“
Ich nicke andächtig. „Aber ich hab dich auch rennen sehen.“
„Klaro.“
„Ich habe früher mal geboxt.“
„Hast du noch Muckies? Ich ja, schau! Ich werd mal Olympia!“
„Mächtig gewaltig. Ich kann Geschichten erfinden.“
„Geschichten!“ Sie klatscht in die Hände.
„Ich schreibe sie mir immer auf.“ Ich zeige ihr mein Heft, sie nimmt es in die Hand und blättert die Seiten auf der Suche nach Zeichnungen durch.
„Erfinden wir doch mal eine zusammen“, schlage ich vor. „Einen Teil erfindest du und einen ich. Mal sehen - wer soll denn in unserer Geschichte mitspielen?“
„Der Papa!“, brüllt Janice.
„Der Papa, okay. Und wer noch?“
„Ein Zom-Pi.“
„Meinetwegen. Dann darf ich jetzt auch zwei … Ich nehme einen alten Zauberer …“
„Wie der Herr der Ringe!“
„Genau. Und dann nehme ich noch die Frau vom Arbeitsamt.“
„Wieso denn die?“ Janice verzieht den Mund.
„Weil die Geschichte hier, in ihrem Büro, spielt. Hinter der Tür, durch die Papa gegangen ist.“
Die Kleine versinkt in Schweigen. Brütet vor sich hin, bis ihr etwas einfällt: „Der Zom-Pi kommt rein!“
„Okay. Und dann?“
„Schlägt Papa ihn tot!“
„Aber warum denn? Hat er nicht angeklopft? Nein - der Zombie kann ja zunächst mal ‚Guten Tag!‘ sagen, und dein Papa und die Frau vom Arbeitsamt geben ein: ‚Guten Tag!‘ zurück.“
„Na gut.“
„Und was kommt dann?“
„Der Zom-Pi … sagt: ‚Ich kann nix!“
„Hervorragend. Darauf antwortet die Frau vom Arbeitsamt: ‚Da sind Sie hier ja genau richtig. Im Übrigen: Sie sehen schrecklich aus – Sie brauchen Hilfe!“
„Oh ja, oh ja“, wimmert Janice, „ich brauche Hilfe! Ich brauche einen Arzt!“
Sie rutscht von ihrem Stuhl. Stellt ihren rechten Fuß quer, dreht ihn in einem schmerzhaften Winkel vom Körper weg und humpelt ein paar Schritte über den Flur.
„Besorgniserregend“, konstatiere ich. „Okay, … deswegen hat die Frau vom Arbeitsamt eine Bombenidee.“
„Und welche?“
„Sie sagt: Hier, der Papa von Janice - der kann Ihnen helfen! Er kann Ihnen den bösen Fuß verbinden und sie gesund pflegen. Und wenn sie dann wieder laufen können werden Sie Fußballtrainer und trainieren die kleine Janice.“
Sie freut sich – auf einen Schlag aber legt sich ihre Stirn in Falten.
„Wir haben den Herr der Ringe vergessen.“
„Ach ja, den Zauberer. Der … macht was am Computer von der Frau Arbeitsamt. Und schon spuckt der Drucker die tollsten Berufe für den Papa aus. Welche denkst du, was könnte ihm Spaß machen?“
„Raketenmann! Also Sternfahrer. Der Papa wird Sternfahrer und nimmt mich mit.“
„Zum Mond?“
„Nee … viel weiter. Bis dahin, wo Au-ßer-ir-di-sche leben.“
„Und die Mama kommt auch mit?“
Ich hebe den Kopf und suche Blickkontakt zu Janice-Mutter.
Sie hat die Augen geschlossen, dafür die Lippen ein stückweit geöffnet. Sie hat den Kopf gegen die Wand gelehnt, hängt wie ein übermüdeter Schüler in ihrem Stuhl. Ich betrachte ihr Tattoo. Es ist ein Drache, ich verfolge seine Konturen von oben nach unten. Zunge, Maul und Zähne des Drachen bedecken ihren Hals, sein Kopf schmiegt sich wie ein Baby an ihre Brust. Ihr Top ist hochgerutscht. Es offenbart, spielkartenbreit zwischen Hosenbund und Top, nackte Haut. Ich muss hinsehen. Starre zwanghaft auf die Stelle und identifiziere das Muster als Flügel. Der Lindwurm schlängelt sich über ihren ganzen Körper, mein Herz schlägt schneller bei der Erkenntnis. In meiner Vorstellung zeichne ich den Drachen weiter, male seine Klauen auf ihre Hüfte und seinen Schwanz auf ihr linkes Bein.
Wie Hunger oder Durst überfällt mich die Lust, packt mich das an Schmerzen grenzende Verlangen, eine Frau zu berühren. Ich bin ein trockener Alkoholiker beim Anblick des Jim Beam und beginne zu schwitzen. Schlage die Beine übereinander und reiße meinen Blick von ihr los.

„Mama muss mit!“, kreischt die Kleine. „Sie hat doch auch ein Tatuh mit Sonne und Mond!“
„Janice“, stöhnt die Drachenfrau, ohne die Augen zu öffnen. „Es reicht. Lass den Mann …“
„Aber es sieht doch so schön aus! Viel schöner als das Tatuh von Tante Michelle.“
Janice macht ein ernstes Gesicht: Was sie mir zu sagen hat, ist wichtig.
„Tante Michelle sagt, es ist ein Drei-Bell, aber Papa nennt es Arschgeweih.“
Ich muss lachen und blicke in die Runde. Keine Reaktion, ich komme mir vor wie der Typ, der an der falschen Stelle des Weihnachtsoratoriums klatscht.
„Papa!“ ruft Janice plötzlich und stürzt los.

