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Interfaces

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21.01.2003
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Interfaces

“Sie werden kommen!”, brüllte der Mann. Seine Hände zitterten, er fiel vornüber und schlug mit dem Kopf auf den Tisch. Zwei Sicherheitsleute rissen dem Interface die Kappe vom Kopf und führten ihn aus dem Raum. Jetzt hatte es auch Fred erwischt. Ian schluckte und rutschte unruhig auf dem Sessel hin und her. ‘Sie werden kommen’, er schüttelte den Kopf. Aliens? Warum wusste niemand etwas Konkretes? Ian stemmte seine Füsse auf den Boden. Starr heftete er seinen Blick auf den Monitor und versuchte sich zu konzentrieren. Die Vortriebsmaschine schwebte über das Eis und näherte sich dem blinkenden Leuchtstab. Ein roter Strahl schoß aus dem Turm des Gerätes, zertrümmerte Felsen, die den Weg versperrten. Bruchstücke wurden angesaugt, während unter der Maschine das Eis schmolz und hinter ihr zur glatten Fläche erstarrte. Planierungsarbeiten auf Pluto.

Ian roch Ellens Parfum, spürte ihre Hände, die seinen Nacken massierten. Eine Sirene heulte. Er stoppte die Maschine, lehnte sich einen Moment zurück und schloss die Augen.
“Nicht einschlafen.” Ellen ergriff seinen Arm, als er aufstand, gab ihm einen Kuss und zog die Kappe von seinem Kopf. Benommen sah er, wie seine Frau sie an ihre Elektroden schloss, seinen Platz einnahm und den Apparat wieder in Bewegung setzte. Das Gleiche auch anderswo. Männer wurden von Frauen abgelöst. Ian taumelte leicht, als er mit seinen Kameraden den Raum verließ.
Zwei Schichten nach Geschlechtern getrennt. Frauen und Männer in einem Raum, um Robotmaschinen mit ihren Gedanken zu steuern - es war nicht gut gegangen. Nach der Landung auf Pluto hatten sie es von der Kommandozentrale des Raumschiffes aus versucht. Mannschaftsquartiere errichten und die Montage der Fertigteile war die erste Aufgabe gewesen. Es hatte nicht funktioniert. Maschinen waren zusammengeprallt, aus dem Takt gekommen, wenn immer die Operatoren ihre Partner sahen und ihre Gedanken auf Abwege gerieten.

Roy Stemmler lag in einem Sessel. Er hielt die Augen geschlossen. Er war der Einzige im Gemeinschaftsraum. Alle anderen hatten sich in ihre Quartiere zurückgezogen. Ian setzte sich neben ihn und blickte auf einen der grossen Bildschirme. Der Mond Charon hob sich undeutlich vom Himmel ab. Scheinwerfer strahlten das Flugfeld an. Dahinter zeigten schroffe Felsen wie Finger zum Himmel.
Eis und Kälte, minus 230 Grad Celsius, Atmosphäre aus Methan und Stickstoff. Man war einsam auf Pluto, der in 248 Jahren um die Sonne lief. So weit von der Erde entfernt. Unvorstellbar einsam. Ohne Ellen hätte Ian es nicht ausgehalten.
Er war im Zwiespalt mit sich. Ellen nicht. Ellen wollte, dass sie im Habitatschiff zur grossen Reise nach Centaurus aufbrachen. Er auch, aber war es nicht wichtiger, sich auf eine Invasion von Aliens vorzubereiten? Es waren Interfaces, die zur Bemannung der Abwehr benötigt wurden. Ian war ein Interface.
Robotmaschinen krochen wie Insekten über den Landeplatz, beseitigten Hindernisse, zertrümmerten Felsen, planierten und erweiterten ihn. Ellen lenkte eine von ihnen. Auf der Erde hatten sie sich hauchdünne Elektroden in die Grosshirnrinde pflanzen lassen. Motorisches Rindenfeld, hatte einer der Ärzte gesagt. Ihm war es egal gewesen, wohin sie ihm die Drähte hatten stecken wollen. Transmitterkappen würden Befehle aus dem Gehirn an Maschinen weitergeben. Nur als Interface, hatte man ihnen gesagt, hätten sie eine Chance an Bord der New Hope zu kommen. Und sie wollten dabei sein.
Dann wurden Signale aus dem All aufgefangen, deren Quelle immer näher rückte. Sie zeigten Bilder des Sonnensystems, des Pluto und der Erde. Die Fremden mussten die Planeten kennen, schon vorher dort gewesen sein. Niemand wusste, wer sie waren.
Die Maschinen zogen sich zurück. Stemmler kam aus seinem Sessel hoch, sah Ian an und deutete auf den Bildschirm. Flammenschweife leuchteten am Himmel auf.
“Transportschiffe,” murmelte er. Es waren zwei. Dann sahen sie Umrisse und Aufbauten.
“Transporter? Raumkreuzer sind das! Und da kommt noch etwas!” Etwas schob sich vor die Sterne.
“Die New Hope!”
Majestätisch langsam ging der Habitat Raumer mit den Kampfschiffen über dem Feld nieder.
“Raumkreuzer. Es muss schlimmer sein, als wir dachten.” Stemmler schien irritiert. “Warum haben sie uns nicht informiert?”
“Du weißt, was Fred passiert ist.” Luken der Kampfschiffe öffneten sich. Truppentransporter schossen heraus, flogen Soldaten zu den Unterkünften. “Er hat sich zuviel Gedanken gemacht. Wir können nicht jeden zweiten Tag einen Mann verlieren.”
“Unsere Frauen scheinen resistenter. Sie haben noch keinen Ausfall.” Auf dem Weg zu den Wohneinheiten fragte er. “Wann werden sie uns angreifen?”

