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Initiation

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20.04.2002
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Initiation

"Nein...", stieß ich atemlos hervor, während ich in die Schwärze starrte, die sich in zehn Metern Entfernung vor mir erstreckte. "Das darf nicht sein...es kann nicht so enden..."
Erschöpft ging ich in die Knie.
Ich war gerannt, um meinem Verfolger zu entkommen.
Meinem Vater.
Aber wozu war ich eigentlich gerannt? Ich hätte genausogut gehen mögen.
Noch immer starrte ich voller Unglauben in die tintige Wand vor mir.
Ich konnte es nicht fassen. Alles war umsonst gewesen. Alle Hoffnungen, die ich und die anderen Jugendlichen gehegt und gepflegt hatten, zerrannen an und in dieser Schwärze.
Es gab keine Fluchtmöglichkeit aus unserem kleinen Dorf.
Weil hinter dem Dorf der Wald war und sich dahinter nichts verbarg.
NICHTS!
Ich hörte die Schritte meines Vaters näherkommen.
Langsam, schleppend...
Ich wagte nicht, mich umzudrehen und ihn anzusehen. Nach vorne ins Dunkel schauend, sagte ich:
"Es ist überall so – oder? Diese gottverdammte, schwarze Wand zieht sich um das ganze Dorf, habe ich recht?"
"Es tut mir leid", sagte mein Vater. "Ich weiß, wie deprimierend es ist..."
Seine Worte hingen in der Luft.
Oh ja, deprimierend war es tatsächlich. Unser Dorf war das Einzige in dieser Gegend. Ich würde niemals andere Leute kennen lernen, als die, die ich schon die ganze Zeit gekannt hatte. Niemals würde ich jemand Fremdem begegnen, und wenn, würde ich wahrscheinlich schreiend davon rennen.
Denn das Fremde würde aus dieser Schwärze kommen...
"Wie lange schon? Wie lange ist das schon so?"
"Schon immer."
"Was ist mit den Büchern? Mit all den Städten und wunderbaren Orten? Gibt es sie überhaupt?" Meine Stimme wurde lauter "Hat es Sie je gegeben?!"
"Irgendwann einmal", antwortete die traurige Stimme meines Vaters. "Aber keiner von uns hat Sie je gesehen. Wir wissen nicht, ob sie noch existieren oder ob sie in ähnlichen Blasen existieren wie wir hier..."
"Blasen? Wieso Blasen? Das hier ist doch nur eine – "
Aber dann sah ich es. Kurz bevor die schwarze Wand die Wolken durchstieß, krümmte sie sich und spannte einen Bogen, der sich in den Wolken verlor.
"Aber – das...das kann nicht sein...", stammelte ich. "Wir hätten sie doch...sehen müssen. Bei klarem Himmel hätte es uns auffallen müssen."
"Man kann die Wand nur sehen, wenn man den Wald durchquert hat. Selbst wenn Du im Wald auf einen Baum steigst, würdest Du die Schwärze nicht erkennen können. Wir haben bis heute nicht herausgefunden, wieso?"
Ich konnte es immer noch nicht begreifen.
Meine Jugendträume waren für immer verloren.
Wie hatten wir uns immer die Welt ausgemalt? So wunderschön, wie wir sie in den Büchern gesehen hatten – und schöner noch. Wir hatten sie sehen wollen, diese Welt. Sie erleben und genießen wollen.
Und was hatten wir immer über die Söhne und Töchter der anderen Familien gelacht, die nach ihrem Gang zum "Erwachsen werden", stets zurückkehrten, um ihren Platz in der Dorfgemeinschaft einzunehmen. Den Beruf ihrer Eltern annahmen und die ihnen zugeteilte Frau heirateten. Wir hatten sie für dumm und verrückt erklärt.
Was waren wir dumm gewesen.
Jung und unschuldig in Gedanken, die noch leuchtende Farben besessen hatten. Doch dieses Schwarz hier zog jede Farbe aus meinen Gedanken...
Ich wollte nur noch zurück und nicht an das Denken, was ich hier gerade verloren hatte. Ich erhob mich und wandte mich meinem Vater zu, während ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte.
"Laß uns gehen, Vater", sagte ich mit matter Stimme. "...Laß uns einfach nur gehen..."
Und so gingen wir zurück in den Wald.
Zurück in unser Dorf.
In das einzige Stück Heimat, das jemals existieren würde.
Ich konnte mir die stummen Blicke meiner einstigen Gefährten vorstellen, wie sie an meinen Lippen hingen, damit sie von mir die Wahrheit erfuhren. Die Wahrheit über das Geheimnis hinter dem Wald, das keiner von ihnen bisher geschaut hatte.
Doch ich würde ihnen nichts sagen. Keines meiner Worte sollte ihre schönen, jugendlichen Phantasien, die sie jetzt noch besaßen, zerstören.
Nein –
Wie alle anderen vor mir, würde ich an ihnen vorbei gehen und ihnen den traurigen, wissenden Blick meiner frisch gewonnenen Weisheit zuwenden und einfach nur schweigen.
Ihre jugendlichen Illusionen würden schnell genug zerstört werden.
Sie waren doch noch Kinder.

