Inputs
Langeweile.
Oh, wie ich mich langweile. Und keine Aussicht auf Besserung.
Das Bildphone will heute überhaupt nicht läuten, der Unterhaltungsroboter ist in Reparatur und ich selbst suche mich rastlos durch alle 874 Sendekanäle.
Jeden Spot habe ich zwanzig mal gesehen, jede Show kann ich mitsprechen und der Nachrichtensender wiederholt ständig die gleichen langweiligen Bilder vom Rohstoffkrieg auf dem Mond.
Mein Gehirn verlangt Inputs. Neue, frische Abwechslungen und schließlich geschieht mit mir etwas. Ungewöhnlich und extrem. Ich bin selbst verwundert.
Anstatt HELP-Daten aus dem Großrechner anzufordern, treffe ich eine eigene Entscheidung: Kurz entschlossen springe ich in meinen Gleiter und mache mich auf den Weg zum Travelerkomplex. Ich habe Glück, die Straßen sind fast leer. Nur eine Stunde für vier Kilometer Fahrt.
Im Traveler schlage ich jede Beratung aus und buche blind das erste Reiseziel.
Ein Daumendruck, die Scannerplatte registriert. 100 Credits werden von meinem Konto abgebucht.
„Nice Inputs.“ Die Reisebegleiterin lächelt mir zu, bevor ich in den Transformer steige und meine Molekularbasis aufgelöst wird.
Ein Bruchteil später setzte ich mich wieder an meinem Zielort zusammen. Leicht benommen verlasse ich den Transformer und trete hinaus in eine andere Welt.
Natur! Überall um mich herum Natur. Eine blühende Wiese, überschüttet von strahlendem Sonnenschein liegt zu meinen Füßen. Ein kleiner Bach gurgelt nur wenige Meter neben mir und zieht seine Bahn ungehalten hinunter in ein Tal, wo sich kleine Bauernhöfe wie feine Farbtupfer in den Feldern verbergen.
Vögel singen und schwach trägt der Wind das zufriedene Muhen und Wiehern des Viehs zu mir herauf.
Zugegeben, wirklich nicht sehr aufregend.
Eines der weniger attraktiven Angebote des Travelers. Den Großteil der Reisenden zieht es in die Fantasiaclubs. Sonne, Meer und Rollenspiele sind nunmal eine verlockendere Alternative zu müden Naturparks, die zwar schlecht besucht sind, aber aus irgendwelchen unverständlichen Gesetzesvorlagen aus dem letzten Jahrtausend immer noch im Reiseangebot bleiben müssen.
Ich beginne ein wenig herumzuwandern. Zu Fuß, da ja an ein Laufband hier offensichtlich niemand gedacht zu haben scheint.
Eine Kuh unterbricht kurz ihre Mahlzeit und starrt mich mit großen, dummen Augen an.
Nein. Diese Kuh hier ist unwirklicher als diejenigen, die ich aus den Spots kenne.
Sie ist schmutzig. Fliegen umlagern sie und das, was von ihrer Mahlzeit übriggeblieben ist. Diese Kuh würde nie, nie, niemals diese wundervollen Assoziationen nach Süßigkeiten in mir wecken, wie ich es von meinem Teleschirm gewohnt bin.
Während ich noch angewidert zu der angeblichen Kuh hinüberschiele, geht jemand an mir vorbei.
„Grüß Gott“, sagt er und ich wirbele entsetzt herum.
Ein Irrer, Verrückter. Ich kenne ihn nicht, will ihn auch nicht kennen. Spricht mich an, obwohl wir uns vollkommen unbekannt sind. Doch bevor ich ihm entkommen kann sagt der Geistesgestörte: „ Schönes Wetter, was?“.
Ich versuche ein Grinsen, doch es gerät zur Grimasse. Schönes Wetter? Woher soll ich das wissen. Ich habe den Wetterbericht verpaßt.
Unglücklich wandere ich weiter. Mein Innerstes revoltiert. Ich habe eine falsche Wahl getroffen. Ich fühle mich hohl und leer in dieser hohlen und leeren Umgebung.
Ich habe Inputs gesucht und finde nur Trostlosigkeit.
Hastig mache ich mich auf dem Weg zurück zum Transformator. Um nicht ganz von der schalen Eintönigkeit der Natur überwältigt zu werden, ziehe ich meinen Pocketwhistler heraus und lasse die Titelmusik von Jurrasic Park 4 pfeifen.
Überstürzt klettere ich in den Transformator. Die Reisebegleiterin lächelt mir
zu. Sie kennt solche Fälle.
Ich bin zurück. Endlich. Diesmal sind die Straßen voller und während ich drei Stunden im Stau verbringe, habe ich genug Zeit um alle diese herrlichen Holo-Werbetafeln und Leuchtreklamen zu genießen. INPUTS.
Lärm. Laut und abwechslungsreich. Kein langweiliges, wiederkäuendes Viehzeug. Windrauschende, vogelzwitschernervende anödende, fade Naturauswürfe.
Mein Teleschirm verspricht mir kunterbunte, durchgestylte Entertainments. Und selbst den längst vertrauten Bildern von zerfetzten Leichen und heraushängenden Gedärmen im Mondkrieg, beginne ich wieder etwas attraktives abzugewinnen.
Verdammt. Zu Hause ist es doch immer noch am Schönsten.