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Informationsverlust
Feyst – Grata (Prolog)
Feyst drehte nicht einmal mehr den Schreibtischsessel in seine Richtung, als Grata das Zimmer betrat. Mit seinen kurzen, dicken Fingern wies er auf einige Fotos, die auf der Schreibplatte hingestreut lagen.
„Sehen Sie sich diese Schweinerei an, Grata!“, schnarrte er und schaute weiterhin aus dem Fenster über die Skyline der Stadt. „Sie haben doch noch nicht gefrühstückt?“
Grata – dienstbeflissen wie immer – beugte sich über die Bilder und war im selben Moment tatsächlich froh, dass er noch nicht gefrühstückt hatte. Die Häufchen aus Gewebe, Muskeln und Knochen, die schonungslos abgebildet waren, hatten keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einem Menschen.
„Die Portale?“, fragte er gerade so laut, dass Feyst ihn noch verstehen konnte.
Der Direktor drehte sich plötzlich behände mit seinem Stuhl herum und starrte ihn aus seinen kleinen Augen heraus an.
„Natürlich“, zischte er. „Was dachten Sie denn? Niemand spricht mehr von etwas anderem. Wir sind erledigt, wenn wir das nicht in den Griff bekommen.“
„Ganz meine Meinung.“
Grata wusste zwar, was kommen würde, trotzdem schaute er fragend zu Feyst hinunter.
„Kümmern Sie sich darum, Grata! Keiner ist besser geeignet als Sie. Gehen Sie an die Presse, erklären Sie, was Sie wollen, aber die Schuld liegt nicht bei uns. Machen Sie der Öffentlichkeit klar, dass wir die Sache unter Kontrolle haben. Und...“ – er machte eine Pause – „... finden Sie heraus, warum diese verdammten Porter nicht funktionieren!“
Grata – Mox
Mox rieb sich zum hundertsten Male die Augen, doch es wurde nicht besser. Der Arzt hatte ihm versichert, dass es keine Beschwerden geben würde. Er hatte die wenigen Freunde angepumpt, die ihm noch geblieben waren, um nur das Honorar des Quacksalbers bezahlen zu können. Weiß der Himmel, wann er das Geld für die künstlichen Linsen zusammengekratzt haben würde. Ausgezeichnet also, dass die Operation scheinbar gar nichts gebracht hatte. Die Augen brannten jämmerlich und dass er besser sehen konnte, hatte er bis jetzt nicht bemerkt.
„Schonen Sie sich ein wenig, und sie können in ein paar Tagen besser sehen als ein Karnickel.“
Ob er sich nun in der schweineteuren Tagesklinik mit Nichtstun beschäftigte oder aber dasselbe in seinem Büro trieb, war einerlei. Der eine Unterschied: in der Klinik hätte er dem Hurensohn von Arzt in den Hintern treten und seinen doofen Blick dabei sehen können.
Keinen Alkohol fürs Erste, dachte Mox und kippte sich einen Bourbon nach. Der Tag ging zu Ende und dass heute noch ein Kunde hereinschneien würde, war unwahrscheinlich.
Im selben Moment ging die Tür ohne Klopfen auf. Ein spindeldürrer Mann in einem albernen karierten Anzug stand im Eingang und sah ihn an.
„Mox, Privatermittlungen?“, fragte er und es klang wie ein Befehl.
Mox stellte den Drink unauffällig in eine Schreibtischschublade und sagte: „So wie es draußen dran steht. Was kann ich für Sie tun? Herrscht Sauwetter draußen?“
Der Mann hatte den Teint eines Buchhalters, der zuviele Überstunden geschoben hat und sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
„Ich suchte den abgehalftertsten, versoffensten, erfolglosesten Privatschnüffler dieser Stadt“, sagte er mit einer bemerkenswert weichen Stimme.
Mox grinste. „Kommen Sie rein, Sie haben ihn gefunden.“
Nachdem der Fremde die Tür geschlossen und sich auf die äußerste Kante des Stuhls vor dem Schreibtisch niedergelassen hatte, brachte Mox tatsächlich heraus: „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich bin Grata von Boulder-Incorporated und Ihre Vertraulichkeiten können Sie sich sparen. Ich bin nicht hier, weil ich von Ihnen Hilfe erwarte. Der Auftrag geht an Sie, weil ich Aktionen vorweisen muss. Mein Chef will sehen, dass ich auch in diese Richtung etwas unternommen habe.“
„Wie wäre es damit, Grata: Ich gebe Ihnen ’ne Quittung, Sie geben mir das Honorar, und wir beide sehen uns nie wieder?“
„Sagt Ihnen die Boulder-Incorporated etwas, Mox?“
Er schüttelte den Kopf. „Nie gehört.“
Es gab zwei Möglichkeiten, die er sah: Entweder war das eine hundertprozentige Tochter des KLOA-Konzerns oder er gehörte zum Suchard-Imperium. Eine andere Variante sah Mox momentan nicht.
„Die hiesige Sektion der Heilsarmee?“, fragte er und fischte aus dem Schubfach neben seinem Drink eine Schachtel Pall Mall heraus – Suchard-Produkt. Er bot Grata eine an, und der lehnte so vehement ab, als hätte er ihn zum Tanz aufgefordert.
„Ihnen sind die Gefahren dieser Dinger nicht bewusst“, schnarrte er.
Mox paffte und sagte durch den Qualm: „Gerade weil ich die Gefahren kenne, rauche ich.“
„Das ist widersinnig.“
„Vielleicht nicht logisch, aber so ist es nun mal.“ Er fischte einen schmutzigen Aschenbecher aus dem Schubfach für schöne Sachen.
„Was ist mit Ihren Augen, die sehen ja furchtbar aus!“
Unwillkürlich fuhr er sich übers Gesicht. „Sind Sie wegen meiner Gesundheit gekommen?“
Grata schaute um sich. Er sah auf die trüben Fenster , die auf eine Mauer zeigten. Über die Wände glitt sein Blick, zum Aktenschrank ohne Akten und weiter zum Schreibtisch mit Mox dahinter, der ihn seinerseits beobachtete.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich hier jemand wohlfühlen sollte.“
„Mir scheint, Sie können sich einiges nicht vorstellen. Kommen Sie zum Punkt, was wollen Sie?“
„Womit unternehmen Sie Ihre Reisen, Mox?“
„Ich unternehme keine Reisen.“
„Hm, das dachte ich mir. Was meinen Sie, wie ich hierher gekommen bin? Ich wohne ja nicht in solch einer Gegend.“
„Grata, was soll das? Worauf wollen Sie hinaus? Ich habe zwar massig viel Zeit, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sie mit Ihnen verbringen will.“
„Also gut, passen Sie auf, Mox! Boulder Inc. fertigt industriemäßig sämtliche Teleporter, die sie auf der Erde finden. Wir produzieren sie, wir installieren die Geräte, wir warten und betreiben sie. Alles, was Teleportation in größerem, gewerbsmäßigen Stil angeht, läuft über unsere Firma.“
„Wie beeindruckend. Das heißt, Sie haben das Monopol darauf.“
„Haben Sie schon mal eine Reise per Teleportation unternommen, Mox?“
„Natürlich nicht. Wenn ich verreise, will ich was mitkriegen. Außerdem werde ich mir das erst leisten können, wenn ich meine Augenoperation bezahlt habe.“
„Sie verpassen etwas, Mox! Ich war einer der Ersten, die sich haben verschicken lassen. Und es ist ein unglaubliches Gefühl. Sie fühlen sich wie neugeboren, gereinigt. Wenn Sie so wollen, sind Sie das ja auch – gereinigt und neugeboren.“
Er blickte beinahe verträumt auf Mox. „Ihre Augen! Sie sollten etwas unternehmen!“
„Was ist mit der Teleportation? Weshalb erzählen Sie mir das?“
„Es gab Unfälle, bedauerliche Missgeschicke, die eine Menge Wirbel verursachen könnten.“
„Unfälle? Was für Unfälle?“
Grata wand sich. „Nun ja, die Reisenden, sie kamen nicht so an, wie sie abgereist waren. Ein technischer Defekt, mehr oder weniger.“
„Was heißt Unfälle? Wie muss ich mir das vorstellen?“
Wortlos legte Grata Fotografien vor ihn auf den Tisch.
„Heilige Scheiße!“, murmelte Mox., holte seinen Drink vor und kippte ihn in einem Zug hinunter. „Das waren Menschen?“
Grata nickte.
„Wie ist das passiert?“
„Was genau geschehen ist, kann ich Ihnen nicht erklären, ich bin Marketing-Chef, nicht in der Entwicklung. Die Leute aus dem Bereich haben mir bestätigt, dass es sich um ein technisches Problem handelt. Die Informationen, die subatomaren Mitteilungen, so wie sie im Exporter einliefen, wichen in winzigen Einheiten von den Ausgangsinformationen ab.“
„Anders gesagt, es kam nicht das an, was abgeschickt wurde.“
Natürlich kannte Mox die Teleportation. Vor knapp dreißig Jahren hatte Storz damit begonnen, kompakte Materie zu verschicken. Die Warenportation hätte die Welt revolutionieren können; es gab tatsächlich nicht wenige Wissenschaftler, die euphorisch davon ausgingen, den Transport selbst der Tageszeitung auf die Weise abwickeln zu können. Doch niemand hatte mit den enormen Kosten gerechnet, welche die ganze Art dieser Logistik unrentabel machten. Storz hatte weitergeforscht, Lebewesen verschickt, schließlich sich selbst. Soweit Mox wusste, war diese Form der Reise heute ein teures Vergnügen, das diejenigen, die es sich leisten konnten, in Anspruch nahmen, um damit zu prahlen und Erlebnisse zu haben. Jet-Set-Scheiße! Lange vor der Kommerzialisierung der Raumfahrt hatte es reiche Spinner gegeben, die Millionen dafür ausgaben, vierzehn Tage im All zubringen zu können. Heutzutage war man froh, möglichst früh wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Es existierten vielleicht zehn Terminals, verteilt über die Erde. Ins All war man noch gar nicht gegangen.
„Rechnet sich diese Branche?“, fragte Mox und drückte die Zigarette aus. Seine Augen tränten und erinnerten ihn an seine Schulden.
