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Investment for the fittest
Der Wagen bog in die kleine Seitenstraße und hielt dann im Schatten einiger Bäume. Die gelben, roten und braunen Blätter lagen wie ein bunter Flickenteppich auf der feuchten Straße und dem Bürgersteig. Einige zaghafte Sonnenstrahlen warfen hie und da noch vereinzelt Lichtstreifen zwischen die Bäume. Die kleine Gasse war ruhig und fast menschenleer. In den Häusern gingen Lichter an und Vorhänge wurden zugezogen. Rauch stieg aus Kaminen und Schornsteinen auf und ein leichter Wind trieb Blätter vor sich her. Das Bild einer herbstliche Abendidylle.
Die beiden Männern in dem Auto hatten keinen Sinn für romantische Landschaften. Der Beifahrer, ein breitschultriger Mann mit harten Gesichtszügen und kurz geschorenen Haaren, zog ein Notizbuch aus der Innentasche seiner schwarzen Lederjacke. Der andere, der hinter dem Steuer saß, war schmächtiger als sein Begleiter. Bei ihm zeigten sich tiefe Geheimratsecken und schütter werdendes Haar. Er stellte den Motor ab und zündete sich eine Zigarette an, während der Beifahrer in dem Notizbuch blätterte und ab und zu etwas hineinkritzelte. Schließlich klappte er das Heftchen zu und steckte es zurück in seine Jacke.
Der Fahrer rauchte und beobachtete die Straße.
„Der hier noch, dann is’ Schicht für heute. Ich krieg Kohldampf.“ Der Beifahrer nickte.
Nach einem letzten Zug stiegen beide Männer aus dem Wagen und schlenderten ein Stück die Straße entlang, bis sie vor ein Schaufenster kamen, das sich im Erdgeschoss eines alten Backsteinhauses befand. Die verschnörkelte Schrift verkündete, dass in dem Laden „Antiquitäten, Kuriositäten und Kolonialwaren“ zu finden waren. Die Auslage hinter dem Schaufenster war ein Sammelsurium aus böse dreinblickenden Figuren, Schnitzereien, Schmuck, Taschenuhren, Dolchen und Duellpistolen, die an ledergebundene Bücher lehnten.
Der Fahrer betrachtete interessiert die vielen Dinge, während sein Begleiter bereits das Geschäft betrat. Als die Tür aufging, ertönte das leise Klingeln einer Glocke. Irgendwie hatte der Fahrer mit so etwas gerechnet. Es passte zu dem Bild, das der ganze Laden auf ihn machte. Er wäre beinahe enttäuscht gewesen, wenn so ein Gebimmel gefehlt hätte.
Ein untersetzter, gemütlich wirkender Mann unbestimmten Alters sah von seinem Platz hinter einem Schreibtisch auf und lächelte die beiden verbindlich an.
Auch nur so ein Verkäufertyp, wie in jedem anderen Schuppen, dachte der Fahrer geringschätzig, während sein Blick durch den vollgestopften Laden und die mit Bildern fast völlig zugehängten Wände schweifte. Der Notizbuchträger ging zielstrebig auf den Verkäufer zu. Die drei Männer waren die einzigen Personen im Laden. Das traf sich gut.
„Guten Abend, meine Herren. Kann ich Ihnen behilflich sein oder wollen Sie sich erst einmal in Ruhe umsehen?“, fragte der Verkäufer höflich. Sein Stimme hörte sich merkwürdig glatt, irgendwie seidig an. Seine Augen waren im schummerigen Halbdunkel des Ladens kaum zu erkennen, aber der Fahrer konnte spüren, wie der Verkäufer sie musterte.
Jetzt kam sein Part. Der Beifahrer war nur wegen des Effekts dabei. Meistens jedenfalls.
„N’abend. Eigentlich sind wir hier, um Ihnen behilflich zu sein.“
„Sie möchten etwas verkaufen?“ Der Verkäufer lächelte die beiden Besucher freundlich an.
„Genau erfasst. Wir verkaufen etwas, das Sie gut brauchen können - Sicherheit.“
Der Blick des Verkäufers wanderte von einem zum anderen.
„Ich fürchte, ich verstehe nicht richtig.“
„Kein Problem, gleich verstehen Sie perfekt. Sie haben Ihren schönen Laden vor drei Wochen aufgemacht. Wetten, dass Sie bis jetzt noch gar nicht gemerkt haben, was für ein heißes Pflaster diese Gegend ist? Vorher war hier ne Bäckerei mit so ’nem Cafe drin. Die musste leider auch zumachen, weil der Besitzer nicht in seine Sicherheit investieren wollte.“ Der Fahrer grinste und warf einen kurzen Seitenblick zu seinem Begleiter. Dieser starrte dem Verkäufer unbewegt ins Gesicht. Auch das reichte meistens schon.
„Jetzt verstehen Sie, nicht wahr?“
Er wappnete sich innerlich gegen den Zwergenaufstand, der jetzt unvermeidlich losbrechen würde. Polizei, Erpressung, Mafiamethoden....BlaBlaBla.
