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Irgendwelche Fragen?

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02.11.2001
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Irgendwelche Fragen?

Wir sehen dort den See, umsäumt von Fichtenwäldern, in deren Tiefe das Wild rumort, jetzt in der Dämmerung einer davonlaufenden Nacht.
Stellen wir uns auch den Fischreichtum in diesem Gewässer vor, die Mannigfaltigkeit des schuppigen Lebens, das darin zappelt und frisst und sich vermehrt. Hohes Schilf steht an den Ufern, verdeckt die ansteigende Böschung, in der Sandkaninchen ihren Bau betreiben und mit jeder neu geschaffenen Generation wieder Nahrung abgeben für die hoch darüber lauernden Raubvögel. Bussarde, Habichte, manchmal auch Adler, die sich früh am Morgen aus den Steilhängen der nahen Berge herabstürzen auf diesen See, an ihren Futtertrog.
Frösche blähen ihre Mäuler, sitzen grünen Smaragden gleich auf ihren schwimmenden Flößen, den Seerosenblättern, ahnen dabei ihr Vergängnis, atmen trotzdem dem Tag entgegen.
Wir sehen dieses miteinander Verwobene, diese Einheit von Grün und Blau und Braun, diese Einigkeit, diese Vielstimmigkeit bis in die Wipfel der höchsten Bäume. Wie Wächter umstellen die den See mitsamt seinem Inhalt.

Alles liegt klar vor uns.
Das Gedeihen in dieser Landschaft ist Vorgabe.
Nichts fehlt dem und alles scheint ruhig.

Dann sehen wir ein paar andere Spuren in dieser doch schon berührten Welt.
Da sind zum einen diese Abfallkörbe entlang des Seeufers, das auch Seepromenade genannt werden will, zu bemerken, die sich wie die zur Parade abgestellten Zinssoldaten ausmachen. Aus Kunststoff, also wetterfest, sind die und mit ihrem überquellenden Inhalt lustig anzuschauen. Die stehen dort bei Regen und Sturm und geben auch dann was her für die Landschaft, wenn niemand in ihr spazieren geht. Und wie der Wind mit dem allen darin Gestapelten spielt und alles schön ins Grün rundum verteilt und es schwimmen lässt am See.
Auch in die Markisen über der Sonnenterrasse des Uferhotels fährt der Wind und lässt diese knattern. Ganz verschreckt sitzen dort Menschen darunter, beim Kaffee, und halten ihre Hüte fest.

Was die dort machen?

Die Freizeit verbringen sie hier, also ihre freie Lebenszeit, und benützen zwischendurch die hoteleigene Toilettenanlage. Wir merken, dass auch hier so mitten in der Natur der Mensch einer Hygiene bedarf. Bis hinein in den See sogar. Das bisschen weißer Schaum, der sich wie Watte um die Halme des Schilfs legt, tut nichts zur Sache. Damit können auch die Frösche gut und Chemie im eigenen Horst hat noch keinem Adler geschadet.
In ihrer freien Lebenszeit machen die Menschen den See laut und wir können das Stampfen der Außenbordmotore der wilden, schnittigen Boote spüren, wenn wir, eingecremt mit Nussöl, auf unseren grellroten Luftmatratzen mitten auf dem See treiben und derweil die vielen teuren Autos am Parkplatz vor dem Hotel in der Sonne glitzern. Dann schalten wir den Walkman an und wieder das Hirn ab und genießen den Geruch der unterschiedlichsten Sonnenschutzfaktoren, die aber auch auf der Oberfläche des Sees treiben und den Fischen darunter ölige Aussichten bescheren.