„Natürlich nicht, Mox. Wir sind in der ersten Phase, wir schaffen uns einen Markt. Dieser Markt ist bis jetzt noch sehr exklusiv, das gebe ich zu, aber wie gesagt, wir stehen am Anfang. Und da wäre negative Publicity extrem schädlich.“
„Wie kommt es, dass noch nichts an die Öffentlichkeit gelangt ist? Kann mich nicht erinnern, etwas darüber gehört zu haben.“
„Wir hatten Unfälle an verschiedenen Terminals. Und wir hatten Mittel, es nicht nach außen dringen zu lasen. Unfälle an vollkommen unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Zeiten, das zu verschleiern ist nicht schwer.“
„Immer derselbe Defekt?“
„Nein, es war jedes Mal etwas anderes, aber nur kleinere Unregelmäßigkeiten, die sich leider extrem auswirkten.“
„Sagen Sie das in Bezug auf diese“ – er wies auf die Fotos – „Dinger dort?“
„Mox, ich will, dass Sie ein bisschen herumschnüffeln, die richtigen Leute befragen. Man hat mir versichert, dass eine Fremdeinwirkung so gut wie ausgeschlossen werden kann Unsere Techniker arbeiten an der Hardware.“
„Was, wenn ich doch etwas finde?“
„Sie werden nichts finden, diese ganze Sache ist ein bedauerlicher Zufall.“
Mox – Storz
Der geniale Wissenschaftler Storz, maßgeblicher Entwickler der Warenteleportation, Pionier auf dem Gebiet der Lebendportation, wohnte ziemlich heruntergekommen im äußersten Viertel der Stadt. Es hatte Mox genau zwei Anrufe gekostet, das herauszufinden.
Es regnete, als Mox durch die Straßen unterwegs war. Es hatte zumindest den Vorteil, dass der Staub niedergehalten wurde.
Mox zählte sich schon lange nicht mehr zu den ehrbaren Bürgern der Stadt, das Hinabklettern auf der Sozialleiter war für ihn zu einem Sport geworden. Wenn er Storz’ Adresse nicht sicher gewusst hätte, ohne Zweifel hätte er nicht in Erwägung gezogen, dass in dieser Gegend jemand lebte.
Die Straßen waren keine Straßen mehr – lange her, das ein Fahrzeug drüber gerollt war. Die Pfützen standen in den Schlaglöchern und man konnte nicht sicher sein, wie tief man sank, wenn man reintrat.
Storz’ Haus war eines der am besten erhaltenen. Es sah aus wie ein Hühnerstall mit Wellblechdach. Die Haustür war zusammengesetzt aus Teilen von mindestens drei Türen und Mox meinte, auch den Teil eines Kleiderschrankes zu erkennen.
Es existierte ein Klingelknopf, er betätigte ihn, doch nichts passierte. Auch beim zweiten Versuch war nichts zu hören; er wollte eben klopfen, als die Tür sanft nach innen aufschwang.
Drinnen war Dunkelheit und schlechte Luft.
„Storz?“, fragte Mox unsicher hinein.
Von weit her kam eine Stimme: „Kommen Sie rein!“
Mox schüttelte den Regen ab und folgte. Derselbe Eindruck, den er von draußen gehabt hatte, setzte sich drinnen fort. Ein zusammengestückeltes, notdürftig vernageltes Gebäude. Storz war nirgends zu sehen.
Er tastete sich durch den Raum, der eine Diele hätte darstellen können; er spürte einen Haken, über den etwas gehängt war. Schmieriges Leinen. Die Wand war rau und faserig. Aus einer Öffnung ohne Tür drang warmes Licht. Er hielt darauf zu.
In einem engen Raum, angefüllt mit Bücherregalen, Stapeln von Zeitschriften und losem Papier, saß ein alter, spindeldürrer Mann mit riesigem, kahlem Kopf im Schneidersitz auf einem Stuhl. Irgendwie machte er den Eindruck eines umgedrehten Fragezeichens. Bis auf ein schmutziges Handtuch, das er sich um die Lenden geschlungen hatte, war er nackt. Er schnitt sich die Zehennägel.
„Storz?“, fragte Mox noch einmal.
Der Wissenschaftler blickte von seiner Tätigkeit auf und zeigte zwei strahlend-blaue Augen, die so hell waren, dass sie von sich aus zu leuchten schienen. Mox war verwirrt.
„Was?“, gab Storz mit tiefer Stimme von sich.
Mox schluckte. „Ich habe einige Fragen an Sie, Ihre Rolle bei der Entwicklung der Teleportation betreffend. Mein Name ist Mox.“
„Sie können mir mal helfen, mein Junge.“ Storz hielt ihm eine kleine Nagelschere entgegen und Mox nahm sie automatisch an. „Es ist für mich ziemlich schwierig. Der Große, er ist hart und ich bin alt.“
„Ich bin wegen ein paar Fragen hier.“
„Kommen Sie schon, der Nagel!“ Der Alte verrenkte sich und hielt ihm einen arthritisch verknöcherten Fuß hin. Mox sah ihn an, eine Sekunde schien das Bild eingefroren, der Wissenschaftler saß verrenkt auf dem Stuhl und blickte ihn erwartungsvoll an. Seine Augen schienen in diesem Moment das Einzige, das lebte.
Mox griff sich mit spitzen Fingern den Zeh – er war kalt – und setzte vorsichtig die Schere an. Er übte sanften Druck aus, doch dann hielt er inne. Erblickte nach oben und fragte. „Sie waren maßgeblich beteiligt an der Entwicklung sogenannter Teleporter, nicht wahr?“
„Oh, Junge!“ Der Alte schien genervt. „Junge, Junge! Nun machen Sie schon! Der Nagel muss ab!“
„Waren Sie für Boulder Inc. tätig, Storz?“
Er stöhnte. „Ja, ja! Der Zeh, der Zeh, Junge!“
„Immer ruhig, mein Bester.“ Mox setzte die Schere ab, hielt aber den Fuß fest. „Die Teleporter – waren Sie an der Entwicklung beteiligt? Sie gelten als der Erfinder der Teleportation, Sie haben sie bis zur Entwicklungsreife gebracht, und selbst als noch niemand daran glaubte, haben Sie sich selbst verschickt.“
Storz’ Gesicht bekam einen harten Ausdruck. Er zog seinen Fuß fort und fauchte: „Ich bekenne mich schuldig. Schuldig in vollem Sinne der Anklage. Geben Sie mir die verdammte Schere!“
Er beugte sich vor und Mox hatte den Eindruck, dass sein Ächzen und Stöhnen gespielt war.
„Wie kommt es, das mehrere Porter nicht richtig funktionierten?“
Mit biberhafter Geduld bekam es der Alte fertig, seinen Zehennagel abzuknipsen. Ein Knacken und er flog durchs Zimmer.
„Was denken Sie? An der Erfindung liegt es nicht, ganz sicher nicht!“ Aus dem Fragezeichen wurde Ausrufezeichen. „Es sind die Menschen, die Fehler machen.“
„Wie haben denn Sie von den Unfällen erfahren?“
„Wie alt sind Sie? Halb so alt wie ich? Oder noch jünger? Man hat mich geschasst aus der Firma, schon vor Jahrzehnten. Aber das heißt nicht, dass ich nicht mehr Verbindungen zu ihr habe. Sie haben mich fallengelassen, doch ich habe mich festgekrallt an ihren verdammten Rockschößen. Die eigentliche Frage ist doch: Woher haben Sie die Information und warum laufen Sie herum und belästigen alte Leute?“
„Grata“, sagte Mox. “Ich soll ihm das Alibi liefern, dass etwas getan wurde. Er glaubt an einen technischen Defekt.“
„Grata ist ein intrigantes Schwein! Nehmen Sie sich in Acht, wenn Sie mit ihm zu tun haben!“
Mox sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, Storz wies auf einen Stapel Illustrierter. Bevor er sich niederließ, sah er, dass es ein ganzer Haufen Männermagazine war. Storz grinste und strich sich über seinen kahlen Schädel.
„Weshalb wurden Sie aus der Firma ausgeschlossen? Man hätte Sie eigentlich in Ehren halten müssen. Sie haben denen die wichtigste Einnahmequelle geschaffen.“
„Finden Sie?“ Storz zog eine Augenbraue hoch und es sah auf diesem haarlosen Kopf aus, als begebe sie sich auf Wanderschaft. „Boulder Inc. wurde geschaffen aus einem Spleen heraus, einer Macke des großen Bosses des Mutterkonzerns. Der betrachtete die Teleportation als Spielerei. Und das ist sie auch bis heute. Was meinen Sie, wie es anders gelungen wäre, die Unfälle vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Man nimmt die Teleportation nicht ernst. Nicht weil sie gefährlich wäre, sie ist einfach schweineteuer. Und so lange das so ist, kümmert sich keiner drum. Die Wetterlage im Großkonzern hatte sich geändert, die Spitze war gestürzt. Sie kennen sicher den KLOA-Skandal. Nun, Boulder Inc. musste mit erheblich weniger Mittel auskommen, als der neue Herrscher antrat. Man stand immer an der Schwelle der Schließung. Deshalb verzichtete man auf die Leute, auf die man verzichten konnte.“
„Auf Sie?“
„Ich hatte keinerlei Rechte an meiner Erfindung, ich habe immer im Namen des Mutterkonzerns geforscht. Das heißt, ich war angestellt.“
„Ohne Anspruch auf Pension.“
Mox sah sich um in dem Raum. Mit einfachen Mitteln hatte der Alte versucht, die Bretterwände wohnlicher zu machen. Tapetenreste, Farben, das gab dem Ganzen etwas Rührendes.
