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Jagdrevier

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09.06.2006
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Jagdrevier

Sand. Bis zum Horizont in jede Richtung nur Sand. Täler, Hügel, Gräben, Dünen. Alles aus Sand. Nur die gigantische Ruine der Frauenkirche ragte, ausgebrannt und halb zerfallen, aus der gelben Unendlichkeit.
Die Mittagssonne brachte die Oberfläche der Wüste an manchen Stellen zum Flimmern, sodass es aussah, als hätte sich irgendwo in einer Senke ein kleiner See angesammelt. Als würde die Oberfläche dieses Sees die Strahlen der Sonne reflektieren. Aber das täuschte.
In den Schatten eines umgestürzten Pfeilers der Kirche drückten sich zwei ausgemergelte Gestalten. Die Überreste des Gebäudes selbst konnten sie nicht betreten, oft lösten sich riesige Brocken aus der Decke des Kirchenschiffes und zerbarsten auf dem Marmorboden.
„Was würde ich jetzt für einen kühlen Drink geben?“, murmelte Tubert schläfrig. „Einen eisgekühlten White Russian, ja, das wäre es jetzt. Damit wäre ich zufrieden.“ Er schloss die Augen und versuchte sich das Getränk vorzustellen.
Sein Gefährte blickte von seinem Buch auf. „Wie früher, hm?“
„Wie früher.“
Dann schwiegen beide wieder. Sie wussten, dass nie wieder ein solcher Drink ihre Kehlen kühlen würde. Nie wieder irgendetwas, um ihren Durst zu stillen. Ihre Lage war aussichtslos.
Vor fast zwei Tagen war ihnen der Sprit ausgegangen. Sie waren auf dem Weg zu der befestigten Stadt Neu München gewesen, da fiel die Tankanzeige plötzlich rapide ab. Ein Steinschlag hatte ein Loch in die alte und brüchige Benzinleitung geschlagen und das kostbare Benzin war in der Wüste versickert. Einen Ersatzkanister hatten sie nie besessen.
Tubert kramte in seiner Lederweste. „Verdammter Atomkrieg. Dieser Scheiß hat alles kaputt gemacht, was wir geschätzt haben,“ sagte er resigniert. „Was haben wir jetzt noch außer unserem bloßen Leben?“ Er zog eine halbvolle Schachtel Zigaretten aus der Innentasche. „Auch eine?“, fragte er und hielt Corvin die geöffnete Schachtel hin.
„Du weißt doch, dass ich aufgehört habe. Und das schon vor etlichen Jahren“, sagte sein Gefährte.
„Aber in ein paar Stunden werden wir ohnehin tot sein. Hast du Angst, auf die kurze Zeit Lungenkrebs zu bekommen? Komm schon, ich weiß, dass du eine willst.“
Corvin grunzte zustimmend und nahm sich mit einem gezwungenen Lächeln eine Zigarette aus der Packung.
Die zwei zarten Rauchschwaden verloren sich nur einen Meter über ihnen in der Luft.
„Hey!“, schrie Tubert plötzlich und sprang auf die Füße. Die brennende Zigarette rutschte ihm aus den Fingern.
„Was denn?“
„Hast du das gesehen?“
„Was?“
„Dort am Horizont.“ Tubert deutete auf eine winzige Staubwolke in der Ferne. Seine Augen leuchteten voll Hoffnung. „Das könnte unsere Rettung sein.“
Minuten später machten wir beiden ungestüm winkend auf sich aufmerksam und tatsächlich hielt bald eine alter Jeep nahe ihrem Standort. Zwei Gestalten sprangen aus dem Wagen und stapften durch den Sand auf sie zu. Beide trugen lange braune Mäntel und hatten die Kapuzen tief in ihre Gesichter gezogen, sodass nur kleine Streifen der wettergegerbten Haut zu sehen waren.
Etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt blieben beide Personen wie auf Befehl stehen.
„Hey,“ rief einer von ihnen. „Wer seid ihr und was macht ihr hier in diesem gottverlassenen Ort.“
Tubert antwortete mit fester Stimme: „Wir hatten eine Panne mit unserer Schrottkarre. Ist nur einen Steinwurf von hier liegengeblieben. Reparieren kann man das Teil auch nicht mehr. Komplett hinüber. Ihr seid vermutlich auf dem Weg nach Neu München, hu?“
„Ja.“
„Könntet ihr uns dieses kleine Stück noch mitnehmen? Ist ja nicht weit.“
Jetzt näherten sich die Mantelträger bis auf wenige Schritte. Tubert malte sich keine großen Chancen aus, dies war keine Welt für Gefälligkeiten. Hier achtete jeder nur auf sich selbst.
Der erste und größere von ihnen streifte seine Kapuze zurück und hob die Hand zum Gruß. „Ich bin Rull. Und das hier,“ er nickte in Richtung seines Begleiters, „ist Canin. Ihr hatten ganz schön Glück, dass wir vorbeigekommen sind. So wie ihr ausseht, hättet ihr wohl nicht mehr lange durchgehalten.“
„Ja, ziemliches Glück.“ Angenehme Überraschung machte sich in Tubert breit.
„Kommt, wir haben noch Plätze frei. Und ein paar Schlucke Wasser werden euch auch gut tun.“