„Und?“, fragt ihn Janice-Mutter.
„Nix.“ Er nestelt sich eine Zigarette aus dem Hemd, steckt sie zwischen die Lippen und hält das Feuerzeug bereit. Geht an uns vorbei in Richtung Lift.
„Janice, komm!“, sagt die Mutter und zieht ihre eigene Packung hervor.
Das Mädchen reagiert nicht sofort. Die Mutter packt ihre Hand - Janice dreht sich noch einmal nach mir um, der Arm gedehnt wie ein Gummiband. Sie stolpert über die Krücke eines Anspruchsberechtigten und fällt, schlägt lang auf den Flur.
Der Vater dreht sich um. Ist in einem Satz bei ihr, zerrt sie hoch und schlägt ihr routiniert ins Gesicht. Janice Kopf fliegt zur Seite, ich sehe verwirrte, weit aufgerissene Augen und einen Speichelfaden.

Eine Minute Theater, dann kommt der Lift. Janice Geschrei wird mit jedem heruntergezählten Stockwerk leiser und verstummt.

„Welche Nummer haben Sie?“, fragt mich die dicke Frau.
Verdammt, ich habe noch nicht mal eine Nummer gezogen. Peinlich berührt hole ich es nach. Ich ziehe die 318, die 312 ist grad drin. Sechs Personen, eine Stunde Zeit, denke ich und greife nach dem Notizbuch.
Schreibe die Rohfassung einer kurzen Geschichte.
Das kleine Mädchen darin ist gesund und putzmunter, hat strahlende, neugierige Augen und freut sich auf die Welt.

 

Hallo nastro,

ein schwieriges Thema, ein schwieriger Text. Dem Titel nach zu urteilen hätte ich sie nicht gelesen, es ist ein wenig wie "Kevinisierung", also du weißt, was ich meine, diese Namenskombinationen und wer die auswählt etc. Dein Thema ist mir dafür aber viel zu ernst, eigentlich. Die Dialoge sind gut geschrieben, manchmal hatte ich das Gefühl, ein wenig mehr davon verknappen hätte dem ganzen Text gut getan, weil für mich keine weiter ersichtliche Entwicklung da ist, innerhalb der Dialoge. Es ist dann klar, sie sieht viel fern, weiß über das TV-Programm Bescheid. Hier ist es so, dass du eine Anekdote geschrieben hast, eine kleine Begebenheit, und alle Figuren kennt man so zwar, man meint, sie seien direkt dem RTL II Nachmittagsprogramm entsprungen, aber sie bleiben hinter den Erwartungen zurück, die brechen nie ihre Rolle, die haben eigentlich keine Rolle, also so zu sein, wie sie sind, und so sind sie Statisten, habe ich das Gefühl. Die genervte Mutter, der arbeitslose Vater, sie aufgeklebte Nägel und rauchend, beide mehr mit dem Handy beschäftigt, als mit ihrer Tochter, die ist aufgeweckt, aber man bekommt als Leser das Gefühl, sie wird in eine Zukunft entlassen, in der sie sich nicht entwickeln können wird. Das ist hochspekulativ, und es erzählt für mich zu wenig von dem Hintergrund. So, finde ich persönlich, manipulierst du den Leser stark, er soll Empathie empfinden mit dem Kind, und gefälligst Empörung über die Eltern, irgendwie, aber warum eigentlich?

Verstehe mich nicht falsch, die KG ist gut geschrieben, aber dieser Kernpunkt, die Frage, die ja total brisant ist, bezüglich der Eltern-Kind-Beziehung und auch der Erziehung schlußendlich, und all die normierten Vorstellungen, die da so mit reinspielen, und die Vorurteile, der bleibt mir hier zu glatt. Es ist, wie es ist, arbeitslose Unterschichtler, die ihren Kindern seltsame Namen geben, sind chancenlos, leicht narzisstisch und gewalttätig, und das unschuldige Kind wird leiden ... mich hätte hier ein Bruch interessiert, wenn die Mutter ihn anspricht, ihm sagt, wie es in ihrem Leben läuft, was schief gelaufen ist, oder dass es ihr überhaupt nicht bewußt ist, wie sie sich verhält, es ist dann für sie die Norm, oder der Prot hätte eingreifen können, als er das Kind ohrfeigt, oder jemand anders, und dann würde es eine lautstarke Diskussion geben, wo alle plötzlich ihre Vorurteile auf den Tisch packen und die Scheiße explodiert, wenn du weißt was ich meine?:)

Gut geschrieben, auf jeden Fall, du weißt auch, dass du schreiben kannst, aber mir fehlen da halt einige gewisse Dinge, um die Wirkung noch zu verstärken, um die Brisanz deutlicher auszustellen. Das ist nur meine persönliche Meinung.

Ich hoffe, du kannst davon etwas mitnehmen, nastro:)

Gruss, Jimmy

 

Hallo nastro

Deine Geschichten kontrastieren mir verblüffend, wie ich bei der Vorliegenden wieder mal feststelle. Im Prinzip ist sie ja simpel gestrickt, doch recht unterhaltsam zu lesen, die Dialoge der Kleinen mit denen der Erwachsenen amüsant verwoben.

Die Mutter kommt zurück, setzt sich und stinkt nach Nikotin.

