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Jactatus, der Römer
Eines war so sicher wie der Lauf der Sonne: Jactatus hatte seinen Wagen von Triumph zu Triumph gefahren, war berühmt und unter seinen Gegnern gefürchtet. Keiner war geschickter, keiner schneller. Man nannte ihn einen geborenen Sieger. Sicher war aber auch, dass die Alemannen den Limes durchbrochen hatten.
"Justus, geh und schirre die Falben an!"
"Herr, verzeiht, aber …"
"Ja?"
"Es heißt: Bei Maiensis wurden Alemannen gesehen."
"Alemannen?"
"Ja, oben auf dem Pass."
Jactatus gähnte, schaute verdrossen und fragte: "Justus, ist das dein Ernst? Alemannen, stinkende Barbaren?"
"Herr?"
"Na höre, soll ich deswegen meiner Leidenschaft entsagen – entsagen, ich?"
"Nein, mein Herr, natürlich nicht. Nicht deswegen. Aber …"
"Justus, sei kein Narr. Geh und fahre den Wagen vor!"
Seit dem Frühjahr wohnte Jactatus auf dem Landgut eines Onkels. Dessen Wohngebäude verfügte über einen Innenhof, in dem ein Rosengarten mit Frischwasserbecken lag. Die dem Wohnräumen gegenüberliegende Seite des Innenhofes bildete eine mit Efeu überwucherte Mauer, darin eine Pforte eingelassen war. Jactatus ging in den Garten und schlurfte dem Wasserbecken entlang. Justus eilte durch die Pforte. Er rannte, die beiden Hengste einzuspannen. Bis er mit dem Wagen vorfahren würde, wollte Jactatus noch die Rosen des Hausherrn begutachten. Dass die Alemannen gerade jetzt, während der Rosenblüte, das Land verheerten, ärgerte ihn. In seinen Augen waren sie Barbaren, also rohe, dreckige und einfältige Waldmenschen, die nach Rauch und Moder stanken, wodurch der Genuss von Düften empfindlich geschmälert werden konnte. Wer duftende Rosen züchtete, musste Barbaren verachten. Außerdem tranken sie Bier statt Wein, konnten Ovid und Vergil nicht lesen, da sie überhaupt weder lesen noch schreiben konnten, verständigten sich grunzend und verkehrten mit Eseln und Schafen wie mit ihren Weibern und Töchtern. Wahrhaft schlimm war jedoch: Die Alemannen kannten keine Wagenrennen.
"Salve", grüßte hinter ihm der Onkel.
Jactatus fühlte sich gestört, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Er grüßte zurück, als wäre er noch schläfrig. Der Hausherr achtete nicht weiter darauf und sagte: "Man hört: Die Alemannen seien bei Maiensis."
Jactatus nickte, beugte sich über einen Rosenstrauch und fächelte sich mit der Hand den Duft der Blüten zu. Sein Gönner kratzte sich am Nacken, was er oft tat, wenn er aufgeregt war. Kurz hielt er inne, dann sprudelte es aus ihm heraus: Der Gutsverwalter meine, man sei schlecht vorbereitet. Der Turm tauge nichts. Sein Halsgraben müsse vertieft werden, die Vorräte seien zu knapp, die Eingangstüre müsse mit Eisenblech beschlagen werden, das Vieh sei in den Wald zu treiben – Fortuna nehme es in ihrer Obhut! – und die Waffen seien allesamt stumpf, rostig und brüchig. Die Stimme des Hausherrn wurde schrill: "Nichts passt ihm, alles redet er schlecht. Er meint gar, man habe den Ahnen zu wenig geopfert." Er schnappte nach Luft. "Dieser Abkömmling eines Römers und einer keltischen Hündin, dieser undankbare Bastard, er behauptet doch wirklich: Ich hätte den Zorn der Götter auf uns gezogen. Nein wirklich, Jactatus, kannst du dir das vorstellen!?"
Jactatus überhörte des Onkels Gezeter. Er dachte an den Turm. Aufgestockt mit einem Obergaden und umgürtet mit einem Halsgraben verfügte er über einen Hocheingang, den man mittels einer Leiter ersteigen musste. Zog man die Leiter hoch, konnte niemand mehr in den Turm gelangen. Man war sodann halbwegs sicher, und hoffte, dass die Angreifer weiterzogen oder vertrieben wurden, ehe man ausgehungert um Gnade winseln musste. Jactatus verabscheute den Turm. Er war keltisch, nicht römisch. Nur ein Kelte konnte auf den Gedanken verfallen, in solch einen Turm zu fliehen. Der Gutsverwalter war eben nur ein halber Römer.