„Dass es in dieser Welt noch so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gibt. Ich kann euch gar nicht sagen, wie dankbar wir euch sind.“
„Schon gut, versteht sich doch von selbst. Aber dass ich diese Worte noch einmal hören darf. Freundlichkeit. Hilfsbereitschaft. Zergehen auf der Zunge.“
Rull winkte den beiden Verunglückten noch einmal und bedeutete ihnen mitzukommen. Daraufhin machten er und Canin kehrt und gingen zurück zu ihrem Fahrzeug. Ihre Mäntel flatterten im Wind.
Blitzschnell legte Corvin Tubert die Hand auf die Schulter und hinderte ihn daran, den Fremden zu folgen.
„Warte!“, zischte er.
„Was ist los?“
„Wir brauchen ihren Wagen. Sieht aus, als müssten wir ihnen ein paar Beulen verpassen.“
Tubert antwortete kühl: „Ich weiß. Ich war gerade dabei. Nimm du den Kleinen, ich kümmere mich um den Großen.“
Beide bückten sich nach den größten Steinen in Griffnähe, hielten diese hinter ihren Rücken versteckt und schlenderten ihren Rettern hinterher.
Am Jeep angekommen bot sich die perfekte Gelegenheit, diese zu überwältigen. Rull war schon eingestiegen und hatte hinter dem Lenkrad platzgenommen. Währenddessen kramte Canin im Kofferraum herum und hatte seinen Kopf tief dort hineingereckt. Corvin trat hinter ihn und machte sich bereit. Doch noch bevor er den Stein in die Höhe reißen konnte, um genug Schwung für einen tödlichen Hieb zu bekommen, drehte Canin sich um und feuerte ihm eine Ladung Schrot in den Bauch.
Bei dem Geräusch des Schusses erstarrte Tubert und hielt inne auf seinem Weg zur Fahrertür.
Canin trat hinter ihn, lud sein Gewehr durch und töte ihn mit einem Schuss in den Kopf. Der lockere Sand unter den Leichen sog das Blut auf und färbte sich rostbraun.
„Saubere Arbeit,“ meinte Rull anerkennend und lehnte sich aus dem Fahrerfenster.
„Sieh mal.“ Neugierig tippte Canin mit der Stiefelspitze den Stein an, den Tuberts Leiche noch immer fest umklammert hielt. „Ob die uns überfallen wollten?“
Rau lachte sein Kamerad auf. „Tja, da sind wir ihnen wohl zuvor gekommen.“ Ein nachdenklicher Ausdruck machte sich jedoch in seinen Gesicht breit, als er die Toten betrachtete. Mehr zu sich selbst wiederholte er seine letzten Worte: „Sind wir ihnen wohl zuvor gekommen.“
Inzwischen legte Canin die Waffe zurück in den Kofferraum und las die magere Beute auf.
Während Rull das den Wagen durch die Dünenfelder manövrierte, ging Canin Tuberts und Corvins Habseeligkeiten durch. Eine Armbanduhr, eine Schachtel Zigaretten, ein bisschen Geld, kaum genug um sich eine anständige Mahlzeit zu kaufen, und Corvins Buch.
„Lies mal was vor.“
Canin schlug das Buch auf.
„Hier ist ein Vorwort. Mal sehen, worum es geht.“ Er überflog die Seite schnell, brummte und meinte: „Hm, der Autor schreibt irgendwas von einem römischen Dichter. Und von einem berühmten Satz, den er geprägt hat: Homo homini lupus.“
„Noch nie davon gehört.“
Uninteressiert blätterte Canin weiter und warf einen Blick auf die nächste Seite. Danach auf die darauffolgende. „Der Rest ist alles in irgendeiner komischen Sprache geschrieben. Vermutlich römisch oder so. Was hat man damals gesprochen?“
„Latein.“
„Verstehst du das?“
„Kein Wort.“
„Mist.“
„Komm, gib her das Teil.“ Canin riss Rull das Buch aus der Hand und schleuderte es aus dem offenen Fenster in die Wüste hinaus. Dort blieb es im Sand liegen und der Wind strich neugierig darüber, sodass die Seiten wild flatterten.
„Ich mache lieber mal das Radio an.“
Canin murmelte etwas und nickte dann zustimmend. Mit der linken Hand das Lenkrad festhaltend drehte Rull mit seiner rechten behutsam den Sendersuchknopf Millimeter für Millimeter weiter. Zuerst erschall nur Rauschen aus den Lautsprechern im Wagen, doch schließlich fand er einen Sender. Gerade lief eine Mitteilung. Leicht verzerrt erklang die Stimme des Sprechers: „ ... ist äußerste Vorsicht geboten. Bei Sichtkontakt wird empfohlen unverzüglich das Feuer zu eröffnen. Ich wiederhole: Späher berichten von einem Verbrecherduo, das sich aus Westen auf das Fort Neu München in einem Vierrädrigen Gefährt zu bewegt. Nähere Informationen über die Verbrecher und das Aussehen des Fahrzeugs gibt es noch nicht. Und jetzt weiter mit Musik.“
Die ersten Takte eines alten Rocksongs erfüllten den Innenraum des Jeeps.
Canin beugte sich zum Radio und schaltete es aus.
„Ob die uns meinen? Oder diese zwei Kerle, die wir kalt gemacht haben?“, fragte er besorgt.
„In unserer Welt gibt es nur noch Verbrecher,“ antwortete Rull düster und konzentrierte sich schweigend auf ihren Weg durch die scheinbar endlose Wüste.

