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Jack O’Grady: Ein gutes altes irisches Grinsen
Sie sind zu zweit. Die halbe Portion, die sich dezent im Hintergrund hält, ist keine Gefahr. Der Vogel sieht aus, als müsste ich nur mal kräftig niesen, um ihn aus den Socken zu pusten.
Sein Kumpel ist da schon eine andere Hausnummer. Marke Kleiderschrank, der gerade seine Bierflasche an Fat Eddys Tresen zerdeppert hat und mir mit dem Flaschenhals jetzt ne Gratisrasur verpassen will.
Verdammt, dieses halbe Hemd zieht den Kleiderschrank am Arm und will ihn offenbar beruhigen.
„Ruhig, Francis. Der Kerl ist doch total besoffen und hat das mit deiner Mutter und dem Maulesel bestimmt nur witzig gemeint.“ Der Blick vom Kleiderschrank wird tatsächlich etwas klarer. Er zögert. Scheiße! Also noch ein bisschen mehr Sprit ins Feuer.
„Deine Freundin irrt sich. Das war kein Witz, oder siehst du mich vielleicht lachen, Francis?“ So, wie ich seinen Namen betone, geht das prima als Beleidigung durch.
Doch, es reicht! Francis reißt sich los und holt mit der Bierflasche aus. Ich sollte meine Chancen ein bisschen aufpäppeln. Der klapprige Barhocker, auf dem ich den ganzen Abend meinen Hintern plattgesessen habe, kommt wie gerufen.
Mit einem wuchtigen Schlag dresche ich seinen Arm zur Seite und die Bierflasche verschwindet in Richtung Wand. Bevor Francis noch Zeit hat zu reagieren, lasse ich den Hocker fallen und verpasse ihm einen harten Kinnhaken. Als nächstes folgt eine kurze Gerade in den Magen und dann ein Punch mit der Linken auf seine Schläfe. Francis segelt so elegant wie ein Pottwal auf den Boden.
Ich hole aus und trete ihm in den Magen. Ein Teil von mir erinnert mich daran, dass ich sowas eigentlich nicht mache. Jedenfalls habe ich das früher nicht gemacht. Wenn einer am Boden liegt, schlägt man nicht nach.
Jiaos Gesicht taucht wieder vor meinen Augen auf. Sie lächelt. Das tut sie immer. Nur ist ihr Lächeln jetzt ein bisschen traurig. Ob das daran liegt, dass ich immer noch auf Francis einschlage, obwohl er mittlerweile schützend seine Arme von sich streckt?
„Na mach schon, Francis! Das war doch wohl nicht schon alles, verdammte Scheiße?!“ Ich zerre ihn an seinem Hemd hoch und schicke ihn dann mit einem brutalen Schlag auf die Nase direkt wieder auf die Bretter. Erneut packe ich ihn, als mich jemand grob herumreißt. Eine Sekunde später peitscht mit eine Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht. Als nächstes trifft mich eine Ohrfeige. Zuerst glaube ich, die halbe Portion hat endlich irgendwo seine Eier wiedergefunden und will seinem Kumpel helfen. Doch als mein Blick klar wird, sehe ich, dass es nicht Francis‘ Freund ist, sondern Eddy. Der gute alte Fat Eddy, dem die Kneipe gehört, in der ich seit fast fünfzehn Jahren Stammkunde bin.
„Herrgott im Himmel, Jack. Hör jetzt endlich auf, oder ich schwöre, dieses Mal rufe ich wirklich die Bullen.“
Ich kann das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Mein Puls klopft so hart in meinem Hals, dass …
„Und jetzt verschwinde aus meinem Laden. Das ist mein Ernst. Ich hab die Schnauze voll von dem Scheiß.“
Es dauert einen Moment, bis Eddys Worte in meinem Hirn ankommen. Ich wische mir mit einer Hand langsam das Wasser aus dem Gesicht.
„Wie war das, Eddy? Du wirfst mich aus deinem Laden?“
Ich warte auf sein Grinsen. Oder einen dummen Spruch. Auf irgendetwas, das mir sagt, dass das alles nur ein Scherz ist. Ein riesengroßer Gag. Gleich wird Francis, der röchelnd am Boden liegt, aufstehen und wir werden alle grinsend ein schönes, kühles Bier trinken. Und dann wird Jiao zur Tür reinkommen. Jiao, die mir mit ihrem strengen und zugleich liebevollen Blick sagen wird, dass ich endlich nach Hause kommen soll. Jiao. Meine geliebte Jiao.
„Tut mir leid, Jack. Du versuchst offenbar jetzt schon seit nem halben Jahr, dich totzusaufen oder totzuprügeln. Aber ich werde nicht hier in meinem Laden mitansehen, dass mein Freund so vor die Hunde geht.“
Scheiße, hat der alte Eddy da Tränen in den Augen, oder trübt mir das verdammte Wasser immer noch die Sicht?
„Los, Jack. Zieh Leine. Sofort!“
Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass es mir leidtut. Dass ich mich wieder in den Griff kriegen werde. Dass ich weniger trinken, mehr schlafen und weniger Zoff machen werde.
Aber das wäre gelogen. Ich weiß das, und Eddy würde es auch wissen.
Ich ziehe einen zerknitterten Zehn-Dollar-Schein aus der Tasche und lege ihn auf den Tresen.
„Stimmt so, Eddy.“
Ich drehe mich um und gehe. Komisch. Eigentlich müsste ich irgendwas fühlen. Trauer, Wut, Enttäuschung. Scham vielleicht? Irgendetwas. Egal was. Alles wäre besser als diese dumpfe, graue, leblose Stille, die mich bis in den letzten Winkel ausfüllt. Aber da ist nichts. Ich schätze, ich kann mich so lange volllaufen lassen oder rumprügeln wie ein dreckiger Straßenköter, wie ich will. Seit Jiaos Tod ist da nichts mehr.
