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Interpretationen eines Wachliegenden
Ich liege wach! So wie es nicht sein sollte! Ich sollte schlafen, kann es aber nicht. Warum, das weiß ich nicht. Vielleicht habe ich in letzter Zeit zu viel geschlafen, so was soll ja vorkommen. Vielleicht liegt es auch am Theater der Töne, das um mich tanzt. Wenn ich das Fenster öffne, fahren mir Autos im Sekundentakt durch die Ohren und hupen. Wenn ich das Fenster schließe, ist es zu warm und das Theater ist wieder dar. Es kann nur ein kleines Kratzen sein, ein Schaben an der Wand, der Nachbar, der sich im Bette umdreht, oben, links, rechts, schräg rechts oder sogar unter mir – die sind ja überall.
Ich höre den Toilettendeckel, wie er hochgeklappt wird, vernehme das Plätschern des Urins in nächtliches Wasser und die wasserfallartige Spülung – müde, schwere Schritte, die über den Boden über, neben, schräg oder sogar unter mir tapsen – und erneut die Körper, die sich im Bett wälzen.
Auch ich wälze mich im Bett, abermals. Vielleicht wälzen sich die Köper um mich herum auch nur, weil ich mich herumwälze. Ich komme mir vor, wie in einem Karton, gegen den von allen Seiten Ketten geschlagen werden. Das sind Geräusche von der Heizung, neben der ich zu schlafen versuche. Im Halbschlaf – was der gefährlichste Schlaf ist – sehe ich Körper, die sich gegen meine Wände drücken, die versuchen, ihr Bett vertikal gegen die Trennwand zwischen ihnen und mir zu stellen und dort … was weiß ich, was die machen.
Vielleicht können sie auch nicht schlafen, so wie ich. Weil Vollmond ist, oder so. Ist es aber nicht. Kein Vollmond. Vielleicht haben sie Sex, die Körper um mich herum, in ihren aufgewühlten und erhitzten Betten, mit der Matratze oder auch ohne Matratze an der Trennwand zu mir gelehnt, die Frau (oder auch der Mann), der Geschlechtspartnerkörper jedenfalls, mit dem Gesicht an die Tapete, an die hautdünne Wand gedrückt, die sich direkt, unmittelbar neben meinem Körper, neben meinem wachen Körper und meinen Hörgängen befindet. Und das von allen erdenklichen Seiten. Ich glaube, sogar von unten wird ein Körper an die Decke gedrückt und stöhnt vor Lust. Die Gestelle der Betten schlagen im Gleichtakt gegen die Wände, von links, rechts, schräg rechts, unten und oben. Als hätten sie sich verabredet, im Gleichtakt gegen die zu mir liegenden Wände zu ficken, mich zu penetrieren.
Gerne würde ich die Wohnungen um ihre Wohnungen mieten und es dort treiben, fremde Körper dafür bezahlen, dass sie es dort ununterbrochen tun. Ich könnte auch die Polizei rufen, Ruhestörung. Aber es ist keine Ruhestörung, wird es heißen. Ich kann auch nicht einfach vorbeigehen, nach oben, nach unten, nach rechts und links, und klingeln und den Körpern sagen, dass sie nachts bitte stillzuliegen haben, wie im Grab, still wie im Grab zu liegen haben. Leichen ficken nicht. Leichen gehen nicht aufs Klo und Leichen flüstern nicht.
Aber das alles kann ich nicht. Ich kann sie auch nicht darum bitten, sich nachts wie Leichen zu verhalten. Das geht ja nicht. Ich müsste sie schon zu Leichen machen, aber das geht auch nicht, denn dann kommt die Polizei und stößt ihre Türen auf, weil sie angefangen haben zu stinken, die Leichen. Und dann ist es laut, extrem laut. Unter mir, über mir, neben mir und über mir. Und man wird bei mir klopfen und sich fragen, warum ich keine Leiche bin, nicht stinke. Aber wenn ich das mache, habe ich vielleicht zwei Tage Ruhe, ungestörte Ruhe inmitten von Leichenkörpern, getrennt durch zarte Wände.
Viel schlimmer noch ist das Geflüster, das Getuschel. Wenn sie versuchen, leise zu sein, aber das gar nicht geht. Dann bin ich erst recht wach, denn ich will hören, was gesprochen wird, was die Körper kommunizieren, welche Perversereien sich zugeleckt werden.