Stinkt Nikotin, sind es nicht die andern Zusätze wie etwa Teer? Jetzt hab ich es, du bist auf Entzug, da will ich dir das Argument nicht strittig machen. ;)

Ich bin verlegen, weiß nicht, ob es ihr recht ist, dass ich mich mit ihrer Tochter abgebe. Die Kleine ist höchstens sechs und ich ein Wildfremder.

Dieser Einschub in Ich-Form des Fremden dünkte mich etwas eigen. Erst dacht ich es sei der Vater, der zurückkam. Ich scrollte an den Anfang, um nochmals zu lesen, wie der Vater sich selbst darstellte. Verdammt! Wie konnte ich so unaufmerksam sein. Es war nicht der Vater, welcher an der Russengeschichte schrieb, sondern der Autor, der in Ich-Form teilnimmt, dessen Rolle ich ausblendete.

Ist in einem Satz bei ihr, zerrt sie hoch und schlägt ihr routiniert ins Gesicht. Janice Kopf fliegt zur Seite, ich sehe verwirrte, weit aufgerissene Augen und einen Speichelfaden.

Dies dünkt mich überzeichnet, auch wenn es natürlich den Druck seiner Situation widerspiegelt, aber zu seinem bisherigen Verhalten der Kleinen gegenüber wirkt es eine Spur zu krass.

An sich hätte die Geschichte mit dem entschwindenden Geschrei von Janice enden können. Doch ein bisschen Selbstdarstellung, um die narzisstische Homöostase auf dem Pegel zu halten, schadet ja nichts. :D

Mit Vergnügen gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Nastroazzurro

Dein Nick ist so kompliziert, dass ich gerade eben nach der Bedeutung googlen musste – eine italienische Biermarke? Hihi, wäre ich nie drauf gekommen.

Aber zur Geschichte:
Es ist sehr leicht diese Unterschichtentypen, die ihre eigene Tochter so vernachlässigen, zu hassen und zu verachten. Allerdings ist das auch nix Neues. Irgendwann am Nachmittag durch die Privaten gezappt und man entdeckt dutzendfach ähnliche und schlimmere Schicksale.
Was also willst Du uns erzählen?

Neu an dem Ganzen ist für mich der Erzähler – die vielschichtigste Figur in der Geschichte und obwohl man einiges über ihn erfährt, bleiben Gedanken und Motive im Dunklen.
Am Interessantesten finde ich, dass er die Eltern weder verurteilt noch verachtet. Nicht mal, als der Vater seine Tochter schlägt, wallen die Gefühle in ihm auf, was bedeutet, dass er sich kein Urteil anmaßt, aber warum?
Stattdessen zückt er das Notizbuch und macht Einträge; entwirft Figuren und Handlungen für eine Geschichte, wo die Kleine vielleicht eine Chance auf ein besseres Leben hat.
Es scheint jedoch, dass noch eine andere Motivation dahintersteckt.
Ich denke, die Figur schreibt, weil sie es kann!

Es geht also nicht darum, dass schlechte Eltern ein Kind misshandeln. Es geht darum, dass jemand in einem unmenschlichen System versucht sich seine Menschlichkeit zu bewahren. Und das Bittere ist, dass es unsicher ist, ob der Erzähler diesen Kampf gewinnen wird.
Regelrecht erschreckend finde ich den Gedanken, dass der Erzähler, der ja der Talentierte ist, auf die gleiche Ebene gestellt wird wie der Untalentierte. Beide sitzen im selben Raum, mit einer Nummer in der Hand und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie nix können bzw. das was sie können, nix wert ist.
Richtig tragisch wird die Geschichte, wenn der Erzähler die Rolle des Vaters einnimmt – er schmachtet ja sogar die Frau an – und sich mit der Kleinen beschäftigt. Natürlich denkt man da als erstes, dass er der bessere Vater wäre. Er ist lieb, freundlich und fantasievoll.
Aber dann kommt es, auch wenn es im Text nicht explizit drin steht. Für die Kleine würde sich trotzdem nix ändern. Denn beide, der echte Vater und der Erzähler, gehören derselben gesellschaftlichen Schicht an.
Sein Nicht-Handeln und sei es nur das Aufwallen von Zorn, beweist quasi, dass sein Talent tatsächlich so nutzlos ist, wie es am Anfang postuliert wurde.

So lese ich das.
Ich hoffe ich habe da nicht zuviel hineininterpretiert. Gedanklich lässt mich die Geschichte immer noch nicht los und ich bin sehr gespannt, was Du zu meinen Schlußfolgerungen sagen wirst.


Viele Grüße und ein schönes Wochenende

Mothman

 

Hi Jimmy, Anakreon und Mothmann, hi KG!
Will jetzt gar nicht so direkt auf Eure Kommentare eingehen, aus dem einen Grund: Zu früh zu offenbaren, was einem zu diesen und jenem Satz getrieben hat, nimmt jeder Geschichte doch sehr schnell den Zauber, man guckt sich das Making Of doch auch nicht vor dem Film an, oder?
Außerdem rutsche ich dann meist fix in die Rechtfertigungsschiene. Ich warte jetzt also noch mal zwei, drei Leute ab, die was sagen wollen und dann komm ich mit meinem Senf.
Heute Abend, heute Nacht, zunächst mal ganz herzlichen Dank für Eure Meinung und nur ein erstes, klitzekleines Feedback auf Eure Post.
Jimmy, Du schreibst:

... aber man bekommt als Leser das Gefühl, sie wird in eine Zukunft entlassen, in der sie sich nicht entwickeln können wird. Das ist hochspekulativ, ...
Himmel, nein! Wir alle können den Kreis durchbrechen. Jeder kann sich entwickeln und gerade jene mit beschissenen Voraussetzungen schaffen mit der nötigen Wut im Bauch viel mehr als die verwöhnten Bälger, welche mit dem goldenen Löffel im Gepäck aufwachsen!
... So, finde ich persönlich, manipulierst du den Leser stark, er soll Empathie empfinden mit dem Kind, und gefälligst Empörung über die Eltern, irgendwie ...
Nein, nein, nein! Keine Empörung gewünscht von meiner Seite. Sie sind einfach zu blöd, zu begreifen, welchen kleinen Schatz sie da vernachlässigen. Können Sie gegen ihre Blödheit wirklich etwas tun? Ich komme drauf zurück …
Anakraeon, Du schreibst:
... Jetzt hab ich es, du bist auf Entzug, da will ich dir das Argument nicht strittig machen. ;)
Hab mit straffen Rauchen vor vierhundert Jahren aufgehört, jetzt qualme ich nur ganz gerne mal im Garten eine dicke Kubanische ;)
Aber Entzug ist das Stichwort, Du hast mein Anliegen erkannt: Es geht um Entzug, um Liebes- Zeit- und Kulturentzug für das Kind und um sexuellen Entzug für den „Ich“, dessen beste Jahre gerade in einem schwarzen Loch verschwinden. Ich komme drauf zurück …
Mothmann, Du schreibst:
...Irgendwann am Nachmittag durch die Privaten gezappt und man entdeckt dutzendfach ähnliche und schlimmere Schicksale. Was also willst Du uns erzählen?...
Den Alltag. „Mitten im Leben“, die Privaten überzeichnen das bis zur Kotzgrenze. Janice rennt nächsten Montag, Dienstag und Mittwoch erneut über die Flure der Arbeitsämter von Leipzig, Kassel und Reutlingen. Sie ist unter uns in Bussen, Subway-Buden und auf Rummelplätzen.
Ich denke, die Figur schreibt, weil sie es kann!
Glatte Eins, setzen!
Beide sitzen im selben Raum, mit einer Nummer in der Hand und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie nix können bzw. das was sie können, nix wert ist.
Musst Du dazu nicht aufs Arbeitsamt gehen. Nimm einen mittelständischen Betrieb, nimm eine Packerin mit 5,- Euro Stundenlohn und den Konstrukteur zwei Etagen über ihr mit 2000 netto. Beide erfahren keine Beachtung ihres Chefs, kein Lob, keine Aufstiegschance. Wir leben in einer Zeit, in der Du hinter einer Fassade scheinbaren Fleißes funktionierst. Die Lust zum Arbeiten bleibt auf der Strecke, die Zahl jener, die es einfach bleiben lassen wächst. Kann man diese Leute verurteilen? Insgeheim tue ich es (wahrscheinlich), bin so geprägt. Ich komme drauf zurück …
Für die Kleine würde sich trotzdem nix ändern...
Was sie ja auch nicht will. Eltern sind Eltern, die haben tausend Tonnen Vorschusslorbeeren. Janice wird ihrem Papa bereits unten auf der Straße verziehen haben.
Gedanklich lässt mich die Geschichte immer noch nicht los…
Das freut mich außerordentlich. Mich lässt sie seit zwei Jahren nicht los, mich lässt ganz allgemein nicht los, wie man ein Kind, das größte aller Geschenke, in die Ecke stellt als sei es unnützer Kram. Um Himmelswillen kein Problem der Unterschicht, der Manager-Papa treibt es oftmals viel schlimmer, verbringt die schönsten Jahre seines Kindes auf Messen, Geschäftsessen oder der Autobahn. Ich finde das zum Kotzen.
Danke Euch, Nachti,
nastro.

 

Hey nastroazzurro,

schwierig, das Setting war relativ schnell relativ deutlich. Da fand ich es gut, dass du nicht gleich geschrieben hast, wo sie sich befinden, sondern dem Leser langsam reinziehst, in diese Vorhölle des Nichtstuns und Abgelenkheit – ich war letztens in Halle im Bürgerbüro wegen Studienkram und so weiter und die Atmosphäre ist da schon nicht so toll, die fängst du zwar ein, aber – wie ich finde – mit recht simplen Mitteln. Du bedienst dich dem Klischee, Mutter, Vater, Kind sind tatsächlich RTL-Figuren, ohne Eigenleben, gefangen in ihrer Rolle als soziale Unterschicht. Da vermisse ich auch einen Bruch, eine andere Sicht auf die Dinge. Und da kommt dein Erzähler ins Spiel, der beobachtet, nie urteilt, sich von der Mutter angezogen fühlt. Persönliches Highlight ist, als Janice bei dem Erzähler hockt und sie zusammen eine Geschichte spinnen, als der Zom-Pi sagt, er könne nichts und Gute Tag! sagt. Das ist herrlich anders, leider entwickelt sich auch diese Geschichte klischeehaft, endet langweilig fast. Happy End und so. Da fand ich das echte Ende deiner Kurzgeschichte stimmiger, der Erzähler kann nichts ändern an den Missständen, schreibt halt eine Geschichte, in der alles besser läuft. Das fand ich stark!

Zur Sprache: ohne großes Stolpern zu lesen, viele Bilder und Beschreibungen haben mir gut gefallen, auch die Aussprache des kleinen Mädchens, aber dann kommen auch wieder Vergleiche und Sachen, wo ich mich frage, warum? Das klingt stellenweise echt so, als hättest du angestrengt nach etwas Sonderbarem gesucht.

Ein paar Anmerkungen:

Dann rennt sie los, ihre Beine fliegen durch die Luft wie die Keulen eines Artisten.
Das Bild mochte ich nicht.