"Jactatus, hörst du mir noch zu?", hörte er plötzlich den Onkel fragen. "Ich sagte: Der Verwalter brauche jede Hand. – Wenn ich bloß wüsste, wo Justus wieder steckt. Hast du ihn vielleicht gesehen?"
"Er ist meinen Wagen holen gegangen."
"Was?"
"Er ist meinen Wagen holen gegangen."
"Aber Jactatus, du kannst doch jetzt nicht –. Die Barbaren, sie sind schon bei Maiensis!"
Schaute man nordwärts, sah man den noch jungen Rhein. Voller Leben strömte er durch weitläufige Auen, wässerte die Wiesen der Ure, staute sich an den Dämmen der Biber und spülte den am Ufer watenden Reihern mehr Fische entgegen, als sie je fressen konnten. Beidseits dieser Wildnis erstreckten sich an leicht erhöhter Lage ausgedehnte Eichen- und Buchenwälder. Mancherorts waren diese schier undurchdringlichen Wälder gelichtet und gerodet worden. Dort breiteten sich Heuwiesen, Viehweiden und Äcker aus, lagen römische Gutshöfe und keltische Dörfer. Mitunter reichten gar Rebenhänge bis an die Felslehnen der Berge, die längsseits der Talsohle gen Himmel strebten.
Jactatus lenkte das Gespann auf eine Ebene. Sandiger Boden, karg bewachsen mit Gras, zog sich hin bis an einen in der Ferne aufragenden Wald. Jactatus zügelte den Schritt der Falben und schwenkte gegen den Wald ein. Sein Gefährt glich einem Streitwagen, war jedoch leichter. Gefahren wurde er meistens vier- oft auch zweispännig, wobei die Rösser jeweils nebeneinander statt hintereinander liefen. Der eigentliche Vorzug des Wagens steckte freilich in den Radnaben. Bestens geölt drehten sie auf neuartigen Walzenlagern, die das Gespann besonders leicht und schnell laufen ließen. Jactatus konnte sie hören. In der Tonlage fast so hoch wie das Lied einer Grille begleitete ein leises Sirren das Rumpeln der Räder. In seinen Ohren klang es wie Musik.
Jactatus hob eine Hand und beschattete die Augen, spähte nach dem Ziel. Am anderen Ende der Ebene ragte ein Pfahl zwei Meter hoch in den Himmel. Beidseits lag je ein großer Stein. Sie zeigten den äußeren Rand der Bahn an, die sich um den Pfosten herumschwang. Achtsam fasste er das Ziel ins Auge. Verfehlen konnte er es nicht. Dennoch übte er die Wende beinahe täglich, weil viele Rennen gewonnen wurden, wo die Wagen wendeten. Dort zeigte sich, wie fein aufeinander abgestimmt Fahrer und Pferd waren.
Das Knallen einer Peitsche nachahmend schnalzte er mit der Zunge. Die Falben hoben ihre Köpfe, zogen an, wechselten aus dem Trott in den Schritt , aus dem Schritt in den Trab und aus dem Trab in den Galopp. Bald schon brausten sie hin wie ein Sturmwind. Auf der Geraden ließ er die beiden Hengste ziehen, ganz wie es ihrer feurigen Natur entsprach. Erst als sie sich der Wendemarke näherten, begann er, sie zu lenken. Er trieb das Gespann so nah an den Pfahl heran, dass es ihn beinahe streifte, bog sich über den Wagenrand zur Linken, spornte mit Geißel und Zuruf das rechte Pferd an und ließ dessen Zügel fahren. Doch das linke zügelte er, hieß es dicht an den Pfosten sich drängen. Zu den Steinen am äußeren Rand wahrte er hingegen Abstand, damit die Rosse nicht verletzt und der Wagen nicht zerschmettert wurde.
Als er den Pfahl umrundet hatte und noch ein Stück weit gefahren war, hielt er an und stieg von seinem Gefährt herab. Er prüfte Naben, Felgen und Speichen. Er ging um das Gespann herum und betrachtete auch Deichsel und Geschirr. Zufrieden klopfte er sich den Staub von der Tunika. Der Wagen war ein meisterhaftes Werk. Er lag ruhig in der Kurve und lief schnell auf der Geraden. Aus einem Tragebeutel zog er einen Apfel und brach ihn entzwei. Er ging zu den Rossen und gab ihnen die Apfelhälften zu fressen, die sie mit nickenden Köpfen verschlangen.