Ich hingegen bin jetzt erwachsen...

ENDE

 

hi henry,
klasse geschichte :thumbsup:
an der ich gar nicht rummeckern mag, so gut gefällt sie mir. aber anderseits gebe ich dir so die möglichkeit eine eventuelle schwäche, unstimmigkeit zu beseitigen.

sehe ich das richtig, dass der junge bisher keine ahnung von der wand hatte, bis er sie sieht? dann bin ich der meinung, würde er nicht so reagieren. das würde er nur tun, wenn er es vorher von seinem vater erklärt bekommen hätte und dann hingerannt ist, um sich davon zu überzeugen. um selbst zu sehen, was so ungeheuerlich ist. könntest diese von mir gedachte unstimmigkeit beseitigen, indem du irgendwo erwähnst, dass er seinem vater nicht hat glauben wollen.
bin begeistert.
cu, bigmica

 

Hallo bigmica,

schön, dass Dir die Geschichte gefallen hat.

Kann sein, dass ich die Wand nicht gewaltig genug beschrieben habe...ich versuchte mit folgendem Satz deutlich zu machen, warum der Protagonist nicht die Wand stürmt:

Jung und unschuldig in Gedanken, die noch leuchtende Farben besessen hatten. Doch dieses Schwarz hier zog jede Farbe aus meinen Gedanken...

Die beschriebene Wand ist nicht einfach nur Schwarz - sondern reine Leere...je näher, man ihr kommt, desto hoffnungsloser wird man. Würde man es schaffen, ihr ganz nah zu sein, würde man sich wahrscheinlich der Hoffnungslosigkeit hingeben und sich hineinfallen lassen, wenn man die Kraft dazu noch hätte...

Aber glücklicherweise ist der Protagonist noch weit genug entfernt und wird so "nur" seine kindlichen Phantasien verlieren.

Kann aber durchaus sein, dass ich das nicht so gut umgesetzt habe, wie ich dachte - ich hatte vielleicht ein schon zu kompaktes Bild im Kopf und habe es vergessen zu beschreiben...:(

Man möge mir das verzeihen, grins...

Henry Bienek

 

Hallo Henry Bienek,

gefällt mir auch gut. :thumbsup:
Im Bezug zur Challengevorgabe ist, denke ich, auch alles erfüllt.

Ein wenig empfinde ich es auch wie bigmica sagt: die Reaktion von dem Jungen bedarf der vorherigen Info durch den Vater, sonst würde er nicht sagen: "Das darf nicht sein...es kann nicht so enden..."

