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Jakob
Die Kamera fängt einen schmächtigen Jungen ein. Er sitzt auf einem Kipplaster für Kinder, das Gesicht ist schmutzig und der Blick auf einen Mann im Unterhemd gerichtet.
Jakob fährt den Wagen vor, lädt die letzte Fuhre Schutt ab und fragt, was er nun tun kann. Frank meint, das reiche für heute, er solle nun ins Haus gehen und seine Mutter wieder rausschicken. Und das Spielzeug in die Garage stellen.
„Aber das ist doch unser Laster, Tata. Brauchst du den nicht noch?“
„In die Garage, habe ich gesagt!“
Im Haus wird Jakob von Salina empfangen, die eine Schale Vollkornplätzchen auf den Tisch stellt, ihrem Sohn dann durch die Haare wuschelt und fragt, wie weit sein Vater und er denn mittlerweile seien. Jakobs Augen funkeln.
„Ich habe alles zu Tata gefahren und der hat das dann in den Container geschaufelt.“
„Das ist ja großartig, mein kleiner Held. Hast du dich auch bei Tata bedankt, dass du ihm helfen durftest?“
„Salina!“, tönt es von draußen. Sie springt auf, murmelt etwas zu sich selbst und öffnet die Tür.
„Ja, mein Schatz?“
„Wie oft muss ich dir noch sagen, dass der Junge mich nicht Tata nennen soll?!“
„Auf Romanes heißt das doch Pa…“
„Ich bin aber nicht sein Vater, verdammt nochmal!“
Der Stuhl am Tischende bleibt leer, als Jakob und seine Mutter zu Abend essen. Sie steht auf und kommt mit einer Karaffe voll Apfelsaft zurück. Sie füllt das Glas ihres Sohnes und schenkt sich selbst Wein nach.
„Magst du nicht auch Saft trinken, Mama?“
„Tu ich doch, Liebling. Aber mit Wasser gemischt, ist mir zu süß sonst.“
„Tata hat mal gesagt, dass echte Männer keine Mischen trinken. Also darf ich das leider nicht probieren …“
Sie steht auf, küsst ihren Jungen auf die Stirn, flüstert, „da hat Tata wohl recht“, und wischt ihm den verschmierten Mund ab.
„Wo ist er eigentlich?“
„Jetzt putzen wir die Zähne, und dann lese ich dir etwas vor.“
„Nochmal Grotto, ja?“
Salina hört nicht auf zu lesen, obwohl Jakob längst schläft. Keine nach oben hallende Stimme unterbricht sie. Niemand brüllt, es lange, keiner schreit, sie hindere den Jungen daran, ein Mann zu werden, sie kann sich an ihr Kind kuscheln, ohne, dass Frank sie verurteilt, und doch lässt sie es. Er sitzt ihr im Nacken, haucht nicht, sondern spuckt ins Ohr, brüllt, statt zu flüstern, und bestätigt sie in ihren Zweifeln.
Ein Vater fehlt, als Jakob und seine Mutter frühstücken. Auf Tatas Platz sitzt nun Björn. Ein kräftiger Mann, der größer ist als Tata. Das blaue Hemd ist nicht zugeknöpft, an den Schultern spannt es trotzdem. Er trinkt schwarzen Kaffee, streicht Mett auf sein Brot und schmatzt laut. Salina füllt die zweite Kanne um, während er sich eine Pfeife ansteckt.
„Der sollte mal was Vernünftiges essen“, meint Björn.
„Tata hat gesagt, davon werde ich groß und …“
„Junge, doch nicht, wenn du Marmelade draufstreichst!“
Björn fährt zur Arbeit und Salina begleitet Jakob auf dem Schulweg. Sie fährt ihm hinterher und ist hörbar stolz, dass er nun ohne Stützräder fährt. Er möchte den Helm über die Ohren ziehen. Und auch die Wangen schützen, damit sie ihn nicht vor seinen Mitschülern abknutschen kann.
Der Lehrer kündigt an, dass in der dritten und vierten Stunde jemand von der Polizei zu Besuch kommen wird. Jakob ist erleichtert, hatte er doch schon wieder einen Zahnarzt befürchtet, der ihn zu den gepflegtesten Zähnen aller Erstklässler beglückwünschen würde. Bei dem Gedanken geriet er in Versuchung, sich das Kaugummi in den Mund zu stopfen, das unter dem Tisch klebte.
Der Kommissar erinnert ihn an Tata. Er wirkt unantastbar, erfüllt den Raum mit seiner Präsenz und wirft einen Schatten auf alles, was ihn umgibt. Selbst auf den Hund, den er mitgebracht hat. Ein prächtiges Tier, das den Maulkorb zerfetzen könnte, wenn es denn wollte. Die Kinder dürfen Fragen stellen, Jakob versteht nicht, warum sich alles um den Köter dreht, ist aber beeindruckt, als der Uniformierte erzählt, dass ihm der Hund aufs Wort gehorche. Der Polizist prahlt damit, die totale Kontrolle über das Tier zu haben, geilt sich regelrecht daran auf und zieht Jakob in seinen Bann. Er gehört ihm.
„Schmeiß das Rad in den Kofferraum, Junge!“, fordert Björn den Kleinen auf. Um die Erleichterung, seine Mutter nicht unter den wartenden Eltern entdeckt zu haben, ist es geschehen. Jakob möchte lieber radeln, wagt es aber nicht, zu widersprechen. Er hat den Mann vielleicht fünfmal gesehen, der ihn nun von der Schule abholt. Er mag Björn nicht. Salina meinte, er solle so viele Fragen wie möglich stellen, da er viel von ihm lernen könne.