Siegessicher dachte Jactatus an die nächsten Monate. Die Rennen von Brigantium und Cambodunum kamen zuerst. Besonders angetan hatte es ihm die Hauptstadt Augusta Vindelicum. Die dortigen Stadtwachen und Grenztruppen waren begeisterte Zuschauer. In einem Kastell außerhalb der Stadt lagerten überdies Soldaten der leichten Reiterei, die sich ihm besonders verbunden fühlten. Sie sahen in ihm einen Abgott des Sieges. Wenn er einen Gegner von der Rennbahn drängte, wenn er mit Staubwolke und Peitschenknall eine Wende fuhr, wenn er schließlich gar als Triumphator eine Ehrenrunde zog, dann gerieten sie schier außer sich, jubelten sie, stampften mit den Füssen im Takt auf den Boden und stimmten einen preisenden Sprechgesang an, skandierten wieder und wieder seinen Namen. In solchen Augenblicken fühlte Jactatus, wie ihm das Blut heiß wurde. Es wallte durch seine Brust und stieg ihm in den Kopf. Es ließ ihn erschaudern bis an den Scheitel. So fühlte sich Erfolg an, das war es, wofür er lebte. Deswegen fuhr er täglich aus und verbesserte noch immer den Wagen.
Jactatus stieg zurück auf den Wagen. Er schlang die Zügel um seinen Unterarm, straffte sie mit der einen Hand, reckte sich, hob die andere Hand in die Höhe, ballte sie zur Faust und sprach: «Augusta Vindelicum, höre! Ich weiß, was die Christen sagen. Sie sagen: Alles Schwören sei eitel. Bei meiner Ehre, ich schwöre aber doch, schwöre im Namen Victorias: Ich werde siegen, so wahr ich Jactatus heiße!»
Auf dem Heimweg bummelte Jactatus. Er wollte noch einen Pächter seines Onkels besuchen. Als Wagner war ihm jener behilflich, das Gefährt weiter zu verbessern. Die lehmverputzten Hütten und rohgezimmerten Ställe der Pächter lagen in Rufweite des Gutshofes. Eine dichte und dornenreiche Wallhecke, Obst- und Gemüsegärten umgaben sie. Vielerorts konnte man von den Gebäuden nur die Strohdächer sehen. Der Rest lag verdeckt hinter Bäumen und Sträuchern. Ein eingesunkener Weg führte an den Dorfrand, wo in Wall und Hecke ein Durchgang ausgespart war, Trockenmauern stützten die Wegseiten.
Da ertönte ein Horn. Jactatus zog die Stirne kraus. Er fluchte und schnalzte. Die Falben wechselten in den Trab. Staub wirbelte auf. Der Wagen brauste hin, schoss an verängstigten Feldsklaven vorbei, flog über Schlaglöcher hinweg und raste auf eine Wegscheide zu. Dort bog der Weg ab, der auf das Gut seines Onkels führte. Erneut wurde das Horn geblasen. Mit einem tiefen, wie wehklagenden, weithin schallenden Ton erklang es mehrmals wieder und wieder. Jactatus wusste, dass der Gutsverwalter einen Wächter auf den Turm befohlen hatte, dem er ein Hüfthorn mitgegeben. Er hatte den Türmer angewiesen, nach Barbaren auszuschauen und das Horn zu blasen, sobald er welche sehen würde. Doch Jactatus widerte der Turm an, zu dem ihn der Wächter rief; er fuhr an dem Scheideweg vorbei, der nach dem Landgut seines Onkels führte.
Jäh zog Jactatus die Zügel straff. Die Rosse hielten an, wieherten, tänzelten auf der Hinterhand und bäumten sich die Vorderhufe schlagend auf. Vor ihnen stand eine alte Frau. Plötzlich war sie hinter Haselstauden hervor und auf den Weg getreten. Jactatus kannte sie.
„Weib, geh mir aus dem Weg!“, brüllte er.
„Beim Taranis, du bist es, Jactatus, der noch ins Dorf will“, antwortete sie.