Abends, vor dem großen Aufbruch in die fernen Städte, füttern wir noch schnell die mitgebrachte Brut. Mit Eis und Schokolade, mit all dem schön Verpackten eben. Die Abfallkörbe haben noch freie Ressourcen, ja, und die machen wir auch noch voll, drücken wir auch noch platt. Danach geht's aber los, müde von der Sonne und jeder so schnell wie er kann. Da wird der Parkplatz viel zu klein für soviel gemeinsamen Aufbruch und die ganze innere Ruhe, mühsam gesammelt während des Tages, ist weg. Aber das Fernsehen wartet und der Wind macht jetzt schon alles kühl und die Enten am Steg sind auch schon überfüttert.
Also weg und ab in den bekannten Stau und nichts vergessen.
Das Zurückgebliebene reicht dem See und dem Fichtenwald rundum. Die Aufarbeitung dessen wird Tage dauern, das Aufbereiten für das nächste Wochenende. Ermattet liegt die Postkartenlandschaft um den See und hüllt sich in Schweigen, flüchtet sich in die Nacht, in den nächsten Wochentag.
Ein Sonntag im Garten Eden.
Irgendwelche Fragen?

 

Hi Aqualung,

der erste Teil Deiner Geschichte, in der die unberührte Natur des Sees beschrieben wird, hat mir sehr gut gefallen. Alles schön literarisch umschrieben, der See wird einem vor dem geistigen Auge lebendig. Das gilt im Großen und ganzen auch noch für den Teil, in dem man schon erkennen kann dass schon Menschen ihren Einzug gehalten haben.

Aber im dritten und letzten Teil wird's teilweise etwas komisch, z.B. "...Chemie im eigenen Horst hat noch keinem Adler geschadet." Das soll wohl ironisch wirken, aber das ist ein Satz den heutzutage kein Mensch mehr ernstgemeint aussprechen wird, und das nimmt ihm ziemlich die Schärfe. Sehr gut dagegen gefallen mir die "öligen Aussichten".

Insgesamt gesehen find ich den Inhalt Deiner Geschichte treffend, nur die Schlussfrage versteh ich nicht so ganz. Soll das die "Gehirn-aus-Spasshaben-Natur-kaputtmachen"-Mentalität verdeutlichen? Das würde ich vielleicht anders ausdrücken.

Insgesamt aber nicht schlecht, Herr Specht.

 

"Das Gedeihen in dieser landschaft ist Vorgabe" , der Satz ist super, genau wie:"...die ganze innere Ruhe, mühsam gesammelt..."
Mit verlaub,wenn ich weiterhin anmerken darf, würze mit Adjektiven spärlicher, aber laß sie nicht ganz weg******
Merlinwolf

 

Vergiß das mit den Adjektiven, habe den Tag im März gelesen, da hör ich auch Benn raus, bloß moderner, SUPER!!!!!!!!

[ 07.08.2002, 20:46: Beitrag editiert von: Hendek ]

 

Hi Aqualung,

habe nach deinem Text keine Fragen. Deine Ausführungen sind deutlich genug, satirisch. Die Frage zum Schluß / im Titel soll provozieren, so empfinde ich es. Soll anregen zu Denken an einer Stelle, an der das Denken schon längst eingesetzt hat - daher für mich eher überflüssig. Die Wirkung wäre m.E. ohne die Frage zum Schluß eindringlicher.
Trotzdem: gefällt mir sehr gut.

Gruß vom querkopp

 

Dank an euch dreien.
Chemie im eigenen Horst und ölige Aussichten sind von mir ernstgemeinte Lustigkeiten, verbittert geschrieben. Ich liebe die Natur und davon haben wir nicht mehr allzu viel. Auch in einer Postkartenlandschaft treibt sich der Mensch herum, das ist das Erschütternde. Was bleibt, ist Denken und danach handeln.
Gruß - Aqualung

 

Hallo Aqualung,
"Dann schalten wir den Walkman an und wieder das Hirn ab und genießen den Geruch der unterschiedlichsten Sonnenschutzfaktoren, die aber auch auf der Oberfläche des Sees treiben und den Fischen darunter ölige Aussichten bescheren."
Das ist mal wieder ein ziemlich starker Satz und ich habe beim Lesen deiner Geschichte an Elfriede Jelinek (Die Kinder der Toten) gedacht.
Grüße von Emma

 

Hi Emma,

Elfriede Jelinek hat in dem für sie typischen Stil das Buch "Die Liebhaberinnen" geschrieben. Die Texte darin strotzen nur so vor Zynismus. Ich wollte eben einen dem ähnlichen in die Story verpacken. Scheint gelungen zu sein. "Die Kinder der Toten" muss ich unbedingt noch lesen.
Liebe Grüße - Aqualung

 

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