„Könnte jemand versuchen, mit diesen Unfällen Boulder Inc. zu diskreditieren?“
„Junge! Die Teleportation führt ein Schattendasein, die braucht man nicht zu diskreditieren.“
„Wie ist es dann zu diesen Unglücken gekommen? Kein technischer Fehler, niemand, der manipuliert hat...?“
„Vielleicht schlampige Bedienung?“
„An mehreren unterschiedlichen Orten? Das wäre ein toller Zufall. Nein, es muss um etwas anderes gehen. Erklären Sie’s mir!“
„Was, Junge? Was soll ich erklären?“
„Wie funktioniert ein Teleporter? Wie kriegen Sie es fertig, an einem Ort den Apfel auseinander zu nehmen, um ihn sechstausend Meilen entfernt wieder zusammenzusetzen?“
„Sechstausend Meilen? Ha, Mox! Sechstausend Lichtjahre wären keine Entfernung für die Teleportation. Wir könnten den Eiffelturm ans Ende des Universums befördern. Oder die Bevölkerung von New Orleans.“
„Fein, das ist klar. Aber wie passiert es, was geschieht mit dem Eiffelturm, wenn sie ihn auseinandernehmen?“
„Wir nehmen ihn nicht auseinander, wie kommen Sie darauf? Wir arbeiten doch nicht wie in billigen Fernsehserien. Mit Auseinandernehmen kommen Sie nicht weit.“
„Womit dann?“
„Wir verschicken nur Informationen, den Bauplan praktisch.“
Mox stöhnte. „Das ist doch abgehakt! Sie können niemals so viele Informationen übermitteln, wie nötig ist, einen Menschen wieder zu reproduzieren.“
„Sie nehmen ein Objekt, versetzen es in den Quantenzustand, scannen es ein, aktivieren ein Referenzpaar, übertragen die negative Information auf das eine und das dazugehörige, beliebig weit entfernte, wird die gewünschte Information annehmen – grob gesagt.“ Storz legte den Kopf schief. „Die Informationsübertragung auf herkömmlichem Wege entfällt. Sobald das Referenzteilchen die Botschaft übernommen hat, verliert das ursprüngliche Partikel seinen Wert. Es geschieht also keine Verdopplung, eher eine Art Abpausen mit Vernichtung des Originals.“
Mox konnte nicht behaupten, etwas verstanden zu haben.
„Was könnte passiert sein?“, fragte er.
„Das weiß ich nicht. Zu lange raus aus dem Geschäft, vielleicht in den Einstellungen gespielt?“
Mox wollte sich verabschieden, als Storz ihn am Jackenkragen festhielt. Das Handtuch war verrutscht und er fürchtete, jeden Moment könne das verschrumpelte Geschlecht des Wissenschaftlers zum Vorschein kommen.
Er zischte Mox ins Gesicht: „Nehmen Sie sich vor Grata in Acht! Er ist ein Karriereschwein und geht über Leichen. Ich habe gehört, seine Frau vögelt mit allem, das auf Männernamen hört.“
„Ach?“ Mox machte sich los. „Mit Ihnen auch, Storz?“
Statt einer Antwort beugte der Alte sich nach vorn und begann, die Nägel des anderen Fußes zu kürzen.
Mox – Heix
Das Terminal war ein Prachtbau erster Klasse. Da die Anlage ein gutes Stück außerhalb der Stadt errichtet worden war, hatte man bei Planung und Bau alle Hemmungen in Bezug auf die Größe des Objektes fallen lassen.
Die Leere auf dem Parkplatz, das verlassene Terrain vor dem gläsernen Empfangsgebäude waren gespenstisch. Die wenigen Leute, die durch die Halle strichen, schienen zum Personal zu gehören.
Mox hatte vor gerade vierzig Minuten angerufen, doch war alles vorbereitet und er wurde persönlich empfangen.
„Ich darf Ihnen sagen, Sie haben eine gute Wahl getroffen, als Sie sich für uns entschieden.“
Heix’ Büro war überbordend mit technischen Geräten, stilvollen Möbeln und edlen Accessoires ausgestattet. Eines war ihnen allen gemein: Sie schienen neu und unbenutzt.
Heix war eine Frau, deren Alterungsprozess einem Kopfzerbrechen bereitete. Man konnte mit Sicherheit nur sagen, dass sie irgendwo jenseits der Vierzig war; wo genau, konnte man nur ahnen. Denn die Beweise dafür hatte sie konsequent vernichtet oder wenigstens überdeckt. Das Puder auf den Wangen gab ihr einen unnatürlich wächsernen Teint und die geschminkten Lippen und die nachgezogenen Augenbrauen schienen nachträglich ins Gesicht eingefügt. Sie versuchte zu lächeln.
Mox hatte in einem schweren Ledersessel Platz genommen; er fühlte sich unwohl in seinen abgetragenen Sachen. Für die Verkaufs-Managerin dieses Terminals schien dies allerdings nicht im Widerspruch zu seinem Anliegen zu stehen.
„Wir werden unser Bestes tun, Sie zufrieden zu stellen. Ich weiß, diese Art zu reisen ist noch nicht weit verbreitet, doch Sie werden sehen, es lohnt sich. Wegen der Zeitersparnis und schon wegen des Erlebnisses an sich.“
Mox ließ sich noch eine Weile von ihren Werbesprüchen berieseln, während er fasziniert beobachtete, wie sich ihr blutig-roter Mund öffnete und schloss. Öffnete und schloss.
„Wie steht es mit der Sicherheit?“, fragte er unvermittelt.
Sie stockte nur kurz, bevor sie fortfuhr: „Nun, ich kann Ihnen die Statistiken zeigen, die besagen , dass wir...“
„Keine Unfälle?“
Ein nervöses Zucken der Augenbrauen. „Nein, wie gesagt. Die Teleportation ist die sicherste Fortbewegungsform, derer sich der Mensch derzeit bedienen kann. Alle Statistiken weisen...“
Sie war voluminös gebaut und hatte einen Schönheitsfleck am rechten Mundwinkel, wohl in Andenken an ein längst vergangenes Schönheitsideal. Ihr Busen wogte, als sie ihre Plattitüden über ihm abließ.
Die Tür ging; eine hohle Hübsche mit Tablett in der Hand kam herein.
„Der Kaffee“, unterbrach Heix ihren Schwall. Mox hätte sich lieber einen Bourbon genehmigt, er fand aber, dass ihm der Kaffee in seiner derzeitigen Rolle besser stand.
Als das Püppchen den Raum verlassen hatte, kam Mox auf den Punkt: „Ich würde mir das gern anschauen, bevor ich es benutze. Augenscheinliche Funktionsprobe, sozusagen.“ Er grinste.
Als beide die Halle durchquerten – sie klapperte wie ein Fremdenführer vor ihm her – war sie ein wenig belebter.
„In einer halben Stunde haben wir eine Ankunft“, rief sie ihm über die Schultern zu.
Sie liefen einen verfliesten Gang entlang, sie hätten sich ebenso an einem Flughafen befinden können. Der Gang mündete in drei hohen Kunststofftüren, die mit „T1“, „T2“ und „T3“ sehr spartanisch beschriftet waren. Mox erinnerte es an ein Krematorium, obwohl er auch davon keine genaue Vorstellung hatte.
„Was ist mit Ihren Augen?“, fragte Heix nebenbei, während sie auf einer Tastatur einen Zahlencode eingab.
„Operation.“ Die mittlere Tür öffnete sich geräuschlos. „Man hat mich wieder sehend gemacht.“
Hinter der Tür empfing sie ein Gewusel wie in der Fußgängerzone. Männer mit weißen Kitteln liefen aufgeregt hin und her, eine nervtötende Sirene übertönte alles und zusätzlich blitzte grelles Warnlicht und tauchte das Chaos in ein Stroboskop-Gewitter.
„Die heiße Phase!“, rief Heix und wich einem Glatzkopf mit schmuddligem Overall aus.
Sie stellten sich in einen weniger belebten Winkel und schauten dem Treiben zu. Mox steckte sich eine Zigarette an und Heix’ Blick genügte, dass er sie ausdrückte.
„Das ist ja ein Schweinedurcheinander!“, zischte Mox. „Wer koordiniert das Ganze?“
Heix grüßte in Richtung eines jungen Blonden, der unter seinem Kittel einen Schlips trug und sagte, ohne den Blick von ihm zu lassen: „Dieser Junge dort.“
„Wie lange schiebt er Dienst, gewöhnlich?“
„Die Normalschicht dauert zwölf Stunden. Zwölf Stunden Ruhe im Anschluss, dann wieder Schicht.“
„In welchem Rhythmus?“
„Sieben Tage Schicht, vier Tage frei. Und von vorn. Er hat heute seinen letzten Tag. Noch diese Ankunft hier und er geht in Ruhe. Wofür wollen Sie das wissen?“
Mox überschlug im Geist den Kalender und errechnete, dass er Glück hatte.
„Ich glaube“, sagte er und reichte Heix die Han,. „ich habe genug gesehen.“
„Die Ankunft“, fragte Heix verdutzt. „Höchstens fünf Minuten.“
„Ich werde auf Sie zurückkommen, sicher.“
Mox – Adons
Während Mox wartete, versuchte er krampfhaft vor dem Rückspiegel seine Tropfen in die Augen zu geben. Sie taten weh und plötzlich spürte er, dass sie nicht zu ihm gehörten. Er musste sich zwingen, sie nicht zu schließen, um sie ein wenig zu entlasten.
Die Ankunftsprozession trat aus der Halle, unversehrt und extravagant wie sie bekannt war. Es war eine junge Popsängerin, puppenhaft und umschwärmt von ihren Guards, die sie jedoch nicht einmal mit Missachtung strafte. Einige Reporter hatten sich eingefunden und versuchten, ihren Unterhalt zu verdienen. Sie wurden von den Gorillas der jungen Lady davon gejagt.
Die Entfernung war zu anstrengend, so dass Mox den Blick immer wieder abwenden musste. Bis plötzlich eine Gruppe Männer aus einem Seiteneingang trat. Sie trennten sich und strebten auf einige abseits geparkte Fahrzeuge zu.
Mox wurde aufmerksam, er zwinkerte die Tränen weg und beobachtete. Sein Ziel fuhr einen roten Suchard, neueste Bauart. Er klemmte sich vorsichtig hinten an.
Der Blonde fuhr sinnig, ganz wie es sich ziemte für jemanden, der von anstrengender Schicht kam. Wie zu erwarten, steuerte er das Fahrzeug direkt in die beste Gegend der Stadt. Er schien ein Appartement in einem eleganten Sechsgeschosser zu bewohnen. Mox wartete wieder in gebührendem Abstand, während der Schönling die Haustüre aufschloss und mit seinem Rucksack hineinschlüpfte.