Die Kleine hebt ihren Finger und beginnt, die Form von Mamas Tattoo nachzuzeichnen.
Das ist schön.

Aus der Nähe betrachtet ist ein Kind ein Wunder. Augen, Nase und Mund fleißige Zwerge, die Haut frisches Obst.
Okay, das würde ich schon lesen, aber doch nicht hier. Warum? Ich verstehe den Sinn des Satzes nicht?

Ich brauche einen Moment, habe alles vergessen. Ich verstecke meine Hände hinter dem Rücken, balle die Linke zu einer Faust und stecke den Daumen zwischen die Finger. Dann krümme ich den Zeigefinger meiner Rechten und halte ihn mit dem Daumen fest. Spreize die jeweils verbleibenden Finger der rechten und linken Hand ab und wende mich wieder dem Mädchen zu. Verdecke mit dem Zeigefinger der Linken den Spalt zwischen den Händen und bewege sie hin und her. Janice macht große Augen. Aus ihrer Position sieht es aus, als würde ich mir den rechten Zeigefinger wechselseitig amputieren und wieder zusammensetzen.
Schade, dass du etwas beschreibst, das wirklich nicht viel mit Magic zu tun hat. Ich glaube, du hattest auch Schwierigkeiten beim Schreiben, es liest sich nicht besonders angenehm und amputieren fällt aus dem allg. Wortschatz.

Ich überlege, wie oft und wie lange sie Janice wohl streicheln mag mit ihren schönen Händen. Gerate dabei auf Abwege, denke unsinniges Zeug, Dinge wie: wer denn mich zuletzt gestreichelt hat, und wie lange. Ich starre auf das Gesicht der Frau und dann auf ihre Brüste. Ein Piercing steckt in einer der Warzen.
In Natur habe ich so was noch nie gesehen.
Das finde ich gut! Wie man irgendetwas sieht und von einem ins andere kommt. „In Natur“ würde ich vielleicht in „Live“ oder so ändern.

Freitags kommt „X-Faktor“, da singe ich immer mit. Wenn ich mal groß bin, gehe ich auch dahin und singe vor, und tanze, und gewinne den Preis!
HALTET SIE AUF!!!

suche Blickkontakt zu Janice-Mutter
Das ist der bindegestrichte Genitiv? Sehr interessant.

Ihr Top ist hochgerutscht. Es offenbart, spielkartenbreit zwischen Hosenbund und Top, nackte Haut.
Ihr Top ist hochgerutscht, offenbart eine spielkartenbreite Fläche nackte Haut.

Ich bin ein trockener Alkoholiker beim Anblick des Jim Beam
Hm, gefällt mir an dieser Stelle nicht. Alkoholiker zu sein, ist ja was pathologisches. Verlangen nach einer Frau, wenn man schon lange keine mehr hatte oder schon wieder eine will – also für mich ist das menschlich. =)

Keine Reaktion, ich komme mir vor wie der Typ, der an der falschen Stelle des Weihnachtsoratoriums klatscht.
„Papa!“ ruft Janice plötzlich und stürzt los.
Das ist gut. Da kann man richtig sein Ups-Gesicht und die Peinlichkeit heraus lesen.

Sechs Personen, eine Stunde Zeit
Ah, ich denke, dass geht schneller. Also, man sitzt vermutlich eine Stunde, aber nicht wegen sechs Personen. Gibt da ja nicht nur immer eine Sachbearbeiterin, auch wenn du das so beschreibst.

Also, es sind zwar RTL-Figuren, aber du machst mit ihnen schon mehr, das will ich dir nicht vorwerfen, aber es ist eben viel Klischee und der Erzähler, der das Ganze retten könnte, ins Sonderbare, Außergewöhnliche, Neue – den lässt du ein bisschen zaubern, aber mit den altbekannten Tricks. Lass die Klischees ein bisschen brechen und den Erzähler ein bisschen besser zaubern, dann könnte ich mir vorstellen, dass mich die Story mehr begeistern kann. So bin ich ein bisschen enttäuscht, was die Kernaussage und die Darstellung angeht. Unterhalten habe ich mich trotzdem gefühlt!

Beste Grüße
markus.

 

So, jetzt würde ich mal etwas konkreter werden.

Zunächst allen Kommentatoren meinen herzlichsten Dank!

Also meine Hauptanliegen, Thesen, sind folgende:
1. Einige Eltern nehmen sich keine Zeit für ihre Kinder, das geht durch alle Gesellschaftsschichten, Väter verbringen ihre Zeit lieber mit Onlinespielen (Unterschicht) oder auf Geschäftsessen (oben), die Mütter sehen derweil fern.
2. Viele unter uns leiden an Liebesentzug. Fernsehen, Facebook und Fausterotik-im-Internet helfen da genauso wenig wie Antibiotika vor der nächsten Krankheit.

