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Interview mit einem Vampirjäger
Hallo?
Wer sind Sie?
Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr? Sie wissen, was ich bin.
Sie wollen etwas über Vampire wissen? Ich glaube nicht, dass Sie hören wollen, was ich weiß.
Werden Sie mir helfen, wenn ich Ihnen alles erzähle? Werden Sie das?
Es ist mir bewusst, was man sich heute unter Vampiren vorstellt. Blutrünstige Monster, die im Dunkeln auf ihre Beute lauern. Übernatürliche Wesen, die sich als Fledermaus herabstürzen um Ahnungslose im Mantel ihrer Umarmung das Blut auszusaugen. Oder aber gutaussehende Männer und Frauen, die mit erotischer Finesse das andere Geschlecht in ihren Bann ziehen.
Die meisten der heutigen Vampirjäger haben keine Ahnung davon, was sie überhaupt bekämpfen. Sie sind lediglich Dilettanten, die ihre Arbeit tun, und sich dabei aufspielen, als wären sie die Retter der Menschheit. Eigentlich ist ihr Verhalten denen der Vampire im Frühstadium ziemlich ähnlich.
Mein Vater, selbst Vampirjäger, hat erkannt, was Vampire wirklich sind. Er und ein anderer haben sie erforscht und vieles herausgefunden, was bis dahin nicht bekannt war. Er hat sein Wissen an mich weitergegeben. Deshalb sehe ich diese Wesen auch mit anderen Augen.
Die Wahrheit nämlich, ist: Vampirismus ist eine Krankheit! Keine tödliche Krankheit. Nein, im Gegenteil. Sie verlängert das Leben der Opfer, aber wenn sie glauben, dass das ein Vorzug sei, dann irren sie sich.
Die Ansteckung erfolgt durch Körperflüssigkeiten, also hauptsächlich durch Blut. Wobei zu bemerken wäre, dass die Übertragung nicht ganz einfach ist. Ein Biss durch einen Vampir reicht in der Regel nicht aus. Es bedarf schon mehrerer Bisse, oder der absichtlichen Einnahme von infiziertem Blut, um die Krankheit ausbrechen zu lassen.
Dann, am Anfang, fühlt man sich großartig, stark und mächtig. Das Virus gibt einem Kraft, aber es beginnt auch den Körper zu verändern. Es überlistet die Zellalterung und ermöglicht dem befallenen so quasi ewiges Leben. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum die Krankheit nur schwer übertragbar ist. Ein Virus, das den Trick gelernt hat, seinen Wirt am Leben zu erhalten, anstelle ihn zu töten, braucht keine ausgefeilten Übertragungswege, um sich zu verbreiten.
Diese erste Phase kann mehrere Jahrzehnte dauern. Der Vampir ist sehr aktiv, braucht aber nur wenig Blut. Auch normale Nahrung stellt für ihn kein Problem dar, obwohl er bei ausreichender Versorgung mit Blut nicht darauf angewiesen ist. Die ersten erkennbaren Nebenwirkungen sind Lichtempfindlichkeit und sexuelle Unfähigkeit. Impotenz also, sollte es sich um einen männlichen Vampir handeln. Sehen Sie, daher kommen all die Geschichten von Vampiren, die als „erotische Verführer“ auftreten. In dieser Phase der Kraft, versuchen sie ihren körperlichen Mangel abzutun, indem sie ihrem aufgeblasenem Ego vorgaukeln, sie wären unwiderstehlich. Das Selbe gilt in ähnlicher Form für weibliche Vampire. Obwohl man bei Vampiren eigentlich nicht mehr geschlechterspezifisch unterscheiden kann. Mit dem Wegfall ihrer Sexualität gibt es eigentlich keine nennenswerten Unterschiede in ihrem Verhalten, die nicht von der vorhergehenden Art ihres Lebens bestimmt würden. In der Tat gehen die meisten nach ein paar Jahren Vampirdaseins auch homophile „Beziehungen“ ein... diese verdammten schwulen Vampire...