Aber das kann man dir verzeihen, grins...
Gruß vom querkopp

 

Hallo Henry,

mir hat gut gefallen, wie Du die bedrohliche, sprichwörtlich `auswegslose´ Lage beschreibst. Der Titel ist treffend und die Gegenüberstellung `Initiierter´ - `ahnungsloses Kind´ hat schon etwas philosophisches (hat mich an den `glücklichen Wilden` erinnert).
Die Idee mit der Wand ist zwar nicht neu, doch gut ausgeführt.
Ab „Meine Jugendträume waren für immer verloren“ gibt es einige Ausführungen, die ich (nur) aufgrund der Challenge- Vorgaben für zu ausführlich ansehe.
Bei „ich hätte genausogut gehen mögen“ bin ich mir nicht sicher, ob `können´ nicht passender wäre.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

vielen Dank für das Lob.

Ich hatte viele Probleme, die Geschichte klein zu halten, da ich immer versuche, die Gefühle der handelnden Personen rüberzubringen - bis auch der letzte Leser sie kapiert ;)
Vor allem, da das ursprüngliche Expose eine mindestens fünf- bis siebenseitige Geschichte umfasste...
Ich hatte gehofft, ich hätte mich kurz genug gefasst. Wieder nix...:D

Du hast recht. Ich hätte auch "können" nehmen können,(hihihi) aber während des Schreibens war ich irgendwie selbst in dieser Situation drin - und da ging es einfach mit mir durch, grins...
Ich finde, dass das Wort zu der Szenerie passt, auch wenn es herausstechen mag.
Aber wenn sich noch andere daran stören, ändere ich es auch gerne...

Henry Bienek

 

Hallo querkopp,

mea culpa - aber ich hab Dich eben irgendwie überlesen, da der E-Mail-Link ja immer den letzten "Writer" anzeigt...

Sein Satz "Es kann nicht so enden" bezieht sich ja eigentlich eher auf die geplante Flucht. Wir alle haben - bei mir "hatten", grins - ja unsere jugendlichen Phantasien, wie bestimmte Sachen da draußen in der Welt nach unseren Vorstellungen laufen - oder zu laufen haben - und werden dann doch manchmal enttäuscht.
Alle Hoffnungen, die der Prot. in seine Flucht aus dem Dorf gesetzt hatte, wurden mit einem Mal zerstört, und er kann es im ersten Moment nicht fassen, dass das wirklich das Ende sein soll, obwohl er es ja selbst sieht.

Henry Bienek

 

Moin,

ich weiß nicht, ob ich ein verkehrtes Bild von unserer challenge-Vorgabe habe. Die Geschichte soll ohne Umschweife in die Handlung einsteigen, glaube ich. Deine Geschichte beginnt mit einer statischen Situation, und abgesehen von ein wenig Dialog gibt es eigentlich überhaupt keine Handlung, sondern nur eine Situationsanalyse. Daher vermisse ich auch den Spannungsbogen. Als Leser frage ich mich unweigerlich, worum es sich bei der Wand bzw. Blase denn nun genau handelt, aber dieses Thema wird überhaupt nicht berührt, sondern Du konzentrierst Dich auf die Gefühlssituation des Prot, die Du nachvollziehbar beschreiben willst. Angesichts der Fremdartigkeit der beschriebenen Lage ein kaum zu bewältigendes Unterfangen, trotzdem gelingt es Dir ganz gut, vor allem die Sache am Ende. Aber das ist eben auch schon alles.
Durch die Konzentration auf das Innenleben des Prot kommt bei mir auch der tiefere Sinn der Geschichte nicht an, denn ich vermute doch, dass die Wand eine Metapher sein soll. Vielleicht kannst Du das mal ein bisschen erklären.

Uwe

 

Hallo Uwe,

eigentlich hatte ich gedacht, dass so eine Antwort als erstes kommt.