Zwei Straßen weiter müsste noch ein Schuppen sein, der aufhat.
>> LETZTE MAHNUNG <<
Weiter lese ich das Schreiben nicht, sondern zerknülle den Wisch und werfe ihn achtlos in Richtung Mülleimer. Er landet daneben, wo schon jede Menge andere Papiere und Briefe liegen.
Ich gieße mir einen Four Roses ein und kippe den Inhalt in einem Zug runter. Nicht der beste Stoff, aber billig. Das teure Zeug kann ich mir nicht mehr so ohne weiteres leisten. Ich werfe einen Blick auf einen zerrissenen Brief meiner Bank. Der krawattentragende Bankertyp, der die traurigen Überreste meines Kontos verwaltet, ist wohl auch dieser Meinung, sonst hätte er nicht meine letzten beiden Schecks platzen lassen.
Ich grinse schief und gieße mir noch einen ein, während ich mich in meinem Büro umsehe. Zum Versetzen hab ich nicht mehr viel. Meine Uhr war das letzte Stück, das ein bisschen was wert war, und auch die hat nicht mehr als fünfzig Mücken eingebracht.
Ob ich will oder nicht, so langsam muss ich wieder einen Auftrag an Land ziehen, sonst flieg ich auf die Straße und lande als versoffener Penner in der Gosse.
Na ja, versoffen bin ich schon. Aber ich hab keine Lust, ein Penner zu werden.
Vielleicht könnte ich einen meiner alten Kumpels anhauen und mir was leihen. Irgendwie würd ich’s schon wieder zurückzahlen.
Ich erinnere mich an einen Bekannten. Levi Feingold. Der Typ wollte sich auch Geld leihen. Um seiner Schwester zu helfen. Und als ich ihm keine Kohle geben konnte, ist er bei mir eingebrochen und hat dabei die Frau erwürgt, die ich heiraten wollte. Mir hatte er auch versprochen, alles wieder zurückzuzahlen.
Ich sehe zum Schreibtisch rüber. In so nem alten, billigen Papprahmen ist ein rissiges Schwarzweißfoto von ihr. Mein kostbarster Besitz.
Hart knalle ich das Glas auf den Tisch.
Schluss mit dem verdammten Selbstmitleid! Du ziehst dich selbst aus dem Dreck, und zwar sofort und ohne faule Tricks!
Ich werd jetzt runter zu Ben’s Grill and Diner gehen und mir einen schwarzen, sehr starken Kaffee und ne Zeitung mit Anzeigenteil holen. Und der nächste Drink ist erst dann fällig, wenn ich einen Job hab. Anschließend werde ich die Sache mit Fat Eddy irgendwie wieder einrenken.
>> Suche zuverlässigen Hundeausführer. Zahle 50 Cent pro Spaziergang <<
Yeah, genau das, was ich schon immer machen wollte!
Ich streiche die Anzeige durch und widme mich der nächsten.
>> Department of Sanitation stellt ab sofort Straßenkehrer für Yonkers und New Rochelle ein. 10 Cent die Stunde <<
Na ja, mit Müllbeseitigung kenne ich mich schon eher aus. Nur brauchte ich dafür bisher keinen Besen, sondern ne Kanone. Also wieder nichts.
„Willst du noch einen, Schätzchen?“
Die Kellnerin wedelt mit der Kaffeekanne vor meinem Gesicht rum. Ohne aufzuschauen halte ich ihr den Becher hin.
„Klar. Nicht fragen, sondern einfach nachgießen, wenn du den Boden siehst.“
„Harten Tag gehabt, Süßer?“
Ich sehe zu ihr hoch. Die Kellnerin ist ein bisschen in die Jahre gekommen. In ihre rote Mähne haben sich schon die ersten grauen Strähnen geschlichen und um die Augen sitzt zu viel Make-up. Dennoch spannt sich ihre Bluse immer noch über einen ganz ordentlichen Vorbau und sie hat dieses Blitzen in den Augen, das mir signalisiert, dass sie heute Abend noch nichts vorhat.
„Alles top. Ich hätte gerne noch einen Kaffee – nur Kaffee.“
Die Kellnerin zieht einen Schmollmund, schenkt wortlos nach und wackelt davon. Früher hätte ich’s mir überlegt, ich war eigentlich nie ein Kostverächter. Aber seit …
Ich schiebe mir einen Zahnstocher in den Mundwinkel und sehe wieder in die Zeitung.
>> Abenteuer? Ferne Länder? Karriere? Die U.S. Navy … <<
Alles klar. Ein Krieg reicht mir. Und wahrscheinlich bedeutet „Ferne Länder“ bei der jetzigen Staatskasse ohnehin nur ein Depot für Socken und Klopapier in Baton Rouge.
Ich seufze und werfe den Bleistift frustriert auf den schmierigen Diner-Tisch. So wird das nichts! Mit solchen Anzeigen krieg ich nur lausig bezahlte Aushilfsjobs oder irgendeinen Mist.
Die Tür geht auf und zwei ziemlich fies aussehende Kerle marschieren rein. Einer bleibt neben der Tür stehen, während der andere durch den Laden streift.
Das gefällt mir gar nicht! Unwillkürlich lasse ich die Hand zur `45er unter meinem Trenchcoat wandern.
Aber zwei Sachen fallen mir sofort auf.
Erstens sind die Typen gut gekleidet. Jedenfalls zu gut, um einen runtergekommenen Diner auszurauben. Eine Bank vielleicht, aber nicht so nen Schuppen wie Ben’s Diner, wo‘s nie mehr als vielleicht 100 Piepen in der Kasse gibt.