Keine halbe Stunde später kam er wieder heraus, dieses Mal frischer und zielstrebiger. Mox hatte sich vorsorglich an seinem Wagen positioniert und als der Blonde nun einsteigen wollte, trat er von hinten an ihn heran.
„Freundchen, ich hab hier was für Sie“, knurrte er ihm ins Genick.
Ärgerlich drehte sich der Jüngling um und blickte in Mox’ handliche 36er.
„Was wollen Sie?“
Mox hatte sich am Klingelschild informiert und fragte nun: „Adons, nicht wahr?“
Das Zucken der Augenlider war Reaktion des Andern genug. Er fragte noch einmal: „Was zum Teufel wollen Sie von mir?“
Es war eine ruhige Straße in einer ruhigen Gegend. Das kam Mox entgegen. „Steigen Sie ein!“
Adons folgte dem Befehl und Mox belegte die Beifahrerseite, ohne die Mündung von dem Jungen zu lassen.
„Fahren Sie!“
„Sie sind ganz schön mutig, mein Lieber“, schnarrte der Junge, während der Wagen Fahrt gewann. Er fuhr nicht zimperlich, das Fahrzeug lag gut in der Spur. „Sie steigen bei mir in den Wagen, indem Sie mir eine Knarre unters Gesicht halten. Ich würde das schon dumm nennen! Wie, denken Sie, werden Sie hier rauskommen?“
„Oh, ich glaube, Sie werden mich rauslassen, wenn Sie erfahren, was ich von Ihnen will.“
„Was wollen Sie denn? Schickt Pam Sie? Dann können Sie ihr ausrichten, dass nichts mehr zu holen ist bei mir. Keine Chance!“
Mox lachte leise.
„Sie kommen nicht von Pam?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich bin an Informationen interessiert, Adons. Fahren Sie dort rechts ab. Aber halten Sie die Verkehrsregeln ein, Freundchen. Wir sind nicht in ’nem Actionfilm.“
Adons blickte aus den Augenwinkeln zu Mox und musterte kurz dessen Pistole.
„Was für Informationen?“ Sein Blick war plötzlich verschlossen.
Mox versuchte gleichzeitig die Straße und Adons im Auge zu behalten. Er ließ die Waffe sinken und legte sie locker auf den Knien ab.
Sie verließen die besseren Bereiche der Stadt. Irgendjemand schien sich hier die Mühe gemacht zu haben, alle Farben aus der Gegend herauszuwaschen. In den kahlen Straßen stand schon wieder muffiger Dunst; der Regen der vergangenen Tage hatte nicht viel geholfen.
„Sagt Ihnen der Name Storz etwas?“, fragte Mox nebenbei. Es war, als blinzele Adons bei der Nennung des Namens.
„Wie könnte ich nicht“, antwortete er. „Er ist ein Pionier in der Teletransportation. Weht der Wind von der Seite?“
„Wussten Sie, dass er hier in der Gegend wohnt?“
Adons starrte nach vorn. Er wich den Schlaglöchern aus und fuhr wieder sehr vorsichtig. „Wo fahren wir hin?“, fragte er.
„Es ist nicht mehr weit.“
Sie hielten inmitten eines verlassenen Industriegebietes weit außerhalb der Stadt. Riesige Hallen, die in der Landschaft lagen wie verwitterte Bausteine und verbunden wurden durch ein schmales Asphaltband. Dazwischen immer wieder Fahrzeuge, die einfach stehen gelassen worden waren, als herrsche Krieg – Verfall und Niedergang lag über allem.
Als sie aus dem Wagen stiegen, fragte Adons, während er das Gelände studierte: „Was um Himmels Willen suchen wir hier draußen?“
Mox antwortete fröhlich: „Ruhe“ und knallte die Autotür zu. „Gehen Sie. Wir nehmen die Halle dort.“
Bizarrerweise war der Zugang zu der Halle geschlossen und mit einem Vorhängeschloss gesichert. Es genügte allerdings, das Schloss nur anzufassen, und es gab nach.
Stille und Leere drinnen, die man spüren und hören konnte.
Mox trieb Adons mit seiner Pistole ins Innere. Sie kamen in eine gewaltige Halle, die beinahe ohne Inventar war. Von der Deckenkonstruktion hingen schwere Ketten herab, an den Stirnseiten waren einige Räume durch billige Wände abgeteilt und an der gegenüberliegenden Seite stand ein Container, der wohl die Maße eines zweistöckigen Hauses hatte.
„Was ist das hier?“, fragte Adons.
„Schauen Sie selbst nach“, forderte Mox und wies mit der Waffe auf den mächtigen Lagerbehälter. Als Adons zögernd darauf zuging, hallten seine Schritte.
Er blickte Mox fragend an, doch der ermunterte ihn nur mit einer Geste und folgte ihm.
Der Container war an seiner Oberseite offen, und um hineinschauen zu können, musste man eine metallene Leiter hinaufsteigen, die fest angebracht war. Adons stieg langsam nach oben.
„Heilige Scheiße“, murmelte er, als er einen Blick hineinwarf, doch es klang, als sei es geschrien.
„Was sehen Sie?
„Puppen. Jede Menge Püppchen. Das müssen Hunderttausende sein. Warten Sie, wie heißen die...Suchie-Püppchen. Genau.“ Er wandte sich hinab zu Mox. „Das sind wohl Millionen von den Dingern hier drinnen.“
„Suchies, Adons, heißen die Dinger in unseren Tagen. Früher waren das Barbie-Puppen.“
Tausende und Abertausende kleiner Ärmchen und Beinchen ragten in die Höhe, dazu unzählige kleiner Puppengesichter.
„Ich weiß das von meiner Tochter. Sie hat die Dinger gesammelt. Damals.“
„Sie haben eine Tochter? Habe ich nicht gedacht.“
„Hatte, Adons, hatte“, murmelte Mox. „Kommen Sie runter von da oben!“
Er ließ Adons in der Mitte der Halle, zog sich selbst einen verrotteten Stuhl beiseite und hockte sich, die Pistole auf den Knien abgelegt, darauf. Gut zwanzig Meter voneinander entfernt, der eine stehend, Mox sitzend, unterhielten sie sich und es klang, als befänden sie sich in einer Höhle.
„Wären Sie so freundlich, mich darüber aufzuklären, mit wem ich es zu tun habe?“, nörgelte Adons. Er hatte die Hände vor der Brust verschränkt und machte immer wieder den Versuch, seinen Platz zu verlassen.
„Es gab mal ’ne Zeit, da habe ich mich für diese Puppen interessiert.“ Mox deutete mit der Pistole auf den Container. „Ich war auch fasziniert von Bilderbüchern, Puppenwagen und Bauklötzen. Das ist jetzt...warten Sie...das ist zehn Jahre her. Meinen Sie, Adons, dass ich mit diesen Dings hier –„ er hielt die Waffe hoch – „umherrennen und junge Schnösel bedrohen würde, wenn sich meine Interessenlage nicht massiv verschoben hätte?“
Einen kleinen Moment herrschte Stille in der Fabrikhalle. Dann fragte Adons: „Was wollen Sie?“
Mox lehnte sich zurück und fand zu seinem alten unbeteiligten Ton zurück. „Die Frage, die sich stellt, ist doch die: Sind Sie bereit, mir Informationen zu geben, die ich dringend benötige?“
„Was für Informationen?“, fragte Adons noch einmal.
„Wissen Sie“, erwiderte Mox, ohne darauf einzugehen. „Ich stand eine lange Zeit vor Ihrem Empfangsgebäude. Na ja, im Auto gesessen, die Fingernägel geschnitten, Kreuzworträtsel gelöst. Mein Gott, ich hab sogar die Börsenberichte gelesen, um die Zeit totzukriegen. Ich habe auf Sie gewartet, und hatte massig viel Zeit. Und während ich so saß und Langeweile schob, da fiel mir nach und nach auf, dass ziemlich viele Besucher Ihren Terminal betraten und verließen. Ziemlich viele, fand ich. Bleiben Sie, wo Sie sind, Adons! Ich hab das Ding hier nicht zum Jux in der Hand!“
„Was wollen Sie damit andeuten, Mann. Schenken Sie reinen Obstsaft ein, dann kann ich Ihnen antworten und dann ist diese abgefahrene Fragestunde endlich vorbei.“
„Oh, Adons. Ich war vorher bei Heix und führte eine angeregte Unterhaltung. Das heißt, sie führte die Unterhaltung und meist hörte ich zu. Sie versuchte dauernd, mir Ihre Dampfeisenbahn schmackhaft zu machen. Als ich sie fragte, wie viele Passagiere Sie pro Tag beförderten, antwortete sie, dass sich das Geschäft erst im Aufbau befände und man momentan bei 20 Prozent Auslastung sei. Eine einzige Heulerei, kann ich Ihnen sagen. Wie viele Passagiere wären 100 Prozent?“
„Sagen Sie schon, was Sie wollen!“
„Bleiben Sie stehen!“ Er rieb sich die Augen. „Ich habe eine Diskrepanz festgestellt zwischen der Aussage Ihrer Pressetante und der Realität, wie ich sie wahrgenommen habe.“
Wieder Stille, irgendwo knackte Metall, das von der Sonne erwärmt wurde.
„Und?“, fragte Adons und es klang wie ein Schuss.
„Ich frage mich, ob der Vorstand von Bolder Inc. Kenntnis davon hat, wie sehr ihr Geschäft wirklich floriert.“
„Haben Sie mich bis hierher gebracht, um mich das zu fragen?“
Mox grinste, auch wenn die verdammten Augen wehtaten. „Natürlich nicht, ich wollte damit lediglich eine vertrauensvolle Basis für unser Gespräch schaffen. Ich habe ein paar Fragen an Sie, die etwas anders geartet sind.“
Der Gesichtsausdruck von Adons hatte sich verhärtet. Er hatte noch immer die Arme vor der Brust gekreuzt, doch nun sah diese Haltung mehr denn je einer Abwehrstellung ähnlich.
„Was wollen Sie wissen?“
Mox setzte sich bequem, versuchte sich zu entspannen und zeigte ein Lächeln. Er wusste nicht, ob Adons es sehen konnte.