Worüber spricht man mit einem Fremden, der plötzlich die Mutter für sich beansprucht, also den Platz des Vaters einnimmt?
„Bist du ein Polizist?“
„Nein.“
„Ich glaube, ich möchte Polizist werden.“
„Glaubst du auch, dass ich nicht Auto fahren kann? Nimm den Helm ab, Junge!“
Björn hält vor der Einfahrt, lädt das kleine Fahrrad aus, lehnt es an den Zaun und steigt wieder ein. Jakob will raus, wird aber zurückgezogen. „Danke, heißt das, du kleiner Scheißer!“
Salina hat ihren Sohn schon erwartet, nimmt ihm den Ranzen ab und deckt dann den Esstisch. Putenschnitzel, selbstgemachtes Kartoffelpüree und Spinat. Getrunken wird Traubensaft, aus unterschiedlichen Karaffen. Jakob berichtet von seinem Tag und denkt an den Polizisten, als er fragt, warum Björn nicht mit ihnen isst.
„Der muss doch arbeiten. Hat extra seine Mittagspause geopfert, um dich abzuholen. Ich sag' ja, der Björn ist ein feiner Kerl. Wir dürfen ihn nicht verärgern, hörst du?“
„Habe ich Tata verärgert?“
Sie nimmt einen großen Schluck, bevor sie die Frage mit zittriger Stimme bejaht.
Jakob hilft Björn beim Streichen des Schuppens, indem er den Farbeimer hält. Seine Arme schmerzen, alles in ihm sträubt sich, einzuknicken, doch das Gewicht ist kaum noch auszuhalten. Der Eimer wiegt nicht viel, es ist die unkomfortable Haltung, die ihm zu schaffen macht. Die Beine wackeln, die Lippe schmerzt, so fest presst er die Zähne dagegen, so fest, dass sie blau anläuft, während der Kopf immer roter wird. Senkt sich der ausgestreckte Arm, hebt er ihn augenblicklich wieder an. Björn darf nicht merken, wie schwer ihm das fällt. Er will nützlich sein. Zeigen, dass er stark und zu gebrauchen ist.
„Mach mal 'ne Pause, Junge“, lautet die Erlösung. Die Spannung verlässt seinen Körper, er sieht es wie in einem Film vor sich, kann nicht eingreifen, obwohl er muss. Der Eimer entgleitet ihm, die Farbe spritzt auf seine Sandalen, auf die nackten Zehen und Knöchel. Auch Björn kriegt etwas ab. Und sieht rot. Jakob sehnt die Bestrafung herbei, das Warten ist das Schlimmste. Die Backpfeife betäubt das Ohr, lähmt die Wange, reißt die Lippe auf und ihn zu Boden. Er fällt in die Farblache. Björn brüllt, er solle aufstehen, aber Jakob regt sich nicht. Er kann nicht. Die Scham zu stark, zu stechend der Schmerz. Er wird zum Haus geschleift. An seinem Ärmel. Ohne zu weinen. Alles ist betäubt und doch so real. Als stünde das Elend erst noch bevor.
„Mach auf, der Junge hat gekleckert und muss gewaschen werden. Aufmachen sollst du!“
Björn hämmert gegen die Tür, Salina öffnet hastig, will sich umgehend entschuldigen, das verraten ihre Augen, bevor sie auf Jakob blickt.
„Was hast du getan? Du Monster …“, wispert sie.
Jakob will nicht in ihre Arme, will nicht bemuttert werden, sondern alleine sein, sich die Schande vom Leib waschen. Er rennt ins Badezimmer, an Salina vorbei, drückt beide Hähne nach oben, hält die Spülung gedrückt und bricht in Tränen aus. Samt seiner Kleidung stellt er sich unter die Dusche, der Strahl übertönt das Schluchzen, der heiße Dampf beschlägt den Spiegel – Jakob darf wieder Kind sein.
Björn duldet nicht, dass seine Freundin sowohl Wort als auch Hand gegen ihn erhebt. Die hämmernden Fäuste auf seiner Brust merkt er fast gar nicht, die Beschimpfungen hingegen sind unverzeihlich. Er stößt sie um, ihr Rücken klatscht auf die Fliesen, mit der Jacke reißt sie auch den Haken von der Wand und wird von der Garderobe begraben. Sie versucht, die Beine frei zu strampeln. Es gelingt ihr. Mit dem ersten Tritt trifft sie Björns Weichteile, der zweite schließt die Tür. Sie greift nach rechts zur Heizung, schafft es, sich aufzurappeln. Unter Schmerzen, aber von der Wut getrieben, schleppt sie sich zum Fenster und schreit: „Verpiss dich!“
Er dreht ihr den Rücken zu, geht gekrümmt in Richtung Auto und winkt verächtlich seinen Arm über den Kopf.
„Ich bring‘ dich um, wenn du dich meinem Jungen nochmal näherst!“
Sie nimmt einen Schluck aus der Karaffe, geht dann ins Badezimmer und bindet ihrem Sohn ein Handtuch um die Hüfte.
„Den hab' ich verärgert. Beim nächsten Tata machen wir es besser, Liebling.“