 

Hallo Psyco,

recht sauber geschrieben, diese postapokalyptische Geschichte. Viel mehr kann man nicht dazu sagen, denn die Handlung ist genauso geradlinig wie belanglos - es gibt zwar eine überraschende Wendung, aber über einen Haufen Gewaltanwendung zuzüglich etwas Herumgerede geht Dein Text inhaltlich nicht hinaus. Vielleicht wolltest Du die Verrohung von Menschen in einer gesetzlosen Welt darstellen - dazu muss ich leider sagen, dass viele andere vor Dir das schon deutlich pointierter oder knackiger hinbekommen haben. Schließlich sei bemerkt, dass alle vier Figuren reine Marionetten sind, die ziemlich leblos nach einem vorgezeichneten Plan agieren. Bei einer so kurzen Geschichte brauchst Du einfach eine Hauptperson, mit der sich der Leser identifizieren kann, und die dementsprechend deutlich charakterisiert ist.

Fazit: sprachlich okay, inhaltlich ziemlich dünn.

Uwe
:cool:

 

Hallo Psyco!

Ganz so schlimm wie Uwe finde ich deine Geschichte nicht, aber ihr fehlt der letzte Biss. Vor allem am Ende plätschert sie einfach nur aus. Das ist eigentlich schade - auch wenn du hier tatsächlich ein Standardset aus der SF verwendet hast. :)

Anmerkungen:

Das nenn ich mal einen stylischen Einstiegssatz. ;)

Die Überreste des Gebäudes selbst konnten sie nicht betreten, die Einsturzgefahr war so enorm hoch, dass man kaum eine Überlebenschance im Inneren hatte.
Der Satz ist irgendwie unlogisch. Es gibt Einsturzgefahr oder nicht. Mit ein bisschen Einsturzgefahr hätten sie eine höhere Überlebenschance? Passt nicht. :)

antwortete Rull düster. „Auf jeden Fall sollten wir überlegt vorgehen.“
Meiner Meinung nach: streichen.

