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infinity
Dezember 2015
Die beiden Diener standen auf einer Treppe oberhalb der Rampe und beobachteten stumm das Verladen der Kisten auf einen klapprig wirkenden Lastwagen Sie bildeten ein ungleiches Paar. Der Jüngere der beiden war stämmig, trug Jeans und Leder, die Tätowierungen auf seinen vor der Brust verschränkten Armen waren voller Schweißperlen. Der ältere Diener war eher hager und trug trotz Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit einen teuren Anzug. Er machte einen altmodischen Gesamteindruck und bildete einen Kontrast zum hektischen Wirrwarr des südostasiatischen Hafens.
Als die letzte Kiste auf der Ladefläche des Lasters verschwand, gingen die beiden zu ihrem im Schatten geparkten Auto. Kurz danach fuhren sie dem Lastwagen hinterher, eine kurvige, mit Palmen umrandete Landstraße entlang, tief ins Hinterland.
Auf dem zwischen den Berghängen versteckten Anwesen würden sie die nächsten Jahre verbringen... und warten, bis die Alten wieder erwachen.
Oktober 2015
Die Speditionsfirma arbeitete schnell und professionell, der kleine Gabelstapler verlud die langen, seetauglich verpackten Kisten mit einer beeindruckender Geschwindigkeit. Der ältere Diener unterschrieb die Papiere und die beiden Lastwagen fuhren los. Kurz danach übergab er die Schlüssel und den unterschriebenen Kaufvertrag an den geduldig wartenden Immobilienmakler und ging langsam über den mit feuchtem Laub bedeckten Innenhof zum Auto. Der jüngere Diener schnippte die Zigarettenkippe weg, schaute sich noch mal um und setzte sich ans Steuer. Als das voll beladene Fahrzeug langsam losfuhr, setzte kalter Herbstregen ein.
September 2015
Die beiden Frauen gingen zielstrebig auf die alte Villa am Ende der Straße zu. Sie blickten mit ausdruckslosen Augen nach vorn und bewegten sich auf eine Art, die an Schlafwandler erinnerte. Wie ferngesteuert gingen sie zum schmiedeeisernen Tor und blieben davor stehen. Als die Ältere der beiden die Klingel betätigte, öffneten sich kurz danach die beiden Torflügel. Die Frauen betraten wortlos das Anwesen.
Sie gingen durch die bereits geöffnete Eingangstür, ohne den Mann zu erkennen, der ihnen die Tür aufhielt. In der riesigen Eingangshalle wurden sie von einem älteren, distinguierten Mann empfangen, der sie umgehend in die weitläufigen Räume im Untergeschoss führte.
Dort warteten bereits die Alten. Als der Altvordere mit seinen Eckzähnen die Halsschlagader einer der Frauen zerfetzte, wehrte sie sich nicht. Sie verspürte keine Schmerzen und merkte auch nicht, dass sie nun Teil von einem unendlichen Kreislauf wurde. Ihre Freundin reagierte ebenfalls nicht, als die durstigen Alten über sie herfielen und mit dem Mahl begannen.
Seit einer Ewigkeit vereinigten sich so das Leben mit dem Tod und das ausgelöschte Leben der einen verlängerte das Leben der anderen.
August 2015
Die Nadel durchbohrte die Haut der jungen Frau, dann noch mal und noch mal... Immer wieder verspürte sie den Schmerz unter ihrem Schlüsselbein. Die winzigen Blutstropfen auf ihrer Haut glänzten, auf ihrer Oberfläche bildeten sich winzige, schwarze Rinnsale, die sich immer wieder verzweigten, um sich gleich auf der anderer Seite des Tropfens zu verbinden. Es machte den Eindruck, als hätten die Tropfen ihr eigenes Innenleben. Ihre Freundin schaute interessiert zu und freute sich schon die Nächste zu sein. Für beide Frauen war es das erste Mal und sie waren froh, es gemeinsam durchzustehen.
Auf dem Heimweg hatten beide ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus einem nicht näher definierbaren Kribbeln, Unwohlsein, freudiger Erregung und stumpfer Teilnahmslosigkeit.
Juli 2015
Der Altvordere erwachte als erster. Er rief den alten Diener zu sich und sie sprachen lange miteinander, wie jedes mal nach dem Erwachen. In der darauf folgender Nacht ritzte der Altvordere mit seinem Eckzahn die Innenseite seines Handgelenkes auf. Sein Blut tropfte in ein von seinen Dienern bereit gestelltes Gefäß.
Am nächsten Morgen brachte der jüngere Diener das Gefäß in den Laden, der sich am Rande der Innenstadt befand. Noch bevor der Laden öffnete, dosierte er vorsichtig einige Tropfen in eine kleine, weiße Kunststoffflasche, die er anschließend markierte und zu den anderen ähnlichen Flaschen ins Regal stellte.
Um neun Uhr öffnete er den Laden und wartete auf Kundschaft, bis zum ersten Termin hatte er noch eine Stunde Zeit. Irgendwann sah er zwei junge Frauen die auf den Laden zusteuerten.
Die beiden Freundinnen überquerten die Straße. Sie betrachteten kurz den Schriftzug „Infinity Ink“ im Schaufenster und betraten den Laden.
„Hallöchen!“, riefen sie einstimmig.
„Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?“, fragte der stämmige Mann an der Theke.
„Wir möchten beide ein Tattoo... eine Schleife für uns beide... als Zeichen unserer Freundschaft... die ewig bestehen soll... die Unendlichkeit hat eine Bedeutung für uns... da sind wir hier richtig, der Laden heißt ja auch so... haha...wann wäre denn ein Termin frei?“ Sie redeten schnell und beide gleichzeitig, so dass der Mann Probleme hatte ihnen zu folgen. Trotzdem antwortete er umgehend, ohne in sein Terminkalender zu schauen - „Oh, Mitte August hätte ich noch was frei. Ja, die Infinity-Schleife, eine wirklich gute Idee. Da kommen sie der Unendlichkeit etwas näher, das garantiere ich ihnen“
Er lachte laut und die gut gelaunten Frauen lachten mit ihm.