Desto mehr ich versuche zu schlafen, sehe ich die Körper um mich herum, wie sie alle möglichen Dinge tun, die zwei oder auch mehrere Körper in Anbetracht der Schwer- und Zentrifugalkräfte, der Fett- und Muskel-, Schwing- und Spannungsgesetzen, der Möglichkeitsvariablen und Gewicht plus Stoßkraft Grenzen imstande sind miteinander zu veranstalten oder sonst etwas tun, was Ausgeburt meiner Fantasie, Tagesrest ist. Ich sehe Peitschen auf Mädchenhaut knallen, Kerzenwachs auf Geschlechtsorgane tropfen, Sperma und „Natursekt“ von ekstatisch angespannten Körpern triefen oder Männermünder über stramme Pimmel lecken und Frauenfotzen, die sich gegenseitig verschlingen, triefend, nass, bepisst und besudelt. Mit Eintritt der unendlichen REM-Phase verlasse ich die Sphären der Normalität; die Vorstellungen, die ich mich während des Alltags nicht zu denken wage, die ich mit Gedanken an Banalitäten verdränge, unterdrücke unter einer Schicht aus Gedanken an Termine, Aufgaben, Erledigtes, Kunst, Erinnerungen, Schmerz, Mitmenschen, Gegenmenschen, Übermenschen, Nebenmenschen, Menschenmenschen, berühmten Menschen; aus der U-Bahn, aus dem Büro, aus dem Fernsehen, aus den Vorstellungen, aus der Vergangenheit, aus der Zukunft; ein Klumpatsch aus Körpermassen, die nicht mehr sind als reine Vorstellung und unterdrücktes Verlangen; ein Zusammenbau aus den Brüsten der Frau in der U-Bahn, dem Arsch meines besten Freundes, den Augen meiner Ex-Freundin, dem Rehnacken meiner Mutter, der Vulva Gottes und einem Eros von mir, der ich Jungfräulichkeit durch Sex spende.
Ich reibe mir den Schwanz, was soll ich sonst auch machen? Wenn es um dich herum brennt, wirst du auch brennen. Du wirst brennen, früher oder später und erst dann feststellen, dass du der Feuerherd warst.
Ich erhebe mich, ergreife meine Matratze, schmeiße sie gegen die Wand zu meiner Linken, werfe mich davor, fester, immer fester, bis es von unten zu klopfen scheint. Ich wache auf. Hatte wohl geschlafen. Habe mich aber offensichtlich besudelt. Die Wände um mich herum wackeln nicht mehr. Dafür aber die Zimmertür umso mehr; die Türklinke dreht sich im Uhrzeigersinn. Ich steh auf, unerschrocken, sicher, warum auch immer, und schaue durch den Türschlitz; ich sehe nichts mehr zuerst, nur schwarz, scheine meinen Körper zu verlassen; dann sehe ich mich in gebückter Haltung durch den Türschlitz spähen. Ich fühle mich ertappt und sehe mich wieder in voller Gänze. Aber nackt. Und fauchend – mein eigener Blick soll sich von mir lösen! Wende dich ab, Auge des Geistes! Verschwinde, lass mich. Was du siehst, bin nicht ich. Ich bin eine Vorstellung meiner selbst. Mein Blick kommt immer näher an mich heran; ich bin ich und mein Blick, aber eigentlich doch nur mein Blick, denn aus dem Ich, was ich sehe, kann ich nicht schauen, sehe keine Form meines Blickes.
Wieder wache ich auf, weil ich ja nicht schlafen kann. Ich reiße das Fenster auf. Unten, auf der wässrigen Straße brennt die lila Haut der Prostituiertchen von der schwarzen Sonne der berliner Nacht. Ich könnte jetzt einfach da runter gehen und eine von ihnen mit hier hoch nehmen, mich an ihr phallustieren, all meine angespannten Fantasien gebrauchen, mich so richtig tieren … zuerst müsste ich kurz zur Bank gehen, aber die ist nicht weit. Und dann könnte ich all das machen, was ich mir nicht einmal freiwillig zu denken wage; die Gedanken leben, die ich im Alltag aus meinem Kopf peitsche, dass sie sich festsetzen in den Hinterstübchen meines Verstandes, bis sie wie Blitze zurückkehren. Sie könnten heraus, diese Gedanken, sie könnten Tat sein, sie könnten Handlung sein, für ein wenig viel Geld befreit aus den Gefängnissen meines Verstandes, herausgeschossen aus meinem Schwanz und auf lila Prostituiertenhaut landen.
