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Jakob Eierhahn

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10.11.2001
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Jakob Eierhahn

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JAKOB EIERHAHN – ein Name wie zum Spott erfunden, wie von boshaften Spöttern künstlich ausgedacht; ein Name jedenfalls, von dessen bemitleidenswertem Träger wir durchaus annehmen könnten, dass er ihn schamvoll verbirgt, ihn nur im Falle äußerster Not und Notwendigkeit öffentlich macht. Umso verwunderlicher erscheint uns nun dieses, dass der gleiche Name, eben dieser Name Jakob Eierhahn, so gleichsam dreist über jenem antiquarischen Buchladen nicht allein geschrieben steht, sondern dort in breiten, weißen Großbuchstaben geradezu prahlerisch prangt... Einmal monatlich, und es ist stets ein Montag, sieht man einen alten, gleichermaßen vergnüglich wie still in sich gekehrt wirkenden älteren Herrn eine Leiter besteigen und jede einzelne Letter gewissenhaft vom Staub der Stadt reinigen. Dieser in sich ruhende ältere Herr, das ist Jakob Eierhahn selbst.

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Jene Zelle, in deren zweiräumig unterteilter Innerei sich alte und uralte Bücher bis unter das Dach stapeln - Bücher, deren äußere Erscheinung so mannigfaltig ist wie ihre jeweiligen Inhalte, die hier in ausdauerndes Leder gebunden, dort von auflösungsfreudigen Pappdeckeln umfasst Auskunft und Unterhaltung geben über beinahe alles je Ersonnene und Ersponnene und von den Naturwissenschaften über Geschichte, Philosophie und Theologie bis hin zur Belletristik im weitesten Sinne jede Region des Sinnlichen und Übersinnlichen, des Gedachten, des Geahnten und des Gewussten betreten - dieser antiquarisch orientierte Buchladen also, das ist nicht bloß Herrn Eierhahns Arbeitsplatz, sondern es ist vor allem anderen seine Bestimmung und seine Berufung, es ist der ihm zugeordnete Platz in dieser verwirrenden Welt. Nicht jeder findet solch ein seliges Eckchen, solch einen toten Winkel, den der kalte Wind des rauen Lebens außer Acht lässt und in den er nicht hineinpfeifen kann; und so wollen wir den Herrn Eierhahn, den wir zunächst wegen seines lächerlichen Namen zu Recht bemitleideten, nunmehr von Herzen - beneiden.
Da kommt er ja schon geschritten! Und dies Verb des Schreitens ist hier unter den vielen anderen möglichen, das Gehen beschreibenden, ganz richtig ausgewählt, denn urteilt selber: saht ihr jemals ein menschliches Lebwesen seinen Leib auf diese Weise fortbewegen? So würdig, so in sich selbst ruhend und zugleich so zielbestimmt? Da federt er durch die Strassen jenes Stadtkernes, an dessen Peripherie er nun seit wenigstens drei Jahrzehnten seinen Laden hat; das heißt, zu Beginn war diese Peripherie, an der sein Laden nun steht, der Kern der Stadt gewesen, doch ist dieser im Laufe der Jahre unbekannten Sternen, unbestimmten Marktgesetzen gefolgt und unmerklich fortgewandert, so dass der alte Laden sich nach und nach am Rande wiederfand: ohne jedoch dass sein Inhaber dieses bedauert hätte, ja, im Gegenteil.
Soeben schließt er, wie an jedem Werkmorgen, den Laden auf, hängt Mantel und Hut an die entsprechenden, blank gescheuerten Haken und brüht den Kaffee auf. Was aber hat er nun den lieben langen Tag zu tun? Es ist durchaus nicht viel, der Rede nicht wert, denn der überaus seltenen Kundschaft wird man mit wenigen Worten und weisenden Fingerzeigen gerecht; und das Annehmen, Aufschneiden und Einordnen der gelegentlichen Buchlieferungen Arbeit zu nennen, darauf würde niemand, der Arbeit kennt, verfallen – sprechen wir es doch getrost aus: Jakob Eierhahn kann seine Zeit frei und nach eigener Willkür und Neigung einteilen, und das bedeutet, das er den lieben langen Tag nichts wesentlich anderes macht, als zu lesen. Und ehe ein allzu eifriger Leser den Finger erhebt und auf die fehlende Rentabilität eines solchen stockenden Unternehmens hinweist, bemerke ich rasch und beiläufig, ohne darauf näher einzugehen, dass Herr Eierhahn geruhsam von dem Vermögen seiner früh verstorbenen Eltern zehrt und dieses allein mit seiner entfernt lebenden Schwester zu teilen hat.
O glücklicher Mensch! Da sitzt du Morgen für Morgen und Tag für Tag, liest und blätterst mal in diesem, mal in jenem Band, erbaust dich heute an religiösen Schriften, erfreust dich morgen an den Zeichnungen botanischer und zoologischer Enzyklopädien, wie sie vor allem Goethes optimistische Jahrhunderte so umfangreich hervorgebracht hat, sinnst interessiert über die dir größtenteils unverständlichen Philosophien dieser Jahrzehnte nach, ja, und übermorgen und den Tag darauf, da sprichst du wieder halblaut und laut die Verse deiner geliebten Dichter nach, denn vor allem diese sind es ja, die dich zu den Büchern trieben! So verbringst du den Tag, diesen lieben und langen, in deinen dämmrigen zwei Stuben, die allein von deiner treuen Leselampe sowie durch die Sonnenstrahlen erleuchtet werden, die gelegentlich durch das einzige und kleine Fenster fallen und den allumher schwebenden Bücherstaub sichtbar werden lassen. O du Gotteskind!

