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Jäger des Schattens - Prolog
„Karl – Renner – Park, Pressbaumer Bahnhof, 150 Meter westlich. Alles Gute!“
Der Job wird niemals langweilig.
Seit Jahren schiebe ich schon Dauerbereitschaftsdienst, bin schon in den unpassendsten Momenten zum Einsatz abkommandiert worden.
Da sollte man schon so weit sein, sich nicht mehr zu ärgern, wenn man zum Dienst berufen wird.
Bei einer adäquaten Aufgabe... doch nach zehn Jahren, in einem Job wie meinem, darf man doch bis auf’ s Äußerste angepisst sein, wenn man zu Anfängeraufträgen hinzugezogen wird.
Mit meiner eben aus der Werkstatt zurückgebrachten Stealth-Ninja brauchte ich 2 Minuten bis zum Einsatzort. Für einen Weg, für den technoverseuchte Normalraser mindestens 10 Minuten mit ihren Proletenkarren benötigen. Die, also die Proleten und deren Autos, hasse ich noch mehr als Vampire selbst, gegen die ich schon seit, wie erwähnt, einem Jahrzehnt zu Felde ziehe.
Trotzdem war ich zu langsam.
Der Vampir war gerade dabei, seine Beißzähne in der Halsgrube seines Opfers zu versenken.
Mir lief es kalt den Rücken runter.
Dabei hatte ich solche Szenen schon oft genug gesehen. Anfangs ist die Hilflosigkeit vernichtend, da schmerzt die eigene Unzulänglichkeit am meisten. Danach gewöhnt man sich daran, zu glauben, dass man sie eben nicht alle retten kann.
Das hier spielte sich jedoch auf einer anderen Ebene ab.
Als er den Kopf des Mädchens zur Seite drückte, tauchte ihr Gesicht in den Lichtkegel der Laterne, die neben der Bank stand, auf der sich alles abspielte.
Das blasse Gesicht, wie das einer Porzellanpuppe, deren Wangen bei der Herstellung nicht gerüscht wurden.
Die schwarzen Augen, wertvoller als Ölseen, vereinnahmend und anziehend wie erloschene Sterne.
Die schwärzesten Haare, die ich je gesehen habe, fast schon metallisch - schimmernd.
Natürlich kannte ich sie. Das Mädchen, dass immer traurig aussah. Sogar wenn es herzlich lachte, der Tragik ihres jungen Lebens zum Trotz.
Ich würde gerne dein Schicksal auf mich nehmen, Julia.
In meinem Beruf darf man sich keine Befangenheit leisten.
Schon in der allerersten Stunde des Rekrutenprogramms wurde uns nahe gelegt, den Kopf immer kühl zu halten. Als Gesetzeshüter darf man nichts und niemanden hassen. Lieben erst recht nicht.
Hass und Liebe sind mit Gerechtigkeit und Objektivität nicht vereinbar, dass kann jedes Kind nachvollziehen. Und kaum ein Erwachsener einhalten.
Wir, die wir uns hochtrabend Jäger des Schattens nennen, wir müssen das. Wir, die zum Schutz der Menschheit tagtäglich in den aussichtslosen Kampf ziehen, für die Organisation. Und dabei nur Marionetten derer sind, die wir bekämpfen.
Schneller, als ich denken konnte, hatte ich meine Pistole in der Hand. Einmal habe ich einen Vampir umgebracht, und wäre deswegen beinahe gehängt worden. Von den eigenen Leuten.
Seit die Menschen zum Milleniumswechsel im offenen Krieg gegen die Vampire kapituliert hatten, müssen auch wir, die berühmten Jäger der Organisation, uns an gewisse Regeln halten. Zumindest, was den Schutz der Menschen anging.
Es wurde uns die Verwendung von Schusswaffen versagt, das Tragen silberner Gegenstände wurde strafbar, gegen die Verbannung von Kreuzen aus öffentlichen Gebäuden konnten wir nichts machen.
Natürlich war es dem zu Folge das Kapitalverbrechen schlechthin, einen Vampir zu töten. Wenn wir rechtzeitig am Tatort waren, konnten wir lediglich versuchen, das Opfer rechtzeitig weg zu bekommen. Den Vampir zu töten, bevor er einen Menschen initiiert hat, kam einem Ansuchen zur Exekution des eigenen Suizids gleich.
Ihn danach zu töten, war ohnehin so gut wie unmöglich, die neu gewonnene Kraft, die er aus dem jeweils frischen Blut geschöpft hatte, machte ihn quasi unverwundbar.
Offiziell war das einzige, wozu wir befugt waren, die Vampire in Flagranti zu ertappen und die Tat aufzunehmen, zwecks Vorlage für’s Tribunal.
Scheiß auf euch, scheiß auf dich, verfluchte Organisation!
Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet ich zu diesem Einsatz berufen wurde. Für Einsätze zum Schutz von Einzelpersonen war ich schlicht zu überqualifiziert. Schauplätze, auf denen Vampire in Rudeln dutzende Personen angriffen, wie Einkaufszentren, Großbahnhöfe oder Konzerte, das war mein Metier.
Mit meiner Truppe hatte ich mich schon so oft bewiesen, bei einer minimalen Opferzahl die maximale Anzahl an Einsätzen absolviert.
