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Insektizid
Verschlafen und müde öffne ich meine vom Schlaf verklebten Augen, wie so oft sagt mir ein Blick auf den Wecker, daß die Nacht viel zu kurz war. Doch erneutes Einschlafen scheint unmöglich.
Langsam ziehe ich mir einen Jogginganzug an und schleiche in die Küche, welche düster und verschwommen in der Morgendämmerung auf mich wartet. Mit der Sicherheit der Gewöhnung taste ich mich mit dem Finger zum Lichtschalter und lege ihn um. Wie jeden Morgen nehme ich mir halb noch im Schlaf Milch aus dem Kühlschrank, an dessen Rückwand grün-schwarzer Schimmel wuchert, doch den sehe ich nicht mehr.
Auf dem Weg zum Geschirrschrank fällt mir ein dunkler Punkt an der Wand auf, der dort gestern noch nicht war, und da noch einer. Sie bewegen sich, zucken stetig von oben nach unten, streben Richtung Küchendecke. Dick und vollgefressen kriechen acht beinige Maden meine Küchenwand hinauf und scheinen mich, der sie dabei beobachtet aus nicht vorhandenen Augen anzustarren und zu verspotten, sie seien nicht die einzigen ihrer Art in meiner Küche. Hektisch reiße ich ein Stück Küchenpapier von der Rolle, greife mir die Eindringlinge und drücke zu. Durch das Papier spüre ich wie ihr fetter Körper unter dem Druck meiner Hand knackt und aufplatzt. (Höre ich ein Stöhnen?)
Gerade erst durch die zerquetschten Maden darauf aufmerksam gemacht, beginne ich panisch die Restlichen ihrer Art zu suchen. Ich rücke Schränke von den Wänden, sehe hinter Bildern nach (könnten sie etwa auch dort ihr Nest haben?) und wende mich zuletzt dem Kühlschrank zu. Der Blick, den ich durch die Küche schweifen lasse sagt mir, es kann nur noch hier sein, alles andere ragt in wildem Chaos abgerückt von der Wand in den Raum hinein. Ächzend beginne ich den schweren mannshohen Kühlschrank zu bewegen.
Langsam bekomme ich ihn weit genug von der Wand, um dahinter zu blicken. Alles was ich dort sehe ist Dunkelheit. Schnell krame ich meine Taschenlampe hervor und blicke ein zweites Mal in die Lücke. Der Boden scheint zu leben, es winden sich dicke und dünne Larvenkörper, oben braun, unten mit acht Beinen und weiß. Es sind hunderte dieser in zehn Segmente aufgeteilten Würmer, die sich hinter und unter meinem Kühlschrank über herabgefallene Essensreste und abstoßender Weise sogar über sich selbst hermachen. Die Großen fressen die Kleinen, die Kleinen in Gruppen die Großen. Angewidert wende ich den Blick ab und fast augenblicklich setzt ein Kribbeln und Krabbeln auf meiner Haut ein.
Ich erinnere mich, daß ich noch eine Flasche Insektenvertilgungsmittel habe, welches mir gegen die Blattläuse auf meinen Zimmerpflanzen nie den Dienst versagt hat. Ich hoffe, ja bete fast, daß es auch mit diesen Parasiten fertig wird. Hastig hole ich die Sprühflasche, knie mich vor den wabernden Boden und beginne mit der Tötung. Sobald das Gift die braunen Körper berührt, fangen diese an zu zucken und sich wie unter starken Schmerzen zu winden. (Höre ich Schreie?)
Im Todeskampf sehen diese Dreckfresser noch abstoßender aus. Fast zwei Minuten kann ich meine Augen nicht von diesem Massensterben nehmen, bis sich fast gleichzeitig alle Maden wie in einem spastischen Krampf aufbäumen und zusammenziehen, wieder aufrichten und für immer bewegungslos liegen bleiben. Der beißende Duft des Giftes liegt in der Luft, ich schaue immer noch fast würgend auf die toten Körper. Das Kribbeln und Krabbeln auf meiner Haut läßt jedoch nicht nach, im Gegenteil es wird schlimmer und schlimmer, macht mich fast Wahnsinnig. Tastend und schauend überprüfe ich ob es tatsächlich Würmer an meinen Körper geschafft haben, kann natürlich aber nichts entdecken.
Langsam gehe ich ins Badezimmer und lasse mir eine Wanne heißes Wasser ein. Verwundert stelle ich fest, daß ich das Insektizid immer noch in der Hand halte und jetzt langsam beginne, die Flasche zu öffnen und den Inhalt in die Wanne zu schütten. Der beißende Geruch legt in Sekunden über das gesamte Badezimmer. Ohne eingreifen zu können ziehe ich wie mechanisch meine Kleider aus und lege mich in die Wanne. Mir wird schlecht und dann sofort schwarz vor Augen. Von oben kann ich sehen, wie mein Körper im Todeskampf zuckt und sich windet, bis er nach einem letzten fast spastischen Aufbäumen im grünlichen Wasser versinkt. Ich kann noch nicht einmal schreien.
[Beitrag editiert von: SignoreSalami am 10.03.2002 um 13:27]