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Innerer Spiegel
"Eine Reise ins eigene Ich."
"Langweilig, zudem ausgelutscht."
Stefan schüttelte den Kopf. "Ernsthaft. Wenn du eine gute Geschichte darüber schreibst, wird der Verlag dich um einen Vertrag anbetteln."
"Wenn ich eine Geschichte über innere Dämonen schreibe, lacht mich der Verlag aus, während sie den Vertrag jemand anderem geben", antwortete Nick seufzend. Der Verlag war ihm ohnehin suspekt - denn welcher gute Verlag vergab einen Zehnjahresvertrag per Ausschreibung?
'Schreiben Sie eine Kurzgeschichte, schicken Sie sie uns per Mail und wenn uns ihr Werk gefällt, bekommen sie einen exklusiven Vertrag über zehn Jahre, mit einem Roman pro Jahr!'
Und würde es Nick überhaupt schaffen, im Jahreszyklus ordentliche Romane zu schreiben? Er hatte mit seinem letzten schon ewig kämpfen müssen, um ihn zu einem logischen Ende zu bringen.
"Mach es, Nick! Ich stehe auf solche Reisen ins Innere", mischte sich Elena, Stefans Freundin, ein.
"Siehst du? Frauen wie sie sind die Zielgruppe", grinste Stefan.
'Klar, für Vampirschnulzen, aber nicht für das, was ich schreibe', dachte Nick.
Aber er wollte höflich bleiben, und Elena war schnell beleidigt.
"Ich denke einfach, dass es besser ist, wenn ich meinem Stil treu bleibe."
"Sei mir nicht böse", antwortete Stefan mit sanftem Lächeln, "aber dein Stil braucht drei Kapitel, um in die Gänge zu kommen. Das ist bei 'ner Kurzgeschichte zu lang."
Nick seufzte. Stefan hatte ja recht. 'Aber eine Reise ins eigene Ich... das wurde schon so oft ausgelutscht, von Shakespeare über King bis verdammt noch mal hin zu Spider-Man!'
Doch Stefan würde so schnell keine Ruhe geben.
"Ich schreibe lieber über Dinge, mit denen ich mich auskenne.", meinte Nick, "Und mit Selbsterforschung hab ich keine Erfahrung. Abgesehen vom üblichen, körperlichen Pubertätskram."
"Was sind wir heute wieder erwachsen", lachte Elena.
Stefan setzte ein erzwungenes Lächeln auf. Sein Humor überschnitt sich kaum mit dem seiner Freundin - oder Nicks.
Aber dann schien Stefan eine Idee zu kommen, wie sein plötzlich geänderter Gesichtsausdruck, ein glänzender Blick mit schiefem Lächeln, verriet.
"Und wenn ich dir solche Erfahrungen verschaffe?"
Nick sah seinen Freund nervös an. Er schlug hoffentlich nicht das vor, woran Nick dachte.
"Keine Drogen", lächelte Stefan. Offenbar hatte Nicks Gesichte Bände gesprochen. Immerhin war er jetzt beruhigt.
Bis Stefan noch etwas hinzufügte: "Zumindest keine Harten."
Nick seufzte und ließ demonstrativ seinen Kopf zurückfallen.
"Nein, ich rede von diversen ... Gewürzen. Allesamt legal zu kriegen."
Hilfe suchend blickte Nick zu Elena, die jedoch ganz entspannt lächelte. Dieses Thema schien ihr recht bekannt zu sein.
"Komm, versuch es", flüsterte Stefan mit dieser sanften, verführerischen Stimme.
Nick sah nachdenklich zu Boden. Er hatte schon Drogen versucht ... und beide Male war es nicht angenehm gewesen. Einmal sogar fast fatal.
Aber wenn es ihm half, eine gute Kurzgeschichte zu schreiben ... er hatte nur noch eine Woche, und nicht die geringste Ahnung, worüber er schreiben sollte. Und er wollte wirklich diesen Vertrag ...
