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Intellectua 2007
Intellectua 2007
Gleich am Eingang der Ausstellung hing ein großes Schild mit Warnhinweisen, dass das hier Gezeigte doch für viele Bevölkerungsgruppen, die man als völlig unintellektuell einstufte, doch eine ziemliche geistige Herausforderung, wenn nicht sogar Überforderung sein würde, und dass diese Gruppen sich die Ausstellung besser nicht ansehen sollten. So outete man alle Harley-Davidsonfahrer, die sich in so genannten MC organisieren als Chauvinisten und Rassisten, die ihren vermeintlichen Traum von Freiheit ja doch nur von den Amis abgeguckt hätten, die ja bekanntlich ihre wirtschaftliche Stärke und „Freiheit“ einzig und allein der Ausbeutung von Sklaven zu verdanken hätten. Des Weiteren wollte man keine Heavy-Metal-Musiker, weil die durch ihr faschistoides Gehabe eh nur führerähnliche Figuren auf der Bühne erschaffen wollen, um die Massen durch gezielte geistige Manipulation zum Kauf ihrer grässlichen Musik zu bewegen. Keine Biertrinker, weil Bier scheiße schmeckt und ein völlig asoziales Gesöff ist. Leute, die sich Wein in Kartons kaufen, Bildzeitung lesen, die dritte Welt nicht unterstützen und Wir sind Helden doof finden, sollten den Besuch dieser Ausstellung auch noch einmal überdenken. Somit hatte ich fast alle Kriterien erfüllt, um eigentlich wieder nach Hause gehen zu können. Aber ich hatte gerade Zeit, also nichts wie rein!
Zuerst wollte ich mir eine Podiumsdiskussion der Theater-, Lieder- und Filmemacher ansehen. Das Thema war „Die Bildermacher als Triebkraft der intellektuellen Weiterentwicklung der Gesellschaft im Zuge globaler Entwicklungsstrategien“. Klingt gut, aber was zur Hölle ist ein Bildermacher? Einer der Büchermacher vom Podium nebenan erklärte mir, dass sich die Kunstmaler nur noch Maler nennen wollten und die Maler-Innung anwiesen, die Handwerksmaler künftig unter dem Sammelbegriff Anstreicher zusammenzufassen. Die Handwerksmaler gingen jedoch vor Gericht und gewannen. So haben die Kunstmaler sich Bildermacher genannt, um den intellektuellen Anspruch ihrer Kunst hervorzuheben. Warum der Büchermacher sich Büchermacher nannte, wollte er mir allerdings nicht verraten. Um der Diskussion noch zusätzlich einen intellektuellen Touch zu verpassen, entschied man sich das Thema auf Kantonesisch zu erörtern. Da ich aber bei Schweizerdeutsch immer tierisch ablachen muss und das sowieso nicht verstehe, ging ich weiter.
Ein verlassenes Podium am Ende des Ganges erregte meine Aufmerksamkeit. Ein einsamer Mann, der sich der Berufsgruppe der Theaterregisseure zuordnete, wartete verzweifelt auf Publikum. Ich fragte einen der Macher, was denn hier los sei und warum überall diskutiert wird, nur hier nicht. Er sagte mir, dass diese Leute in Zukunft boykottiert werden, weil heutzutage sich schließlich niemand mehr Regisseur nennen sollte. Das sei so was von reaktionär und faschistisch, und außerdem sei das Wort „Regisseur“ eine dieser völlig menschenverachtenden Terminologien, die der humanistischen Denk- und Lebensweise der Macher jeden Tag ein Schlag ins Gesicht verpasste. Na ja, geh’ ich eben weiter.
Plötzlich drängten die Macher allesamt in Richtung Halle 2a. Auf dem Schild im Eingangsbereich der Halle stand „Einführung in die intellektuelle Bewusstseinserweiterung durch tantrische Sexpraktiken“. Ich habe es ja schon immer gewusst: Auch die mit den zentnerschweren Bregen haben manchmal Samenstau. Die Theatermacher saßen auf ihren Stühlen, die Beine übereinander geschlagen und den Ellenbogen aufgestützt und stimmten kopfnickend den Ausführungen des Tantrameisters zu. Die Filmemacher notierten Pfeiffe rauchend Dinge in kleine Bücher und die Liedermacher drängten die vollbusige Partnerin des Tantrameisters dazu, ihnen den Weg zum ultimativen, multiplen Orgasmus zu zeigen. Die Tantramaus roch allerdings den Braten und verwies die Liedermacher an die örtlichen Bordelle. Beleidigt zogen sich die Liedermacher auf ihr Podium zurück und begannen eine Diskussion über die Herabstufung des Menschen zum Tier durch Ausübung von rein triebhaftem, und durch niedere biologische Instinkte hervorgerufenem Sex in Abwesenheit von Spiritualität und Verantwortungsbewusstsein. Man einigte sich schließlich darauf, dass alles scheiße sei und schloss das Podium.
