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Indien
Es war immer sein Traumland. Die Einfachheit der Menschen, ihre Art das Leben nicht nach außen zu tragen, sondern in geistiger Annäherung im Innen zu bewahren. Das hat ihn fasziniert. Reisen und das Erfahren fremder Kulturen ist ihm ein Ventil gewesen, wenn die Welt zu Hause zu eng wurde. Die Ohnmacht in seiner Beziehung ihn zu erdrücken drohte. Dann fuhr fort. Lebte diese Sehnsucht, die unstillbar in ihm verborgen war.
Indien. Dorthin hat er es nie geschafft. Aber jetzt, nach so vielen Jahren. Da ist auch der Mann, den er immer vor sich sah. Der Mann der die Asche in den Ganges schüttet. Ganz behutsam, in einer inneren Einkehr. Selbstvergessen in dieser lauten Welt. Und er sieht das junge Mädchen das dem Bild seiner Frau in jungen Jahren so ähnlich ist. Sie bewegt sich ruhig und wäscht ihr Gesicht mit dem heiligen Wasser. Es ist keine Waschung der Haut, sondern die fast zärtlich anmutende Geste einer Seelenreinigung. Die Gebäude am Rande des Flusses deren Ränder sich schemenhaft im Orange der untergehenden Sonne zu verlieren scheinen, ergänzen den Anblick von spürbarer Wärme und Geborgenheit.
Er fühlt die Atmosphäre des langsameren Atmens dieser Menschen, in all der Hektik die auch hier, wie überall auf der Welt, vorhanden ist. Es ist still in diesem Chaos. Stiller als die Schweigsamkeit in seinem Alltag. Weil es eine Stille ist, welche ihm die Sprache seiner Seele endlich hörbar macht.
Die Gewürze, Safran, Curry dringen in seine Nase. Sie sind verwurzelt mit diesem Land. Der Reis in den Jutesäcken. Er greift hinein und lässt ihn durch seine Finger gleiten. Manchmal, wenn er müde wird, bettet er sein Haupt auf die wunderschön bestickten Polster, die mit kleinen Glasperlen versehen sind und denkt an die begleitenden Worte aus dem Buch in dem gerade liest. Die Geschichte einer Frau die mit ihrer Katze alleine drei Jahre durch Indien reiste.
Er ist zufrieden. Er hat das Flugzeug nicht mehr besteigen können. Denn er ist alt geworden, seine Krankheit ließ nicht mehr zu, hinzufahren in das Land seiner Sehnsucht. Aber seine Tochter wusste um die Liebe die er dort zu finden suchte, in diesem Land. Also hat sie ihm zum Geburtstag ein Buch geschenkt. Das Buch dieser Frau auf Reisen. Sie brachte ihm auch Gewürze mit, in hübschen, mit indischen Ornamenten, verzierten Gläsern. Sie schenkte ihm indischen Reis um den Geschmack des Landes in sich aufnehmen zu können. Und sie malte ein Bild vom Ganges. Dem Mann mit der Asche und dem sanften Mädchen. Sie malte ihm Indien. Sein Indien, sie hat es ihm nach Hause gebracht.