"Kann dabei auch wirklich nichts schiefgehen?"
Stefan lächelte ermutigend, offenbar wusste er, dass er Nick jetzt hatte.
"Nein. Wir beide", er zeigte auf sich und Elena, "haben es auch schon ausprobiert."
Nick seufzte. Beide schienen positiv daran zurückzudenken. Und verdammt, er war trotz seiner Zweifel und Ängste auch neugierig.
Sie vereinbarten, dass Stefan die benötigten 'Materialien' am Freitagabend zu Nick mitbrachte, um ihm dann zu erklären, wie es abläuft, und ihm dabei zu helfen.
"Es ist wie ein Traum", lächelte Stefan, "du schläfst und träumst. Nur eben nicht den üblichen Traumkram, sondern einzig und allein von dir."
Nick lächelte, hautsächlich, um seine Nervosität zu verstecken. "Kenne ich. Ich nenne sowas 'Masturbationstraum'."
Elena lachte auf, Stefans Lächeln dagegen gefror.
"Also", flüsterte Stefan, wobei es fast wie ein Knurren klang, "du schluckst drei Tropfen von diesem Mittelchen", er hob eine kleine, braune Medizinflasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hoch, "dann rauchst du diese Selbstgedrehte, und schläfst dank besagtem Mittelchen dabei ein."
Die Selbstgedrehte war eine unförmige, fünf Zentimeter lange Zigarette, aus der vorne diverse Kräuter (in rot, gelb, grün) heraushingen und auch etwas, dass nach Moos aussah.
"Was ist da drin?", fragte Nick.
Stefan zuckte mit den Schultern und lächelte Elena an. "Ach, ein paar Kräuter und Gewürze, eine Prise von ... einem Pilz und getrocknete Beeren. Keine Sorge, kein Muskat, nichts illegales." Das mochte Nick dann doch bezweifeln.
"Was für ein Pilz?", bohrte er nach.
Stefan sah unschuldig zu Boden. "Ein bisschen Fliegenpilz."
"Willst du mich umbringen?"
"Nur ganz wenig. Wurde schon in der Steinzeit fürs Feiern benutzt."
Davon hatte Nick auch schon mal gehört. Er holte tief Luft. Ihm war noch immer nicht wohl dabei ... aber er war auch neugierig, und er wollte diesen verdammten Vertrag; er wollte ihn unbedingt.
"Dann los."
Es wirkte unecht. Alles war verschwommen, die Umrisse zitterten ... wie in dieser blöden Fernsehwerbung. Aber doch erkannte Nick alles ... das alte Bett seiner Eltern, den Spiegel seiner Schwester. Alles nebeneinander in einem Raum, und doch so unendlich weit auseinander.
"Nette Einrichtung." Nick sprang vor Schreck nach vorne, während er sich umdrehte. Stefan saß auf einem alten Schaukelpferd, dass vor Jahren verbrannt worden war.
"Ich dachte, ich träume nur von mir selbst?", fragte er misstrauisch.
"Oh, das tust du auch.", flüsterte Stefan, "Aber dein Unterbewusstsein meint scheinbar, dass du jemanden brauchst, der dir alles zeigt."
Er machte einen spielerischen Hofknicks. "Sieh mich als deinen Führer."
"Da fehlt dir das Bärtchen."
"Depp."
Nick musterte Stefan misstrauisch. Irgendetwas an ihm kam ihm unwirklich vor, mehr noch als alles andere. 'Vermutlich nur eine Nebenwirkung des Träumens', dachte er.
"Also dann, mach.", meinte er.
Stefan grinste breit. "Mach was?"
"Zeig mir mein Unterbewusstsein. Lass die Reise beginnen."
Das Grinsen wurde noch breiter. "Wenn du es so haben willst."
Theatralisch hob er die Arme und rief laut, mit klarer Stimme: "Deus ... ex ... Machina!"
