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Ironie

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21.08.2002
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Ironie

"Was! Was soll ich sagen, was kann ich sagen, oder: was wollt Ihr hören? Ein Blick in Eure Gesichter: Erwartungen, überall Erwartungen, Hoffen auf Neuheiten, Hoffen auf Bestätigungen, Hoffen auf schlichte Schönheiten - mit einem Wort: Hoffen auf Unterhaltung. Nicht mit mir; ich will nicht - weder unterhalten noch unterhalten werden. Ich bin Schriftsteller, Künstler, kein Animateur, kein Clown.

Sprachlosigkeit befällt meine Zunge: die Ironie lächelt mir zart ins Gesicht - ich könnt weinen, ein idiotisches Weinen, weinen über unsere Idiotie. Es gibt keinen Ausweg, hat es wahrscheinlich nie gegeben, die Spirale wird sich ewig weiterdrehen, hinab ins Verderben, zum Ende der natürlichen Künstlichkeit, dem Anfang der künstlichen Natürlichkeit. Ein Leben danach? - Ja, wird´s geben, doch nicht in unseren Köpfen! Das Ende der Kunst.

Mörder, ja, Ihr: Mörder - beabsichtigt oder unbeabsichtigt, es spielt keine Rolle; es wird gemordet, meist mit Vergnügen, auch wenn oft nicht erkannt wird, dass, wo und wie gemordet wird. Hier, in diesem Saale: Zentrum des Totschlags. Lüsternde Mienen auf den Reihen, Neugierde, Erwartungen: Versklavung des Künstlers, Versklavung der Kunst, Mord dem Künstler, Mord der Kunst. Zieht, so zieht doch nur Eure tödlichen Waffen, zückt die Taschen, auf dass Euch geboten wird, was geboten zu werden erwünscht wird. Aber eins sage ich Euch:

Nicht mit mir! Tod der Unterhaltung - es siege die Idiotie!"

Berauscht von seiner eben gehaltenen feurigen Rede torkelt der Schriftsteller zur Bühenenmitte, richtet sein verschwitzt lächelndes Gesicht nochmals zum Pult, während er hastig in seinen Manteltaschen kramt. Eine Bewegung - mehrere Schüsse: wahllos. In den ersten fünf Sitzreihen sacken mehrere Personen verletzt zusammen, winden sich schmerzgekrümmt am Boden, oder verharren regungslos in den weich gepolsterten Stühlen. Beifall braust auf: "Bravo" ruft es aus den letzten vier Reihen, Ovationen und Applaus - das Toben der Menge lässt den letzten Schuss ungehört: der lautstarke Jubel des Publikums begleitet die Kugel durch die hirnige Masse des Künstlers.

 

Klingt so wie eine Geschichte, die ich früher mal geschrieben haben könnte.

So naiv und "extrem". Und effektheischend.

Der Text funktioniert. Aber er beschäftigt sich mit einem Thema, das ich zur Genüge durchgekaut habe. Auch die Weise ist mir, wie gesagt, bekannt.

Ich denke, was ich heute nicht mehr tun würde, ist diese Reduzierung auf eine extreme Position. Zu jugendlich stark erscheint mir Dein Engagement, eine Meinung zu präsentieren. Aber das ist Geschmackssache.

 

Jup.

Kenne deine früheren Geschichten leider nicht, kann aber die von Dir erwähnten Kritikpunkte nachvollziehen. Der Text ist in der Tat etwas effektheischend und extrem (zu effektheischend? - zu extrem?) - wobei die Meinung, die präsentiert wird nicht unbedingt mit der meinen ident ist; es ist eben eine Meinung, die sich leicht ad absurdum führen läßt.

ein silvestrischer gruß
linjus

 

Hi linjus,

ähh... ich brauch ein bisschen Hilfe hier, denke ich. Also, der Künstler bemängelt den Tod der Kunst, für den er das Publikum verantwortlich macht, weil das nur unterhalten werden will? Er erschießt ein paar Menschen und das Publikum jubelt. Stimmt das? Ok, das ist ziemlich zynisch. Was ich nicht verstehe

ich könnt weinen, ein idiotisches Weinen, weinen über unsere Idiotie.
und später sagt er
Tod der Unterhaltung - es siege die Idiotie!"
Wie passt das zusammen?