„Geh mir aus dem Weg, habe ich gesagt.“
Die Alte blieb vor den schnaubenden Hengsten stehen. Trotzig entgegnete sie: „Besser du kehrst um – oder willst du die Teufel aus den Wäldern des Nordens sehen?“
„Die werde ich noch früh genug sehen. Dafür muss ich nicht ins Dorf.“
„Das stimmt, aber weißt du auch, was dein Schicksal ist? – Höre, was die Geister der Nacht sagen. Sie sagen: Dreimal wird das Zeichen erschallen, dreimal wirst du es missachten, höre!, dreimal, dann werden deine Stunden gezählt sein.“
Jactatus mochte den Schneid, den die Alte bewies. Versöhnlich, aber nicht ohne spöttischen Unterton meinte er: „Ach Merle, das ist doch Quatsch. Hör bitte auf zu orakeln. Wir alle träumen manchmal schlecht. Aber glaub mir: Deswegen stirbt niemand.“
„Ich habe dich gewarnt.“
„Ja, hast du. Du hast mich gewarnt. Bist du jetzt auch so lieb und gehst mir aus dem Weg, ja?“
Die Alte legte den Kopf schief, ging einen Schritt zur Seite, blieb noch einmal stehen und sagte: "Aber es ist wahr!", dann ging sie Jactatus aus dem Weg. Als er weiterfuhr, schaute sie ihm wehmütig nach.
Kaum, dass er angefahren war, hörte er erneut das Horn. Doch beidseits des Wagens blieben keine zwei Handspannen frei. Wenden konnte er in dem Hohlweg nicht. Außerdem musste er darauf achten, dass er die Wegmauern nicht streifte. Bei alledem nahm er das Horn wie auch eine Frau nur beiläufig wahr. Sie rannte vor dem Dorf durch einen Garten. Auf den Armen trugen sie ein schreiendes Kind. Vollauf damit beschäftigt, den Wagen zu lenken, bemerkte er kaum, dass sie quer durch ein Gemüsebeet rannte. Als dann noch ein Pferd im Dorf wieherte, verrenkten selbst die Falben ihre Hälse. Auch Jactatus stutzte einen Augenblick. Die Pächter besaßen Esel und Ochsen. Bereits ein Maultier war ihnen zu teuer. Hätte der Wagen jedoch einen Mauerstein gestreift, wären die Radnaben womöglich so schlimm beschädigt worden, dass man sie nicht mehr hätte flicken können. Er hätte dann neue Räder anfertigen lassen müssen. Speichenräder waren teuer. Gewöhnliche Wagen hatten darum Scheibenräder. Besonders achtsam, allein darauf bedacht, den Wagen zu bewahren, preschte Jactatus weiter, weiter zwischen Trockenmauern durch, an Obst- und Gemüsegärten vorbei und immerzu dem Dorf der Pächter entgegen.
Als das Horn zum dritten Mal geblasen wurde, bog Jactatus in schneller Fahrt auf den Dorfplatz ein. Wo normalerweise Hühner, Katzen und vielleicht eine Schar Kinder ihn erwarteten, begegnete er indessen einer mit Schild und Speer bewehrten Horde Alemannen. Jactatus fuhr so schnell, dass er wuchtig gegen die Schilder der Waldkrieger prallte. Der Wagen überschlug sich, der Fahrer stürzte, die Barbaren brüllten, die Rosse wieherten: Kopfvoran flog Jactatus über Speere und Schilder hinweg.
Als er aufstehen wollte, taumelte er. Ihm wurde schwindelig. Er fasste sich an die Stirn, fühlte warmes Blut, das ihm über das Gesicht rann. Heftig hatte er sich die Stirn gestoßen. Er wankte und sank zurück auf die Knie. Ein Alemanne sprang herbei, in der Hand einen Speer, und stach dem Knieenden in den Bauch. Jactatus krümmte sich, fiel zu Boden und wurde ohnmächtig. Seine Tunika verfärbte sich rot. Ein Waldmensch hatte den Abgott des Sieges und Inbegriff des Römertums schwer verletzt. Er verblutete.
Zur gleichen Zeit, da Jactatus auf das Dorf zufuhr, schaute sein Onkel aus dem Turm. Hinter ihm wurden Waren verstaut. Zwei Männer trugen eine eiserne Truhe, die Geld und Urkunden enthielt, über die steile Stiege herauf. Sie fluchten, stöhnten und keuchten, so sehr mussten sie sich anstrengen. Der Gutsbesitzer zog indessen eine Leidensmiene, da ihm zutiefst missfiel, was gerade vor sich ging. Am liebsten wäre er aus dem Turm und wieder zurück ins Gutshaus gelaufen. Leider blieb ihm aber nichts anderes übrig, als auszuharren. Er, der Hausherr, musste sich fügen. Zwar oblag ihm das Patronat über ein volles Dutzend Pächter, doch im Rosengarten hatte er zufällig belauscht, was der Gutsverwalter mit dem Haussklaven besprochen hatte. Angefangen hatte die Unterredung der Verwalter:
"Justus, komm her! Ich habe etwas mit dir zu besprechen.“
"Ja?“
"Ich möchte, dass du auf den Hausherrn aufpasst.“
"Auf den!? Wieso das?“
"Das zu erklären, fehlt mir jetzt die Zeit. Wenn ihm aber etwas zustößt, dann wird sein Bruder das Gut erben. Willst du seinem Bruder dienen?“
Justus riss entsetzt die Augen auf. Er wollte antworten, verschluckte sich aber und musste stattdessen husten.
