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Irgendwo an einer alten Landstraße
Irgendwo an einer alten Landstraße
„Ein schöner Tag… Ein wirklich schöner Tag.“
Albotto beugte sich über den Pflasterweg hinüber zu seinem Freund.
„Hey! Ich sagte: EIN WIRKLICH SCHÖNER TAG!“
„Ich weiß was du gesagt hast!“, kam es schrill von der anderen Seite.
„Ist ja gut! Kein Grund gleich die Blätter hängen zulassen. Warum du am Morgen immer so verharzt bist, kann ich wirklich nicht nachvollziehen.“
„Vielleicht weil es Bäume gibt, die ihre Ruhe genießen und nicht ständig durch dein albernes Gequake geweckt werden wollen!“, erwiderte Altrotto.
Albotto aber kümmerte das nicht sonderlich und begann sogleich mit seinen morgendlichen Strech- und Wachwerdübung.
Acho Ach
Jetzt bin ich wach
Werd tanzen, singen und auch schreien
Nur stille werd ich nimmer sein
Ich streck den Ast nach rechts und links
Und schüttele alle Blätter
Mir gefällt das Leben so wie es ist
Gesegnet sei das Wetter
…
„Wenn du das noch öfters machst, hast du bald keine Blätter mehr!“, unterbrach in Altrotto genervt.
„Also ein bisschen Workout täte deiner Rinde auch mal gut!“, entgegnete Albotto.
„Ach was! Das hast du doch nur von den Menschen. Bäume tanzen und singen nicht und machen auch nicht irgendwelche Faxen am Morgen.“
„Tja dann bist du wohl nicht auf dem Laufenden. Das Aussehen spielt heutzutage eine große Rolle und dafür muss man halt was tun. Und wenn du ehrlich bist… Meine Äpfel schmecken viel besser als deine!“
„Woher willst du das denn wissen?! Du hast doch noch nie einen Apfel gegessen.“
„Ja und?… Kein Mensch kann meinen Äpfeln widerstehen.“
„Na klar…“
„Doch, doch, du wirst schon sehen!“
Kurze Zeit später lief ein kleines Mädchen die Straße entlang. Sie trug eine schwere Tasche und war auf dem Weg zur Schule.
„Das ist Annabelle, aus dem Nachbardorf. Sie hat bestimmt verschlafen“, flüsterte Albotto.
„Nein sieh nur. Sie weint!“
Das kleine Mädchen setzte sich an den Wegesrand und dicke Tränen rollten über ihre zarten Wangen.
„Was ist mit dir“, fragte Altrotto so warmherzig wie möglich.
„Ach“, seufzte Annabelle, „Mir ist nicht gut.“
„Nimm dir einen Apfel von mir! Die schmecken wunderbar und du wirst sehen, danach geht es dir blendend!“
Albotto streckte dem kleinen Mädchen einen Ast entgegen, an dem viele Äpfel hingen.
„Mensch lass sie doch erstmal in Frieden“, grölte Altrotto und stupste Albotto beiseite.
„Warum ist dir denn nicht gut?“
„Mein Opa ist schwer krank. Er zittert immer so mit den Händen und der Arzt sagt, dass er vielleicht bald ... stirbt.“
Annabelle fing plötzlich fürchterlich an zu schluchzen.
„Ach du meine Güte“, seufzte Albotto mitfühlend, „Na da würde es mir auch nicht gut gehen.“
„Sei still“, ermahnte Altrotto, der das kleine Mädchen auf den Ast nahm und mit seinem Gestrüpp eine kleine Lehne formte.
„Ich glaub ich muss dir mal was erzählen:
Vor vielen vielen Jahren stand dort, hinter dem Hügel eine alte Eiche. Sie war sehr, sehr Weise. Darum fragte ich Sie eines Tages:
Du Eiche? Was passiert eigentlich, wenn wir sterben?
Und sie antwortete darauf: Nun mein Junge. Wir zerbröckeln und werden zu Staub.
Da wurde ich ganz traurig, so wie du und sagte zu der alten Eiche: Aber ich will nicht zu Staub werden.
Und sie sprach darauf: Nun, Staub ist aber etwas ganz Besonderes. Unsere ganze Erde besteht aus Staub. Jedes Lebewesen ist aus Staub und wenn du einen tiefen Atemzug nimmst, saugst du viele kleine Staubkörnchen in dich hinein. Ja, selbst du bist aus Staub!
Also wenn ich sterbe, bin ich dann überall?
So könnte man das sagen, mein Kleiner.
Nichts verschwindet einfach so. Alles bleibt wie es ist. Nur das Aussehen ändert sich ein wenig.
Daraufhin lächelte mich die Eiche an und plötzlich hatte ich keine Angst mehr vor dem Tod.“
Altrotto senkte den Ast und setzte das kleine Mädchen wieder am Wegesrand ab.
„Ich denke, bei euch Menschen ist das wohl genauso.“
Annabelle schnaubte kräftig in ihr Taschentuch und fragte mit wackliger Stimme: „Wenn man Staub ist, kann man dann auch durch die Lüfte fliegen, wie ein Vogel?“
„Natürlich!“, antwortete Altrotto.
„Das ist gut. Mein Opa, der war Flugzeugflieger. Und… Ich glaub ihm wird gefallen, das zu hören.“
„Das glaub ich auch.“
Annabelle nahm ihren schweren Ranzen wieder auf den Rücken und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Ich danke euch.“
„Nichts zu Danken. Bestell deinen Opa einen schönen Gruß von uns!“
„Werd ich machen.“
„Und jetzt mach dich vom Acker, sonst kommst du noch zu spät zur Schule!“
Altrotto streichelte sie sanft mit einem Blatt und Annabelle lächelte verlegen. Sie gab den beiden Bäumen noch ein Abschiedskuss und lief dann schnurstracks davon. Albotto und Altrotto schauten schweigsam dem kleinen Mädchen hinterher und raschelten zum Abschied mit all ihren Blättern.
„Mir hast du nie so eine schöne Geschichte erzählt.“
„Du wolltest nie Eine hören.“
„Quatsch, ich wusste ja nicht, dass du so ein guter Geschichtenerzähler bist.“
„Ja, der bin ich wohl.“
„…“
„Also… So gut warst du nun auch wieder nicht!“
Altrotto konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
“Sag mal Albotto - was ist eigentlich mit deinen wunderbaren Äpfeln los? Es scheint, als gibt es da einen Menschen, der nicht auf deine Äpfel steht.“
„Papalapap, das kleine Mädchen zählt nicht. Die war viel zu traurig, um ein Apfel zu essen!“
„Vielleicht hast du Recht“, fügte Altrotto nach einer Weile hinzu.