3

Lebst du überhaupt in derjenigen Zeit, die man grammatikalisch den Präsens und volkstümlicher die Gegenwart, das Heute und die Moderne nennt? Ist es nicht vielmehr so, dass du, dein Leben und deine Seele in den Tagen siedeln, da deine geliebten Bücher geschrieben wurden, Werke, von denen ja kaum eines weniger als hundert Jahre an sich vorüberziehen sah? Und ich frage weiter: ob dies vielleicht das Geheimnis deiner so herrlich offenbaren Ruhe ist, dass du ganz fern von den beiden Unruhestiftern Gegenwart und Zukunft weilst, indem du dich mit zeitlos-erstarrter, stiller Vergangenheit umgeben hast, in deren hübsch und wohlangelegten Gärten du bedächtig lächelnd flanierst? Du weißt nichts von den täglich sich ändernden und häutenden Moden, du brauchst ihnen nicht nachzulaufen. Littest du, spürtest du jemals Leidenschaften, solche im eigentlichen Sinne des Wortes? Was sollte dich denn jemals sehnend-leidend gemacht haben, wie sollte irgendein Ding, geschweige denn ein Mensch dich so sehr an sich gebunden haben können, dass du um seinetwillen gelitten hättest? Dich kann ja nichts und niemand greifen, weder ergreifen noch angreifen, bist du doch eine unfassbare Nebelwolke, die durch die alten Jahrhunderte, durch die gute, alte Zeit wabert. - Warum musste nur jener unschuldige Brief kommen, dich aus deiner Ruhe aufstören und... Damit fing dein schreckliches Ende ja an! Doch als dieser Brief an jenem Frühlingsmorgen durch den entsprechenden Schlitz in deinen Laden fiel und du infolgedessen von deiner Lektüre aufsahst und aufstandst ihn aufzulesen, da konntest du noch nichts dergleichen gewärtigen. Adele, deine entfernt lebende, glücklich vermählte ältere Schwester mit dem veralteten, darum von dir so gern gehörten Namen, die war es, die ihn geschrieben hatte: unverfänglich lud sie dich zur Zelebration ihres fünfzigsten Geburtstages ein... Du trugst eine Weile lang Bedenken darüber, ob du der Einladung Folge leisten solltest; und ob es bereits ängstliche, instinktive Vorahnungen waren, die dich in einer eigentlich so unzweifelhaften Angelegenheit so seltsam schwanken und zögern ließen, das muss dunkel und unergründlich dahingestellt bleiben. Es war doch nur dies, dass deine Schwester dich zu ihrem Geburtstage eingeladen hatte! Warum schwanktest du? Du ahnungslos Ahnungsvoller!
Eines Tages jedenfalls, ohne freilich dass es großartige Aufmerksamkeit hervorgerufen hätte, hing am Antiquariat Eierhahn etwas, das dort in den letzten Jahrzehnten vielleicht ein, höchstens aber zweimal gehangen hatte, ein Papier nämlich, auf dem der Inhaber die Kundschaft höflich dahingehend in Kenntnis setzte, dass der Geschäftsbetrieb für einige Tage ausgesetzt bleiben werde. Dann brach er auf.

 

schöne geschichte, toll erzählt, hab mal auf der autobahnfahrt darüber nachgedacht. die sprache ist veraltet. fett veraltet, altä. der name hätte auch von thomas mann sein können, die geschichte nicht. bin mal gespannt, wies weitergeht, ich fahr nämlich viel autobahn.prost

ps. da passiert zu wenig in der geschichte, wie bei thomas mann, hätte also doch von ihm sein können. oh, ich muss autobahn fahren.

 

Das ist keine Serie und kein Special, so wie ich das sehe. Ich verschiebe die Geschichte bis auf Weiteres erst mal nach "Sonstiges".

 

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