Höhepunkt der Veranstaltung war definitiv die Podiumsdiskussion mit dem Dalai Lama. Ein Podium erster intellektueller Kajüte: Vertreter von Rock und Pop, Politik, Medien, Kultur und Alfred Biolek, der von den Veranstaltern als Diskussionsleiter eingesetzt worden war. Vor Beginn der Diskussion wurde noch einmal ausdrücklich betont, dass man das Geld für die Stühle aus afrikanischem Steppenholz den Handwerkern aus dem Bantuvolk persönlich überreicht hatte. Schließlich wolle man nicht, dass das Geld unterwegs durch korrupte afrikanische Diktatoren oder europäische Bürokratie in Taschen flösse, in die es nicht gehört. Nachdem dieser Punkt geklärt war, begann man mit der Diskussion zum Thema „Der allgemeine Rückgang intellektueller und humanistischer Werte bei der Neugestaltung der Welt durch unerwünschte neo-liberale Kräfte“. Bevor Herr Biolek die Diskussion mit einem Zitat von Kafka einläuten wollte, bestand er aber noch darauf, die Vorzüge kalifornischen Weins mit dem Podium zu erörtern. Dieses Vorhaben wurde von einem der größten deutschen Rocksänger aus Bochum schon im Ansatz erstickt. Er sagte, dass kalifornische Weine voll doof seien, denn immerhin hat der kalifornische Gouverneur Schwarzenegger schon Todesurteile unterschrieben, und man wolle schließlich einer Region, die immer noch dieses rückständige, mittelalterliche Ritual unterstütze, keinen wirtschaftlichen Boom oder sonst irgendwelche Annerkennung durch den Konsum von Produkten aus dieser Gegend zukommen lassen. Der Dalai Lama nickte zustimmend und Biolek wechselte zähneknirschend das Thema. Er fragte in die Runde, ob es denn nicht schäbig und ignorant sei, ein nachgekochtes, traditionelles Gericht der Ureinwohner Brasiliens mit einem simplen Pils runter zu spülen oder ob es ratsam sei, einen chilenischen Wein zu nehmen, um wenigsten etwas Solidarität mit der Region zu zeigen. Ein Vertreter der Medien auf dem Podium mit dem Namen Willemsen fing an zu meckern und sagte, dass es jetzt mal Zeit sei, mit der Diskussion über das Saufen aufzuhören und sich dem Ernst des Lebens zuzuwenden. Das Publikum nickte zustimmend. Einzelne Buh-Rufe aus dem Publikum hielten Alfred Biolek allerdings nicht davon ab zu betonen, dass man zu italienischer Pasta immer einen Roten genießen sollte. Jetzt wurde es aber brenzlich. Die Ordnungskräfte hatten allerhand zu tun, Alfred Biolek vor den Attacken der Theatermacher zu schützen, die der Meinung waren, dass Biolek auch nur einer dieser vom Weinskonsum getriebenen geldgeilen Medienfuzzies war, die gar kein Interesse an der intellektuellen Weiterentwicklung der Gesellschaft haben, sondern nur wollen, dass die Welt sich die Birne mit Bioleks Lieblingsweinen zukippt. Die Liedermacher nahmen sich Roger Willemsen vor und zertrümmerten ihre Akkustikgitarren auf dessen Schädel. Willemsens Flehrufe, er stünde doch auf ihrer Seite, wurden ignoriert. Der Rest des Publikums stand Schlange, um ein Autogramm von Herbert Grönemeyer zu ergattern, und der Dalai Lama freute sich über den Tumult und kicherte vor sich hin.
Nach soviel geballter geistiger und intellektueller Geballtheit brauchte ich erst einmal eine Pause und suchte mir ein nettes Plätzchen im hinteren Bereich der Halle, von welchem aus ich das Scharmützel auf dem Podium gut beobachten konnte. Der junge Mann neben mir hatte offensichtlich die gleiche Idee wie ich. Wir schnippten die 1-Liter-Faxe-Büchse auf und nahmen einen kräftigen Schluck. Nach einer knappen Stunde stellte er mir die alles entscheidende Frage, die mein Weltbild wieder zurechtrückte:
„Ey, wat nimmst’n Du für Sticks?“
„Sonor SD 9!“
„Cool!“