„Was genau ist Ihre Aufgabe bei Bolder Inc.?“
„Director of department exit.“
“Na, kommen Sie! Ich will wissen, was Sie tun, nicht wie Sie sich anbellen lassen!“
„Wozu wollen Sie das wissen?“
Mox verzog das Gesicht. „Keine Gegenfragen, bitte. Was tun Sie?“
„Mir untersteht die gesamte Sektion der Abreise. Wir nehmen die Leute auf, wir bereiten sie vor und führen dann die Reise durch. Alles was mit dem Exit zu tun hat, dafür bin ich verantwortlich.“
„Heix untersteht Ihnen?“
„Nein, sie ist in einer anderen Ebene beschäftigt. Öffentlichkeitsarbeit, wissen Sie. Promotion und Werbung. Sie ist für Neukunden zuständig. Im Eingang wie im Ausgang.“
„Kundenfang.“
„Nun ja, wenn Sie es so nennen wollen. Wir haben nicht oft miteinander zu tun.“
„Sie müssen ein sehr glücklicher Mensch sein“, murmelte Mox kaum hörbar. Adons entspannte sich zusehends, seine Haltung wurde lockerer und er nutzte aus, dass Mox offensichtlich nichts dagegen hatte.
„Wie lange sind Sie jetzt bei Bolder Inc.?“
„Sechs Jahre jetzt, seit Beginn an.“
„Alter Hase, was?“
Adons lachte – das erste Mal, seit Mox ihn gekidnappt hatte. „Ich glaube nicht, nein. Zu komplex das Ganze, immer wieder was Neues.“
„Aber Sie haben eine Menge Erfahrung, nicht?“
Mox legte die Pistole beiseite. Es gehörte jetzt nicht mehr viel dazu, dass Adons langsam, Stück für Stück näher kam, sich quasi beiläufig zu Mox gesellte und sich schließlich sogar einen Stuhl zu ihm heranzog und sich neben ihn setzte. So hockten sie jetzt beieinander wie gute Freunde, verloren in der riesigen Halle, im Rücken den monströsen Behälter, aus dem die Puppenärmchen ragten.
„Wer hat Zugang zu den Portern?“, fragte Mox. „Ich meine vom Personal.“
„Der Techniker und der Programmierer“, antwortete Adons. „Es gibt nur eingeschränkte Möglichkeiten, in den Ablauf einzugreifen.“
„Keine Chance zu manipulieren?“
Kopfschütteln.
„Gar keine?“
„Nun...Wofür wollen Sie das wissen? Wer schickt Sie? Ich hab’ Sie gesehen, wie Sie mit Heix den Terminal besichtigten. Was haben Sie vor?“
Mox nahm die Pistole wieder in die Hand. „Ich interessiere mich für Teleportation.“ Und wie beiläufig setzte er hinzu: „Und deren Sicherheit. Wer ist in Ihre Extratouren zum Taschengelderwerb alles eingeweiht, Adons? Es müssten doch eine ganze Menge Leute davon wissen. Ich wette, es muss fast das gesamte Personal der Portations-Tochter eingeweiht sein, ansonsten lässt es sich nicht vertuschen. Also müsste eine Anfrage bei der Muttergesellschaft zum Ziel führen. Es wird sie interessieren, dass ihnen ein hübsches Sümmchen an Einnahmen verloren geht.“ Sein Ton wurde härter. „Wie ist das also, gibt es keine Möglichkeit, die Portationsdaten zu manipulieren?“
Adons warf ein Blick nach oben. „Für die Angestellten ist es praktisch unmöglich in den Prozess einzugreifen. Die Daten sind abgeschirmt und werden gesichert. Einzig über eine Online-Verbindung zum Mutterkonzern sind die Daten erreichbar. Aber fragen Sie mich bloß nicht, wie die dort gesichert sind, da kommt kein Normalsterblicher rein.“
Mox pfiff durch die Zähne.
„Das ist mir mal eine Information, die das ganze Theater wert ist“, sagte er leise.
„Wer schickt Sie?“, fragte Adons ebenso gedämpft. „Hat das zu tun mit den Unfällen?“
„Gab es denn welche?“
Mox stand auf und ging einige Schritte hin und her. Die Luft schien dünner geworden zu sein in der Halle. Auch wenn draußen die Sonne schien, war es hier drinnen doch unangenehm kühl.
„Aus der Richtung weht der Wind“, meinte Adons. „Kommen Sie vom Vorstand?“ Ihm schien aufzugehen, was das bedeutete, verstummte und musterte Mox erneut.
„Sie sehen nicht aus wie jemand, den der Vorstand geschickt hat. Niemand in diesen Sphären wird mit einer Pistole rumrennen.“
„Mein Name ist Mox und mein Job ist es, herauszufinden, was hinter den Unfällen steckt, die in verschiedenen Teleportern passierten, die zu Ihrem Unternehmen gehören. Ich stelle nur Fragen und wenn ich zu einem Ergebnis komme, werde ich das meinem Auftraggeber mitteilen.“
„Ich habe damit nichts zu tun!“
Mox hatte sich wieder gesetzt. Dafür war es jetzt Adons, der auf und ab lief wie eine gefangene Fliege.
„Ich habe damit nichts zu tun“, wiederholte er und sah Mox feindselig an. „Wir versuchen Geld zu machen, aber wir bringen keine Menschen um.“
„Sind Sie der Meinung, dass jemand die Unfälle verschuldet hat?“
„Ich weiß es nicht.“
„Aber Sie glauben doch etwas“, setzte Mox nach. „Sie können mir nicht erzählen, dass Sie jahrelang in dem Geschäft sind und jetzt, da vor Ihrer Nase mehrere Leute durch den Wolf gedreht werden, Sie keine Meinung haben, was da passiert ist.“
Adons holte aus der Hosentasche ein Päckchen Zigaretten hervor und steckte sich umständlich eine an. Als Mox mit einer Geste auch eine forderte, gab er ihm eine und steckte sie ihm an. Gemeinsam rauchten sie schweigend.
Nach einer Weile begann Adons: „Als ich begann, mich für die Teleportation zu interessieren, war ich ein kleiner Junge und Storz, der Pionier auf dem Gebiet, war schon ein alter Mann. Er hatte eben seine ersten Selbstversuche unternommen und die ganze Welt hielt den Atem an. Immer, bei jedem öffentlichen Versuch von Storz, schwang die Möglichkeit des totalen Fehlschlags mit. Bei keiner anderen Reiseart würde ein Unfall so endgültig sein. Die Angst vor den Folgen eines Fehlschlagens der Teleportation war immer spürbar.“ Er nahm einen tiefen Zug und musste husten.
„Auch als ich meinen Berufswunsch wahrmachte und bei Boulder Inc. begann, war die Furcht davor, was passieren könnte, wenn die Portation misslang, unterschwellig bei jedem von uns vorhanden. Jeder hatte seine eigenen Horrorbilder im Kopf. Aber es passierte nichts, kein kleiner Unfall, kein Missgeschick; die Furcht schlief ein und dann plötzlich diese Katastrophen. Zunächst waren es nur Gerüchte über ein verstümmeltes Opfer. Die Redereien innerhalb der Firma zogen sich bis in die kleinsten Netzwerke. Die Angst kehrte zurück und wurde größer denn je. Eine Order wurde von oben nach unten durchgestellt, dass es bei Strafe verboten war, von diesen Gerüchten etwas nach draußen zu tragen. Also musste etwas dran sein, und zur Gewissheit wurde es, als der erste GAU bei uns geschah. Als sich die erste Schweinerei aus einem unserer Porter ergoss. Jeder hatte seine eigenen Vorstellungen gehabt, wie schlimm es bei einer Fehlfunktion werden würde. Jede einzelne Fantasie wurde übertroffen, glauben Sie mir!“
„Hatten Sie Dienst?“
„Nein, beim ersten Mal nicht. Aber es wurden Bilder gemacht, privat. Und die gingen natürlich um in der Belegschaft. Es dauerte eine Zeit, bis ich dahinter kam, im Allgemeinen haben wir aber ein recht gutes Verhältnis untereinander.“
„Wie haben Sie reagiert?“
„Erleichterung.“
„Verstehe“, erwiderte Mox. „Platscht eine Leiche vor ihre Füße, dessen Magenwände außen hängen, sind Sie erleichtert.“
Adons verdrehte wieder die Augen. Er warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus.
„Wir standen unter Spannung, Mox. Tief in seinem Inneren wusste jeder, dass das, was wir hier taten, nicht gut gehen konnte. Nicht auf Dauer und nicht in dem Maße. Und als es dann endlich passierte, war zumindest die Ungewissheit vorüber.“
„Sie sprachen von Fotos, die gemacht wurden. Kann ich die sehen?“
Adons zögerte. „Ich weiß nicht. Ich habe sie nicht hier. Die Bilder sind Sprengstoff für die Firma. Wenn Sie an die Öffentlichkeit gelangen, bedeutet dies das Ende der Teleportation und von Boulder Inc..“
Mox überlegte, ob jemand die Fotos benutzen könnte, um Grata oder den Vorstand zu erpressen. Doch er verwarf den Gedanken wieder, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass jemand einen derartigen Aufwand betreiben und diese Morde begehen würde für eine solch unsichere Sache.
„Wer hat die Fotos?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe sie nur kurz gesehen.“ Adons schluckte. Freiliegende Organe neben Gliedmaßen, entbeint und über dem Ganzen ein Auge, ohne den dazugehörigen Schädel. „Ich will sie auch nie wieder sehen!“
„Aber es ist noch nicht vorbei.“
„Nein, das ist es nicht. Vor einer Woche verunglückte in Philadelphia ein Manager. Wir hatten gedacht, es sei vorüber, nachdem etwa vier Monate nichts geschehen war. Wir waren in dieselbe trügerische Ruhe eingetaucht.“
„Wie schaffen Sie es nur, diese Vorfälle geheim zu halten?“ Mox schnipste den Zigarettenstummel in die Halle. „Ich meine, so ein Manager hat Angehörige, Leute, die auf ihn warten. Was sagen die, wenn ihnen solch ein...Haufen übergeben wird?“
“Geld, Mox.“ Adons lachte auf. „Geld kann eine große Menge richten, glauben Sie mir. Und was Geld nicht kann, da kommt Gewalt dazu. Diese Kombination kann fast alle Probleme zu lösen.“
Mox stand auf und ging, die Hände in den Taschen, durch die Halle. Er stöberte irgendwo eine alte Büchse auf und begann, sie hin und her zu kicken.