Sie rackerten und schwitzten. Im Trainingsraum hielten sie sich an Geräten fit, stemmten Gewichte. Ian sah Joe Mendoza auf einem der stationären Räder. Mendoza wusste immer mehr als alle anderen.
“Was gibt es Neues?” Ian ging zum Rad daneben und schwang sich in den Sattel. Mendoza griff nach seinem Handtuch und tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
“Die Militärs halten sich bedeckt,” meinte er. “Nur soviel. Sie sind der Auffassung, die Fremden haben es auf Pluto abgesehen. Vermutlich wollen sie auf diesem Planeten ihren Brückenkopf bilden.”
“Um von hier aus die Erde anzugreifen.” Ian trat noch heftiger in die Pedale.

Die Erweiterung des Landefeldes wurde am darauffolgenden Tag abgebrochen. Briefing. Ian saß mit seiner Frau und den anderen Interfaces im Gemeinschaftsraum. Ein Mann in Uniform stellte sich vors Pult. Er war mit einem der Kampfschiffe gekommen.
“Leute, die letzten Radiosignale der Fremden kamen von einem Asteroiden des Kuiper-Gürtels. Die Invasion steht unmittelbar bevor.” Er ließ die Worte ein paar Sekunden auf sie einwirken.
“Wir haben den Ausbau des Landeplatzes abgebrochen, um unsere Energie darauf zu konzentrieren, Silos für unsere Raketen zu bauen und die Strahlengeschütze zu positionieren. Über die Art der Invasion ist uns nichts bekannt, jedoch ist Pluto als äusserster Planet unseres Sonnensystems betroffen.” Der Mann machte wieder eine Pause und räusperte sich.
“Wir suchen nach wie vor Freiwillige für die Abwehr.”

“Ian, ich will nicht, dass du dich meldest.” Ellen war kategorisch. Sie schob das Kinn nach vorn. Ein Zeichen, dass sie nicht mit sich reden liess. Ian verstand sie. Schließlich war es von Beginn an ihr gemeinsamer Plan gewesen, aufs Habitatschiff zu gehen und ihrem Leben einen gemeinsamen Sinn zu geben: zu helfen, dass sich die Menschheit ausbreitet. Anscheinend hatten andere eine ähnliche Idee. Und nun dies. Die Zeit, die Soldaten als Interfaces zu trainieren, war zu knapp. Es mangelte an ausgebildetem Personal, das Geschütze und Raketen gedanklich steuern konnte.
“Ian, wenn du hier bleibst, kann ich auch nicht aufs Schiff. Tu mir das nicht an.”
Ellen war den Tränen nah. Einer der seltenen Momente, in dem sie verletzlich aussah. Ians Hand fuhr über ihren kurzgeschorenen Blondschopf, legte den Arm um sie, küsste sie auf Augen und Wangen.
“Vielleicht reicht die Zeit aus, die Soldaten zu trainieren.” Ian ahnte, dass Ellen ebenso wenig daran glaubte wie er, doch sie redeten nicht mehr darüber.