"Verarsch jemand anderen." Nick musste doch ein wenig lächeln. Bis jetzt war es ja gar nicht so schlecht.
Der Raum war plötzlich verändert, es war eng, kalt, und ein unangenehmer Song drang aus mehreren Boxen ... ein Auto. Nick und Stefan saßen auf der Rückbank. Und vorne saßen ... Stefan und Nick, beide etwas jünger. Stefan fuhr, das Gesicht ernst, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Nick dagegen grinste, die Augen waren glasig, und ein leises, gackerndes Kichern drang immer wieder leise aus seinem Mund.
Der Nick auf der Rückbank erinnerte sich schwach daran. Nicht, weil es so lange her gewesen wäre.
"Ich war so high wie der Mond.", flüsterte er.
Der Traum-Stefan lächelte. "Ja. Aber je higher man ist", er deutete aus dem Fenster der Beifahrerseite, "desto tiefer kann man fallen."
Nick nickte. Er wusste, was gemeint war, auch wenn er sich an diese speziellen Augenblicke kaum erinnern konnte.
"Wir sind gleich da", flüsterte der fahrende Stefan. "Dann kannst du schlafen, und alles wird gut."
Der zugedröhnte Nick kicherte dümmlich, und lehnte sein Gesicht gegen das Seitenfenster. "Ist das ein Bett?"
"Nein, das ist das Brückengeländer."
Der Nick auf der Rückbank erinnerte sich an die Brücke. Ein kantiges Geländer, daneben über hundert Meter Abgrund. Stefan hatte ihm, als Nick wieder klar war, davon erzählt. Und sie hatten sich geschworen, nie wieder Marihuana mit Muskat zu rauchen. Beides für sich genommen machte schon high, aber gemeinsam ...
... gemeinsam war es stark genug, um Nick dazu zu bringen, seinen Gurt zu lösen und die Beifahrertür zu öffnen.
"Nein!" Stefan schrie, trat auf die Bremse und griff mit einer Hand nach Nicks Arm. Er hielt ihn, knapp. "Du dummer Vollidiot!"
Der Nick auf der Rückbank starrte sein zugedröhntes Ich mit offenem Mund an. Stefan hatte es ihm erzählt, aber es zu sehen ...
"Wenn er dich nicht noch erwischt hätte ..." Der Stefan auf der Rückbank war verschwunden, dafür sprach nun der Stefan auf dem Fahrersitz.
"Du hast mir das Leben gerettet", flüsterte Nick.
"Nein." Stefan lächelte. "Er hat dich gerettet. Ich bin nur der Führer durch dein Unterbewusstsein, schon vergessen?"
Nick nickte. Stimmte ja.
"Und weißt du, was ich gemacht hätte?", flüsterte Stefan.
Die ganze Szene lief von vorne, das Auto fuhr, der zugedröhnte Nick saß angeschnallt und kichernd auf dem Beifahrersitz, der andere Nick saß alleine auf der Rückbank.
Dann kam die Stelle, als der Bekiffte seinen Gurt löste, die Autotür öffnete. Stefan sah zur Seite, und schrie. Aber er schrie nicht "Nein", er schrie "Guten Flug!", bevor er Nick aus dem fahrenden Wagen stieß.
Knirschende Geräusche und eine Wolke aus Blut ließen keinen Zweifel am Schicksal des bekifften Nick. Der Nick auf der Rückbank schrie verzweifelt, sah durch die Heckscheibe, erblickte seinen eigenen, vom Metallgeländer zerfetzten Körper.
"Du Arschloch!"
Stefan drehte sich grinsend zu Nick um. "Mein süßer Junge, das war doch nur Spaß."
Nick starrte ihn fassungslos an. Nun hatte er es endgültig kapiert. Das war nicht sein Stefan.
Der Raum schien sich zu verändern, während Nick Stefan noch immer fassungslos anstarrte.