Lieber Jimmy,

er soll Empathie empfinden mit dem Kind, und gefälligst Empörung über die Eltern, irgendwie, aber warum eigentlich?
Wie gesagt, keine Empörung. Janice Eltern sind zu blöd, zu begreifen, welchen Schatz sie da vernachlässigen. Können Sie gegen ihre Blödheit etwas tun?
Ich meine nicht – oder nur sehr schwer. Wir sind alle Produkte unserer Erziehung in jungen Jahren und unseres Umfeldes später. Umgebe ich mich mit tumben Nazis, nörgelnden Rentnern oder linken Fanatikern – immer wird es auf mich abfärben.
Das Hauptproblem dummer Leute ist es meiner Meinung nach, Schönheit nicht zu erkennen. Sie ignorieren die Schönheit ihres Kindes, wissen nicht, wie schön ein Waldspaziergang sein kann, gucken Dschungelcamp, statt sich sie Schuhe anzuziehen und mal ein Museum zu besuchen.
Das Hauptproblem reicher Leute ist, dass ihnen Gewinnmargen, Managergeschwafel in Hotellobbys und Messeauftritte wichtiger sind als mal eine freie Woche mit der Familie.
Seh‘ das nur ich so?
... mich hätte hier ein Bruch interessiert, wenn die Mutter ihn anspricht, ihm sagt, wie es in ihrem Leben läuft, was schief gelaufen ist, oder dass es ihr überhaupt nicht bewusst ist, wie sie sich verhält, es ist dann für sie die Norm, oder der Prot hätte eingreifen können, als er das Kind ohrfeigt, oder jemand anders, und dann würde es eine lautstarke Diskussion geben, wo alle plötzlich ihre Vorurteile auf den Tisch packen und die Scheiße explodiert ...
;), Genau diese Textstellen hat es gegeben. Sie sind meiner „Entfernen“-Taste zum Opfer gefallen, weil ich genau das nicht will: Den Leser bekehren und belehren. Ich hab’s so stehen lassen. Und ehrlich: Wer greift denn im wahren Leben ein? Wer nimmt sein Herz in die Hand bzw. sich die Zeit, der schlagenden Mutter in der Kaufhalle paar Takte zu sagen? Dem Typen, der seinen Hund tritt? Zivilcourage nennt man das wohl, hat’s in der DDR gegeben und sicher auch im Westen der 60er, 70er, 80er.
Du würdest den Text verknappen. Tatsächlich glaube ich ebenfalls, das „Janice“ auch knapper funktionieren würde, aber solange mich keiner wegen eines Wettbewerbes o.ä. dazu zwingt, mach ich’s nicht.
Lieber Anakreon,
... Jetzt hab ich es, du bist auf Entzug, da will ich dir das Argument nicht strittig machen.
Auf Entzug ist er, der Autor. Die Frau macht ihn verrückt, und der Zigarettenstank törnt ihn eher noch an als ab, weil er vielleicht zwanzig Jahre mit einer Langweilerin verheiratet war: Freitags putzen, Sonntagmittag Essen bei den Schwiegereltern, Sex immer nach dem Tatort (in der üblichen Stellung). Jetzt ist er schon lange allein, hat es bei Prostituieren versucht, aber die sind kalt wie Fisch und sowieso ist das Geld alle.
(Übrigens bin ich nicht der aus der Geschichte ;))
Dies dünkt mich überzeichnet, auch wenn es natürlich den Druck seiner Situation widerspiegelt, aber zu seinem bisherigen Verhalten der Kleinen gegenüber wirkt es eine Spur zu krass.
Er kommt ja gerade von seiner Sachbearbeiterin und hat dort erfahren, dass die Welt ihn nicht braucht …

Lieber Mothmann,

Es geht also nicht darum, dass schlechte Eltern ein Kind misshandeln. Es geht darum, dass jemand in einem unmenschlichen System versucht sich seine Menschlichkeit zu bewahren. Und das Bittere ist, dass es unsicher ist, ob der Erzähler diesen Kampf gewinnen wird.
Ich hätt`s nicht besser sagen können.
Sein Nicht-Handeln und sei es nur das Aufwallen von Zorn, beweist quasi, dass sein Talent tatsächlich so nutzlos ist, wie es am Anfang postuliert wurde.
Ganz genau. Ist so eine Sache mit dem Talent, Talentshows sprießen als Unkraut aus dem Boden. Die Sieger der Talentshows kennt nach zwei Woche kein Mensch mehr.
Vielleicht brauchen wir in unserer modernen, vernetzten, stressigen Welt keine neuen Talente mehr, weil wir schon genug haben.
Ich kauf mir ja auch nur noch vier oder fünf CDs im Jahr, weil dreihundert gute im Schrank stecken.
Hätte Bob Dylan bei „The Voice of Germany“ eine Chance? Würden sich die Fantastischen Vier in DSDS durchsetzen?

Opa-uwe,

Als ich das mit den Russen las, musste ich rückwärts an nastrovje denken und den Rest hinterkippen
Die „Russen“ haben hier nur einen kleinen Cameo-Aufritt meiner letzten Geschichte. Es hätte auch Frau Kowal sein können oder der kleine Adolf.
So, so, ein Papa mit seiner Tochter werden von einem Schriftsteller beobachtet. Wenn das nicht zu einer neuen Story führt, fresse ich einen Besen. Der Schriftsteller ist auch noch zufällig der Erzähler dieses Textes, wenn das kein Zufall ist?
Er ist kein Schriftsteller, er schreibt nur Geschichten in ein Heft. Deinen doppelten Zufall kapier ich nicht.
Dialoge ziehe ich immer vor und besonders, wenn ich nicht laufend lesen muss: "sagte, sagte, sagte …".
Naja, „sagen“ ist manchmal echt schrägen Synonymen von „sagen“ vorzuziehen. Allerdings: Ich hatte noch nie einen so hohen Dialoganteil, hab ziemlich viel Tarantino gesehen in letzter Zeit.

Und noch Markus,
vielen Dank für Deine lobenden Worte, da Du selber sehr gut schreibst, zählen sie für mich doppelt (gilt für einige der oben Genannten natürlich ebenso!)