Aber das möchte ich gar nicht. Ich möchte keine Prostituierte ficken. Ich möchte „sie“ ficken, aus deren wirren Hirnwindungen die selben Gedanken sich hinter ebendiesen selben Gefängnissen wie Magnete zu meinen selben Gedanken hinter ebendiesen selben Gefängnissen anziehen und sich umtanzen, schließlich verschmelzen zu gemeinsamen Gedanken, die sich dann gemeinsam befreien und frei bleiben in den Erinnerungen an die praktische Handlung.
Ich brauche die Frau, deren Körper die Sprache ihrer eingesperrten Gedanken ist, die mich einlädt zu ihren Gedanken, mir die Gitterstäbe verbiegt, mich erlöst vom unnatürlichen Rechtfertigungsdrang, mir die Gedanken aufreibt, mich einlädt zu denken, was ich sonst nicht denken darf, wenn ich in ihre tiefen Augen schaue und die schwarze Sonne funkeln sehe und nicht mehr Freiheit mit Sklaventum meiner selbst verwechseln, wieder meinen Instinkten vertrauen kann. Genau so, wie wenn ich schreibe, nicht für den Satz, sondern für die Ewigkeit schreiben, ich also mehr meißeln als schreiben will, will ich sie nicht für den Moment, nicht für den einen, die anderthalb Orgasmen ficken, sondern mich in Ewigkeit in ihr festmeißeln, sie schreiben.
Danach will ich sie nie wieder sehen, aber auf ewig soll ich in ihr sein, in ihren Gedanken; ich will fassbare Erinnerung sein. Nachdem sie mit mir frei war, soll sie es anders nennen, nicht mehr Sex, nicht mehr Liebe, nicht mehr Akt, nicht mehr ficken – sie soll neue Wörter finden. Ihre Sprache soll sich danach ändern, ihr Blick soll sich danach ändern, ihre Welt soll sich danach ändern. Wenn sie malt, wenn sie schreibt, wenn sie kocht – immer soll die Erinnerung an die schwarze Nacht mit mir darin existieren, darin verständlich sein, darin leben, daran mahnen, daran zugrunde gehen, wie alles zugrunde geht.
Endlich schlafe ich. Wieder ist ein Tag zugrunde gegangen, endlich eine Nacht angebrochen, zugrunde zu gehen, auf das auch der morgige Tag zugrunde gehen möge und ich mit ihm.
Und im Traum rufe ich ihr zu: „Geh mit mir zugrunde!“ Und sie schreit, dass sie will, und dass sie es nicht bereuen wird, und dass
2. Version:
In den Nächten konnte Adam nicht schlafen und durchlitt die Tage in andauernder Müdigkeit. Er wälzte sich im Bett, schaute noch einen Film oder noch eine Serie auf www.kinox.to, sah sich Pornos bei www.youjizz.com an oder lag einfach nur herum ohne selbst zu wissen, auf was er wartete. In den Nächten quälten ihn die vielen kleinen Geräusche, die er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Die Toilettenspülung, der leicht an den Wänden zitternde Bass einer Musikanlage und das Gekicher, das durch die Rohre des Neubaus kroch. Von Nacht zu Nacht kam dieses Theater der Töne näher, das um ihn tanzte. Ein nur leises Kratzen spürte er auf seiner Haut, die Spülung wurde zu einem Wasserfall, das Plätschern von Urin in nächtliches Wasser deutlich, und der Nachbar, der sich über, unter und neben ihm im Bett wälzte, vorstellbar. Er hörte die Dialoge aus den Nachbarbetten, was sich zugeleckt wurde; er vernahm die Geschlechtspartnerkörper, wie sie unter, über, links und rechts neben ihm nichts weiter taten, als das, was ihm versagt war. Die Gestelle der Betten schlugen im Gleichtakt in sein Gehirn, das Stöhnen drängte sich durch die Wände dünn wie Haut und er vernahm das orgastische Ausatmen eines Geschlechtspartnerkopfes direkt neben seinem übermüdeten aber wachen Körper, der sich hin und her rekelte. Oft onanierte er, aber ohne das Gefühl der Erleichterung oder der Befriedigung. Er wünschte sich die Ruhe eines Grabes. Desto mehr er zu schlafen versuchte, sah Adam die Körper um sich herum, wie sie alle möglichen