Beste Grüße

Nothlia

 

Ganz so schlimm wie Uwe finde ich deine Geschichte nicht
Ich verwahre mich gegen die Behauptung, ich fände die Geschichte "schlimm".
Ich finde sie "inhaltlich dünn". Wenn ich eine Geschichte "schlimm" finde, dann schreibe ich das auch.

i.A.
Initiative gegen Missverständnisse in Internet-Form
:D

 

Ich schließe mich den Meinungen der Vorkritiker (gerade gegoogelt, ob es diesen Begriff überhaupt gibt. google schreibt: "Meinten Sie bierkritiker" :D ) an: Solide, aber die Substanz fehlt.
Das Setting finde ich übrigens hinreichend originell: Ein im wahrsten Sinne des Wortes verwüstetes Europa. Und wieder einmal die Frauenkirche als Mahnmal...
Nur hapert es dann leider an der Ausführung: Zwei Gauner werden von zwei anderen Gaunern aufs Kreuz gelegt. Nun ja. Der Stil ist nüchtern und blendet jegliche Charakterisierung aus, wodurch einem die Figuren fremd bleiben. Man weiß nichts von ihnen und nimmt ihren Tod achselzuckend zur Kenntnis.
Im Grunde ist der Text wie eine Pointenstory aufgebaut: Kurze Erklärung des Hintergrunds, rasche Einführung der Charaktere, ein Problem stellt sich. Allerdings fehlt es an einer zündenden Pointe, die den blassen Text ein wenig aufwertet.

Fazit von meiner Seite aus: Nett, aber doch reichlich beliebig. Von der Sorte gibt es Texte wie Sand in der Wüste. :)

 

@Uwe: Na, dann entschuldige ich mich pflichtschuldig. :) Unsere Kritiken gehen ja in die gleiche Richtung. :)

Beste Grüße

Nothlia

 

Hallo Psyco,

ich schlage leider in die gleiche Kerbe wie die anderen Kritiker: Die Geschichte ist zwar ordentlich geschrieben, aber inhaltlich ziemlich mager. Der Anfang, mit der Frauenkirche als Ruine in einer Sandwüste, hat mir richtig gut gefallen, das sah echt vielversprechend aus :). Aber danach passiert einfach nichts, was mich vom Hocker reißt. Leute, die mir egal sind, weil du sie nicht als individuelle Charaktere einführst, bringen sich gegenseitig um ... dann endet die Geschichte. Klar, es ist eine Kurzgeschichte, und sie soll im Grunde (so wie ich es verstanden habe) nur die Aussage "Der Mensch ist des Menschen Wolf" (vor allem während der Postapokalypse :)) rüberbringen. Trotzdem, darf es vielleicht ein wenig mehr Charakterzeichnung sein, damit das Ganze auch auf emotionaler Ebene beim Leser ankommt?

Eine Sache noch: Das lateinische Zitat

Homo homini lupus est

Kenne ich als "Homo homini lupus" und nichts weiter
(Formen von "sein" sind im Lateinischen eigentlich nur nötig, wenn sie besonders betont werden sollen, wie bei "cogito, ergo sum" :klug:). Und The Allmighty Wikipedia sagt, dass es nicht von einem Kaiser, sondern einem Dichter geprägt wurde:

http://de.wikipedia.org/wiki/Homo_homini_lupus

Und das die zwei "Sieger" das Buch wegwerfen, ist zwar als Bild nicht schlecht - aber eigentlich unglaubwürdig. Man könnte es ja zumindest noch als Brennmaterial oder Klopapier benutzen, und in so einer Welt, wie du sie beschreibst, würde keiner so eine Ressourcenverschwendung betreiben :)

Grüße von Perdita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Psycho!

Ich mach mal den letzten Elefanten und schließe mich weitestgehend meinen Vorrednern an. Am meisten gestört hat mich die fehlende Identifikationsmöglichkeit. Du schilderst Deine Geschichte recht emotionslos, und das überträgt sich auf mich als Leser, der danach mit den Achseln zuckt und sich denkt, na und? Die Erschießungsszene hätte ich mir detaillierter gewünscht. Schade, dass du uns mit einem einzigen Satz abspeist. Stilistisch insgesamt ok, auch wenn mir manche Dialoge recht gewollt vorkommen. So in Richtung - aha, da merkt man, das wollte nicht die Figur sondern der Autor sagen. :dozey:

Dafür gibt's jetzt ein wenig Kleinkram:

Ihr hatten ganz schön Glück, dass wir zufällig vorbeigekommen sind.
"Zufällig" kannst du verlustfrei streichen.

Rull war schon eingestiegen war und hatte hinter dem Lenkrad platzgenommen.
2x war

und hielt inne auf seinem Weg zur Fahrertüre
Fahrertür (nach meinem Geschmack)

Eine Armbanduhr, eine Schachtel Zigaretten, ein bisschen Geld, kaum genug um sich eine anständige Mahlzeit zu kaufen, und Corvins Buch.
Komma fehlt

und der Wind strich neugierig darüber
Schönes Bild!

Lieben Gruß
Plasma

 

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