"Jetzt schau nicht so.", grinste dieser, "Ich bin Teil deines Unterbewusstseins. Irgendwas von dir fand das wohl lustig."
"Du hast mich gekillt!"
"In einem Traum", lachte Stefan. "Wie oft bist du schon im Traum gestorben? Es ist nicht real!"
Die Geräusche waren aber real gewesen. Und der Geschmack der Blutstropfen, die irgendwie bis zur Rückbank kamen.
"Das war ganz und gar nicht lustig", knurrte Nick mit vor Wut triefender Stimme.
"Vielleicht musst du dich deinem Humor mal öffnen", flüsterte Stefan. Er zuckte mit den Schultern. "Gut, keine Erinnerungen mehr. Wie wäre es ..."
Der Raum veränderte sich, die Wände waren nun rosa mit großen Herzen darauf, in der Mitte stand ein mannshoher Spiegel.
"Was soll das sein?", fragte Nick. Erinnerung war es ganz bestimmt keine, denn an einen so hässlichen Raum könnte er sich erinnern.
"Ein Blick in dein Inneres", kicherte Stefan. Dann zeigte er auf den Spiegel. "Komm, erblick es schon."
Langsam trat Nick vor den Spiegel. Im Inneren sah er sich selbst. Nicht aufregend.
Bis sein Spiegelbild die Hand hob und ihm entgegenhielt, scheinbar von innen gegen das Glas drückte.
Nick wich automatisch zurück. Dann ging er eine Runde um den Spiegel. Aber es stand niemand dahinter, und der Spiegel war nicht dick genug, um jemanden darin zu verstecken. Er ging wieder nach vorne, sah wieder sein ganz normales Spiegelbild. Aber kaum stand er ein paar Sekunden still davor, hob seinen Spiegelbild wieder den Arm, drückte die Hand gegen das Glas.
Zögerlich hob Nick seine entsprechende Hand, streckte sie langsam dem Spiegel entgegen, ehe er noch einen Seitenblick auf Stefan warf. Dieser nickte, mit dem gewohnten, sanften, verführerischen Lächeln.
Nick legte seine Hand auf das Spiegelbild, es fühlte sich warm an. Sein Spiegelbild lächelte, hob die zweite Hand, und drückte diese gegen das Glas. Nick tat es ihm gleich, und musste auch lächeln. Es fühlte sich irgendwie gut an ... richtig.
Bis das Spiegelbild die Hände senkte. Denn Nick konnte seine Hände nicht mehr bewegen, sie waren wie festgefroren. Das Spiegelbild grinste nun, aber seine Augen schienen sich nun in Nick zu bohren.
"Was ist das?", fragte Nick, während ihn Angst überkam.
Stefan lachte. "Dein Inneres."
Das Spiegelbild duckte sich, griff dem Glas entgegen ... und mit Entsetzen sah Nick zu, wie eine silbrig glitzernde Hand aus dem Spiegel kam, gefolgt von der zweiten Hand, den Armen, dem Kopf, dem Körper; alles silbrig glänzend. Dieses Spiegelwesen stand auf, berührte sanft Nicks Wange mit seiner Hand. Die Hand war eisig kalt, hart und kantig. Die Kanten schnitten selbst bei der sanften Berührung in Nicks Wange. Dieser wollte zurückweichen, vom Wesen und vom Spiegel weg, aber seine Hände waren noch immer wie am Spiegel festgefroren.
"Was will es?", fragte Nick flehend, während seine Angst größer wurde.
"Es ist dein Inneres", kicherte Stefan leise, "und es will spielen."
Das erste, was Nick dazu einfiel, ließ ihn in Panik verfallen; aber er beruhigte sich gleich. 'Nein, so ist das nicht gemeint.'
Als das Wesen seine kalten, spitzen Finger benutzte, um Nicks Hose zu zerschneiden, während Stefan demonstrativ stöhnte, kam die Panik zurück. Offenbar war genau das gemeint.