Auch das, was dann passieren würde, kannte er zur Genüge. Sie würden unter Flüchen und Drohungen rausgeworfen, bedauernd die Achseln zucken und verschwinden. Und nach einem Monat oder so würde der Idiot mit zertrümmerten Fensterscheiben in seinem Laden und aufgeschlitzten Reifen an seiner Karre aufwachen.
Meistens wurden diese Schwachköpfe dann vernünftiger. Sie mussten sehr selten ein zweites Mal kommen. Bei dem hartnäckigen Trottel mit seiner Bäckerei, da war’s tatsächlich ausnahmsweise mal nötig gewesen.
Was soll’s, die Quittung für seinen Starrsinn hatte er bekommen – und der Laden einen neuen Mieter.
Der Verkäufer hörte dem Fahrer geduldig zu und tat dann etwas, womit dieser nicht gerechnet hatte. Er stieß ein leises Lachen aus und sah seine beiden Besucher immer noch freundlich an.
„Ah ja, jetzt verstehe ich. Nun, ich bin ein großer Freund von Sicherheit. Es würde sie überraschen, wie viel mir an meiner Sicherheit liegt. Vielen Dank für Ihr Angebot, meine Herren, aber ich habe nicht das geringste Interesse.“
Einen kurzen Moment lang war der Fahrer irritiert. Stand der alte Sack vielleicht schon unter Schutz? Nein, das war abwegig. Dieser Teil der Stadt war absolut unangefochten ihr Territorium. Niemand spuckte ihnen hier in die Suppe.
Der kurzhaarige Muskelprotz schien zu demselben Schluss gekommen zu sein, denn er stieß ein Knurren aus, das eine gleichmäßige Mischung aus Verachtung, Belustigung und Unwillen ausdrückte. Auch der Fahrer seufzte nun theatralisch und wandte sich zum Gehen.
„Ganz wie Sie meinen. Falls Sie es sich anders überlegen, wir werden unter Garantie mal wiederkommen. Schönen Abend dann.“
Sie hatten den Ausgang erreicht und der Fahrer wartete unbewusst auf das Klingeln der Glocke, mit der sich die Tür öffnen würde.
Das Klingeln kam nicht.
Der Beifahrer rüttelte ein-, zweimal an der Klinke und schüttelte dann den Kopf. Der Fahrer drehte sich zum Verkäufer um. Dieser saß nach wie vor an seinem Schreibtisch und grinste vergnügt vor sich hin.
„Ja ja, sehr witzig, du Spaßvogel. Was haben wir alle gelacht! Mach jetzt die Tür auf, bevor ich wütend werde.“ Der Verkäufer reagierte nicht, er blinzelte nicht einmal.
„Sag mal, bist du taub oder einfach nur bescheuert? Öffne die scheiß Tür!“ Der Fahrer ließ die Hand unter seinen Mantel gleiten. Eine Geste, wie man sie aus jedem Krimi kannte. Und trotzdem immer wieder unheimlich überzeugend. Nur nicht bei diesem Verrückten.
„Letzte Warnung, Arschloch!“ Der Fahrer tippte seinen Begleiter an.
Dieser ging auf den Verkäufer zu und ließ seine Knöchel knacken. Auch seine Geduld war nun am Ende. Und das würde den Verkäufer jetzt nicht nur seine Tageseinnahmen kosten, sondern als Bonus noch ein blaues Auge und ein paar geprellte Rippen. Wenn er Glück hatte.
Der Muskelprotz ging um den Schreibtisch herum und riss den Verkäufer grob aus seinem Stuhl. Dann holte er aus und schlug ihm die Faust in den Magen.
Das hatte er zumindest vor gehabt.
Der Verkäufer fing mit seiner Hand die Faust so lässig in der Luft ab, als würde er eine Zeitung im Flug schnappen. Im nächsten Moment schnalzte ein lautes Knacken durch den Raum, das der Fahrer noch von der Tür aus hörte. Mit einem schrillen Schrei ging der Beifahrer zu Boden und hielt sich den Arm, von dem der Unterarm in einem Winkel von beinahe 90 Grad abstand.
Der Fahrer fluchte laut und zog eine Pistole unter dem Mantel hervor.
„Du willst Spielchen spielen, du Scheißer? Kannst du haben!“ Er stürmte auf den Verkäufer zu. Nun käme er nicht mehr mit einer Tracht Prügel davon. Jetzt würde er ihm die Birne wegpusten. Niemand tanzte auf seiner Nase herum - niemand!
Er war noch etwa fünf Meter von dem Verkäufer entfernt, als dieser ihn wie ein Tiger aus dem Stand heraus ansprang und ihm mit einem Ruck die Waffe aus der Hand riss. Der Fahrer war im ersten Moment viel zu überrascht, um Angst zu haben. Das war unmöglich! So einen Sprung schaffte vielleicht irgend ein Comicheld, aber nicht so ein mickriges kleines Würstchen von Kramladenverkäufer. Dann sah er die Hand des Verkäufers auf sein Gesicht zufliegen und die Welt explodierte in einer Wolke aus Schmerz und Dunkelheit.