Oh, aber ich schweife ab, wo war ich? Ach ja, die erste Phase. Wie gesagt, sie zeichnet sich durch Kraft und Agilität aus. Die Vampire meiden das Tageslicht, da es in dieser Phase schon nach kürzester Zeit zum Erblinden und schweren Hautschäden führt. Sie suchen sich dunkle Verstecke und verbringen den Tag dort, um dem Sonnenlicht zu entgehen. Weitere Anzeichen des Verfalles zeigen sich bereits nach dem ersten Jahrzehnt.
Das Virus greift das Gehirn an. Der Vampir wird in zunehmendem Maße schizophren. Er glaubt plötzlich neue Fähigkeiten an sich zu entdecken. Die Verwandlung zum Beispiel.
Also, glauben Sie mir eines, wenn ein Vampir sich in ein Tier verwandelt, dann passiert das nur in seinem Kopf.
Nun, bei der Verwandlung in einen Wolf mag das noch angehen. Er verhält sich dann eben wie ein wildes Tier, knurrt und brüllt. Aber sobald er versucht sich in eine Fledermaus zu verwandeln und davonzufliegen wird das ganze arg lächerlich. Solche Sachen passieren aber eher im letzten Stadium der ersten Phase, wenn das Gehirn schon stark angegriffen ist.
Nun, wenn Sie jetzt wissen wollen, was von all den Wundermitteln wie Kruzifixen und Knoblauch gegen Vampire hilft, kann ich ihnen nur eines Antworten: Alles hilft, wenn sie daran glauben.
Verstehen Sie? Sie können einen schizophrenen Vampir mit einem Teddybären in die Flucht schlagen, wenn sie nur überzeugend genug auftreten. Wenn sie sich aber ängstlich unter einem Tisch verstecken, dann hilft Ihnen das größte Kruzifix nicht weiter.
Alles hängt von der Konditionierung des Vampirs ab. Sollte der Vampir des öfteren mit Kruzifixen bedroht worden sein, die ihm ohne die gebührende Überzeugung entgegengestreckt wurden, ist er in Zukunft dagegen immun.
Wissen Sie was ich meine? Er glaubt daran, wenn Sie daran glauben. Aber wenn er entdeckt, dass in diesen Symbolen keine echte Kraft steckt, wird er sie auch in Zukunft ignorieren. Übrigens erklärt sich damit auch das Phänomen, dass Vampire oft auf verschiedene religiöse Symbole unterschiedlich reagieren. Je nachdem, in welchem Teil der Welt sie heimisch sind.
Oh, und der Pflock ins Herz hilft auf jeden Fall. Ganz egal, aus welchem Material er besteht. Aber Sie sollten ihn mindestens Vierundzwanzig Stunden drin lassen, dann ist der Organismus so weit abgestorben, dass er sich nicht wieder regenerieren kann.
Soweit so gut. Die erste Phase endet mit dem rationellen Handeln des Vampirs. Sein Körper wird nach etwa fünfzig Jahren so weit verändert sein, dass er keine herkömmliche Nahrung mehr verträgt. Von da an ist er auf Blut angewiesen. Er entwickelt regelrechten Heißhunger darauf. Dabei ist er jedoch bedeutend schwächer als zuvor. Seine Lichtempfindlichkeit ist bis zu dem Punkt gesteigert, wo bereits kürzeste Sonneneinstrahlung schwerste Verbrennungen auf seiner Haut bewirkt. Bei längerem Verweilen würde er unweigerlich sterben. Seine Haare fallen aus, am gesamten Körper, und er verliert sämtliche Zähne, bis auf die oberen Eckzähne. Daher kommt auch die allgemeine Vorstellung von Vampirzähnen. Solange der Vampir noch seinen Verstand einsetzen kann, findet er Möglichkeiten, an das Blut seiner Opfer zu gelangen, auch ohne Reißzähne. In der zweiten Phase jedoch, ist sein Handeln vom Instinkt bestimmt und er ist mehr Tier als denkendes Wesen.