Und anfang befällt ihn Sprachlosigkeit, redet aber trotzdem wie ein Wasserfall.
Der Mann ist ein Scharlatan, finde seine Rede ja selbst ziemlich geil.

Ich finde die Geschichte ist gut geschrieben, sie lebt aber leider nur vom Schluss. Wenn der Typ nicht so ein Idiot wäre und wirklich was Substanzielles zu sagen hätte, hätte die Sache wirklich spannend werden können.

Aber eine Message ist rübergekommen: Das perverse, naive Publikum hält ein Mord für Kunst. Man kann manchen Leuten echt alles vormachen.

Liebe Grüße und frohes neues Jahr

Jan

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo linjus,

zuerst habe ich gedacht, dies ist wieder so ein Text in dem jemand mit Schlagworten irgendeinen Seelenzustand dem Leser vor die Füße wirft.
Als ich dann den Schluß gelesen hatte, wurde die Sache schlüssig, es gibt Künstler, die sich auch gern Intellektuelle nennen, die ähnliches darbieten. Sie sind ohne jede Selbsterkenntnis, indem sie sagen sie seien kein „Clown“ sind sie eigentlich einer. Das Publikum in seiner absurden Reaktion ist auch gut dargestellt, man wundert sich doch oft, zu welchen `Darbietungen´ „Bravo“ geschrien wird. Auch die Ignoranz dieser Menschen ist so groß, daß sie noch nicht einmal die Gefahr in der sie sich selbst befinden sehen.
Bei „lenkt sein ... Gesicht“ finde ich den Begriff „lenkt“ ungünstig.

Tschüß... Woltochinon

 

Also: erstmals DANKE für Euer Feedback. "lenkt" wurde in "richtet" umkorrigiert - klang tatsächlich etwas eigenartig an dieser Stelle.
@P.P.: Was den Idiotie-Widerspruch anbelangt: Du hast eigentlich recht; passt irgendwie nicht so recht zusammen. Meine Anschauungsweise ging beim Schreiben in folgende Richtung: "UNSERE Idiotie" - so in etwa weiß der Protagonist schon während seiner Rede den Ausgang der Handlung, der ganzen Geschichte, ist sich der Ironie seines Agierens durchaus bewußt - diese Idiotie ist Teil jedes Menschens (meiner Geschichte), sei es der Künstler selbst, sei es das Publikum, die ganze Geschichte ist geprägt von sich widersprechenden Aktionen: der Künstler redet gegen den Unterhaltungswahn des Publikums, das aber gerade dadurch aufs Beste unterhalten wird, das Publikum wird beschimpft und attackiert, beklatscht aber diese Handlung - all das verstehe ich unter Idiotie, und genau diese Idiotie ist es, die am Ende siegen wird.
Ich werd nochmals diese Passagen genau überdenken, vielleicht findet sich noch was Schlüssigeres.

Gruß

 

Unbeabsichtigte Tötung ist kein Mord sondern Totschlag.
Nein, fahrlässige Tötung (bzw. Körperverletzung mit Todesfolge, etc.).

Nur mal so nebenbei. ;)

 

Tja, mal DANKE für die ausführliche Kommentierung meines Textes - ist mir fast peinlich, dass ich soviele Fehlerchen überlesen habe (z.B.: Peronen, lezten, ...) - ist vielleicht ein Zeichen, dass die Geschichte in zu kurzer Zeit niedergeschrieben wurde. Hab jetzt jedenfalls mal die groben Rechtschreibfehler korrigiert.
Was den Inhalt des Künstlermonologes anbelangt: Du hast recht, der könnte noch eine kleine Aufhellung vertragen, eventuelle Widersprüche gehörten beseitigt - zu viele nichtssagende Phrasen stecken in dieser Rede. Allerdings weiß ich zur Zeit nicht, was wie wo geändert werden sollte - eines ist mir klar: Beherzigte ich Deine Kritikpunkte, so müßte die gesamte Rede nochmals neu formuliert werden. Dazu fehlt mir jedoch im Augenblick die Zeit, Motivation und der Wille (möchte aber in absehbarer Zeit - März? - den Text nochmals neu verfassen; mit besonderer Berücksichtigung deiner Kritikpunkte).

 

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