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Inselpolitik

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09.09.2001
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Inselpolitik

Inselpolitik

Die mächtige, haarige Faust knallte aus den Tisch: „Natürlich machen wir das so! Wir haben schon so viel durchgesetzt, das schaffen wir auch noch.“
Nein, das würden wir nicht schaffen. Ich wusste es, von Anfang an. Dabei war die Idee nicht mal schlecht, für einen kapitalistischen Staat vielleicht sogar umzusetzen, wer weiß.
Der kleine, kommunistisch angehauchte, aber in Wirklichkeit despotische Inselstaat auf dem wir lebten war noch keine zwanzig Jahre alt, aber unser Führer (wir benutzten diesen Ausdruck trotz der negativen Besetzung seit dem zweiten Weltkrieg) hatte schon viele schlimme und ungerechte Gesetze, Verordnungen und Richtlinien erlebt. Wie immer man diese, von unserem Selbstgerechten, Selbstverliebten, exzentrischen Führer erlassene Papiere auch nennen mag.
Sicher, er war groß, eine beeindruckende Persönlichkeit. Mit seinen knapp zwei Meter überragte er die meisten seiner Gesprächspartner und schüchterte Sie mit Hilfe seiner tiefen, bassigen Stimme in minuteschnelle ein. Wagte er der arme Kerl trotzdem zu widersprechen, stand der Führer auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Genau wie jetzt.

Es ging um eins seiner Lieblingsthemen: Die Abgaben auf Agrarerzeugnisse. Dazu muss man wissen dass er generell die Autarkie anstrebt, somit hat unser kleiner Staat viele Bauern, um unsere Bevölkerung versorgen zu können. Nicht das es nicht schon längst eine solche Abgabe gegeben hätte, natürlich war der Führer schon in den ersten Monaten seit unserer Gründung darauf gekommen, leider dachte er bei der Aufstellung seiner mehr als dürftigen Verfassung nicht darüber nach und baute einen schwammigen Paragraphen ein, der alle Erzeugnisse die nötig zur Autarkie sind, Abgabenfrei stellt.
Diese Tatsache hat er beim Erlass des Abgabengesetzes großzügig übersehen, gleichzeitig werden bei uns die Ordnungshüter und Eintreiber bei Verstoß gegen die Verfassung ohne viel Gerede erschossen. Niemand würde sich trauen diese Steuer tatsächlich einzutreiben.
Sein Plan war jetzt, Nahrungsmittel umzudeklarieren, so dass sie nicht mehr der Autarkie dienen und damit eine Steuer nicht gegen die Verfassung verstößt.

Naturgemäß bin ich, als sein Berater und engster Vertrauter, näher am Volk als er, deshalb kenne ich die Stimmung die diesbezüglich herrscht. Wir haben keine freie Presse, das arme Volk wird also nicht viel mitbekommen, wird sich höchstens etwas ärgern. Die Intellektuellen sind es, die mir sorgen machen. Sie kamen ursprünglich wegen der Versprechen hierher, eine gerechte Form des Kommunismus durchzusetzen, was wir dachten, bei einer kleinen Zahl an Leuten, auch ohne weiteres möglich gewesen wäre. Diese Menschen durchschauten also diese Machtspiele zwischen unserem Führer, der seine Macht stetig ausbaute, und den Lobbyisten die sich manchmal tagelang die Füße plattstanden um einen Termin zu bekommen. Ja, die gebildeten Menschen merken, dass sie Verfassung mehr als löchrig war und dass sich diese Regierung alles nach den aktuellen Bedürfnissen hinbog.

Ich wagte nicht, ihn zu warnen. Ich war sein engster Vertrauter und ich hätte ihn vielleicht umstimmen können, aber ich tat es nicht. Schadenfreude? Hoffte ich auf seinen Posten bei einem Putsch? Wollte ich dass er aus eigenen Fehlern lernt? Wollte ich ihm meine verratenen sozialistischen Ideale heimzahlen? Vielleicht alles von jedem, jedenfalls warnte ich ihn nicht.
Der 1. Juli war es, als er schließlich auf den Balkon trat (eine Art romantische Idee von ihm, er sprach zu seinem Volk von seinem Balkon aus) und ansetzte:
„Liiiebe Bevölkerung“
‚Seine Größe kommt auf diesem Balkon nicht rüber, ein strategischer Nachteil’, dachte ich.
„Ich weiß, ihr habt viel zu erleiden. Und wir sind wirklich betrübt darüber. Um aus dieser kleine Krise herauszukommen müssen wir leider eine kleine Abgabe wieder ins Leben rufen.“
‚Was zum Teufel sagt er da? Wie kann er nur seine Rede so anfangen, dass sich die Bürger ihre Probleme gleich am Anfang ins Gedächtnis rufen müssen?’ Ich schluckte, aber vertraute auf eine rhetorische Meisterleistung, die im Anschluss folgen musste. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken, denn schließlich musste ich ihn, ebenfalls auf dem Balkon stehend, unterstützen.
„Natürlich werden wir alle Abgaben und Steuern abschaffen sobald wir unsere kurzzeitigen finanziellen Probleme lösen können. Ihr seid das Volk!“, sagt er, nachdem er die Formalitäten schwammig und unverständlich erklärt hatte.
‚Oh Gott! Ihr seid das Volk? Das wird die Gebildeten nicht beeindrucken.’
Ich ahnte böses. Offensichtlich unterschätzte er den relativ kleinen Kreis der Denker die da unten standen und offensichtlich innerlich kochten. Er hatte seine Rede zu sehr auf die Armen, letztendlich Betroffenen gemünzt. Sicher keine schlechte Strategie, aber sollte sie diesmal aufgehen?
Stille. Er hatte aufgehört zu reden und schaute seine ca. 800 Untertanen an.
Dies waren die berühmten fünf Sekunden. Diese Sekunden, die sich eine Ewigkeit hinziehen, die darüber entscheiden was gleich passiert, die den Unterscheid zwischen Gut und Böse machen. Er wartete.
Er wartete auf die Entscheidung des Volkes. Würden Sie ihn hassen oder wenigstens seine Entscheidung akzeptieren?
Die fünf Sekunden verstrichen, dann zehn. Normalerweise ein gutes Zeichen, das von stiller Zustimmung zeugt, auch wenn sie hinter seinem Rücken wieder Lästern werden und der Verdruss wächst.
Offensichtlich hatte auch er gemerkt, dass seine Rede nicht so gut angekommen war wie vermutet, denn er hatte seine Augen aufgerissen und starrte in die Masse, Antworten suchend.