Und zweitens gehen sie zielstrebig und methodisch vor. Sie suchen jemanden.
Aha, der Typ ist fündig geworden. Ein junges Ding, das keinen Tag älter als siebzehn Jahre sein kann. Sie sitzt ganz hinten neben der Toilettentür am letzten Tisch und ist hinter der Menükarte in Deckung gegangen. Echt tolles Versteck! Er zieht sie unsanft auf die Füße. Sie wehrt sich nicht sonderlich erfolgreich gegen den Gorilla, als er sie zur Tür bugsiert. Ich kann sehen, dass er in der anderen Hand eine große braune Tasche trägt, die wohl dem Mädchen gehört.
Die drei, vier anderen Gäste des Diners haben die Situation wohl ziemlich richtig eingeschätzt, denn jeder ist plötzlich hochkonzentriert mit seinem Rührei oder den Salzstreuern beschäftigt. Sogar die Kellnerin ist schleunigst abgedackelt. Vielleicht holt sie ja den Koch, der jeden Moment mit nem Hackbeil oder Baseballschläger aus der Küche auftaucht.
Fehlanzeige. Der Typ hat mit dem zappelnden, leise schluchzenden Mädchen fast die Tür erreicht.
Ach Scheiße! Diese lausige Stadt hat drei Millionen Einwohner! Warum passiert dann eigentlich immer nur mir so ein Mist?!
Ich stehe auf und stelle mich ihnen in den Weg.
„Ich glaube, die Lady hat ihre Milch noch nicht ausgetrunken.“
King Kong glotzt mich verdutzt an. Und das Mädchen wie ein geprügelter Hund.
„Setzt dich wieder hin, Cowboy. Das geht dich nichts an.“
„Vielleicht sollten wir die Cops rufen. Mal sehen, ob die’s was angeht.“
Aus dem Augenwinkel heraus kann ich erkennen, dass der andere Kerl seinen Platz neben der Tür aufgegeben hat und rüberkommt. Gleich wird’s hässlich, 100 zu 1.
„Wir bringen die kleine Ausreißerin hier zurück zu ihrer Familie, das ist alles.“
„Bitte, Mister. Helfen Sie mir. Ich … ich habe diese Männer noch nie gesehen. Ich …“
Irgendwas stimmt da nicht, das sieht ein Blinder mit Krückstock. Vielleicht ist sie ja wirklich eine Ausreißerin. Vielleicht bringen die beiden sie tatsächlich nur zurück zu ihren vor Sorge ganz kranken Eltern. Vielleicht sollte ich mich einfach wieder hinsetzen.
In der Spiegelung des Schaufensters vom Diner kann ich sehen, wie der blöde Sack neben der Tür mittlerweile hinter mir steht und einen Totschläger aus der Tasche zieht. Okay, für einen Rückzieher ist es damit wohl zu spät. Wenn ich nichts tue, werde ich mich gleich nicht hinsetzen, sondern hinlegen.
Ich werfe meine Ellbogen nach hinten und reiße gleichzeitig meinen Hinterkopf zurück. Die Ellbogen landen in seinen Rippen und mein Schädel auf seiner Nase. Irgendwas knirscht und bricht.
Das Mädchen schreit auf, als der andere sie grob zu Boden drückt und gleichzeitig in seine Jacke greift. Ein wohlplatzierter Tritt gegen die Kniescheibe, und er schlägt neben dem Mädchen auf die Matte.
Ich will ihm grad mit einem Boxhieb den Rest geben, als mich ein harter Tritt von den Beinen fegt.
Verdammter Mist! Der zweite Bursche ist härter als ich gedacht habe. Seine Nase sieht aus wie ein Stück Wassermelone, das unter einen Laster gekommen ist. Trotzdem kann er mir einen saftigen Stoß gegen die Brust verpassen, als ich mich wieder aufrappele. Er will nochmal nachtreten, doch dieses Mal sehe ich den Angriff kommen. Mit beiden Händen packe ich sein Bein und verdrehe es, während ich ihm gleichzeitig mit meinem Fuß seine Eier Richtung Magen schicke. Spätestens jetzt dürfte er ausgeschaltet sein. Stöhnend wälzt er sich auf dem Boden.
Was man von dem anderen nicht sagen kann. Ich drehe mich zu ihm um. Mit einer verzerrten Mischung aus Schmerz und Hass stützt sich der Kerl auf einem Stuhl ab und zielt mit einem Revolver direkt auf meine Rübe. Viel zu spät, um meinen eigenen Ballermann zu ziehen.
Okay, Jack, das war’s dann.
Der Schuss kracht in die Decke und der Revolverheld geht mit einem Aufschrei und unappetitlichem Knirschen seines Beins wieder zu Boden. Das Mädchen hat mit beiden Händen den Stuhl, auf den er sich abgestützt hatte, in dem Moment weggezogen, als er abgedrückt hat.
Dafür kriegt sie von mir ein verdammtes Pony, oder was sich Mädels in dem Alter sonst so wünschen!
Ich komme auf die Füße und mit einem Schlag in die Visage gehen bei dem Revolverhelden auch vorerst die Lichter aus.
Ächzend sehe ich mich in dem Diner um. Mittlerweile sind alle Anwesenden, die Kellnerin eingeschlossen, getürmt.
Vielen Dank auch für die Hilfe, ihr braven und tapferen Mitbürger!
„Danke, Kleines. Keine Angst, die Polizei ist jeden Moment hier und dann ist die Sache ausgestanden.“
Hm … das war wohl nicht die Art von Trost, die sie hören wollte. Vor Angst winselnd will sie an mir vorbei aus dem Laden stürmen. Nichts da! Ich packe sie jetzt auch am Arm.