Das hier war nur ein Test. Diese Schweinehunde wollten wissen, ob ich mich wieder zu einer überlegten Handlung hinreißen ließe. Und suchten sich dafür das Mädchen aus, das mir als einziges etwas bedeutete.
I made my bed, I’ll lie in it.
Entsichert, repetiert. Kurz gezielt.
Abzug gedrückt. Rückstoß.
Die Kugel schnellte auf den Vampir zu. Durchpflügte die kühle, versiffte Jännerluft. Berührte seine Stirn, zerriss die papiertrockene Haut. Drückte gegen den Knochen, durchbrach ihn, ließ ihn einreißen. Drehte sich zwischen zwei Hirnwindungen hinein, detonierte. Verwandelte das eben gedrillte Loch in eine Fontäne, aus der das aschgraue, schleimige Vampirgehirn in den Äther schoss.
Den Fehler meines Lebens zum zweiten Mal zu begehen, mutete sehr... eigen an.
Jetzt war mir klar, warum jemand zum Wiederholungstäter wurde. Beim zweiten Mal ist es viel leichter, den Hebel umzulegen. Das Gewissen, eher den Quälgeist, der nur die Konsequenzen einer süßen Sünde vor die Augen führt, auszuschalten.
Um noch weiter zu gehen: ich wette, dieses Gefühl, bei einer folgenschweren Tat viel weniger Gewissensbisse als ursprünglich zu verspüren, diese Lizenz zum Ignorieren der Schuldgefühle, lässt einen alle Konsequenzen gerne ein zweites Mal auf sich nehmen.
Bevor ich rekrutiert wurde, war ich ein normaler Mann. Klingt abgedroschen, trotzdem lässt mich dieses Wort immer wieder zusammenzucken, weil es mir in Erinnerung ruft...
Mein Bruder und ich, zwei grundverschiedene Menschen. Er ist, war, vier Jahre älter als ich. Prinzipiell verprügelte er mich für jeden Blödsinn, den ich in den Alltag einstreute. Wenn ich seine Schuhe mit Butter füllte, seine Cola mit meiner Spucke verdünnte, die dann obenauf schwamm, oder einfach sein Asthmaspray versteckte. Ich hätte ihn nie krepieren lassen, natürlich hatte ich es immer irgendwo versteckt, wo es griffbereit war. Ich liebte ihn sehr.
Zunächst einmal musste ich mich um dieses Häufchen Elend hier vor mir kümmern. Doch... wozu eigentlich? Es war ein Test, da bin ich mir sicher. Diese Situation ist sicherlich bewusst, von oben her, gesteuert worden.
Dieser Vampir, schwach und bedeutungslos.
Mein dienstfreier Abend, an dem ein anderer Einsatz ausgeschlossen war.
Und natürlich Julia. Wie konnte die Organisation das wissen?
Mir wurde erst im Nachhinein, als mein Bruder schon gestorben war, erklärt, was die Organisation ist. Ein Ableger der katholischen Kirche, die schon seit jeher den Kampf gegen die Vampire, mit wechselhaftem Erfolg, focht. Menschen wurden als Köder für Vampire verwendet, da ein Vampir nur dann getötet werden darf, wenn erwiesen ist, dass er schon einen Menschen auf dem Gewissen hat. Auch das nicht unbeschränkt. Es galt, dass wenn die entfernteste Chance bestand, dass es derjenige Vertreter der Untoten die Tat nicht begangen hat, der Beschuldigte frei zu sprechen und sein Ankläger zu hängen war. Sprich, nur wenn ein Vampir auf frischer Tat ertappt wurde, durfte er zur Rechenschaft gezogen werden.
Was sind ein paar Menschenleben im ewigen Kampf der Kirche gegen ihre Dämonen wert?
Ich schnappte Julia, die noch immer völlig starr auf der Bank saß, den Kopf zur Seite geneigt, die Augen nur einen Spalt breit offen. Jetzt hatte ich keine Zeit, um die vom Vampir gesetzte Hypnose zu lösen.
Wir mussten hier weg, wir beide.
Sie, weil sie, nachdem sie ja diesen Einsatz überlebt hatte, noch mal eingesetzt würde. Recycling, richtige Sparfreude herrschte in diesem Punkt bei der Organisation.
Ich, da ich den Pakt gebrochen hatte. Feuerwaffen im Kampf gegen Vampire eingesetzt hatte, und nicht meine UV-2ndLight-Camera, um die Tat des Vampirs zu erfassen. Soweit gingen nämlich, wie gesagt, die Befugnisse eines Jägers seit der Niederlage in der wahren Millenniumsnacht, dem 31.12.2001.
Noch mal würde ich den Kopf nicht aus der Schlinge ziehen können. Damals, vor Millennium, war ich bei einem Großeinsatz auf meinen Bruder getroffen, der zu den Untoten gewechselt war.
Damals ließ ich ihn laufen... den, der sein Leben schon längst verwirkt hatte. Noch jahrelang verfolgte mich dieses Ereignis. Hoffentlich kreuzen sich unsere Wege wieder.
Zum Nachdenken hatte ich jetzt keine Zeit.
Jetzt war ich auf der Flucht. Doch ich lebe. Und wie ich lebe. Noch, zumindest.
Julia, wir werden leben...