Sie bauten Geschützrampen, bohrten Silos in den Grund und trainierten Soldaten. Ian lenkte den Vortrieb an die bezeichneten Koordinaten und ließ den Laser in die Senkrechte kippen. Umfang der Silos, die Tiefe, sie waren Teil des Maschinen-Programms. Die roten Strahlen der Laser schälten ein Loch nach dem anderen in die Rinde des Planeten. Eine Sirene heulte. Die Interfaces schalteten ihre Maschinen ab. Kaum hörten sie, was aus den Lautsprechern drang: “Alarmstufe Rot! Feind im Anflug! Dies ist keine Übung! Ich wiederhole, dies ist keine Übung!”
Erschrocken sprang Ian vom Sitz und riss sich die Kappe vom Kopf. Sie wussten, was sie zu tun hatten, hatten es oft genug geübt. Doch dies war der Ernstfall! Das Blut pochte in seinen Ohren. Nervös blickte er auf den Bildschirm, sah wie die Aussenbeleuchtung erlosch. Dann lief er, dann liefen sie alle. Der Bunker, eine Minute von ihnen entfernt. Der Lärm der Sirene betäubte seine Sinne. Ian hörte nichts anderes als ihr Heulen und den Hall ihrer schnellen Schritte
Der Bunker. Sie saßen auf den Bänken, zur Untätigkeit verdammt. Strahlengeschütze und Raketen waren noch nicht in Stellung gebracht. Ellens Gesicht war blass. Ihre Augen schienen ohne Leben, wie die Wand, auf die sie gerichtet waren. Ian setzte sich zu ihr. Sein Blick hing an den Monitoren. Die Luken der Kampfschiffe öffneten sich. Truppentransporter flogen hinein. Nach einigen Minuten lösten sich die Raumkreuzer vom Landefeld und verschwanden in der Dunkelheit des Alls. Und wieder hörten sie die Stimme: “Achtung! Achtung! Alarmstufe rot! Die Station wird evakuiert! Das Personal wird aufgefordert, in den Shuttle zu steigen! Ich wiederhole. Alarmstufe rot! Die Station wird evakuiert! Das Personal….!”
Ian sprang auf, zog seine Frau zu sich hoch. Sie redeten nicht, sie liefen und blieben vor dem Hangar stehen. Verschlossene Türen zeigten an, dass der Shuttle mit den ersten Flüchtlingen zur New Hope unterwegs war.
“Können wir noch eine Tasche packen, unsere persönlichen Sachen mitnehmen?”, rief eine Stimme aus der Menge.
“Dazu fehlt die Zeit. Jede Sekunde ist kostbar.” Ein Signal quäkte, eine Lampe blinkte über der Tür. Der Soldat öffnete sie. Das Personal, mit ihnen Ian und seine Frau, stürzte in den Shuttle, während sich die Tür hinter ihnen schloss.
Der Transporter setzte sich in Bewegung und verharrte vor dem Tor. Es öffnete sich, die Luft entwich nach aussen. Auf den Bildschirmen sahen sie, wie die vereiste Fläche des Landeplatzes an ihnen vorbeizog.
Jahre von der Erde entfernt. Das hatte es leichter gemacht, sich auf das Abenteuer New Hope einzulassen. Und nun würden sie auch Pluto zum letzten Mal sehen, Aussenbastion des heimatlichen Sonnensystems. Alles was sie gebaut, errichtet und in unzähligen Einsatzstunden konzentrierter Anspannung geleistet hatten, war von einer Minute auf die andere ohne Wert.
Minuten vergingen, die Tür des Shuttles öffnete sich. Im Frachtraum der New Hope nahmen sich Uniformierte ihrer an und führten sie in ihre Kabinen.
“Doppelstöckiges Bett,” murrte Ian. “Phantastisch, gerade das Richtige um eine neue Generation zu zeugen.”
“Du kannst mich jederzeit hier unten besuchen.” Ellen setzte sich auf die untere Liege. Sie hörten, wie die Generatoren des Schiffes anliefen, als sie ihn zu sich herabzog. Auf dem Bildschirm sahen sie, wie Pluto zu einer Kugel schrumpfte. Zwei Blitze zuckten durch das All.
“Die beiden Kampfschiffe!”, schrie Ian. Verstört klammerte sich Ellen an ihn.
Dann sahen sie Punkte. Sie wurden größer, formten sich zu einer Myriade von Scheiben, die irisierendes Leuchten umgab. Wie gelähmt starrten Ian und Ellen auf das Mosaik von Raumfahrzeugen, das wie ein leuchtender Teppich unter ihnen vorbeizog, dann über den Pluto hinweg, Richtung Inneres Sonnensystem, Richtung Erde.