„Holla, Missy. Nicht so flott.“
Sie zieht und zerrt ein bisschen an mir rum und gibt dann auf.
„Jetzt pack mal aus – was läuft hier? Wer sind diese zwei Clowns und was wollten die von dir?“
„Bitte, Mister. Lassen Sie mich einfach gehen. Ich … ich will nur zurück zu meinen Eltern. Wenn Sie mich gehen lassen, werde ich sofort zu ihnen fahren.“
„Na klar, und ich setz mir den Hut mit nem Kran auf. Entweder Klartext, oder du kannst den Cops diese Frage beantworten.“
„Nicht die Polizei! Ich werde Ihnen alles sagen, aber bitte … bitte … lassen Sie uns zuerst von hier abhauen. Wenigstens aus dem Diner hier, bevor die Polizei kommt.“
Irgendwas an ihrer hilflosen, verzweifelten Art erinnert mich an Jiao, als ich sie damals getroffen habe.
Verdammt! Jetzt werde ich dem Mädchen wahrscheinlich gar nichts mehr abschlagen können.
„Na schön. Zwei Straßen weiter ist ein Kaffeehaus. Da gehen wir jetzt hin, ich bestell mir nen Kaffee, du kriegst einen Milchshake und dann will ich eine verdammt gute Geschichte von dir hören. Und keine Tricks. Du schuldest mir was.“
„Nun, Mister, Sie schulden mir auch was. Ihr Leben, würde ich sagen. Lassen Sie mich laufen und geben Sie mir … sagen wir hundert Dollar. Dann sind wir quitt.“
Ich muss grinsen. Ein richtiges, gutes altes irisches Jack O’Grady-Grinsen. Ich hab schon fast vergessen, wie sich das fühlt.
„Übertreibs nicht, du kleines Aas. Und jetzt Abmarsch. Die Cops sind zwar lahmarschig, aber so langsam dürften selbst die ihre Donuts aufgegessen haben und hier reinschneien.“
Ich packe der Kleinen meine Hand in den Nacken und halte sie damit fest wie einen Hundewelpen. Mit der anderen Hand schnappe ich mir ihre Tasche. Dann verduften wir.
„Ich heiße Becky. Eigentlich Rebecca Murnoe, aber meine Freunde nennen mich Becky.“
Ich nippe an meinem Kaffee und sehe sie abschätzend an.
„Wird sich zeigen, ob wir Freunde werden. Wie alt bist du eigentlich?“
Rebecca zupft an ihrer Serviette herum.
„Ich bin letzten Monat einundzwanzig geworden.“
„Sieht man dir gar nicht an, ich hätte dich für höchstens siebzehn Jahre gehalten. Stell ich mir ziemlich anstrengend vor, wenn man Bier kaufen will und so aussieht, als würde man immer noch in der Milchliga spielen. Egal, dann schieß mal los.“
Rebecca sieht aus dem Fenster und kaut auf ihrer Unterlippe.
„Waren Sie schon mal in Ridgelaine?“
„Nope! Weiß nicht mal, wo das ist.“
„Ein mieses Kaff am Arsch der Welt, das kann ich Ihnen sagen. Und der Sohn des Bürgermeisters hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu heiraten.“
„Lass mich raten – die Romanze ist ziemlich einseitig.“
„Sehr richtig. Jebediah Combthorne der Dritte. Und der ist keinen Cent besser als Jebediah Combthorne der Zweite und Erste. Er hat mich einfach nicht in Ruhe gelassen. Mir sonntags nach der Messe nachgestellt. Überraschungsbesuche abgestattet. Immer wieder Blumen und Pralinen geschickt. Er wollte es einfach nicht begreifen. Und irgendwann hat sein Vater, der werte Herr Bürgermeister, die Sache dann selbst in die Hand genommen.“
„Ich wette, der hat keine Blumen und Pralinen geschickt.“
„Er hat stattdessen angefangen, meinem Vater Rechnungen zu schicken. Mein Dad ist Farmer. Ein einfacher Mann. Und das Weideland, das er größtenteils gepachtet hat, gehört …“
„… Bürgermeister Jebediah Combthorne dem Zweiten, richtig?“
„Das miese Schwein wollte plötzlich einen Kredit, den er meinem Vater versprochen hat, nicht mehr gewähren. Als nächstes hat er die Pacht erhöht. Und der Sheriff, sein Cousin, hat uns ab dann jedes Mal, wenn wir in die Stadt gefahren sind, kontrolliert und schikaniert. Und sogar der Pastor hat sonntags in der Messe angefangen, so Andeutungen über den Gehorsam und die Pflichten des Weibes gegenüber dem Manne zu machen und mich dabei immer angestarrt und sogar einmal mit dem Finger auf mich gezeigt. Keiner in unserem Dorf traut sich, etwas gegen ihn und seine Familie zu unternehmen. Niemand will es sich mit ihm verderben.“
Ich grunze verächtlich.
