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Iris und Heiko
Iris setzte einen Fuß in seine Wohnung. Dann zog sie den anderen nach. Vor lauter Aufregung hatte sie so ein Gefühl im Bauch, als hätte sie ein Handy mit Vibrationsalarm verschluckt. Heiko war es gewesen, der ihr zu diesem Gefühl verholfen hatte. Er hatte bereits frischen Kaffee aufgebrüht, der in der Kanne geduldig darauf wartete, eingenommen zu werden. Auch Heiko, der zum Empfang bereit stand, war eingenommen, nämlich von Iris, die jetzt in seinem Flur versuchte, einen Perser zu überspringen, in dem Bestreben, ihn zu schonen. Sie versuchte immer, wenn sie zum ersten Mal irgendwo eintrat, die Dinge zu schonen.
Für Iris, einer Frau von Mitte Vierzig, war der Perser oder genauer der Läufer (oder die Brücke?), jedenfalls der langgestreckte Flurteppich, eine Aufgabe, der sie nicht gewachsen war und so landete sie im - von ihrem Absprungsort aus betrachtet - letzten Viertel des Fußbodenbelages. Die Wucht des Aufpralls ihrer hochhackigen Schuhe stanzte zwei hässliche Grübchen in das verwirrende Muster. Heiko, der sich erst verwunderte, nun aber begriff, welche Motivation seinen Besuch, also Iris, geritten hatte, diesen Sprung zu veranstalten, sagte:
"Iris, mach Dir keine Umstände, der Teppich ist gar nicht echt. Eigentlich wollte ich ihn schon wegschmeissen, aber dann hat mich das Muster so drollig angeschaut, und ich hab es mir noch mal überlegt - Kaffee?"
Iris entschuldigte sich trotzdem (für die Grübchen), nachdem sie sich berappelt hatte, und warf ihr strahlendes Antlitz in Heikos, wobei sie nickte. Heiko, der angesichts all dessen vorsichtshalber etwas ausgewichen war, geleitete sie in die Küche.
Auf dem Küchentisch stand die Kaffeekanne bereit.
"Er ist noch warm. Schön, dass du gekommen bist", sagte Heiko, der auch etwas aufgeregt war. Er schaute sie an, während sie sich an den Tisch setzte und dabei "Hach!" schnaubte. Ihr braunes Haar war schulterlang, sogar eine Wenigkeit länger, da es, auch wenn sie ihren Kopf gerade hielt, beide Schultern berührte. Ihre Nase beherrschte das ganze Gesicht wie ein geschliffener Felsklumpen, um diese herum waren die restlichen Sinnesorgane angeordnet, eingebettet in Hautflächen, die, wie Heiko fand, etwas zu sehr glänzten. Insgesamt suchte ihr Gesicht, wenn sie nicht gerade einen besonderen Ausdruck aufgepflanzt hatte, ein stilles "Achtung" zu flüstern, erfolglos aber, denn es brachte bloß das krumme Wiehern einer verendenden Stute zu Stande, das wie ein Echo in einem dumpfen Verlies erscholl, dieses beben machend, worin an Ketten die Liebe selber ihrem Ende entgegen nuschelte.
Iris nippte an ihrem Kaffee. "Toll, wie du es hier hast", sagte sie. "Danke, so etwas geht runter wie Öl", sagte Heiko und schaltete das Radio ein, "hörst du auch manchmal gern Radio? Ich ja."
"Klar", sagte Iris, "wer kommt daran schon vorbei, überall läuft es ja. Ich bin aber auch gern im Internet, ehrlich gesagt."
"Hab ich auch", sagte Heiko hastig, "drüben im Schlafzimmer. Bin aber selten drin." Hier zuckte Iris etwas zusammen, so, als hätte wieder jemand die Nummer ihres verschluckten Handys gewählt.
Iris und Heiko hatten sich vor einigen Tagen in einem Einkaufszentrum getroffen. Iris saß auf einer Bank, die kreisförmig eine mannshohe Palme umschloss. Heiko hatte sich zu ihr gesetzt mit einer Tüte voll günstiger Baumarktartikel.
Sie waren ins Gespräch gekommen, darüber, ob es sich um eine Pflanze aus Kunststoff oder aber eine natürliche handelte. Schließlich hatte Heiko einen Palmwedel angerissen, um sich zu vergewissern, und sofort war ein Sicherheitsmann herbeigeeilt. Heiko konnte ihn zwar beschwichtigen, doch um ein Haar hätte der schwarzgekleidete Mann unangenehme Vorgänge angestossen. Die Tragweite dieses Vorkommnisses reichte jedenfalls aus, dass man sich verabredete und Heiko lud sie also zu sich ein, "zum Kaffee". Die Palme war übrigens aus Plastik gewesen.
Nun saßen sie in der Küche und Heiko goss nach. Während er ihr dabei zusah, wie sie ihren zweiten Kaffee trank und dazu Dinge sprach wie "Eigentlich trinke ich eher selten mehr als eine Tasse", und: "Aber heute hab ich irgendwie Lust auf einen zweiten!", versuchte er sich Iris nackt vorzustellen, wie sie über einen Perserteppich spränge, auf welchem er rücklings ausgestreckt und ebenfalls unbekleidet läge.
Das Radio redete in all dies hinein, redete und redete, denn Heiko hörte ausschliesslich einen Nachrichtenkanal, der nur im Notfall (etwa zur Überbrückung von Reporterpannen) etwas Musik erbot. Gerade lief ein Bericht über einen verstorbenen Schriftsteller aus Burma, der es "wie kein anderer geschafft hat, die burmesische Kultur mit der Neuzeit greller Plastikschüsseln und rasselnder Smartphones zu vermählen."
"Ich glaube, ich muss jetzt wieder", sagte Iris und richtete sich auf, wobei sie gegen den Tisch stieß und die leere Kaffeekanne aus dem Gleichgewicht brachte. Heiko war aber vor dem Fall: "Upps!"
"Vielleicht treffen wir uns mal bei dir, Iris?", fragte er, als er sie über den Perserteppich zur Tür trug, und dann hinaus ins Treppenhaus, weiter die Treppen hinunter, durch die Haupttür hinaus, über die gemähte Rasenfläche im Schatten des 3-stöckigen Wohnblocks, quer über die verkehrsberuhigte Straße, zu den verschiedenfarbigen Wertstoffcontainern.
Dort legte er sie ab, und sie sagte: "Ja, vielleicht."