„Ganz im Vertrauen, Adons“, rief er von einem entfernten Winkel. „Wer ist Schuld an den Unfällen?“
Adons saß auf dem morschen Stuhl und starrte, vorgebeugt und auf den Knien abgestützt, auf den Boden. Er sah jetzt aus wie ein verschüchtertes Huhn.
„Meine wahre Meinung?“, fragte er den Fußboden.
„Nur zu.“
„Ohne dass Sie sich jemals auf mich berufen könnten, sage ich Ihnen, dass nur jemand aus dem Vorstand dahinter stecken kann. Nicht Boulder Inc. wohlgemerkt. Die Verbindung führt zum Mutterkonzern. Aber wie gesagt, meine persönliche Meinung, die ich öffentlich nicht wiederholen werde.“
„Da steckt was Großes dahinter, was wirklich Großes. Ich hoffe nur, wir beide sind nicht zu klein dafür.“
Adons schaute hoch. „Oh nein, Mox“, erwiderte er. „Nein, nein. Lassen Sie mich aus dem Spiel! Ich habe damit nichts zu schaffen. Ich werde weiterhin meiner Arbeit nachgehen, emsig wie ein Bienchen Boulder dienen und darüber hinaus abends gelegentlich einen heben.“
„Ihrer Ex den regelmäßigen Scheck reichen und dann und wann eine gepflegte Sauerei aus Ihrem Porter wischen, was? Meinen Sie, Ihnen bleibt der Anblick in Zukunft erspart? Sie denken wohl nicht im Ernst daran, dass Sie sich heraushalten können. Sie sind mittendrin, Mann. Sie sind ein Teil des Ganzen!“
„Lassen Sie mich in Ruhe, Mox!“
Mox wippte vor Adons auf und ab. Er hatte die Hände tief in seinen Hosentaschen versenkt. „Kommen Sie in die Verbindung zwischen Porter und Vorstand des Mutterkonzerns hinein?“
„Ich werde es nicht tun, Mox. Ich werde es nicht tun!“
Eine blitzschnelle Bewegung Adons’ ließ Mox erstarren. Die Pistole hatte unbeachtet auf dem Boden gelegen, jetzt lag sie in der Hand von Adons und die Mündung zeigte auf Mox.
„Lassen Sie mich in Ruhe“, zischte Adons. „Lassen Sie mich verdammt noch mal in Ruhe mit dem Scheiß! Das ist nicht meine Sache, verstehen Sie, und ich werde nicht den Dreck wegmachen für andere.“
Mox ging auf ihn zu, nahm ihm nebenbei die Waffe aus der Hand und steckte sie ein.
„Meinen Sie im Ernst“, sagte er, während er langsam hinausging, „dass ich mit einer geladenen Pistole umherfuchteln würde?“ Und schüttelte den Kopf.
Adons überlegte nur kurz, besann sich und lief ihm hinterher.
Mox – Grata – Myrzo
Das vorherrschende Attribut der Gegend, in der Mox sich absetzen ließ, hieß Stille. Wie über einem Friedhof lag die Ruhe über diesem Viertel, von dem er nicht einmal sagen konnte, ob es überhaupt zur Stadt gehörte. Die Straßen waren Wege, die Bordsteine waren Ufer mit prächtigen Kastanien und die Anwesen waren so weit voneinander entfernt, dass die Nachbarn Telefon benutzen mussten, wenn sie sich etwas zurufen wollten.
Er ließ seinen Wagen in entsprechender Entfernung stehen und machte sich auf einen komplizierten Einbruch gefasst, doch zu seiner Überraschung stand das Tor zu dem Anwesen weit offen und es war nirgends Wachpersonal zu sehen.
Vorsichtig durchschritt er das Tor und sah sich misstrauisch um. Die Sonne schien und die Luft war absolut rein, so dass Mox vermutete, eine Luftschleuse grenze das Grundstück ab. Dann allerdings war Grata wirklich stinkreich, denn die Schleuse für Anwesen war eben auf dem Markt und angesagter als die Teleportation.
Er knirschte den Kiesweg entlang und mit jedem Schritt wurde Gemurmel lauter – Gemurmel und Musik.
Die Villa bestand zum größten Teil aus Glas; im hinteren Teil war sie von einem Park umgeben, an den sich wiederum ein Wald anschloss. Um den Swimmingpool herum, auf dem perfekt geschnittenen Rasen und teilweise sogar zwischen den Bäumen des Waldes standen gutaussehende, braungebrannte Menschen mit Cocktailgläsern in den Händen und unterhielten sich. Mox wurde sich bewusst, dass er seine Partykleidung nicht angelegt hatte.
Hemdsärmelig, mit seinen dürren Ärmchen wedelnd und in unvermeidlich karierten Hosen kam Grata auf ihn zugelaufen. Ohne Jackett und Schlips kam er Mox noch kasperhafter vor, doch der Gesichtsausdruck des Managers sprach ein anderes Bild.
Völlig außer Atem erreichte er Mox und versuchte ihn trotz der fehlenden Puste grimmig anzuschauen. Mox sah, wie einige Gäste der Sommerparty auf sie aufmerksam wurden und zu ihnen hinüber starrten.
„Was tun Sie hier, verdammt?“ zischte Grata, wobei er darauf achtete, sein wütendes Gesicht von der Menge abgewandt zu halten. Er sah wirklich sehr schlecht gelaunt aus.
Mox streckte sich und versuchte an Grata vorbei zu blicken. „Ist das etwa Feyst dahinten?“ fragte er. „Vorstand von Boulder Inc.?“
„Mox!“ Grata schwitzte. „Halten Sie sich fern! Das da sind alles Leute, die mindestens zwei Nummern größer sind als Sie!“
Einen kurzen Augenblick erwartete Mox, dass Grata ihn anfassen und eigenhändig von seinem Grundstück schieben wollte. Doch das tat er nicht. Stattdessen sagte er leise: „Verpissen Sie sich!“
Mox machte sich groß und sagte: „Ich war bei Storz, Grata. Sein Luxus ist etwas bescheidener. Ich glaube gar – “ und mit diesen Worten näherte er sich Gratas Gesicht – „er lebt in ärmlichen Verhältnissen. Wissen Sie, was ich meine?!“
Grata schaute sich um. Einige schick gekleidete Damen sahen herüber, tuschelten und eine von ihnen kicherte nervös.
„Wissen Sie was“, meinte Grata, als hätte er einen Entschluss gefasst. „Ich entziehe Ihnen hiermit den Auftrag. Und nun verschwinden Sie! Gehen Sie!“
„Sie führen sich auf!“, sagte Mox. „Als hätten Sie etwas zu sagen in dem Betrieb. Wenn ich das richtig sehe, ist hier die gesamte Führungsspitze von Boulder Inc. Vertreten. Inklusive Ehefrauen, Geliebten, Konkubinen. Ich denke, ich werde hingehen, mir den schnappen, der am wichtigsten aussieht und ihm von meinen Ermittlungsergebnissen erzählen.“
„Ermittlungsergebnisse? Mox, erzählen Sie nicht, Sie hätten was getan.“
„Ich war bei Storz.“ Mox betrachtete interessiert das Treiben um den Swimmingpool herum. „Und was ich im örtlichen Portationsterminal zu hören gekriegt habe, wird offene Ohren finden, glauben Sie mir.“
Grata stand plötzlich still.
„Was haben Sie herausgefunden?“
Eine Brünette löste sich aus der Menge und stakste quer über den Rasen auf sie zu. Sie hatte eine Art weißen Kimono übergeworfen, der nachlässig geschlossen war, so dass beim Gehen braune Haut und lässige Brustwarzen zu sehen waren.
Sie hatte asiatische Gesichtszüge und Mox war der Meinung, dass sie zugedröhnt war.
„Kommst du Schatz“, sagte sie mit Blick auf Mox. „Wer sind denn Sie?“
„Niemand“, zischte Grata und versuchte Mox wieder wegzudrängen. „Er wollte eben gehen.“
„Vielleicht können Sie uns vorher einander vorstellen, Grata? Wer ist die junge Dame?“
„Genau“, nölte die Asiatin und ihr Kimono öffnete sich eine Spur. Es schien Absicht im Spiel.
„Myrzo!“, schnappte Grata. „Meine Frau. Das hier ist…Mox, eben gekündigt.“
„Warum gekündigt?“ Sie machte noch größere Augen. „Kommen Sie morgen zu mir, Mox.“ Sie lachte. „Ich stelle Sie wieder ein.“
„Liebling, geh schon rüber“, bat Grata. „Ich komme gleich nach. Ich will Mox nur schnell hinausbegleiten.“
„Für das doppelte Gehalt“, rief das Püppchen ihnen hinterher.
„Klasse Frau, die Sie sich da geangelt haben“, meinte Mox, als er von Grata geschoben, den Kiesweg zurücklief. „Sie müssen schön zu tun haben mit ihr, hab ich Recht?“
„Was wollen Sie?“ Grata war jetzt schon außer Atem, auf seiner knittrigen Stirn bildeten sich Schweißtropfen.
„Ich möchte mir einen Porter anschauen!“
„Kein Problem, Mox. Die Terminals werden einmal in der Dekade gewartet, Probebetrieb und so. Kommen Sie am nächsten Sechsten Abends zum Terminal, da haben wir beide Ruhe, niemand da, der uns stört. Ich kann Ihnen alles zeigen.“
„Na wunderbar“, antwortete Mox und durchquerte ohne sich umzudrehen das schmiedeeiserne Tor. Leise begleitete ihn Partymusik.
Grata – Mox
Es war unheimlich, ein so großes und weit reichendes Gebäude absolut leer zu sehen. Die Dunkelheit lag in allen Winkeln und die Halle war so verlassen, dass man diesen Zustand nicht verdrängen konnte.
Als Grata Mox voran lief, waren es seine Schuhe, die klapperten und einen aufdringlichen Lärm machten. Mox trottete hinter ihm her und gab sich alle Mühe, keinen Laut zu verursachen.
„Was Sie sehen, Mox, ist kaum jemandem vergönnt zu sehen!“ Grata drehte sich gar nicht erst um und der Schall der Worte schien sie zu umlaufen.