Die Geschichte steigt mitten rein - nur, dass die Spannung hier nicht mit Action geschaffen wird, sondern mit "Schlag-auf-Schlag-Erkenntnis"
(Sorry, aber mir fällt kein equivalentes Wort dafür ein :) )

Der Leser wird an den Anfang der Erkenntnis gesetzt:
Irgendetwas endet:

"Das darf nicht sein...es kann nicht so enden..."

Nämlich die Flucht des Protagonisten aus seinem Dorf. Sie endet ungewollt, denn er kann nicht mehr weiterfliehen.

Die Situation sollte einigermassen bekannt sein:
Langweiliges Dorf am A... der Welt und die Jugend will raus. Was erleben, was von der Welt sehen, etc.
Nur dass die Jugend - hier in Form des Prot. - erkennen muss, dass es gar kein DRAUSSEN gibt.
Es gibt nichts zu entdecken und zu erleben. Die gesamte Jugend endet an dieser schwarzen Wand. Es gibt keinerlei Fortsetzung. Nur das schrittweise Begreifen, dass

- man nicht aus dem Dorf kommt...
- die Jugend das Schönste war, was man hatte - WEIL man unwissend war
- einem nichts anderes übrig bleibt, als das zu tun, was man schon immer gesagt bekommen hat (Beruf der Eltern annehmen, die vermittelte Frau heiraten - zur Inzestvorsorge - und sein trauriges Leben leben).
- man den anderen Jugendlichen unmöglich die Wahrheit antun kann, die sie eh auf alle Fälle irgendwann erfahren...

Deswegen ist die Gedankenwelt sehr groß beschrieben. Weil jede dieser Erkenntnisse auf der anderen aufbaut.
(Hoffe ich zumindest.)
Ich mußte natürlich damit rechnen, dass das nicht jedermanns Sache war, aber ich wollte es einfach mal probieren...

Insofern bin ich sogar überrascht, dass ich vorher so viele positive Meinungen bekommen hatte, denn ich hatte eher welche wie Deine erwartet...

Versteh mich nicht falsch...ich fand die ganzen vorherigen, bereits veröffentlichten Erzählungen alle toll, habe aber nichts dazu geschrieben, weil ich eh nur wiederholt hätte, was Andere bereits gesagt hätten.
Aber irgendwie wiederholte sich in diesen Geschichten das Spannungsmotiv immer wieder in Form von - meist gewalt(tät)igen - Aktionen.
Ich wollte es einfach mal auf andere Art probieren...

Vor allem, da ich ja sonst auch kurzgeschichtlich eher zur Gewalt neige, grins

Zur Wand:
Hmmm - schwer zu sagen.
Im Grunde sollte sich jeder die Leere selbst vorstellen. Dass sie irgendwie Schwarz sein sollte, war mir klar.
Aber man soll es nicht glauben, jeder hat da eine ganz eigene Vorstellung von.

Meine Schwärze wäre zum Beispiel so etwas wie ein wabernder Ölteppich, der - von seltsamen metaphysischen Gesetzen der Physik gehalten - sich wie eine Blase um das ganze Dorf zieht. An der Oberfläche sind zwar leichte Wellen zu erkennen, aber sie sollen eher den Eindruck von "Unleben" darstellen, als Wellen selbst...
Ich hätte also alleine eine ganze Seite über diese Wand schreiben müssen, um halbwegs rüber zu bekommen, wie der Prot. die Wand jetzt wirklich sieht. Dabei wollte ich mich doch EINMAL relativ kurz fassen...:D

Ich hoffe, dass hat Dir jetzt etwas geholfen.
Falls Du noch Fragen hast - oder was zu kritisieren - no problem, dafür sind wir - bin ich - ja schließlich auf kg.de.

Henry Bienek

 

Hi

Die Aussage der Geschichte gefällt mir, lässt sich einiges rausholen aus dem Thema.