"Eben, mir geht es auch so," fuhr der Gutsverwalter weiter. "Wenn ich nur schon daran denke, bleibt mir die Luft weg, und darum musst du schauen, dass der Alte den Turm erst wieder verlässt, wenn ich es erlaube.“
"Aber das hieße ja, dass …“
"Richtig, wenn er vorher gehen will, dann schützen wir ihn, indem wir ihn ins Kellerloch sperren. Verstehst du, wir wollen ihn nur vor sich selber schützen.“
Justus rieb sich die Stirn und dachte kurz nach. "Aber was ist mit den anderen? Sind sie eingeweiht? Sie werden vielleicht dem Hausherrn beistehen, wenn wir ihn festhalten oder gar einsperren müssen.“
"Nur keine Bange, ich rede mit ihnen. Sie werden auf unserer Seite stehen.“
Er, der Herr des Hauses, war nun ein Gefangener. Er musste sich fügen oder ins Loch gehen. Im Boden des zweiten Turmgeschosses befand sich eine Falltür, durch die man ins Erdgeschoss gelangen konnte, das als Keller diente. Hätte ihn der Gutsverwalter dort eingesperrt, wären die Folgen überaus schwerwiegend gewesen. Seine Stellung als Respektsperson wäre erschüttert worden. Darauf wollte er es nicht ankommen lassen. Insgeheim gedemütigt, jedoch erhobenen Hauptes begab er sich in den Turm. Um wie viel besser hatte es da Jactatus, der frank und frei, und unverzagt draußen auf das Dorf der Pächter zufuhr. Welch ein Anblick!, dachte sein Onkel und schaute mit verklärtem Blick aus dem Fenster. Jactatus ist ein wahrer Römer. Er kennt keine Furcht, macht sich nichts aus Sorgen und hat erst recht keine kleinmütigen Bedenken. Nichts und niemand schränkt seine Freiheit ein. Ein wahrer Römer fürchtet nicht einmal den Tod. Kaum dass er dies gedacht hatte, sah er, wie Jactatus gegen die Schilder der Alemannen fuhr, wie er stürzte und getötet wurde. "Ach ja“, seufzte sein Gönner. "So stirbt ein echter Römer. Nie sahen die Götter unter der Sonne etwas schöneres, als den Freitod des Jactatus.“
Zur gleichen Zeit, da Jactatus dem Dorf entgegen fuhr und sein Onkel ihm dabei zuschaute, spähte auch der Gutsverwalter aus dem Turm. Im zweiten Geschoss waren keine Fenster sondern einzig zwei Lichtscharten. Unwillkürlich trat der Verwalter näher an die Scharte, durch die er den vor dem Dorf dahinrasenden Jactatus sah. Ungläubig schüttelte er den Kopf.
"Ist das menschenmöglich“, fragte er halblaut sich selbst. "Dieser verrückte Kerl fährt da draußen noch mit seinem Wägelchen herum. Merkt er denn nicht, was ihm droht? – Nein, das kann unmöglich sein. Aber er ist eben ein Römer, ein verwöhnter und überheblicher Mensch, ein Römer, so entartet und starrköpfig, dass sich die Welt ihm, nicht aber er sich der Welt anpassen sollte.“ Noch bevor er den Satz fertig grummeln konnte, fuhr Jactatus gegen die Schilder der Alemannen. Der Gutsverwalter bekam große Augen und hielt sich die Hand vor den Mund. Er wandte sich ab. Als er sich umgekehrt hatte, kam Justus die Treppe herabgestiegen, die das Geschoss mit dem Obergaden verband. Er schaute den Verwalter an und sagte: "Etwas Schreckliches ist geschehen. Die Barbaren haben Jactatus getötet, diese Mörderbande." Doch der Verwalter antwortet: "Ich habe es gesehen. Aber glaub mir: Er war die überreife Frucht einer sterbenden Kultur. Bald schon werden wird die neuen Herren sein. Die Toten sollten wir jedoch ehren. Jactatus ist gestorben, wie er gelebt hat. Er war nie lau. Er hat sich nie gebeugt. Er war ein wahrer Römer.“