Mox fragte sich noch immer, was ihn bewogen haben mochte, ihm praktisch eine Privatvorstellung zu geben. Stolz auf seine Babys? Im Grunde seines Herzens kannte er den Grund sehr genau und er meinte, damit umgehen zu können. Er hatte es im Griff.
Sie ließen die kalte Empfangshalle hinter sich und betraten den Zugangsflur zu den Portern. Das Licht flackerte an und tauchte nach und nach den ewig langen Gang in abweisende Helligkeit. Mox hörte es von irgendwo summen.
„Kein Wachdienst?“, fragte er und seine eigene Stimme erschreckte ihn.
„Die Wachmannschaft ist in Kenntnis gesetzt, man weiß Bescheid“, entgegnete Grata.
Mox nickte und ahnte, dass er kein bisschen wusste, wovon Grata die Wachmannschaft in Kenntnis gesetzt hatte.
Grata öffnete eine weiße unbeschriftete Tür am Ende des Ganges mittels einer Chipkarte.
Sie kamen in einen Raum, der bei Mox Beklemmungen hervorrief. Weiße Schaumgummiwände, eine Decke aus demselben Material, eine spartanische Bank und eine Tür ohne Klinke oder einem anderen Schließmechanismus.
„Die Schleuse“, sagte Grata. „Ziehen Sie sich aus, lassen Sie die Kleidung auf der Bank liegen, sie wird gesondert teleportiert.“
Mox versenkte die Hände in die Hosentaschen, doch bevor er seine Pistole erreichte, erschien in Gratas Händen eine winzige Beretta mit der Mündung auf Mox gerichtet.
„Machen Sie keine Sperenzien“, bellte er. „Sie wollten doch unbedingt die Teleportation erfahren. Hier haben Sie sie.“
Langsam begann Mox sich auszuziehen, während er seine Kleidungsstücke auf der Bank drapierte, erzählte Grata: „Ich habe auch ein bisschen recherchiert, Mox. Sie sind nicht der harte Hund, für den Sie sich halten. Sie sind nicht so abgefuckt, wie Sie allen weismachen wollen. Sie hatten sogar mal eine Familie, nicht wahr?“
„Das hat hiermit gar nichts zu tun, Grata!“ Mox beobachtete die Waffe in Gratas Hand, als er aus seinen Hosen stieg.
„Ihre Frau hat Sie verlassen, einfach so. Wie man Zigaretten holen geht, und dann ist Ihre Tochter verunglückt, nicht wahr? Oder war es umgekehrt? Nein, Sie kamen mit der Erziehung nicht zurecht, als die Mutter nicht mehr da war und da stürzte Ihre Tochter aus dem Fenster. Wie alt war sie, 8, 9?“
„Hörn Sie auf Grata, hörn Sie auf damit!“ Mox war jetzt nackt und stand hilflos vor der Bank. „Ich frage Sie auch nicht, wie viele Liebhaber Ihre Frau verbraucht hat in der kurzen Ehe.“
„Ich habe Sie unterschätzt, Mox. Ich hätte Ihnen den Auftrag nie geben dürfen. Mit Ihren Fragereien haben Sie jede Menge Leute aufgeschreckt. Staub aufgewirbelt, der sich schon lange gelegt hatte. Gehen Sie jetzt durch diese Tür und duschen Sie sich ab. Kommen Sie danach durch die Schleuse heraus!“
Mox öffnete die Tür und tappte in einen ebenso sterilen Raum, der kalt gefliest war. Er duschte sich ab und betrat eine Kabine, in der er mit warmer Luft getrocknet wurde. Während der Wind an ihm zerrte, dachte er an seine Tochter.
Grata erwartete ihn im nächsten Raum mit der Beretta in der Hand und einem Grinsen im Gesicht.
„Ich habe die Liste der Verunglückten durchgeschaut“, sagte Mox, während er sich nach seinen Sachen umschaute. Wieder ein kleiner Raum, in der Mitte – auf einem Sockel – eine Wanne aus einem glänzenden Material. Die Wanne war gefüllt mit grünlich schimmernder Flüssigkeit. ‚“Und mir ist aufgefallen, dass zwar nur zwei Unfälle in dieser Stadt geschahen, aber acht der vierzehn Personen, die umkamen, aus dieser Stadt kommen. Als ich die Leute unter die Lupe nahm, erfuhr ich, dass alle acht mit Ihnen bekannt waren. Oder besser mit Ihrer Frau. Es waren alles Männer zwischen 25 und 40, gut aussehend und für sechs von ihnen war es die erste Teleportation gewesen. Sie selbst konnte sich die Reise nicht leisten, also wurde sie von irgendjemandem spendiert.“
Hinter der Wanne waren technische Armaturen zu erkennen, unter Fliesen verkleidet zogen sich Leitungen in den nächstliegenden Raum. Zu erahnen war, dass die Wand hinter der Wanne voll gestopft war mit technischen Gerätschaften, die von der anderen Seite zu bedienen waren.
„Ich habe Sie wirklich unterschätzt, Mox! Steigen Sie in die Wanne, das wird der schönste Trip Ihres Lebens.“
Mox schüttelte nur mit dem Kopf. Grata fuchtelte mit der Waffe umher, doch Mox zeigte sich unbeeindruckt.
„Ich habe wirklich geglaubt, es stecke etwas Großes dahinter“, meinte er stattdessen verächtlich. „Ich hatte geglaubt, es tobe ein Krieg um Technologien. Für mich waren das Anzeichen eines Wirtschaftskampfes. Wissen Sie, Grata, manchmal wache ich morgens auf und frage mich, was aus meiner Welt geworden ist. Und dann liefen Sie mir über den Weg, und ich hatte endlich den gewöhnlichen Verbrecher zurück. Nicht aus Gier oder Ideologie töteten Sie, Eifersucht war Ihr schnödes Motiv, eine Veranlassung, die nur der Mensch kennt.“
Grata ging zur Tür und griff dahinter ohne die Pistole sinken zu lassen. Er drehte sich zu Mox und sagte: „Sie haben alles versaut mit Ihrem verdammten Eifer!“
„Sie haben die acht Männer aus dieser Stadt getötet, weil sie allesamt von Ihrer nymphomanischen Frau vernascht worden waren. Die anderen sechs brachten sie quasi zur Verschleierung um, damit die wahren Opfer nicht auffielen.“
„Genau“, knurrte Grata und sprang blitzschnell zu Mox und legte ihm Handschellen um die Gelenke. Als der protestieren wollte, gab er ihm einen Stoss, so dass er in die Wanne stürzte. Schmerz flammte in seinem Kopf auf. Das warme grüne Wasser schlug über ihm zusammen.
Er wollte sich aufrichten, doch Grata war bei ihm und hakte die Handschellen im Wannengriff ein.
„Hören Sie auf mit dem Scheiß!“
Grata schnappte sich die Füße – er war stärker als Mox ihm zugetraut hatte – und fesselte sie auf dieselbe Weise wie seine Arme. Mox war bewegungsunfähig und Grata war pudelnass.
„Wo haben Sie das gelernt, Grata?“, fragte er leise, währen sich die grüne Flüssigkeit um ihn herum beruhigte.
Er versuchte noch einmal an seinen Fesseln zu zerren, doch er wusste, dass es sinnlos war.
Grata lachte meckernd. „Tja, Mox. Sie haben Recht. Der einzige Grund, weshalb ich Sie überwältigen konnte, liegt in der Überraschung.“ Er stockte. „Autsch, was ist das? Ihre Augen sehen gar nicht gut aus. Man kann ja Mitleid mit Ihnen haben.“
„Wie haben Sie es fertig gebracht, die Daten in den Portern zu ändern? Ich frage gar nicht, wie Sie die Männer in die Porter bekommen haben.“
Gratas Gesicht wurde nachdenklich. Er wollte eben die Tür zum Nachbarzimmer öffnen, drehte sich aber zu dem nackten Mox um.
„Ich liebe meine Frau“, sagte er ernst. „Ich liebe sie wirklich und ich weiß, dass sie Hilfe braucht.“
„Weil sie nahezu jeden Mann in ihrer Umgebung vernaschen muss?“
„Sie hat eben viel Freizeit. Glauben Sie mir, sie meint es nicht ernst. Sie ist ein liebes Mädel. Doch die Männer können nicht lassen von ihr. Es gibt Männer, die das alles einfach viel zu ernst nehmen.“ Er schaute Mox an ohne ihn wirklich zu sehen. „Einfach zu ernst.“
Als er sich darauf ohne etwas hinzuzufügen umdrehte und den Raum verlassen wollte, begann Mox zu protestieren: „Grata, hören Sie! Seinen Sie vernünftig und machen Sie mich los! Grata, das hier ist keine Lösung, wir werden…“
Die Tür klappte zu.
Er sah mit plötzlicher Klarheit, dass auf dieser Seite des Einganges die Armaturen fehlten – kein Ausgang – und die Tür, durch die Grata eben verschwunden war, mit einem Zahlenschloss versehen war.
Er musste sich aus dieser verdammten Wanne befreien, bevor Grata dort draußen irgendetwas in Gang setzen konnte.
Es knackte und Gratas Stimme ertönte von überallher.
„Mox, machen Sie keinen Aufstand! Es wird nichts nützen. Freuen Sie sich auf das Ereignis, das Ihnen bevorsteht. Es soll Menschen geben, die sind süchtig nach Teleportation. Sie meinen, sie werden gereinigt. Genießen Sie den Trip!“
Grata lachte und Mox verharrte in seinen Fesseln. Er blickte an sich herab und bemerkte in den Fliesen der Wanne eine Unmenge winziger metallischer Ausbuchtungen, die ihn an Hunderte kleiner Augen erinnerten. Ein Maschinengeräusch ertönte und er spürte, wie er mit Laserlicht abgetastet wurde. Jeder Zentimeter seines Körpers wurde untersucht, atemlos verfolgte er die nadeldünnen Strahlen, die seine Haut streichelten.
Die Strahlen fuhren zurück und verschwanden schließlich gänzlich. Ruhe kehrte wieder in den Raum.