„Klingt nach einem anständigen, idyllischen, ländlichen Paradies. Ich wette, in ner weißen Kutte und Kapuze würde man da auch nicht weiter auffallen, oder? Prima Ort zum Urlaub machen – mit nem Flammenwerfer.“
„Wem sagen Sie das? Und es wurde immer schlimmer für uns.“
„Warum habt ihr nicht euer Zeug gepackt und seid weggezogen?“
„Wie und wohin denn, mit nichts auf dem Konto und drei Hypotheken auf dem Haus meiner Eltern?“
„Keine neunzigjährige reiche Tante mit nem Herzfehler?“
„Das ist nicht witzig, Mr. O’Grady! Die einzigen Möglichkeiten, die ich gesehen habe, war entweder dieses kleine Scheusal mit seinen schmierigen Pfoten zu heiraten, oder zu fliehen. Ich konnte aber meine Eltern nicht im Stich lassen. Deshalb habe ich so getan, als hätte er mich endlich rumgekriegt und bin eines Abends mit Jebediah zu ihm nach Haus gefahren, als sein Vater geschäftlich verreist war. Er wohnt noch bei seinem alten Herrn. Groß genug ist die Villa, wo diese Halunken wohnen, allemal. Und als er es natürlich kaum erwarten konnte, mich endlich zu befummeln, hab ich ihm eins mit einer Vase übergezogen. Jebediah prahlte ständig vor mir herum, dass sein Vater immer eine prall gefüllte Aktentasche voller Bargeld in seinem Büro aufbewahren würde. Ein richtiges Vermögen. Das Geld wollte ich meinen Eltern geben und dann verschwinden, wo mich niemand finden kann.“
Ich verschlucke mich beinahe am Kaffee und glotze sie dann ungläubig an.
„Stopp mal – Time-out! Du hast dir gedacht, du brätst Arschloch Junior einfach eins über, klaust seinem alten Herrn nen Haufen Schotter unterm Hintern weg, gibst die Kohle deinen Eltern, verschwindest dann in den Sonnenuntergang und kommst mit der Nummer tatsächlich durch?“
„Soweit lief ja auch alles nach Plan.“
Oh Mann! Es hilft nichts, dass alles nach Plan läuft, wenn der Plan für’n Arsch ist!
„Diese Tasche habe ich dann ja auch wirklich gefunden. Es war aber nicht nur Geld drin, sondern auch das hier.“
Sie zieht eine dicke Kladde aus der Aktentasche und schiebt sie mir zu. Ich klappe das Ding auf und überfliege ein paar Seiten. Dann pfeife ich beeindruckt, als ich mir die Zahlen ansehe.
„Na sieh mal einer an. Sieht so aus, als bewegt euer Bürgermeister ne Menge Kies hin und her. Ich weiß zwar nicht viel über Finanzen und Steuern, aber das hier sieht für mich ziemlich krumm aus. Ich meine, wenn ich die Einnahmen nur mal auf dieser Seite hier überschlage, komme ich schon locker auf über zehn Riesen. Und das in nicht mal einem Monat. Wo hat der Kerl denn so viel Kohle her? Ist er Fabrikant oder so was?“
„Nein, er ist einfach nur der Bürgermeister und hat viele Freunde.“
„Na darauf will ich wetten! Er hat vielleicht keine Fabrik, aber für mich sieht das so aus, als habe er zumindest eine ziemlich große Wäscherei.“
Rebecca schaut mich fragend an.
„Du weißt schon – Geldwäsche. Er bekommt von einem Freund Geld, das aus irgendeiner illegalen Scheiße stammt. Diesen Zaster lässt er durch die Stadtkasse laufen, indem er fingierte Rechnungen und sündhaft teure Posten aufstellt. Die Vermietung von öffentlichen Objekten und Grundstücken oder die Zurverfügungstellung von städtischen Dienstleistungen. Das kostet schon ein Schweinegeld, wenn’s legal ist. Anschließend zahlt er es an seinen Freund oder einen Strohmann von ihm zurück. Mit Bauvorhaben geht das zum Beispiel ganz gut. So wird aus schmutzigem Geld sauberes. Und ein kleiner Umschlag mit ein paar Präsidenten in Papierform an der richtigen Stelle sorgt dafür, dass niemand bei den Aufsichtsbehörden und Buchprüfungen so genau hinsieht. Recht simpel, wenn man weiß, wie man’s anstellen muss.“
„Ich verstehe von allen diesen Dingen nichts, Mr. O’Grady. Alles, was für mich zählt, ist, dass ich meinen Eltern aus ihrer Not helfen und dann meine Ruhe finden kann. Ist das wirklich zu viel verlangt?“ Rebecca schluchzt und tupft sich ihr Näschen.
„Wo wir gerade von aus der Not helfen sprechen – ich nehme an, diese Typen im Diner gehören zu Combthorne, nicht wahr?“
„Wahrscheinlich. Ich kenne die beiden nicht. Wenn ja, dann wollten sie mich bestimmt nach Ridgelaine zurückbringen.“
„Und wie haben die dich gefunden? Du hast doch wohl kaum diesem Combthorne geschrieben, dass du hier im Diner zu finden bist.“ Ich grinse über den blöden Spruch, während ich weiter meinen Kaffee schlürfe.
„Nun ja, nicht Combthorne. Aber ich habe meinen Eltern ein Telegramm geschickt, wann und wo sie mich finden können, damit ich ihnen das Geld geben kann.“
Das Grinsen vergeht mir schlagartig. Das glaube ich jetzt nicht!
„Bist du nicht mal für eine Sekunde auf den Gedanken gekommen, dass Combthornes Schläger vielleicht bei deinen Eltern aufkreuzen und nach dir suchen werden? Du hast die Typen wirklich per Express auf deine Spur gebracht. Der Herald Tribune hast du’s aber noch nicht gesteckt, wo du zu finden bist, oder?!“
Ich massiere mir die Augenlider und denke nach. Eine Sache steht so fest wie die grüne Lady mit der Fackel und Krone auf Liberty Island – alleine ist Ms. Rebecca Murnoe am Arsch … richtig am Arsch!
„Na schön. Wieviel Knete hast du dir überhaupt unter den Nagel gerissen?“
Sie sieht mich verlegen, aber auch ein bisschen stolz an.