„Er beutet euch aus! Wir zahlen genug Steuern!“

Das war’s, ich wusste es. Ein Gebildeter von weiter hinten wollte sich diese, zugegebenermaßen, Dreistigkeit nicht gefallen lassen und schimpfte lautstark. Natürlich hatten die Arbeiter weiter vorne nur auf jemanden gewartet der Ihnen das denken abnahm, und schienen sich zu freuen jetzt endlich einen Grund zu haben, dem Führer die Meinung sagen zu können.
In Sekunden brach die Hölle los. Die Masse fing an zu Brüllen und zu Schreien, sie warf mit allem was sie finden konnte. Die Zeit war reif, und Gott sei dank hatte ich diesen Tag vorbereitet. Ich wusste dass man die Intellektuellen nicht unterschätzen durfte, ich hatte es von Anfang an gewusst. Ein leises Gefühl des Triumphes überkam mich, aber ich hütete mich davor, auch nur ein abfälliges Kommentar zu lassen. Stattdessen sagte ich: „Führer, Sie müssen hier weg. Dieser Mob draußen will Ihnen an den Kragen. Dieses dumme Volk hat keine Ahnung von Politik. Sie müssen gehen. Ich werde hier bleiben und mich opfern die Massen zu beruhigen. Ich hole sie zurück sobald die Zeit Reif für Sie ist.“
Hahahaha, natürlich würde Ich ihn nie zurückholen. Während der Mensch versuchten die schwere Tür unten einzudrücken, brachte ich den Führer in den Helikopter und wies den Piloten an, ihn nach Brasilien zu fliegen.

Und da war er weg. Natürlich hatten die Leute bemerkt dass da eben ein Hubschrauber wegflog und ließen von der Tür ab. Ein Lächeln überkam mich, fast wurde es ein Lachen.
Ich trat auf den Balkon hinaus.

„Liebe Bürger, der Führer ist geflohen. Ich konnte ihn nicht aufhalten, denn er stahl das ganze Geld. Jetzt müssen wir zusammenhalten und die Jahre Schreckensherrschaft vergessen. Wir müssen die Krise überwinden, und wir werden es schaffen. In den nächsten Tagen werde ich eine Regierung bilden und eine neue Verfassung errichten. Bis dahin werden wir alle Steuern erlassen! Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit für alle! Seit Ihr mit mir?“

Keine fünf Sekunden diesmal, ein Jubel schallte mir entgegen, wie ich ihn selten gehört habe.
Natürlich hatte der Führer in der Aufregung kein Geld mitnehmen könne, natürlich wird meine Regierung aus Strohmännern bestehen die die Drecksarbeit für mich erledigen, und natürlich wird meine Verfassung genauso löchrig sein, aber wen interessiert das schon? Schließlich wird „meine Regierung“ die Verantwortung tragen, und ich kann in ein paar Jahren als Reicher Mann die Insel verlassen.
Ein gewagter Plan? Vielleicht. Aber schließlich hatte es soeben schon einmal geklappt.

 

Mir gefällt mein Stil immer noch nicht, ich finde ich mache zu kurze Sätze und ich bin zu sparsam mit adjektiven. Soweit zu meiner Selbstkritik :)

 

Wieso änderst Du das nicht, wenn Du schon weißt, was Du falsch machst?

 

Ich versuche es, aber wenn ich versuche nachträglich was zu ändern gefällt mir die Geschichte nicht mehr.

 

Dann hilft nur eins: Die Geschichte umbauen, bis sie Dir gefällt. Das kann manchmal sehr lange dauern. Ist aber normal.

[ 03.07.2002, 23:39: Beitrag editiert von: Abraxas ]

 

Hallo TripH,

Mir gefällt mein Stil immer noch nicht, ich finde ich mache zu kurze Sätze und ich bin zu sparsam mit adjektiven. Soweit zu meiner Selbstkritik
:) was tust du denn da? Ich fand deine Geschichte ganz witzig, hab auch keine zusätzlichen Adjektive vermißt und deinen Schreibstil fand ich auch ganz ok, knackig und schnell zu lesen. Hab noch nie so schnell gelesen!

Ich würde an deiner Stelle nicht so kritisch sein! Kann nichts auffälliges finden, was mich an deiner Geschichte jetzt böse stören würde!

Mach einfach weiter, dann verändert sich dein Stil von ganz allein, wenn er dir so ganz und gar nicht gefällt! :)

Grüßle, Korina.

 

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