Okay, das würde ich schon lesen, aber doch nicht hier. Warum? Ich verstehe den Sinn des Satzes nicht?
Mmh. Kann ich nicht besser erklären, für mich ist das so.
Ihr Top ist hochgerutscht, offenbart eine spielkartenbreite Fläche nackte Haut.
Mit dieser Stelle hab ich lange gekämpft. Deine Variante war auch dabei, ich habe sie verworfen. Ist wahrscheinlich Geschmackssache.
Hm, gefällt mir an dieser Stelle nicht. Alkoholiker zu sein, ist ja was pathologisches. Verlangen nach einer Frau, wenn man schon lange keine mehr hatte oder schon wieder eine will – also für mich ist das menschlich. =)
Naja, weiß nicht. Der Sexualtrieb kann sehr stark sein bei einigen von uns. Ich glaubte den trockenen Alkoholiker da eigentlich ganz nah dran.
Noch habe ich an der Geschichte keinen einzigen Punkt geändert. Bedeutet, ich bin genial oder arrogant, ihr könnt‘s Euch aussuchen ;)
Nochmals Danke für Eure Zeit,

nastro.

 

Salut,

Noch habe ich an der Geschichte keinen einzigen Punkt geändert.

Dann hacke ich auch mal auf diesem Satz rum:

Dann rennt sie los, ihre Beine fliegen durch die Luft wie die Keulen eines Artisten.

Da bin ich auch drüber gestolpert und ich habe mir dabei ein schwer gehbehindertes Kind vorgestellt, das die Beinmotorik nicht richtig im Griff hat.
Ich finde den Vergleich sehr unpassend, dem nahe würdest du vielleicht kommen, wenn du statt fliegen wirbeln nimmst und den Rest streichst.
Ganz bescheiden mein Senf.

Mir war der Anfangsdialog zwischen Vater und dann Mutter zu lange, deswegen habe ich die Geschichte dann beim ersten Mal auch abgebrochen, weil ich vermutete, das würde sich weiter so hinziehen.

Heute hatte ich mehr Langmut. Als der Autor dann ins Geschehen kommt, war ich auch gerne wieder dabei.
Diese Szene mit dem Fingerzaubertrick würde ich insofern kürzen, dass du von einem Fingerzaubertrick erzählst, aber ihn nicht erklärst, das ist unnötig und zäh.

Gar nicht gefallen hat mir die Tatenlosigkeit aller Wartenden, als das Mädchen eine gescheuert bekommen hat. Besonders der Autor, der mit dem Mädchen eine schöne Begegnung hatte, hätte zumindest ein "Hey, was soll das?" oder "Gehts noch?" loslassen müssen. Da hätte ja auch weiter nichts passieren müssen, der Vater hätte sagen können: "Das geht dich einen Scheiß an" - aber das einfach so zu beobachten wie im Kino, mannmann, da geht mir das Messer im Sack auf. Und dann schreibt der Autor noch was von Heile-Welt-Kind. Puh, der ist mir grade so richtig unsymphatisch geworden dadurch, so ein richtiger Antiheld.

Du siehst, kalt hat mich deine Geschichte nicht gelassen. Ich hätte aber gerne auch noch einen Handlungsdreher drinne gehabt, so in der Art, dass Janice zu ihren Eltern sagt, sie würde lieber gerne bei dem Mann bleiben, der so schöne Geschichten schreibt und es dann ein richtiges Gezeter wird, sie von ihm wegzubekommen. Einfach mehr Eskalation. Aufgestaute Aggression gäbe es sicher zur Genüge dazu.

Liebe Grüße
bernadette

 

Liebe Bernadette,

Danke für Deinen Kommentar,

…Da bin ich auch drüber gestolpert und ich habe mir dabei ein schwer gehbehindertes Kind vorgestellt, das die Beinmotorik nicht richtig im Griff hat.
;) Okay, schau ich mir noch mal an.
… Als der Autor dann ins Geschehen kommt, war ich auch gerne wieder dabei.
Das freut mich.
… Gar nicht gefallen hat mir die Tatenlosigkeit aller Wartenden,…
Mmh, ist ja das Schöne an Geschichten, dass es in jedem Kopf anders wirkt. Antiheld, naja, ein Held soll er jedenfalls nicht sein. Er ist müde, sein Leben hat Farbe verloren. Vielleicht ist er einfach zu müde, aufzustehen – oder das Ganze geht ihm einfach zu schnell, ist ja oft so, dass Du später denkst: Da hätte ich doch …
Du siehst, kalt hat mich deine Geschichte nicht gelassen. Ich hätte aber gerne auch noch einen Handlungsdreher drinne gehabt, so in der Art, dass Janice zu ihren Eltern sagt, sie würde lieber gerne bei dem Mann bleiben, der so schöne Geschichten schreibt und es dann ein richtiges Gezeter wird, sie von ihm wegzubekommen.
So eine ist Janice aber nicht. Sie hängt trotz allem extrem an ihren Eltern. Jetzt fahren oder laufen sie nach Hause und vorm Fernseher hat sie den Typen schon bald vergessen.
Danke Dir,

nastro.

 
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Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Großartig erzählt.
Habe es von der ersten bis zur letzten Zeile gerne und gespannt gelesen.
Sehr lebendig, gut beobachtet, schöne Eigendistanz.
Mittendrin frage ich mich: "Wie bekommt er noch so etwas wie eine Schlusspointe unter? Wie soll das aussehen"

Dann habe ich wieder Mitleid mit dem Kind und bin froh; hoffe; dass es sich diese Neugier und Aufgewecktheit trotz seines Umfeldes bewahren kann.

Umso mehr trifft das Ende der Geschichte. Man ist traurig.