Allerdings finde ich, dass die Vorgabe nicht völlig erfüllt ist. Das Problem bei deiner Geschichte ist imo, dass, wie du selbst sagst, das Ende schon am Anfang angedeutet wird.
Dadurch kommt diese Desillusioniertheit schon ganz am Anfang rüber, die Geschichte beginnt erst nach dem Ende der "Action". Die Aussage ist wahrscheinlich gerade dieser unvermeidbare ewige Stillstand, aber das passt irgendwie schlecht in eine "in medias res" story.
Besser wäre es evtl, ein paar wirkliche Fluchtversuche des Jungen zu beschreiben, wo man nicht von vornherein weiß, dass sie sinnlos enden werden.

Wie gesagt, die Geschichte gefällt mir wirklich gut, auch der Stil ist flüssig zu lesen, nur bin ich der Meinung, dass sie zu "still" für diese Rubrik ist.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hallo Henry,

die Wand kann so vieles sein, wenn man mal nachdenkt, was uns alles grundlegend einschränkt. Tod, Erkenntnisfähigkeit, die genetische Ausstattung, Gesellschaft, natürlich auch Geld.
Dann der Gegensatz `Wissen´ - `Unkenntnis´, mal ganz platt gesagt: Ist es besser dumm, aber glücklich zu sein, oder erkennend, aber auch zweifelnd? (Im Paradies gab`s diesen Konflikt schon mal in ähnlicher Weise).
Deine Darstellung hat mir jedenfalls gefallen.

Tschüß... Woltochinon

 

Hi Wolkenkind...

Sicher hast Du recht, wenn Du glaubst, dass meine Geschichte "zu still" für diese Rubrik ist.

(Aber sieh es doch mal so...von "zu laut" :D stand ja nicht wirklich was in der Vorgabe, oder?)

Sicher - die Fluchtversuche hätten das Ganze noch besser verdeutlicht, aber dann hätte ich diesen Schreibstil nicht mehr verwenden können, und hätte wahrscheinlich auch etwas komplett anderes aus der Geschichte gemacht...

Wer weiss, vielleicht mache ich das ja noch...

@ Woltochinon,

langsam machst Du mir Angst...Auf soviel Hintergrund bin ich gar nicht gekommen - da kann man ja gleich Hunderte von Geschichten draus machen...mir gings ja eigentlich nur um die Enttäuschung (für uns) ganz normaler Erwartungen...

Hast Du Philosophie studiert - oder so was...?

Der Fragesatz gefällt mir dabei am Besten - klingt aber verdammt nach Matrix...auch wenn er zu meiner Geschichte passt...

Ziehe den Hut vor soviel Schlußfertigkeit und wünsche mir auch so was :D :cool:

Henry Bienek

 

Hallo Henry,

danke für die Blumen, die Dir als Autor noch eher zustehen...

Gerade die Enttäuschung bei ganz „ normalen“ Erwartungen ist ja das Tragische im Menschenleben - es kommt viel häufiger vor, als die `großen Momente´.

Philosophie habe ich nicht studiert, man macht sich halt nur so seine Gedanken (manchmal kommt `was dabei `raus, zum Glück).

Bis dann,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Henry

ich hatte mir die Geschichte ausgedruckt und zwar ohne die Antworten. Also auf die Gefahr hin, nur das zu wiederholen was andere schon geschrieben haben:

Ich fand die Idee der Geschichte klasse! Ich weiß nicht, ob Du Dir wirklich all das so gedacht hast, wie ich es interpretiert habe, aber ich konnte unheimlich viel aus der Geschichte herausholen. Wenn man erwachsen wird, sehnt man sich zu der Zeit zurück, als man noch Kind war und "frei". Frei, weil die Gedanken noch fliegen konnten (*griiins*).
Als Kind oder Jugendlicher konnte man es stattdessen kaum abwarten endlich erwachsen zu sein, weil man glaubte, erst dann frei zu sein.
Dass der Vater nur besorgt ist und den Jungen vor der schrecklichen Erkenntnis bewahren will, empfindet dieser als Verfolgung und Einschränkung. Das lässt sich doch prima auf die reale Situation besorgter Eltern und deren Kinder, die sich in der Pubertät missverstanden und eingeschränkt fühlen, übertragen.