Seine Ruhepausen werden immer länger. So schläft er mehrere Tage und Nächte ununterbrochen in seinem Versteck, um Kräfte zu sammeln. Wenn er dann ein Opfer sucht, hat er nur eine gewisse Zeitspanne zur Verfügung, bevor ihn die Kräfte verlassen. Meist nicht mehr als fünf oder sechs Stunden. Sollte er in dieser Zeit niemanden finden, muss er wieder ruhen. Diesen Kreislauf kann er aber nicht ewig fortsetzen. Die Spanne der Aktivität verkürzt sich beim nächsten Beutezug deutlich und viele haben bei ihrem dritten Versuch nicht mehr die Kraft sich zu erheben, oder sind nicht mehr in der Lage ihre Opfer zu überwinden und werden so leichte Beute für Vampirjäger.
In dieser Phase machen die Vampire auch keine Unterschiede mehr. Männer, Frauen, Kinder, sogar Babys und Tiere. Alles was ihnen Blut liefern kann wird zum Opfer. Sie sind ausgesprochen wild und rücksichtslos. Wie Tiere, nein, schlimmer als Tiere, skrupellos und unerbittlich. Diese Phase, könnte theoretisch unendlich dauern, aber, allein das auffällig brutale Verhalten bei verminderter Kraft, wird dem Vampir ein schnelles Ende durch zu starke Opfer oder Vampirjäger bescheren.
Das sind die beiden Phasen des Vampirismus, die mein Vater und sein Freund entdeckt haben. Aber es gibt noch eine dritte Phase von der sie nichts wussten.
Wenn der Vampir nämlich längere Zeit kein Blut bekommt, wie ich schon beschrieben habe, fällt er in eine Art Koma. In diesem Zustand beginnt das Virus sämtliche Körperfunktionen abzuschalten. Nur Teile des Gehirns werden noch mit Nährstoffen versorgt. Der Leib erscheint tot, aber der Geist arbeitet. Ich habe dieses Phänomen erst unlängst entdeckt, als ich die Gruft eines alten, sehr alten, Vampirs öffnete. Ich verletzte mich an der Hand und durch ein paar Tropfen Blut von mir wurde er wieder wach.
Es war unglaublich. Er war zu schwach um sich zu bewegen. Sein Körper war ausgetrocknet wie eine Mumie, aber vollständig erhalten. Er muss mehrere hundert Jahre so verbracht haben. Er öffnete die Augen, aber sie waren ebenso vertrocknet wie der Rest. Er versuchte zu sprechen, aber es drang nur der Staub seiner Stimmbänder aus der Kehle. Es wirkte auf mich wie ein Flehen. Als bitte er mich, ihn zu erlösen.
Ich pfählte ihn, was aber keinen Sinn machte. Sein Herz war schon seit langer Zeit abgestorben.
Das Perverse an dieser Phase ist, dass der Vampir seinen verlorenen Verstand zurückerhält. Das Virus nistet sich in jenen Teilen des Gehirns ein, die dem Wirt ermöglichen, seine Situation zu erfassen und mitzuerleben. Ich weiß wovon ich spreche.
Verstehen Sie nun, was ich von Ihnen möchte? Ist Ihnen klar warum ich Ihnen das alles erzähle?
Ich habe mich infiziert. Ich bin ein Vampir. Sie dürfen mich nicht in diesem Zustand lassen. Ich kann fühlen, wie das Virus meine Haut verändert, sie ledrig macht, um Flüssigkeiten und Nährstoffe am Austreten zu hindern. Über die Jahre hinweg wird es meinen Körper als Depot benutzen und alles nach oben transportieren, um das Gehirn am Leben zu erhalten.
Ich fühle es. Es schmerzt. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich kann mich nicht bewegen.
Ich weiß nicht was schlimmer ist. Der Schmerz, oder die Gewissheit, dass er nicht enden wird.
Bitte helfen Sie mir.
Ich bin nicht tot.
Sie dürfen mich nicht beerdigen.
Holen Sie mich aus diesem Sarg. Bitte.
Hallo? Sind Sie noch da?
Waren Sie jemals da?
Hallo?