„Ich habe es nur grob gezählt, aber es müssen bestimmt über 50.000 Dollar sein.“ Wow! Ich hebe beeindruckt eine Augenbraue.
„Nicht schlecht für eine hinterwäldlerische Landpomeranze, nicht wahr, Mr. O’Grady?“
„Sorry, aber das ist schlecht, und zwar verdammt schlecht. Wären es 500 Dollar, könntest du einfach so abhauen. Aber fünfzig Riesen werden dein sauberer Freund und sein alter Herr zurückhaben wollen. Von der Kladde mal ganz zu schweigen. Die allein ist schon ein Direktticket nach Sing Sing. Und deinen Eltern hast du damit auch keinen großen Gefallen getan. Tut mir leid, die ganze Sache ist für dich voll nach hinten losgegangen.“
Rebecca bricht natürlich wieder in Tränen aus. Mein Mitleid mit ihr wächst minütlich. Sie scheint ihr Herz am rechten Fleck zu haben und sieht zugegebenermaßen verdammt gut aus, aber entweder ist sie unglaublich naiv oder ganz einfach nicht die hellste Kerze im Kronleuchter.
„Hör mir zu … Becky. Ist ne üble Geschichte, in die du dich reingeritten hast. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, aus der Nummer überhaupt irgendwie rauszukommen. Du versuchst dein Glück bei den Cops, aber dann hängst du mit drin. Junior eine übern Schädel zu ziehen und dann so viel Kohle aus seinem Haus zu klauen ist in den Augen des Richters nämlich schwerer bewaffneter Raubüberfall mit Körperverletzung. Scheißegal, ob das Geld schmutzig ist oder du in der Klemme steckst. Für so eine Nummer kassierst du sieben Jahre. Und nichts für ungut, aber den Frauenknast hältst du nicht mal sieben Tage durch. Das wäre also Möglichkeit Nummer eins.“
„Und Nummer zwei?“ Beckys Unterlippe zittert.
„Du überlässt das Problem mir.“
Rebecca sieht mich zweifelnd an.
„Das klingt aber gefährlich.“
„Ist es auch, deshalb übernehme ich ja auch das Ganze. Ich habe nämlich das Gefühl, dass du die Sache mit Karacho vergeigst, wenn du dir selbst helfen willst.“
Becky sieht mich einen Moment misstrauisch an und dann breitet sich langsam ein zaghaftes Lächeln in ihrem Gesicht aus.
„Ist das wirklich ihr ernst, Mr. O’Grady? Aber ich habe doch gar kein Geld, dass ich Ihnen …“
„Becky, du hast scheinbar kein großes Glück mit Männern, und wenn’s drum geht, sich Ärger einzuhandeln, mischst du in der Profiliga mit. Deshalb lehn dich jetzt einfach zurück und lass mich den Rest erledigen.“
Gar nicht so leicht, die Nummer eines Redneck-Hillbilly-Bürgermeisters aus einem rückständigen Kuhdorf zu bekommen, von dem kein Schwein je etwas gehört hat. Es kostet mich über zwei Stunden Arbeit, bis ich Jebediah Combthorne den Zweiten endlich an der Strippe habe.
Seine raue, kratzige Stimme passt perfekt zu ihm.
„Wer ist da? Ich hoffe, es ist wichtig, denn ich bin sehr beschäftigt.“
„Für mich werden Sie sich Zeit nehmen, denn hier spricht der Typ, der Sie an den Eiern hat, samt Kohle und Notizbuch. Und wenn Sie irgendwas davon zurückhaben wollen, dann passen Sie jetzt gut auf, Sie Kuhstall-Capone.“
„Sie sind dieser Held aus dem Diner, der meine Männer zusammengeschlagen hat. Ich nehme an, dass Sie mit Mrs. Murnoe gesprochen haben. Und da Sie mich anrufen und nicht die Polizei, nehme ich weiter an, dass Sie an einem Geschäft interessiert sind. Liege ich soweit richtig, Mr. …?“
„Ich heiße Charlie Chaplin. Also - heute Abend um elf, Lower Bay Street, am Hafen. Pier 28. Sie kommen persönlich, kriegen Ihr Geld zurück und dafür lassen Sie und Ihr vertrottelter Inzuchtbengel die Pfoten von den Murnoes. Und zwar von der ganzen Familie. Keine krummen Touren mehr mit ihrer Farm, dem Sheriff oder eurem Dorfpfaffen und vor allem lasst ihr Rebecca in Ruhe. Ihr nettes kleines Büchlein behalte ich als Souvenir. Wenn Sie tun, was ich sage, bleibt‘s in der Schublade. Falls Sie Spielchen spielen, können Sie ne Münze werfen, wer’s zuerst zu lesen kriegt: Presse oder Bullen. Vergessen Sie nicht – Lower Bay Street, Pier 28, elf Uhr.“
Ich hänge den Hörer ein, bevor er noch etwas sagen kann.
Es ist kalt und nieselt. Nebelschwaden ziehen träge über das schwarze Wasser des Hafens. Eine Stimmung wie in diesem Gruselschinken, den ich mal im Kintopp gesehen hab, wo sich so‘n Kerl mit Akzent und Smoking in eine Fledermaus verwandeln konnte. Beim Film hab ich mich ziemlich schlappgelacht, aber hier draußen krieg ich ne Gänsehaut.
Fröstelnd klappe ich den Kragen meines Trenchcoats hoch und starre in die Dunkelheit. Jetzt müsste es jeden Moment soweit sein. Wie aufs Stichwort tasten sich zwei Scheinwerfer durch den Nebel und ein Auto fährt auf den Pier. Der Herr Bürgermeister ist pünktlich.
Aus meinem Versteck heraus kann ich sehen, wie der Wagen anhält.