Zuerst bin ich über die Stelle "Aber wozu war ich eigentlich gerannt? Ich hätte genausogut gehen mögen." gestolpert. Aber nachträglich finde ich diese auffällige Wortwahl richtig gut. Der Satz bleibt einem dadurch im Gedächtnis und nachdem man erkannt hat, um was es in der Geschichte eigentlich geht, kann man ihn ganz neu interpretieren: Warum hatte ich es eigentlich so eilig erwachsen zu werden, da ist nichts was so viel besser wäre als das was ich schon hatte.

Wahrscheinlich hatten die meisten schon solche oder ähnliche Gedanken (z.B. vermisse ich meine Schulzeit, doch als ich noch zur Schule ging, hasste ich sie). Trotzdem strebe ich immer weiter nach Erkenntnis. Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Geschichte sagen will, dass es besser ist dumm zu bleiben. Es ist aber auch nicht Aufgabe der Geschichte das klar zu stellen.

Wenn ich mit meinen Interpretationen jetzt nicht völlig falsch liege habe ich allerdings doch noch etwas gefunden, was mir persönlich nicht so gefallen hat: Dadurch, dass Du schreibst, die Stadt wäre in einer Blase gefangen und es habe irgendwann einmal andere Städte gegeben, von denen man nur noch Bücher hat usw., wird die Geschichte etwas in den SciFi Bereich gerückt. Ich hätte es besser gefunden, wenn Du nicht versucht hättest, die schwarze Wand zu erklären.
Aufs echte Leben übertragen versucht man sich ja auch nicht zu erklären "warum da nichts ist". Man erkennt es einfach und sieht es dann als Tatsache an.

LG
lunaluna

 

Hallo lunaluna,

auch wenn ich mich jetzt als Dummbatz oute - ich hatte eigentlich nichts anderes vor, als eine schier ausweglose Situation zu beschreiben...

Die Geschichte ist im Ursprung deutlich länger und ist eigenlich auch endzeitmäßig als Fiktion gedacht. Das mit dem Jugendverlust kam erst während des Schreibens hoch, aber nie im Leben so detailliert und exemplarisch wie Du das verfasst hast - und ich dachte schon, nur Woltochinon wäre genial...

Also Hut ab vor Deiner Interpretation...auch wenn sie meiner mageren Phantasie nicht gerecht wird :D

Vielen Dank für die Blumen,

Henry Bienek

 

Seas Henry Bienek!

Deine Geschichte gefällt mir ausgezeichnet. Wortwahl, Sprache, Situation, all das gut eingesetzt um die Auswegslosigkeit auszudrücken. Die Geschichte ist auch voll von Parallelen zu unsere Welt, wie ja schon treffend interpretiert wurde.
Etwas ist mir allerdings aufgefallen, und zwar dass die ersten drei vier Sätze eine auswegslose Situation mit Verzweiflung und Angst schildern. Dann allerdings, wird sie von dem jungen Mann hingenommen, wie die Erkenntnis, dass es das Christkind/ den Weihnachtsmann doch nicht gibt. Das scheint mir irgendwie unlogisch.

Was mich zum nächsten Kritikpunkt bringt. In medias res. Ist ist schade, deine Geschichte mit dieser Kritik zu versehen, aber die Zeiten sind schlecht und der Challenge ist hart. ;)
Der Einstieg war in medias res, verzweifelt, mitten drin, ungeklärt. Oder besser gesagt: wäre. Meines Empfindens nach bricht die geschichte zu schnell ab und gibt den begonnenen Spannungsbogen für zwar fundamentale, aber nicht gleich aufregende Erkenntnisse her.
Was ich nur kritisiere, weil wir uns hier in medias res befinden. Ansonsten könnte ich an deiner Geschichte nichts negatives finden.

