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Irgendwann sind alle Häfen fern
Langsam wird es kälter. Ich spüre schon die kühlen Ausläufer der eisigen Nordwinde auf meiner Haut. Auch die See wird ungemütlich, fast sehne ich mich nach einem Hafen. Doch liegen die fern ab. Erst vor ein paar Wochen habe ich das letzte Mal einen Hafen gesehen. Aber das war vor ein paar Wochen. Ich frage mich, ob es hier noch Häfen gibt und hoffe immer noch auf drehende Winde.
Die Erinnerung an dich ist noch so nah bei meinem Herzen und hält mich an manchem kalten Sturmtag warm. So warm wie es eben nur geht.
Erinnerst du dich noch an den Tag unserer Abfahrt, als wir den ruhigen Heimathafen verließen und das erste Mal der aufgewühlten See begegneten. Wie sie uns innerlich berührte und verwirrte? Wir kämpften mit den Segeln, bis wir irgendwann verstanden sie richtig zu nutzen. Erinnerst du dich?
Denkst du manchmal noch an den ersten Morgen auf See? Es war ein wenig ruhiger geworden, doch unsere Glieder waren müde von der stürmischen Nacht. Die Planken knarrten leise und ein entferntes Rauschen begleitete unser Schweigen. Wir standen an der Reling. Weißt du noch?
Als der Tag begann und der blasse Silberstreif am Horizont uns neue Kraft und Hoffnung gab. Ich glaube es war die Liebe.
Ich sehe ihn noch immer. Manchmal, wenn der Himmel klar und die Luft frisch durch meine Poren dringt. In diesen Momenten denke ich an dich. An dich und den Tag unseres Abschieds.
Nie wieder habe ich den Silberstreif so klar und hell gesehen. Er überspannte den gesamten Himmel und ich konnte ihn doch nicht richtig erfassen. Oder habe ich das nur geträumt? Hast du ihn auch so gesehen? Ich habe dich nie gefragt.
So vieles habe ich dich nicht gefragt. Vielleicht hätte ich fragen sollen; vielleicht.
Das Boot fährt noch immer. Aber warum wundert es mich. Wir haben es zusammen gebaut und wir haben es gut gebaut. Erinnerst du dich noch?
Der Duft des Holzes, die feine Maserung unter meinen Fingerkuppen. Ich spüre es noch wie an jenem Tag, in jenen Tagen. Es war wunderschön die makellosen Planken zusammenzufügen. Etwas großes wachsen zu lassen, aus meinen, aus deinen, aus unseren Händen.
Ich verstehe langsam was du meintest, als du drauf bestanden hast auch die Planken zu verbauen, an denen ich kleine Fehler gefunden hatte. Ich mag das Boot genauso wie es ist, doch ich entdecke nichts mehr neues an ihm.
Als du noch mit mir das Ruder gehalten, die Segel aufgezogen und den Wellen getrotzt hast, entdeckten wir an jedem Tag etwas neues an unserem Boot. Es faszinierte mich, wie ich etwas, dass ich selber gebaut hatte, doch noch so wenig kannte. Als ich den ruhigen Hafen verließ und du am Kai stehenbliebst habe ich aufgehört zu suchen. Jetzt blicke ich mich wieder um und kann doch nichts finden. War das etwa schon alles?
In manchen Momenten sehne ich mich nach dem ruhigen Wasser. Auch eine schwache Briese, bei der man das Meersalz so klar und intensiv schmeckt, dass es einen fast um den Verstand bringt, vermisse ich dann. Weißt du noch wie sich das anfühlt, wie es schmeckt?
Ich erinnere mich noch heute, wie du den Kopf in das Hauchen des Windes hieltest. Wie der Wind deine Haut liebkoste und sacht mit deinem Haar spielte. Du hast dann immer mit den Augen geblinzelt und der Sonne um die Wette gelacht. Ja, ich denke noch daran.
Ich bin durch viel Häfen gekommen in den letzten Jahren, in manchen habe ich sogar kurz verweilt. Doch immer packte mich die Unruhe. Ich hörte wie die Freiheit rief und die Weite des Meeres flehend nach mir schrie. Es waren schöne Häfen auf schönen Inseln. Doch es war ruhig.
Ich erinnere mich noch an den Hafen in dem wir uns trennten. Du bist von Bord gegangen, wolltest bleiben. Weißt du noch? Du hast mich angefleht mit dir an Land zu kommen, es zu versuchen. Ich habe in deine Augen gesehen und wollte weinen. Ich habe es nicht getan. Nicht gekonnt, vielleicht nicht gewollt.
Nachdem ich die Leinen losgemacht hatte, hat der Ozean deine Tränen verschluckt. Jetzt nimmt er meine in sich auf. Manchmal, wenn es regnet denke ich, dass auch der Himmel weint. Und in letzter Zeit regnet es oft.
Ich bleibe jetzt immer länger und öfter unter Deck, gehe seltenen hinauf. Es wird einfach zu kalt und so lasse ich auch die Segel im Rumpf. Ich hoffe noch immer, dass der Wind irgendwann dreht, dann komme ich zurück. Manchmal gehe ich noch hinauf um nachzusehen wie der Wind steht, doch ich habe Angst es schon verpasst zu haben. Habe ich es versäumt?
Ich habe Angst, aber eigentlich hatte ich die schon immer.
Erinnerst du dich noch an das Boot, an die Häfen und den Silberstreif?
Denkst du manchmal noch an mich?
Einen Augenblick lang schloss sie die Augen. Fühlte das Papier zwischen ihren Fingern und das gurgelnde Meerwasser zwischen ihren Zehen. Der feine Sand liebkoste ihre Füße.
Dann öffnete sie ihre Augen wieder. Unbeschreiblich hell leuchtete der glühende Ball der Sonne, als er über dem Horizont stand.
„Mama, kommst du rein, es gibt Essen? Papa wartet schon.“
Sie wurde aus ihrer Starre gerissen. Sie blickte noch einmal zum Horizont und faltete vorsichtig das Blatt Papier.
„Ja, ich denke noch an dich“, hauchte sie in die warme Abendluft als sie sich umdrehte und zum Haus zurückging.