Nick schrie um Hilfe, sah in Stefans Richtung, doch der lachte nur laut auf. "Mein süßer Junge, hast du etwas gegen Spaß?"
Das Wesen streifte Nicks zerschlissene Hose hinab, griff mit seiner kalten Hand zwischen Nicks Beine ... und presste fest zusammen.
Der Schmerzensschrei schien von den Wänden wider zu hallen, und er vermischte sich mit Stefans lautem Gelächter. Das Wesen ließ von Nicks Gemächt ab, und einem Moment Erleichterung folgte noch größere Panik, als das Wesen hinter Nick trat. Nick zog mit den Armen, nutzte all seine Kraft, um vom Spiegel loszukommen ... aber er schaffte es nicht. Das Wesen strich mit seinen kalten Fingern über Nicks Rücken, zerschnitt dabei sein Shirt und ritzte die Haut ein. Die andere Hand legte es an Nicks Hüfte, ließ sie langsam kreisen; und Nick meinte, das Spiegelwesen erregt keuchen zu hören.
'Es kann das nicht tun. Es hat keinen Schwanz', versuchte Nick sich einzureden, aber er hatte im Internet genug gesehen, um zu wissen, dass man jemandem noch ganz andere Körperteile einführen konnte.
Stefan kniete sich vor Nick hin. "Wie wäre es mit einem Dreier?", grinste er. Nick schrie auf.
"Verdammt, hilf mir! Du bist mein Unterbewusstsein? Verdammt, dann hilf mir!"
Stefan lachte nur. "Hast du schon je davon gehört, dass das Unterbewusstsein Befehle ausführt?"
Nick spürte, wie die kalte Hand des Wesen seinen Hintern massierte, dann eine Fingerspitze sanft an der Falte auf und ab führte ...
Da hatte er noch eine letzte Idee. Er sprang kurz nach oben, zog seine Beine an, Stefan sprang zur Seite; und Nick schwang an seinen festgefrorenen Händen in den Spiegel. Der Spiegel zerbrach, und mit einem lauten Geräusch, wie tausend quietschende Kreiden an einer Tafel; zerbrach auch das Spiegelwesen.
Stefan lachte. "Großartig! Du bist doch nicht so einfallslos."
Nick stand auf, drehte sich um ... und schlug, so fest er nur konnte, nach Stefan.
Dieser stand nun plötzlich hinter ihm, breit grinsend. "Ach komm."
"Du mieses Dreckschwein." Die Worte waren nicht annähernd ausreichend, um seinen Hass auszudrücken.
"Was denn?", fragte Stefan mit unschuldiger Miene. Nick musste sich zurückhalten, um nicht erneut zuzuschlagen. 'Es bringt ohnehin nichts.'
"Wieso hast du das getan?"
Stefan lächelte. "Ich habe doch gar nichts getan. Nun, ich habe dir einen Dreier angeboten, aber das war's schon."
"Und was war diese Spiegelscheiße?", brüllte Nick.
Stefan verschränkte seine Arme. "Dein Inneres. Eine deiner Fantasien."
Nick schnaubte. "Ich habe ganz bestimmt keine Fantasie, in der ich von einem verdammten Spiegel vergewaltigt werde!"
Stefan schüttelte lächelnd den Kopf. "Kein Mensch weiß wirklich, was in seinem tiefsten Unterbewusstsein lauert. Die Innersten Wünsche und Fantasien."
Nick schüttelte den Kopf. Er hatte versaute Fantasien, das stimmte; aber so etwas ... ganz bestimmt nicht.
Er sah an sich hinunter. "Ich brauche eine neue Hose."
"Nein, tut mir leid."
"Verdammt, warum?"
Stefan zuckte mit den Schultern. "Der Anblick gefällt mir", flüsterte er. "Was sagst du zu dem Gedanken, dass deinem Unterbewusstsein nackte Männer gefallen?"
Nick schüttelte den Kopf. Er hasste Stefan ... diesen Abklatsch von Stefan wirklich.