Die tiefe, schmerzhafte Finsternis wurde von einem Geräusch durchbrochen. Noch leise und weit weg, aber beständig und störend. Wie eine rostige, quietschende Tür. Das Geräusch wurde lauter und langsam kämpfte er zurück aus der Bewusstlosigkeit.
Der Fahrer hing mit über seinem Kopf gefesselten Händen an einem dicken Metallhaken. Die Augen taten ihm weh und sein Blick war tränig und verschleiert. Erneut hörte er das Geräusch, das ihn geweckt hatte. Sein Kollege, der Beifahrer, hing benommen neben ihm und stieß wimmernde, dumpfe Schmerzenslaute aus. Im Gegensatz zum Fahrer war er jedoch geknebelt. Sein gebrochener Arm sah in der gefesselten Position grotesk aus.
Der Fahrer zerrte ein paar Mal halbherzig an seinen Stricken und gab es dann auf. Offenbar befand er sich in einem Keller, denn es gab, soweit er das sehen konnte, keine Fenster in dem Raum und eine enge Holztreppe führte an einer Wand entlang nach oben. Eine nackte Glühbirne verbreitete grelles, kaltes Licht.
Irgendwann hörte der Fahrer Schritte, die die Kellertreppe herunter kamen. Der Verkäufer betrat den Raum und blieb vor den beiden gefesselten Männern stehen. Sein Gesicht trug immer noch dieses dämliche Grinsen. Der Fahrer räusperte sich, um seine trockene Kehle zu befeuchten und versuchte, seine Stimme so bedrohlich wie möglich klingen zu lassen. Was nicht besonders bedrohlich war.
„Was wird das jetzt, du Penner? Du weißt hoffentlich, dass du bis zum Hals in der Scheiße steckst! Ich hab jede Menge Freunde. Wenn du uns also nicht sofort laufen lässt, werden die dir einen kleinen Besuch abstatten. Na, was sagst du dazu, Arschloch?“
„Ich sage dazu, dass mich das sehr freut, denn es erspart mir eine Menge Mühe.“ Der Verkäufer kam langsam näher auf den Fahrer zu. „Wenn Sie wüssten, wie schwierig das in den letzten Jahren geworden ist. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich viel Wert auf meine Sicherheit lege. Früher war alles viel einfacher. Aber heutzutage...“. Er ließ den Satz offen und zuckte statt dessen bedeutungsvoll die Achseln.
„Es tut mir leid, dass ich Ihren Freund knebeln musste, aber sein Geschrei hat mich doch sehr gestört. Und ich habe ein empfindliches Gehör.“
„Verdammt, was willst du von uns? Kohle?“
Der Verkäufer lachte. Irgendetwas schien ihn sehr zu belustigen.
„Seien Sie versichert, „Kohle“ habe ich mehr als genug. Erstaunlich, wie viel so zusammen gekommen ist im Laufe der Jahre.“ Er schüttelte seinen Kopf. „Was ich will, sind Sie und ihr Freund hier. Und Ihre anderen Freunde ebenfalls, falls diese wirklich kommen sollten. Normalerweise muss ich immer mühsam und lange suchen. Obdachlose, junge Ausreißer oder Drogensüchtige. Aber das hier ist ein echter Glücksgriff. Ich bin mir sicher, Sie und Ihre Freunde wird bestimmt niemand vermissen.“
Der Verkäufer näherte sich dem Fahrer, bis er nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Und dann geschah es. Der Verkäufer begann zu wachsen. Er wurde immer größer, bis der Fahrer seinen Kopf schmerzhaft verdrehen musste, um zu ihm aufzusehen. Der Verkäufer öffnete seinen Mund und seine Zähne verwandelten sich in spitze, lange Hauer. Die Kieferknochen und der Mund zogen sich an den Mundwinkeln wie bei einem Halloweenkürbis immer weiter auseinander. Sein Gebiss sah aus, als hätte man dem Verkäufer ein Haifischmaul ins Gesicht gestopft.
Der Fahrer stieß einen unartikulierten Schrei aus und spürte, wie eine warme Flüssigkeit seine Hosenbeine herab lief.
„Das ist unmöglich! Du bist ein scheiß Vampir oder so was! Vampire können doch nur nachts leben, hörst du?! Das...das sieht man in jedem Film! Wir waren am Tag bei dir! Das gibt’s nicht! Dich gibt’s nicht!“
Der Verkäufer schüttelte mitleidig seinen mittlerweile monströs angewachsenen Kopf. Eine lange Reptilienzunge schlängelte sich in dem Raubtiermaul hungrig hin und her.
„Du Kretin hast zu viele schlechte Filme gesehen“, gurgelte seine kaum noch zu verstehende Stimme. „Wieso denkt eigentlich jeder, Sonnenlicht, Kreuze und Weihwasser würden uns töten? Du hast von Vampiren genauso wenig Ahnung wie von Mafiagangstern, du jämmerliches Nichts. Nur eine Sache stimmt tatsächlich – wir ernähren uns von Blut!“ Der Fahrer schrie hysterisch, wand sich und zappelte wild an seinem Haken.
Das Maul des Verkäufers zuckte vor.