Dinge taten, die zwei oder auch mehrere Körper in Anbetracht der Schwer- und Zentrifugalkräfte, der Fett- und Muskel-, Schwing- und Spannungsgesetze, der Möglichkeitsvariablen und Gewicht plus Stoßkraft Grenzen imstande sind miteinander zu veranstalten oder sonst etwas unternahmen, was Ausgeburt seiner Fantasie, Tagesrest war. Er sah Peitschen auf Mädchenhaut knallen, Wachs auf Geschlechtsorgane tropfen, Sperma und „Natursekt“ von ekstatisch angespannten Körpern triefen oder Männermünder über stramme Pimmel lecken und Frauenfotzen, die sich gegenseitig verschlangen – triefend, nass, bepisst und besudelt. Es krochen Vorstellungen in ihn, Gedanken an Erinnerungen, Schmerz, Mitmenschen, Gegenmenschen, Übermenschen, Nebenmenschen, Menschenmenschen, berühmten Menschen, aus der U-Bahn, aus der Uni, aus den Medien, aus den Vorstellungen, aus der Vergangenheit, aus der Zukunft. Ein Klumpatsch aus Körpermassen, die nicht mehr waren als unterdrücktes Verlangen, ein Zusammenbau aus den Brüsten der Frau in der U-Bahn, dem Arsch seines besten Freundes, den Augen seiner Ex-Freundin, dem Rehnacken seiner Mutter und der Vulva Gottes. In dieser Komposition des Verlangens, ausgelebt in Wahn und Schweiß, durchlebte Adam alles, was er sich nicht freiwillig zu denken wagte; er lebte die Gedanken, die er im Wachzustand aus seinem Kopf zu peitschen versuchte, die sich festgesetzt hatten in den Hinterstübchen seines Verstandes, bis sie wie Blitze zurückkehrten. Aus dem Gefängnis seines Verstandes schossen sie heraus und blieben doch ungelebt, blieben Verlangen der zu Wahnsinn führt. Und dieser Wahnsinn konstruierte ein Bild von einem weiblichen Wesen, welches ihn fortan plötzlich, unerwartet und immer wieder aufsuchen sollte. Und er wollte „sie“ ficken, aus deren wirren Hirnwindungen dieselben Gedanken aus Gefängnissen tropften, sich anzogen und sich umtanzten, schließlich verschmolzen zu gemeinsamen Gedanken, die sich dann gemeinsam befreiten und frei blieben in den Erinnerungen. Er begehrte dieses Wesen, deren Körper die Sprache seiner eingesperrten Gedanken war, die ihn einlud zu ihren Gedanken, ihm die Gitterstäbe verbog, ihn erlöste vom Rechtfertigungsdrang, ihm die Gedanken aufrieb, ihn zu denken einlud, was er sonst nicht denken durfte. Seine psychische Realität preschte in den Vordergrund und errang Herrschaft über das Symbolische und das Imaginäre. Unbewusste Wünsche äußerten sich – das Ausgestoßene, Verbotene, Verdammte kam ans Tageslicht. Der schwarze Schatten jenseits des Zugriffs der Vernunft ermächtigte sich seiner. Wenn er in ihre tiefen Augen schaute, die schwarze Sonne funkeln sah, dann fickte er nicht für den Moment, nicht für den einen, die anderthalb Orgasmen, sondern meißelte sich in Ewigkeit. Er schrieb sie in sich fest und verlebte sein Dasein im nächtlichen Wahn nach ihr und im täglichen Desinteresse und in Apathie an allem, was nicht Wahn war. Nur ein einziges Mal würde er sie treffen, unerwartet, irgendwo, und sie würde ihn erlösen, den Wahn wieder von ihm nehmen und ein unendliches Gefühl der absoluten Ekstase hinterlassen. Danach würde er sie nie wieder sehen, aber auf ewig würde sie in ihm sein, in seinen Gedanken. Nachdem sie miteinander frei gewesen waren, würden sie es anders nennen, nicht mehr Sex, nicht mehr Liebe, nicht mehr Akt, nicht mehr ficken – sie würden neue Wörter finden. Ihre Sprachen würden sich danach ändern, ihre Blicke würden sich danach ändern, ihre Welten würden sich danach ändern. Und immer würde die Erinnerung an die gemeinsame schwarze Nacht darin existieren, darin verständlich sein, darin leben, daran mahnen, daran zugrunde gehen, wie alles zugrunde geht.