"Ich hatte schon mein Experiment mit dem echten Stefan, das weißt du sicher."
Stefan zuckte einen Moment zurück, das Lächeln flackerte, in den Augen blitzte Überraschung auf.
Und Nick wich langsam zurück. "Das weißt du nicht ... aber mein Unterbewusstsein müsste doch ..."
Nick griff zu Boden, hob eine der Spiegelscherben auf, und hielt sie drohend dem Stefan-Abklatsch entgegen.
"Was bist du?"
Stefan öffnete den Mund, grinste dann, und flüsterte: "Du bist klüger als dein Freund."
Nick wich noch einen Schritt zurück, zuckte drohend mit der Scherbe, und wiederholte: "Was bist du?"
Stefan grinste. "Etwas, worauf jeder stößt, der den falschen Weg geht."
Nick verstand nicht. "Drogen?"
Stefan zuckte mit den Schultern. "Drogen in der falschen Kombination, Weihwasser auf sündigem Körper, das falsche Fake-Ritual. Es gibt viele falsche Wege - und auf einigen davon ... warte ich."
Nick hob eine zweite Scherbe auf, um in beiden Händen bewaffnet zu sein.
"So klug bist du also doch nicht", seufzte Stefan, "wir sind hier in deinem Verstand. Nichts hier ist real - nun, nichts, abgesehen von dem, was du fühlst."
Nick schüttelte den Kopf, er bekam Angst. Er konnte sich also nicht wehren, falls das Ding beschloss, ihn doch noch zu vergewaltigen.
"Warum bist du hier? Was willst du?"
Stefan lachte, aber es war nicht länger Stefans Lachen. Es dröhnte, und aus Stefan wurde eine Lichtgestalt. "Vergnügen", flüsterte es. "Nichts ist so befriedigend wie menschliche Abgründe ... und deren Perversionen."
"Hast du das auch mit Stefan gemacht?", fragte Nick. Er hoffte, dass es nicht so wäre ... und wenn doch, fragte er sich, warum sein Freund ihn das durchmachen ließ.
Die Lichtgestalt lachte. "Ihn habe ich fünfmal vergewaltigt. Mit Spiegeln, Keulen, einer brennenden Fackel ... der Unterschied ist", flüsterte es, "ihm hat es gefallen."
Nick begann zu zittern, und in seinem Magen drehte sich etwas herum.
"Du weißt ja nicht, was für kranke Fantasien er hat. Er dachte, du würdest auch nur Fantasien durchleben, die dir gefallen."
"Aber er hat nicht mit dir gerechnet."
"Nein. Er dachte, ich wäre nur eine Vision von Elena, die ihn durch sein Unterbewusstsein führt."
"Und er merkte es nicht, dass seine Freundin ihn plötzlich vergewaltigte?"
"Er hat mich wirklich als Interpretation seines Unterbewusstseins wahrgenommen. Und was soll ich sagen ... ich habe eine Begabung für das Weibliche."
Nick sah sich um. Es gab keinen Weg aus dem Raum, aber wozu auch? Er würde nur in andere Räume unter der Kontrolle dieses Dings kommen. Aufwachen wäre eine Möglichkeit ... aber er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.
"Du willst hier raus. Und ganz ehrlich, das will ich auch", flüsterte die Lichtgestalt.
Nick sah es verwirrt an.
"Mein süßer Junge, ich habe den größten Spaß, wenn meine ... nun ..."
"Opfer?", knurrte Nick.
"Partner. Wenn meine Partner nicht wissen, was ich bin ... das macht die Reaktionen viel überraschender... süßer."
"Dann sag mir, wie wir das beenden können."
Die Lichtgestalt lachte. "Du wachst einfach auf. Und dann empfiehlst jemand anderem die Drogenmischung, die dich zu mir gebracht hat."
Nick zuckte zurück. Dass wollte er nicht tun. Er konnte es nicht. Er konnte niemanden der Gnade dieses Dings ausliefern.