Ich trete aus dem Schatten eines Lagerhauses hervor und bleibe davor stehen. Dann winke ich den Wagen näher heran. Langsam rollt er näher, hält an und ein Mann steigt aus.
Im Kegel der Scheinwerfer kann ich den Bürgermeister erkennen. Ein energisch wirkender harter Knochen mit eisgrauem Haar und stechenden Augen. Sein Kiefer ist wütend nach vorn geschoben.
„Heute ganz ohne Melone und Stock, Mr. Chaplin? Haben Sie mein Geld?“
Ich lasse die Tasche neben mir auf den Boden fallen.
„Nicht so schnell, Combthorne. Wir haben einen Deal, schon vergessen? Und da ich mich auf Ihr Wort allein nicht verlassen werde, habe ich hier noch eine kleine Versicherung. Ein Schriftstück, in dem Sie gestehen, dass Sie dick im Geldwäschegeschäft stecken. Das unterschreiben Sie mir, und dann kriegen Sie ihr Geld.“
Combthorne starrt mich ungläubig an. Dann stößt er ein höhnisches, bellendes Lachen aus.
„Denken Sie wirklich, ich würde so etwas unterschreiben? Ich habe zuerst nicht gewusst, was ich von Ihnen halten soll. Aber jetzt weiß ich es – Sie sind ganz einfach verrückt. Glauben Sie, ich lasse mich einfach so bestehlen und dann auch noch anschließend erpressen?“
Combthorne schnipst mit den Fingern. Die Türen des Wagens gehen auf und drei Männer steigen aus. Einer von ihnen humpelt. Das wird wohl der Gorilla sein, dem ich im Diner das Bein verbogen habe.
Der Anblick von zwei Revolvern und einer Schrotflinte, die auf meinen Bauch zielt, überzeugen mich davon, meine 45’er besser stecken zu lassen.
„Meine beiden Mitarbeiter haben Sie ja schon kennengelernt. Zum Glück konnten sie rechtzeitig verschwinden, bevor die Polizei in dem Diner erschienen ist. Aber ich glaube, die beiden wollen sich noch mal bei Ihnen persönlich für das angenehme Treffen bedanken. Und meinen Sohn lernen Sie jetzt gleich kennen.“
Ein untersetzter kleiner Typ tritt vor und starrt mich hasserfüllt an. Er dürfte Mitte zwanzig sein und schon jetzt kann man sehen, dass sein Haar lichter wird.
„Hier ist ein kleiner Vorgeschmack.“
Er holt mit fast schon übertrieben weitem Schwung aus und boxt mir in den Magen. Ich sehe den Schlag kommen und spanne meine Bauchmuskeln an, doch als ich diesen schwächlichen, kleinen Klaps spüre, muss ich auflachen.
„Ist dieser Waschlappen etwa Ihr Sohn – Combthorne Pfeife Nummer Drei? Also diese Memme hätte ich nicht nach mir benannt, da muss man sich ja schämen.“
Ich strecke meine Arme weit zur Seite und drücke meinen Bauch nach vorne.
„Na komm, mein Kleiner, versuch’s nochmal“, sage ich in einem tröstenden Tonfall, als würde ich zu einem Zweijährigen reden, der grad von der Schaukel geplumpst ist.
Bevor der Bengel irgendwas Dummes anstellen kann, tritt sein Vater vor und schnauzt uns herrisch an.
„Schluss mit diesem Unsinn! Ich habe hier schon viel zu viel Zeit verschwendet. Raymond, hol die Tasche von Mr. Chaplin.“
Der humpelnde Schläger tritt vor und schnappt sich die Tasche. Dann übergibt er sie Combthorne.
Der Bürgermeister macht sie auf. Jetzt wird’s lustig!
„Was zur Hölle soll das? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wo zum Teufel ist mein Geld?“
Combthorne kippt den Inhalt der Tasche aus und alte Zeitungen werden vom Wind über den Pier verstreut.
„Überraschung, Combthorne, altes Haus. Glauben Sie, ich schleppe einfach so 30.000 Dollar mit mir rum?“
„Was heißt hier 30.000 Dollar? Es waren 56.000 Dollar. Wenn Sie glauben, Sie könnten …“
„Sie kriegen 30.000 Dollar zurück und keinen Cent mehr. Den Rest behalte ich als Spesen und Sie unterschreiben Ihr Geständnis. Das ist der Deal, und dabei bleibts.“
Combthorne packt mich am Kragen und schüttelt mich wie einen nassen Hund. Zusammen mit seiner Beherrschung verliert er auch seine aufgesetzten Manieren und das smarte Lokalpolitikergetue. Die Adern an seinem Hals treten dick und wulstig hervor, als er mich so laut anbrüllt, dass man seine Stimme wahrscheinlich noch im Battery Park hören kann. Er sieht aus, als würde er jeden Augenblick eine Herzattacke bekommen.
„Du dreckiger, blöder Bastard! Ich habe Leute schon für weniger an meine Schweine verfüttern lassen. Dieses Geld, dass sich deine kleine Schlampe und du unter den Nagel gerissen habt, gehört Alfonso di Spatura. Der hat ein nettes kleines Säurebad für so Arschlöcher wie dich.“
„Dann stell dich schon mal drauf ein, Bekanntschaft mit diesem Säurebad zu machen. Denn jetzt bist du das Arschloch, das sein Geld verloren hat.“
„Blödsinn. Alfonso und ich sind schon seit Jahren Geschäftspartner und gute Freunde. Was er von dir nicht sagen wird, du Dreckschwein. Raymond, Daniel, brecht diesem Idioten irgendwas und dann schmeißt ihn in den Kofferraum. Wir fahren zurück nach Hause, dort plaudert es sich ungestörter.“
Ich grinse Jebediah Combthorne dem Zweiten breit ins Gesicht.