Fazit: Philosophische und gut geschriebene Hinterfragung unserer Grenzen.

Note: 2

Liebe Grüße aus Wien, Peter Hrubi

 

Hi Peter,

"Jung und unschuldig in Gedanken, die noch leuchtende Farben besessen hatten. Doch dieses Schwarz hier zog jede Farbe aus meinen Gedanken...

Die beschriebene Wand ist nicht einfach nur Schwarz - sondern reine Leere...je näher, man ihr kommt, desto hoffnungsloser wird man. Würde man es schaffen, ihr ganz nah zu sein, würde man sich wahrscheinlich der Hoffnungslosigkeit hingeben und sich hineinfallen lassen, wenn man die Kraft dazu noch hätte..."

Da ich im Moment leider etwas unter Stress stehe, habe ich einfach mal die Antwort geklaut, die ich big mica gegeben hatte...das soll Dich jetzt aber nicht herabsetzen - oder so...nur zur Erklärung, warum der Junge so schnell die Hoffnung verliert...

Eine Frage in den Raum gestellt:
Kann eine Geschichte gefangen nehmen, auch wenn kein Blut spritzt oder irgendetwas bedroht wird, sondern weil sie mit irgendetwas aufwartet, womit keiner rechnet - weil keiner daran gedacht hat?

Das wollte ich einfach mal probieren...insofern schätze ich, dass es einfach Geschmackssache ist, ob die Geschichte einem gefällt oder nicht, oder ob man sie spannend findet oder nicht.

Ich muss sagen, ich habe hier einige verdammt gute Geschichten gelesen. Auch wenn ich mir selbst nicht immer sicher war ob sie zu IMR reinpassen...

Aber ich beuge mich gerne dem Urteil der Masse...

Unglücklicherweise bist Du erst der Zweite :D der sich beschwert.


Henry Bienek

 

Unglücklicherweise bin ich erst der Zweite der sich beschwert.

Da sind zwei Fehler drinnen. Zum einen wollte ich nicht, dass du denkst ich "beschwere" mich. Das ist nicht richtig, ich wollte eben meine Gedanken äußern.
Zum anderen, ist auch "unglücklicherweise" nicht ganz richtig, denn ich denke, werder du noch ich wünschen uns, dass die Geschichte geteert, gefedert und aus in medias res geworfen wird. :) Allerdings würde es die Konkurrenz mindern... :D

Noch ein Missverständnis: Eine Geschichte muss niecht bluttriefend sein, um zu fesseln, aber sie muss die in medias res Kriterien erfüllen. Fesseln und IMR ist auch nicht das selbe, wie ich finde. Nur fesseln ist nicht genug. Deine Geschichte hat mich in den Bann gezogen und ich fand sie recht interessant.

Dass eine Geschichte auch ohne Blut fesseln kann, hat klara mit "Paint it Black" bewießen.

Hoffe du fühltest dich nicht zu sehr auf den Schlips getreten von mir. The Show Must Go On!

LG PH

 

Hi Peter,

mir kann keiner auf den Schlips treten - trage nie einen...:D

Nein, ich befürchte einfach ich habe einen Rechtfertigungsfimmel wie alle Autoren, die ihr "Kind" mit Händen und Füßen, Klauen und Tatzen zu verteidigen suchen *growl* :cool:

Henry Bienek

 

Seas Henry!

Gut, den Fimmel kenn ich. Wollte dein Baby nicht beleidigen, ich kenn das von mir, die eigenen sind immer die schönsten und die anderen sehen alle gleich aus. ;)

Männer mit autoralen Mutterinstinkten...;)

Ind diesem Sinne, servus, Peter

 

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