"Wenn nicht, besuche ich dich jede Nacht. Und glaub mir, ein Spiegelwesen ist nichts gegen eine brennende Fackel."
Nick musterte die Lichtgestalt von oben bis unten. "Das heißt, du bleibst in mir, bis ich dir einen neuen Wirt ..."
"... Partner."
"Bis ich dir jemand anderen verschaffe?"
Das Wesen nickte. "Ganz genau. Solange bin ich ganz tief in dir ... mein süßer Junge."
Nick blies die Luft aus. Er hatte wohl keine Wahl. Entweder er bürdete das Ding jemand anderem auf, oder er würde in seinen Träumen von ihm gequält werden.
Aber er wollte das niemandem antun.
"Dir ist klar, dass ich deinen Körper übernehmen könnte? Und die hübsche Elena ... sie hat den gleichen Humor wie du ... denkst du, mein Humor wird ihr auch gefallen?"
Nun wusste Nick, was er zu tun hatte. Er hatte keine Wahl.
Er ging auf den Handel des Wesens ein, wachte auf, versicherte Stefan und Elena, dass alles in Ordnung wäre, ließ sich von ihnen die genauen Zutaten geben.
Ein paar Tage später schickte er auch seine Kurzgeschichte ein, eine Geschichte über die Abgründe der eigenen Sexualität. Nick wollte diese Geschichte schreiben, trotz der düsteren Erfahrung, die ihr zugrunde lag. Er musste sie schreiben, und er hoffte, dass sie angenommen würde. Denn auch wenn er keine Romane schreiben würde, wäre es vielleicht genug, damit sich jemand an ihn erinnerte.
Als Stefan Nick kurz darauf besuchen wollte, öffnete niemand die Tür. Und ein seltsamer Geruch drang aus der Wohnung.
Nick lehnte sich entspannt zurück. Er lag auf seiner Couch, nur in Boxershorts, und war zufrieden. Er hatte niemandem der Gnade des Wesens ausgeliefert, hatte dafür gesorgt, dass Stefan und Elena nichts zu befürchten hatten. Es würde nie wieder jemandem etwas tun. Es steckte immer noch in ihm, hatte es gesagt. Also hatte Nick ganz nebenbei die Gasleitung seines Herds geöffnet, sich schlafen gelegt, über alles mögliche nachgedacht, bevor er das Bewusstsein verlor, nur nicht über das Gas.
Dann war er eingeschlafen. Nick wusste, dass er nicht wieder aufwachen würde. Aber er war zufrieden. Dieser Raum mit der Couch ... das Jenseits? Ein Traum, den er in seiner Ohnmacht träumte, bis er schließlich starb? Es war ihm egal.
Bis etwas hinter ihm lachte, und noch während er sich umdrehte, wachte er wieder auf.
Stefan stand an seinem Bett. "Ich habe die Rettung gerufen."
'Verdammt', schoss Nick durch den Kopf. Wer weiß, ob das Wesen wusste, was er versucht hatte. Wenn ja, dann hatte er vermutlich keinen zweiten Versuch.
Elena stand auf der anderen Seite des Bettes, sah verstört aus. Dann kamen schon die Sanitäter, und obwohl es ihm relativ gut ging, wurde Nick auf eine Bahre gelegt und hinausgetragen.
Stefan ging voraus, und während Elena neben der Bahre herging, wandte sie sich lächelnd Nick zu und flüsterte in sein Ohr: "Gut gespielt, mein süßer Junge."
Und während Nicks Magen sich verkrampfte, ging Elena an den Sanitätern vorbei, ging zur Treppe ... und stürzte Stufe für Stufe hinab, schlug unten schließlich mit dem Kopf auf. Stefan schrie, die Sanitäter stellten Nick ab und liefen zu Elena, und in seinem Kopf flüsterte eine grausame Stimme: "Süße Träume ..."