 

Hallo Claudio,

Deine Geschichte ist, der geschilderten Situation entsprechend, zügig erzählt und zieht den Leser mit in die Handlung hinein. Alles ist aufeinander aufbauend beschrieben und gut zu lesen. Der Plot an sich ist ja nicht neu, doch die treffende Ausführung des Themas hat mir gut gefallen. Die Handelnden sind im doppelten Sinne „Interfaces“, sie stehen auch an der Schnittstelle zu einer neuen Definition was `Menschheit´und deren Heimat betrifft. Die Bemerkung über das „doppelstöckige Bett“ ist gelungen, auch der Ausdruck die „Augen schienen leblos, wie die Wand“.
Bei „steuern, es war nicht gut gegangen“ finde ich einen Gedankenstrich günstiger: steuern - es ...
Vielleicht ein `und´ einfügen: und „die Montage der Fertigteile war die erste Aufgabe“.
„leuchteten im Himmel auf“ - `am´ ist gebräuchlicher (`im´ sind die Engel).
„heftiger in die“ Pedale.
„in ihre Köpfe sickern“ - das klingt plötzlich so umgangssprachlich, was hälst Du von `auf sie einwirken`?
„sich im Universum ausbreitete“ - klingt umständlich: `ausbreitet´ oder `ausbreiten würde´ geht auch.
„eine Sirene heulte plötzlich, dann ohne Unterlass“ - das „dann“ macht keinen Sinn. Man kann es weglassen, oder muß vorher schreiben, dass die Sirene `plötzlich, in kuzen Abständen heulte´.

Hoffentlich habe ich jetzt nicht zu viel an Kleinigkeiten `rumgemeckert.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Woltochinon,
Danke.

>Hoffentlich habe ich jetzt nicht zu viel an Kleinigkeiten `rumgemeckert.

Ueberhaupt nicht. Ich finde es gut. Bestaetigt mich darin: man kann so oft ueber eine Geschichte gehen, wie man will. Es bleibt doch was haengen, was
verbessert werden muss. Ich habe es gemacht.

Gruss,
Claudio

 

Hallo Claudio

ich hab die Geschichte gemocht, flüssig zu lesen, und hat mich in eine schöne SF-Stimmung gebracht.

Die einzige Kritik ist eine feministische: Warum können sich nur Männer für die Abwehr als Soldaten melden, warum zeigen nur Frauen Gefühle? Das sollte sich doch in der Zukunft endlich geändert haben...

Alles Gute
LaChatte

 

LaChatte,
Danke.
>Die einzige Kritik ist eine feministische: Warum können sich nur Männer für die Abwehr als Soldaten melden, warum zeigen nur Frauen Gefühle? Das sollte sich doch in der Zukunft endlich geändert haben...

Du hast Recht. Daran hatte ich nicht gedacht. Haette die Geschichte in der Zunkunft schreiben sollen. Werde spaeter mal sehen, ob ich noch was reparieren kann.

Gruss,
Claudio

 

Hi Claudio,
Wie die anderen bereits gesagt haben: Gute Geschichte, die eine hervorragende SF Stimmung erzeugt.

Aber eines stört mich doch etwas: Woher WISSEN denn die Menschen, dass die Außerirdischen eine Invasion beginnen und nicht einfach nur "Hallo" sagen wollen?

lg Huter

 

Hunter,
Danke.
>Woher WISSEN denn die Menschen, dass die Außerirdischen eine Invasion beginnen und nicht einfach nur "Hallo" sagen wollen?

Die wussten es natuerlich nicht. Aber Militaers nehmen immer das Schlimmste an und bereiten sich darauf vor. Worst Case. Um die Leute bei der Stange zu halten, mussten die Militaers von einer Invasion erzaehlen. Psychologie. Um das dem Leser vermitteln zu koennen, haette man die Perspektive wechseln muessen, und das ist nicht gut.

In diesem Fall hatten die Militaers den richtigen Riecher gehabt. Eine Myriade von Raumschiffen wird sicher nicht zur Begruessung kommen. Waere nur ein Ufo herbei geduempelt, haetten die Militaers ein Empfangskomitee geschickt.

Gruss,
Claudio

 

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