Aus der Wand fuhr ein Schwenkarm wie ein totes Fliegenbein heraus und zog eine feine Metallschicht mit. Wie eine Quecksilberfläche wurde dieser Streifen über die Wanne gezogen und deckte ebenso Mox zu, bis er vollständig eingedeckt und von der Außenwelt abgeschnitten war. Er lag so in seinem dunklen Gefängnis wie in einem Sarg und konnte seinen Atem und seinen Herzschlag hören.
Er wartete und war darauf gefasst, jeden Moment zerstört, auseinander genommen, atomisiert und vollkommen verkehrt wieder zusammengesetzt zu werden.
Doch nichts dergleichen geschah – jedenfalls jetzt noch nicht.
Der Sauerstoff wurde knapp unter der Plane, er atmete hastiger und versuchte gleichzeitig, die Panik aus seinem Körper zurückzudrängen.
Seltsame Lichtblitze erhellten sein Gefängnis. Es war, als durchziehe ein winziges Gewitter das Verlies und taste seinen Körper vorsichtig von den Füßen über den Leib bis hin zu den Haarspitzen ab. Er fühlte sich wieder nackt und beobachtet, und ihn fröstelte.
Er sah Referenzteilchen seiner selbst Tausende Kilometer entfernt, wie sie in Schwingungen versetzt wurden, um mit einem Fehler im Plan wie ein falsches Puzzle wieder zusammen gebaut zu werden. Das allerdings würde er schon nicht mehr mitbekommen, seine Existenz würde zu diesem Zeitpunkt Geschichte sein, wenn man von einem Zeitpunkt sprechen konnte.
Gratas Stimme ganz dicht neben seinem Ohr: „Und, wie geht es, mein Bester? Keine Angst, ich weiß, Sie sind schon ungeduldig. Wir starten sofort. Ich kann Ihnen versichern, Sie werden nicht leiden – na ja, zumindest hat sich noch niemand beschwert.“ Er lachte meckernd. „Haben Sie noch einen letzten Wunsch?“
„Ja.“ Seine Stimme klang fremd.
„Äußern Sie sich!“
Mox stieß kläglich hervor: „Kommen Sie doch zu mir in die Wanne!“
Grata unterbrach die Verbindung.
Fieberhaft überlegte Mox, wie er sich aus diesem Verlies befreien konnte, er zerrte noch einmal mit letzter Kraft an seinen Fesseln. Doch der fehlende Sauerstoff machte sich bemerkbar und die Kräfte verließen ihn ebenso rasch wie sein Mut.
Und plötzlich ging eine Veränderung vor sich, die er nicht benennen konnte. Irgendetwas lag in der Luft, eine Art elektrischer Schleier.
Dann gleißende Helligkeit.
Adons – Mox
Mox raste mit unglaublicher Wucht gegen die Wand.
Und erlangte in einem hellen, freundlichen Raum das Bewusstsein, um ihn herum frische Möbel, er selbst lag in einer Art Wassersessel mit sanft schwingenden Lehnen und Polstern. Er war nackt.
Als er sich umsah, hatte er schon den Eindruck, in einer Klinik zu sein. Doch woher dieser Eindruck rührte, konnte er nicht sagen. Vielleicht war das ganze Erscheinungsbild doch zu steril.
Sah so das Jenseits aus?
Er fühlte sich sofort um einiges sicherer, als er begriff, dass er es war, er selbst, Mox, der diese Gedanken dachte. Er war er, wie er sich kannte und so musste er anscheinend doch wieder richtig zusammengesetzt worden sein.
Oder gar nicht auseinander genommen? Er zweifelte. Er hatte überhaupt keine Erinnerung daran, wie er in dieses Zimmer gelangt war, nicht einmal den Schatten einer Erinnerung.
Er versuchte sich zu bewegen und die Polster kamen in Schwingungen. Jedes Rühren verursachte Schmerzen und als er sich aufgerichtet hatte, ließ er sich wieder kraftlos nach hinten fallen.
„Mox!“
Direkt neben seinem Ohr.
„Mox, wachen Sie auf. Los, er hat gemerkt, dass es nicht funktioniert hat. Er wird Ihnen gleich folgen.“
Es war Adons, der da zu ihm sprach; für einen Moment war er grundtief verwirrt.
„Wo sind Sie, verdammt!“
„Ah, fein, Mox. Sie sind wieder da. Ich bin in der Zentrale, ich habe Gratas Manipulationen entdeckt und rückgängig machen können. Doch er hat mitbekommen, dass sein Plan nicht funktioniert hat. Er wird Ihnen folgen, Sie müssen sich beeilen!“
„Wo bin ich hier?“
„Rio“, sagte die Stimme. Und dann: „Machen Sie schon, Mox. Er ist gleich hier.“
„Ich soll fliehen? Vor einem alten Mann in kariertem Anzug?“
„Mit einer Waffe, die er benutzen wird! Er hat viel zu verlieren. Er weiß noch nicht, dass der Vorstand im Bild ist, er denkt, wenn er sie tötet, ist er aus dem Schneider.“
Mit aller Kraft gelang es Mox aufzustehen und nun ließ sein Körper ihn wissen, was andere mit ihm angestellt hatten. Jede Faser kreischte, die Muskeln zitterten und alle Nerven waren gereizt. Nur die Augen taten ihm nicht mehr weh.
„Sie werden den Raum verlassen, draußen finden Sie einen Flur. Stören Sie sich nicht an den Menschen, halten sie sich links, drei Türen weiter finden Sie den nächsten Porter. Alles ist vorbereitet für den Rücktransport.“
„He, Adons! Ich bin nackt, wie stellen Sie sich das vor?
„Sie sind in Rio, Mann. Da fallen Sie nicht sonderlich auf. Beeilen Sie sich, wir hören uns im Porter wieder.“
Als er vorsichtig die Tür öffnete, schwappte Lärm zu ihm herein und Panik erfasste ihn. Selbst als er nur den Kopf herausstreckte, fühlte er sich angestarrt. Der Flur war belebt; Angestellte und Touristen liefen hin und her, und jeder einzelne von ihnen war korrekt angezogen.
Als Mox aus der Tür trat, versuchte er dies mit Würde zu tun. Er blickte sich um und musterte die Anderen, die ihn mit erstaunten oder belustigten Blicken ansahen, mit einer gewissen Arroganz, die in ihrer Gänze gespielt war.
Er ging durch die Menge hindurch, die allmählich ins Stocken geriet und sich nur für ihn teilte. Er kam sich blass vor, hier in Rio.
Als er die angegebene Tür erreicht hatte, sah er Grata – ebenso nackt wie er selbst – vom anderen Ende des Tunnels gelaufen kommen, wie er mit den dünnen Ärmchen fuchtelte, während er mit weit aufgerissenen Augen schrie, wie sein, für den Körper gewaltiges Gemächt im Takt seiner Schritte hin und her flog, da gab er ein surreales Bild ab, das Mox sich ins Hirn einfror und - wenn er die Sache hier überlebte – nie wieder vergessen würde.
Bevor Grata ihn erreichen konnte, schlüpfte er zur Tür hinein und knallte sie hinter sich zu.
„Mox“, hörte er nur. Dann Trommeln mit Fäusten und Füßen – nackten!
„Gehen Sie durch die Schleuse, schnell!“ Adons Stimme, wenngleich leise, klang jetzt so aufgeregt, wie Mox sich fühlte.
Er tat wie ihm geheißen und war binnen Kurzem in dem Wannenraum. Ohne Aufforderung legte er sich in die grüne Flüssigkeit und versuchte, sich zu entspannen.
„Grata wird versuchen, Sie zu verfolgen. Er hat den Code und wird herausbekommen können, wohin Sie portiert werden. Wenn er den Porter betritt, haben wir ihn.“
Der Portationsvorgang dieses Mal atmete schon ein wenig den Hauch der Routine. Da er den Ablauf kannte, war er vorbereitet und so beruhigte sich sein Herzschlag, während die metallene Plane sich über ihn schob und sein Körper abermals innen und außen gescannt wurde. Und dann der dumpfe Schlag gegen die Wand.
Im nächsten Moment ein ähnliches Zimmer. Hell, freundlich, einladend.
Ohne dass er Zeit gehabt hätte, sich zu besinnen, wurde die Tür aufgerissen und Adons kam hereingestürzt.
„Kommen Sie“, rief er, während er Leute, die hinter ihm in das Zimmer kommen wollten, zurück hielt. „Grata ist auf dem Weg hierher. Er ist Ihnen wieder gefolgt.“
Auch wenn sich Mox kaum dazu in der Lage fühlte, erhob er sich mit Mühe aus dem Liegesessel und folgte Adons und den Anderen schließlich, die sich auf den Weg machten, Grata zu empfangen.
„Er ist schon da“, flüsterte Adons, als sie vor einer Tür am anderen Flurende angelangt waren. Der Gang war leer bis auf Mox, Adons und drei stummen Begleitern, und so herrschte Stille im Gebäude.
Auch hinter der Tür war es ruhig.
„Wir müssen rein“, sagte einer der Männer.
Adons nickte. „Vorsichtig! Er ist wie eine wütende Ratte!“
Sie stießen die Tür auf, und schon als sie schwergängig war und sich kaum öffnen ließ, wusste Mox, was passiert war.
Die Sauerei war enorm und reichte durch den gesamten Raum. Als sie hereinkamen, traten sie in Blut. Der Erste würgte, drehte sich um und rannte hinaus. Allen stockte der Atem.
„Er muss es selbst fehl programmiert haben“, krächzte Adons. „Er wusste, dass es keinen Ausweg mehr gab.“
Über den hin gestreuten und umgestülpten Organen und Teilen des Körpers Gratas lag eine seltsam friedliche Stille. An einem blutigen Klumpen, der die Lunge gewesen sein konnte, sah Mox einen karierten Fetzen Stoff.
Adons wandte sich ab und wankte nach draußen, Mox folgte ihm.
Auf dem Flur, der dem Schrecken seine eigene sterile Schönheit entgegensetzte, sagte Mox: „Er ist im Tod wie er im Leben war: fahrig und zerstreut, nicht?“
Adons schaute ihn an und nach einigen Momenten sagte er müde: „Auch wenn das Ihre Art ist, mit der Sache fertig zu werden. Er war ein Mensch und im Vorstand der Firma beschäftigt.“
Mox antwortete nicht, und so gingen sie gemeinsam hinaus ins Freie.