Toll.
Du hast mich eingefangen.
Geht mehr? Nein.

Ah ja: Eine Kritik.
Während des Lesens dachte ich manchmal:
"Das Kind ist vielleicht ein wenig zuuu quirlig angelegt."
Frank

 

Liebe Marai, Frank,

herzlichen Dank für Eure Kommentare. Das Euch die Geschichte nicht kalt gelassen hat, freut mich außerordentlich, zaubert sozusagen ein sonntägliches Lächeln auf mein Gesicht - wenn schon die Sonne nicht scheint.

Marai,

Das tönt so deprimierend. Ein bekannter Psychologe hat mir einmal gesagt, dass Veränderung möglich ist bis ins hohe Alter. Dass das stimmt, erlebe ich persönlich. Und das wünsche ich auch den Eltern von Janice und dem Mann, der da seine Geschichten in sein Notizbuch schreibt...

Ich hoffe es solchen Leuten auch, habe jedoch oftmals Erfahrungen gemacht. Aber ich schreibe ja auch: ... unseres Umfeldes später ... Umgeben wir uns mit den richtigen Leuten, den richtigen Freunden oder dem richtigen Partner, kann da immer was bei rauskommen.
Das Dilemma dummer Leute ist jenes, das ich oben schon beschrieben habe. Sie sehen die Schönheit der Dinge nicht (wenn sich das jetzt auch furchtbar weich und lyrisch anhört). Und eh jetzt jemand an die Decke geht: Ich beziehe das, wie bereits oben beschrieben, nicht auf Mindestlöhner, Arbeitslose etc. , Managern habe ich das gleiche vorgeworfen. Und eh jetzt die Manager hochgehen: Im weitetesten Sinne bin ich auch einer - hab aber nie für meinen Job die Familie vernachlässigt.
Ist aber sicher falsch, hier über sich selbst zu reden, wir sollten Abstand halten und über die Geschichten sprechen.

Dir einen schönen Abend!

Frank,

auch Dir ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar.
Nee, Janice sollte immer quirlig sein, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Ciao!

 

Hallo nastro

Janice ist wie eine Blume, die in einer giftigen Umgebung zu verwelken droht. Sehr schön gezeichnet und spannend zu lesen.

Die Geschichte ist originelll genug. Wenn sie sich zu weit von der Wirklichkeit entfernt und einen Gastauftritt von Gandalf anbietet, leidet die erzeugte Nachdenklichkeit. Und die könnte ja durchaus dazu beitragen, dass manche Blumen in Zukunft besser gedeihen.

Liebe Grüsse
Bertram

 

Hi Bertram,

schön, das „Janice“ einen neuen Leser gefunden hat. Die Zahl der Neuveröffentlichungen hier erschlägt ja die alten Geschichten …
Danke für Deine lobenden Worte, über die ich mich nicht weniger und auch nicht mehr, jedoch anders freue als über einen hilfreichen Verriss.
Janice ist völlig anders als all meine anderen Geschichten: in einem Stück runtergeschrieben, kurz überarbeitet und nie geändert.
Blume in giftiger Umgebung, meinst Du.
Ist vielleicht zu hart. Blume in trockener Umgebung würde ich sagen. Janice Eltern sind keine üblen Menschen. Sie sind breite Masse, machen die üblichen Fehler.
Die machen wir alle. Wir konsumieren Müll, gehen jeden Tag zu diesem Idioten arbeiten, essen Fleisch und wählen konservativ.
Leben ein stückweit am Leben vorbei. Versuchen mit kleinen Aufständen dagegen zu halten: Spenden Blut und Knochenmark, gehen mal wieder in eine Kirche, nehmen an einer Demo teil. Schreiben einen Roman.
Fürs ganz große Dazwischenhauen sind wir zu feig oder zu faul. Ist vielleicht besser so, besser Mainstream als wie Uwe und Uwe mordend durchs Land zu ziehen, während Beate zuhause die Socken wäscht.
Also, es liegt mir fern, Janice Eltern zu verurteilen, die meisten Menschen sind eben so.
Wichtig ist, was Janice aus sich macht. Ihre Alten werden ihr nicht helfen, sie muss es allein tun.

 

hallo azzurro,
deine Geschichte hat Herz und dort berührt sie einen auch. Man kann sicher viel über das nicht Neue, das Offensichtliche und sonstwas anmerken, aber das tritt alles in den Hintergrund, weil die Geschichte einfach eingängig ist und man Janice so gerne mag. Ich habe den Text mit Freude gelesen und habe ihn danach nicht sofort vergessen. Ich bin zwar ganz neu hier, aber schon einige Geschichten gelesen und es gab bisher nur noch eine, die mir im Kopf geblieben ist. Deine kommt jetzt dazu.
Ich weiß nicht, ob man noch etwas zu der Struktur sagen kann oder der Ausführung, das Handwerkliche ist mir eigentlich nicht besonders wichtig, wenn ich was echtes lese und deine Geschichte fühlt sich echt an. Man merkt übrigens total, dass sie aus einem Guss ist.
Ich werde deine Arbeit gerne weiter verfolgen.
lg, HT

 

Hallo Herr Taktlos,

ganz herzlichen Dank, freut mich, wenn es Dir gefallen hat.

Jetzt gehts für mich erstmal in den Urlaub - zur Inspiration und zum Schreiben!

Habe einige Geschichten auf Lager, leider nicht alle KG.de geeignet (wegen der Forenregeln, allein zwei der Geschichten beziehen sich auf real existierende Personen).

Ciao allen bis Mitte August!

 

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