„Vielen Dank, Herr Bürgermeister. Ich denke, der Staatsanwalt hat jetzt genug gehört.“
Die Tür des Lagerhauses wird aufgerissen und ein Scheinwerfer auf dem Dach erwacht zum Leben.
„Hände hoch, hier spricht die Polizei! Sie alle sind verhaftet“, dröhnt ein Lautsprecher über den Pier.
Die Volltrottel sehen sich hektisch um und sperren Mäuler und Augen auf. Combthorne wird kreidebleich und glotzt mich mit mahlendem Unterkiefer an.
„Nach diesem Geständnis in Gegenwart der halben New Yorker Polizei hat dich die Polente am Arsch, und deinen langjährigen Geschäftsfreund gleich mit. Du hast sogar die genaue Summe genannt. Immer dasselbe mit euch Politikern – ihr wisst nie, wann man besser einfach mal das Maul hält.“
Die Polizeibeamten nähern sich von allen Seiten. Der Sohn vom Bürgermeister sinkt heulend auf die Knie. Die beiden Schläger machen Anstalten, zum Wagen zu rennen. Wie Kakerlaken, die man nachts in der Küche überrascht, wenn das Licht angeht.
„Stehen bleiben, Sie sind umstellt!“
Combthorne macht jedoch keine Anstalten zu türmen. Er bleibt eiskalt stehen und sieht mich hasserfüllt an.
„Glaub ja nicht, dass Rebecca vom Haken ist. Die nehme ich mit in den Knast, das schwör ich dir.“ Sein Tonfall ist merkwürdig ruhig und gefasst.
„Dein dämlicher Sohn hat sie von morgens bis abends belästigt, das kann euer halbes Dorf bezeugen. Becky hat mich engagiert, damit ich ihr helfe. Und bei meinen Ermittlungen bin ich in deiner Hütte über das Geld und die Geschäftsunterlagen gestolpert. Was glaubst du wohl, wem die Geschworenen glauben - Becky und ihrer Familie oder einer Sau wie dir? Du hast verloren, Herr Bürgermeister.“
Ein Polizeibeamter packt ihn linkisch am Arm. Ich kann sehen, dass er wie Espenlaub zittert. Der Milchbart sieht aus, als käme er frisch von der Polizeischule.
„Sie … äh … Sie haben das Recht zu schweigen … und … zu schweigen und …“
Combthorne dreht sich zu dem Polizisten um. Plötzlich versetzt er ihm einen Stoß vor die Brust und zieht gleichzeitig den Revolver des Polizisten aus dem Halfter.
„Du hast auch verloren, du Scheißkerl.“
Ein anderer Polizist schreit alarmiert auf und hebt seine Waffe.
Ich spüre einen Schlag in die Brust. Dann noch einen.
Wow, das hab ich nicht kommen sehen!
Über mir sind Sterne. Merkwürdig, wann habe ich mich denn hingelegt? Dumpf höre ich ein Knallen. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie jemand oder etwas irgendwo neben mir zu Boden fällt. Interessiert mich nicht weiter.
Ein warmes Kribbeln breitet sich in mir aus. Wie nach einem richtig guten Whiskey.
Jemand nähert sich. Seitlich in meinem Blickfeld sehe ich eine Gestalt, die zwischen den herumstehenden Bullen auf mich zugeht. Ich kann grünen Stoff erkennen. Sieht aus wie Seide. Ich glaube, da sind Drachen draufgestickt. Das macht mich ein bisschen traurig. Jiao hatte so ein Kleid. Bin müde.
„Hallo Jack! Was machst du denn da nur für Sachen?“ Jiao lächelt wie immer. Nanu – sie hatte sonst doch immer so einen süßen kleinen Akzent. Wo ist denn der auf einmal hin? Entweder spricht sie jetzt fehlerlos meine Sprache, oder ich habe vor einer Sekunde fließend Chinesisch gelernt. Was auch immer - ihre Stimme ist auch ohne Akzent noch genauso süß, wie ich sie in Erinnerung habe!
Ich kann ihre Hand an meiner Wange spüren. Dann beugt sie sich zu mir und küsst mich.
Was habe ich diese Küsse vermisst. Was habe ich Jiao vermisst.
Ich seufze und sehe ihr in ihre wunder - wunder - schönen mandelförmigen Augen.
„Hi Glückskeks! Du hast mir so sehr gefehlt!“
Sie leuchtet. In einem warmen, angenehmen Licht. An den Rändern meiner Sicht wird’s dafür immer dunkler.
Aber das ist mir egal. Jiao ist bei mir, und mein Instinkt sagt mir, dass sie jetzt nicht mehr fortgehen wird. Nie mehr.
Als Bengel habe ich mal einen Spruch im Konfirmationsunterricht aufgeschnappt: "Gebt, so wird euch gegeben". Dunkel versuche ich mich zu erinnern, was ich so alles gegeben habe. Ich war eigentlich immer davon überzeugt, dass mich der Typ mit den Hörnern und der Mistgabel abholen würde, wenn ich mal abkratze.
Aber wenn ich mir Jiao ansehe, wie sie mir zulächelt und ihre Hand ausstreckt, dann habe ich wohl doch nicht nur Mist gebaut in meinem Leben. Ich hoffe, es reicht zusammen mit ihr auch noch für nen Schluck Bourbon. So von Zeit zu Zeit. Ich werd mal mit dem Big Boss reden, wenn ich angekommen bin.
Da ist es ja wieder, mein gutes altes irisches Grinsen, das sich auf mein Gesicht legt.